Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 89 (Dezember 1911)
DOI Artikel:
Lasker-Schüler, Else: Briefe naeh Norwegen
DOI Artikel:
Kunowski, Lothar: Münchner Sezession
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0269

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ratcliif und Marie, Sappho und Aphrodite, der
Mohr vop Venedic; und Desdemona, Wilhelm von
Kevlaar, E/u, Herwarth, und Qretchen, Romeo und
Julia, Faust und Margarete, Mephisto und die
Venus von Siam, der weiße Panther und Joseph der
Kgypter, Sascha der gefangene Prinz und Schehe-
resade — „er“ nannte mich Scheheresade. Qute
Nacht. '

Liebe Kinder, heute besuchte mich der
Bildhauer (ieorg Koch und brachte mir Chokoladen-
bonbonsmit. Ich aß alle die siißen Dinger mit Marzi-
pan und Zuckerfiillung hintereinander auf. Die waren
in silbergriines Papier eingewickelt mit Qoldsternen.
üch spielte die ganze Naclit damit; erst trug ich
einen Mantel aus dem seligen Märchenschein, dann
standen meine Fiiße in silbergrünen Schuhen mit
Sternen, eine Krone giänzte in nieinen Haaren, ich
saß plötzlich im Zirkus mit Lorchen Hundertmark,
die durfte mich begleiten, — das kleine Kutscher-
kind, — ihr Vater fährt die Wagen spazieren von
meiner allerliebsten Tante Johanna. Lorchen und
ich sind beide zeh.n Jahre att und schwärmen heim-
lich für Joy Hodgini; wir stoßen uns großblickend
an und nennen ihn Traumbild. Es hati kein Mensch
gehört, alles guckt in die große runde Manege und
viele, viele Hände klaschen. Lieschen Hundert-
mark hat eine Koinmode, daraut stehen: ein Mu-
schelkästchen, in seinen Spiegel starrt der goldene
Porzellanengel vom Sockel. Ein kleiner, blauer
Qlasleuchter mit einer gelben, gerippten Weih-
nachtskerze und ein Wachsherz auf einer Karte
liegt neben einern glitzernden Osterei, man' sieht
darin das Feenreich. Und daneben liegt ein Qebet-
buch aus grünem Samt, aus ihtrf hing ein Buch-
zeichen aus silbergriinen Qlanzstaniol mit goldenen
Sternen.

Weißt du schon, Herwarth, daß Paul Zech aus
Elberfeld nach Berlin zieht? Ich riet ihm zu dem
Stadtwechsel, er braucht Dir nicht erst immer
seine Verse schicken. Aus seinem letzten Gedicht
qualmen Schornsteine, Ruß liegt auf jedem Wort.
Er ist der einzige Heimatdichter im großen Stil.

Lieber Herwarth, ich habc diese Nacht wieder
verbummelt geträumt. Ich schlenderte über den
Kurfürstendamm wie ein Strolch angezogen, in zer-
Jumpten Hosen - und griinlich, abgetragenem Rock,
ich dachte nur stumpfe Dinge, auchl war ich ange-
trunken — aus — Traurigkeit. — DerWind heulte
meine rote Nase an. Dul kennst doch so einen
Zuständ -— gemildert — bei mir, wenn Du ver-
reist warst und wiederkamst, und inichj hier oben
am Henriettenplatz trafst, als ob ich obdachlos
sei. Diesmal karn mir im Traum Kete Parsenow
entgegen, die Verms von Siam. Sie sann nach irgertd
ernem Wort, dann ergriff sie mich mit ihren Hän-
den aus Elfenbein, aber mit der Energie eines Qens-
darms — „Tino!“

Herwarth, Kurtchen, ich vergesse immer seinen
Namen — er ist aus dem sächsischen Tirol, schrieb
ein Buch über gemalte lrdenkochtöpfe, angehender
Direktor der Museen hier. Mehr weiß ich nicht

von ihm. Uebrigens besitzt er eine eigerte Möb-
lierurtg von der Urgroßtante geerbt; und eine länd-
liche Base der Mona Lisa hat er an der geblümten
Tapete hängen, das Qemälde erbte er auch von
seiner Erztante Isabella.

