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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 102 (März 1912)
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Der Lebenslauf eines deutschen Malers
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Adler, Joseph: Wintersaison
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Ausstellung Zeitschrift Der Sturm / Vortragsabend von Rudolf Blümner
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0378

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rei entglitten ist, träumt den sßßen LiebesMagen
Cbopins nach, die ihre Freundin aus den Saiten
zaubert.“ Eingehend werden die Farben des Bil-
des analysierL „Zu Beethoven wiirden diese Far-
ben nicht passen.“ Das leuchtet ein, wenn wir dic
Themen der nächsten Bilder erfahren: „wie diese
hübschen, nach der neuesten Mode gekleideten
Damen stehen, sitzen, mit ihren Hiindchen spielen,
ihre Partie de bal umnehmen, oder vor sich hin-
träumen, das ist mit ebensoviel Qefiihl für weib-
liche Anmut und ruhige Vornehmheit gegeben, wie
mit Verständnvs fiir den Reiz von distinguierteu
Toiletten.“ Sympathisch ist wiederum der Zug,
daß es unserem Mäler niemals möglich w rar.
„einen weiblichen A'kt einfach ais Akt dem Publi-
kum anzubieten. Er suchte sein Dasein zu nioti-
vieren. So erfand er zu dem üegenden Akt das
Meer und den abziehenden Sturm, so daß die
Liegende als s c h ö ri e s O p f e r e i n e s
Schiffsbruches erscheint.“ In dieser Zeit
entsteht das Bild: die letzten Stiche. „Das kalte
Zimmer eines in Verfall befindlichen Schlosses.
Durchs Fenster schaut ein kalter Wintertag und
sieht mitten im Zimmer ein blondes, in eine Pelz-
iacke gehülltes iunges Mädchen sitzen. das fleißig
an einem weißen Kleide näht. Im Hintergrunde
ein Kamin, den eine Alte heizt. Romantischer In-
hatt: das arme adlige Fräulein, das
sichnach den Freuden des Lebens
s e h n t und unbemerkt von den Ihrgen an der
Toilette arbeitet, mit deren Hilfe vielleicht
der Ausweg aus der Familienmisere zu finden ist.“
Es w'ird hinzugefiigt, daß das Bild seine Pointen
nicht unterstreicht.

Wie uns die junge Liebe und die romantische
Hochzeit des Kiinstlers erzählt werden, möge man
in der Arbeit selbst tiachlesen. „Er hatte seine
M u s e gefunden. Sie war für ihn, was Helene
Fourment für Rubens, Saskia und Hendrikje für
Rembrandt, Nana fiir Feuerbach gewesen, und
eigentlich mehr.“ Die folgenden Bilder offenbaren
wieder den „Romantiker des Salons“. „Ein in
seinem Saion mit Abstauben beschäftigtes Stuben-
inädchen lauscht hinter der Portiere dem Gespräch,
das er in dem dahintergelegenen Zimmer niit sei-
ner jungen Frau am Frühstiickstische fiihrt. Er hat
diese Episode in einer zweiten späteren Fassung
zn einem kleinen Roman ausgestaltet, indem er
aus dem horchenden Kammerkätzchen eine Darne
gemacht, die ihren Qatten oder Qeüebten bei einem
Tete ä Tete mit einer anderen belauscht.“ Daß
ein Künstler von so feiner Empfindungsgabe nicht
auf detn Standpunkte gewisser moderner Maler
steht, „die ihre Studien roh hinschmiet en“ leuch-
tet ein. Wir erfahren genaueres iiber die Ent-
stehung der „Atiferweckung“: Jairi Töchterlein be-
reitet wegen ihres Qesichtsausdruckes große
Schwierigkeiten. Seine Muse hilft. „Sie machte
ihm klar, daß, wenn jemand aus einem tiefen
Schlafe oder einer Ohnmacht erw-acht. er zuerst
nicht wiißte, wo er sich befände. Er wiirde also
zinrächst seinc Qedanken zu sammeln suchen, sich
besinnen. Und wie säße m.an gewöbnlich da,
wenn man sich auf etwas besänne?“ Nun, wie
denn? „Sie machte ihni vor, wie eiti graziöses
weibliches Wesen ganz tmwillkürlich d i e H a n d
an die W'a n g e legt, um sich aus einer Ver-
wirrung ihres Denkens wiedkr iti die W i r k ii c h -
k e i t hineinzufinden.“ Nun ging es an die Aus-
fiihntng des großen Bildes. Es ist dann aber
auch etwas geworden, eine in der Malerei des
neunzehnten Jahrhunderts einzige Leistung, „denn
die Kunst keines anderen Kulturlandes hat aus
dieser Zeit auch nur Aehnliches an Qröße der
Auffassung und Schönheit der Malerei aufzuwei-
sen.“ Wie großartig das Bild ist, geht auch daraus
hervor, daß der „damals zweiundsiebzigjährige
Menzel es nicht ntehr verstand.“