ian

Münchner Sezession

Von Lothar von Kunowski

Diese Kritik Lothars von Kunowski erschien im
Jahre 1900 und wurde in sein Buch „Lichtund Helügkeit“
aufgenommen

Durch strenge Auswahl der Werke hat die
Münchner Sezession den ersten Schritt zttr K u n s t
getan. Aber der Verlust in der Anzahl der Werke
muß ersetzt werden durch den Reichtum dessen,
was von jedem Einzelnen gegeben wird. Es ge-
nügt nicht, wertige sehr einfache Arbeiten zu ver-
öffentlichen: alles Vornehme ist einfach, aber es ist
zugleich reich, Vornehmheit und Armut sind un-
vereinbare Widersprüche. Stuck ist ein einfacher
Mann, er hat in einer Zeit der Verschwommenheb
eine kernige Bauernsprache eingefiihrt. Er sagt
unverhohlen das Wenige, was er zu sagen
hat, in seinen „Furien“ durch Verbinduug von
vier Qestalten, eines fliehenden Mannes und
dreier schwebenden Weiber, von denen zwei
zerfolgen, eitte sich in den Weg stellt, indem alle
vier den Raum derart erfiilien, daß sie das Ne’ic.-
sächliche rücksichtslos beiseite drängen. Es blcbt
der Qegensatz zwischen Mann und Weib, Angst
und Rache, hellen und dunklen Leibern, roten, gel-
ben, grünen Gewändern weithin dekorativ wirk-
satn. Priift man jedoch das Einzelne, das Mienen-
spiei der Köpfe, die Hände, Füße, die Falten der
Gewänder, Steine und Bäume, so ergibt stch, daß
Stuck zu wenig fein urtd zu wenig reich tst, um
als vornehm gelten zu können. Man vergleiche
hiermit eines der Werke von Mantegna, dem an
Wucht und Geschlossenheit der Komposition we-
nige gleichkommen, und man wird, jeden Kopt,
jeden Körper, Panzer, Helm und Früchtekranz eines
besonderen J^ahmens für wert erachten. Zahireiche
Abbildungen einzelner Teile von Qemälden der
Renaissance wiirden aufklärend wirken über die
Qründe der Vornehmheit norditalienischer Kunst.

Zur Einfachheit und zunt Reichtum muß sich die
Ehrlichkeit gesellen. Der Künstler soll von den
älteren Meistern den Pflug ihrer Methode, aber
nicht zugleich deren Früchte übernehmen. Karl
Haiders Landschaften erinnern an Arbeiten aus der
Mitte des Jahrhunderts in Anordnung, Farbe und
Durchführung, als hätte man sie einem Museum
entnommen. Betrachtet man sie genauer, so schwin-
det der trügerische Schein. Die Vorgänger dieses
Künstlers malten die Bäume so, wie sie sahen, ihr
„Baumschlag“ war das Ergebnis sorgfältiger Na-
turstudien. Haider malt keinen Baum, wie er ihn
sieht, er sucht vielmehr die Sorgfalt der Aelteren

vorzutäuschen, indem er jeden Baum aus tausend
\ollkommeu gleichförmigen Kringeln zusammen-
setzt. Hundert solcher Fichtenbäume rückt er zu-
sammen und wähnt einen Wald gemalt zu haben.
Der Baum als eine lebendige Persönlichkeit von
bestimmter Eigenart ist ihm durchaus gleichgiiltig;
er strebt nach dem Ruhm alter Meister, die doch in
Wahrheit das Schema einer Fichte, Linde, Buche
aus dem Vergleich der wirklichen Bäume möglichst
ehriich zum dauernden Qebrauch für spätere Zeiten
feststellten, damit die Nachfolger fortbilden, nicht
das Gefundene zur banalen Redensart verflachen
könnten. Noch in seinem siebzigsten Jahr wan-
delte der alte Preller täglich mit dem Skizzenbuch
m die Campagna, damit das Schema seiner Bäume
nicht verknöchere. Darum ist die homerische Ab-
geklärtheit seiner Odyseelandschaften in Weimar
dttrchdrungen von jugendlicher Frische.

Ehrlichkeit ist eine Dienstmädchentugend,
wenn sie nicht mit Selbständigkeit vereinigt ist.
Künstler sein, heißt Gegensätze in sich zur Einheit
einer Schöpfung auflösen: der Künstler soll abhän-
gig von der Natur sein, um unabhängig natürlich zu
bleiben. Schramms Hühner und Truthähne sind
nur ehrlich beobachtet, ihre sonnigen Farben ver-
raten eine überraschende Aufnahmefähigkeit für
Natureindrücke, aber es scheint, als habe der Künst-
ler die Hühner der Farben wegen und nicht die
Farben als Ausdruck des Lebens der Hühner ge-
malt. Der Augenblick des Sich-selbständigmachens
ist entscheidend für die Entwicklung des Künstlers;
in gewissen schöpferischen Zuständen muß Ver-
gangenheit und Gegenwart, also Tradition und Na-
tur in Nacht versinken vor dem Ausbruch eines
neuen Lichtes. Das Licht der Idee ist das Leben
der beobachteten Naturwesen, welches im Künst-
ler zu neuer, vollendeter, reinerer Erscheinung
drängt, als es in der Natur selbst geschieht. So
wunderlich „Der schwarze Ritter“ von Branden-
burg uns erscheint, dieses Bild ist vielleicht zu we-
nig ehrlich gesehene Farbe, aber in der Erschei-
nung des schwarzgepanzerten Ritters und in den
leuchtenden Leibern der Waldfeen birgt sich ein
seelischer Vorgang, dem der Künstler in allem, was
jung ist, und in sich selbst auf die Spur kam. Wir
wandeln alle dtister durch einsame Wälder, iiber
uns das schwirrende Insekt der Qrübelei, zur Seite
kauernd und hinterrücks schwebend das Jauchzen,
Lächeln, Höhnen von Qeistern der Schönheit und
Sinnenlust, die kein schwarzer Panzer vollständig
bannen kann. Wir wollen nicht lachen über den
tollen Einfail mancher jungen Künstler. Die Zeit
der Einfälle, der Improvisationen, des kühnen Lau-
schens auf die Stimme des Inneren, und das Nie-
derschreiben des also Vernommenen ohne Rück-
sicht auf die Meinung der Welt gehen jeder hoff-
nungsreichen Kunstperiode voraus.

Der vornehme Mann mißbraucht seine Selb-
ständigkeit nicht; auch in den Stunden der Einsam-
keit weiß er den Feinden echter Kunst zu wider-
stehen, dem Hochmut und Qrößenwahn, er vermei-
det den Schwulst und die Undeutlichkeit dessen,
der nur für sich und nicht für andere schafft, er
bleibt wahrhaftig gegen sich selbst. Janks „Bau-
ern“, Weib und Mann, bis zur Hüfte gesehen, da-
hinter die Köpfe zweier Schimmel, alles'vor rot-
glühender Landschaft, geben ein Bild von schwung-
voller Erfindung in Linien und Farben. Aber die
Wahrhaftigkeit fordert, daß man mehr gebe, als
man in dem Augenblick des Entwerfens persönlich
ist, sie fordert, daß der Künstler im Werk sein gro-
ßes Können, seine vergangene, gegenwärtige und
zukünftige Persönlichkeit zusammenschließe Die
gniale Idee soll das Qefäß sein, in welches hinein
sich das gesamte Wissen, Fühlen, Wollen des
Schöpfers ergießt. Er soll sich im Werk auswach-
sen, sich seines Besitzstandes in vollem Umfartge
bewußt werden, damit er ihn nie wieder verlieren
kann. Janks Bilder sind vorzüglich Untermalun-
gen, jeder Schritt weiter in der Durchführung
würde dem Künstler Selbsterkenntnis bringen über
das, was er weiß und was er nicht weiß. Fährt er

711
 
Annotationen