Noch einen Qipfel erlebt der Meister: „zu ver-
schiedenen Malen ist er mit Kaiser Wilhelni dem
Zweiten zusammengetroffen.“ Kaunt vermag rnan
ruhig zu bleiben, bis man erfährt. welchen Ein-

druck der Kaiser auf ihn gemaclit hat. Man höre:
„Er ist, wie aüe, die Qelegenheit haben, den Kai-
ser in der Nähe kennen zu lernen, bezaubert von
dessen Liebenswürdigkeit und Natürlichkeit.“ Nie-
mals ist er „jemand begegnet, der ihm mit so
durchdringender Offenheit und wohlwoüender
Schärfe ins Atige gebiickt habe.“ Das gesunde
und objektive Kunsturteii des Kaisers überrascht
ihn. Wenn der Kaiser iiber ein Bild von Reiniger
sagt, es sei niclit richtig, daß ein Bild erst aus
zehn Schritten Distanz etwas wert sei, vemiag er
nicht zu widersprechen, denn der Kaiser sieht ihn
„fast bei jeder Anrede tief und fest, beinahe starr,
in die Augen“. Froh dürfte tnan sein, „wenn das
deutsche Publikum die Kunst so gesund und unvor-
eingenomnten beurteilen kann wie der Kaiser.“

Es bleibt zum Schluß, von höherer Wärte aus
die Bedeutung unseres Meisters abzuschätzen. „Er
unterscheidet sich durch die Fähigkeit, n>it Bedeu-
tung zu malen, sehr stark von Künstlern wie
Leibl, Trübner, Liebermann uttd anderen, fiir die
die Maletei Selbstzweck ist, und die nicht daran
denken, mit iiirer Hilfe aesthetische und geistige
Probleme zur Lösung zu bringen.“ „Irt der Schön-
heit und Mannigfaitigkeit der Earbe bleibt Leibl
hinter ihrn zuriick.“ „W'as ist des vielgeriihmten
Delacroix „Dante-Barke“ für ein zahrties Bild
gegen diese farbige Symbolik des menschlichen
Endes (in unseres Küristlers „Auferstehung“)?
Dagegen, daß ein Kiinstler sich entwickelt, ist lctz-
ten Endes nichts einzuwenden. Auch unserem Meis-
ter ist das nicht ganz erspart geblieben. Aber
„auch seine neuesten Bilder verleugnen nicht seine
gute Erziehting, seine Neigung, . . . in den von
der Schönheit gezogenen Orenzen der Anmut zu
bieiben.“ Der einzige Maier, mit dem dieser
Kiinstler vergiichen werden kann, ist Arnold
Böcklin. Aber darnit sollen nicbt etwa beide
Meister gleichgestellt werderi. Dieser Kiinstler
steht n o c h höher. „Es bedarf keiner Auseinander-
setzung, daß er der kultiviertere Maler ist, daß
seine Mittel feiner sind.“ Dafür sind ihm denn
auch „die höchsten Auszeichnungen des In- und
Auslandes zuteil geworden, die ein Künstler sich
mir wtinschen mag.“

Nur das deutsche Volk schätzt ihn noch nicht
nach Qebühr. Er heißt: Albertvon Keüer.
Und sein Biograph ist: Hans Rosenhagen.
Hans Rosenhagen, der fiihrende Berliner Kunst-
kritiker.

Die „Woche“ wird sie mit dem „Deutschen
Kulturpreis“ krönen.

Bim

m

Wintersaison

Jäschingszauber

Uber den bunten Markt des Lebens prome-
nieren viele sonderbare üestalten, die auf unser
satirisches Behagen Anspruch erheben dürfet^
Wenn aber der Ästhet auftaucht. um in wehruü-
tiger Einsamkeit voriiber zu wandeln, sinken alle
die andern im Kurs.

Bis auf den ErfchvSehlaikjer, derni der
war auch als Spötter noch niemals solvent. Mit
einem schreiendem Passivum an Witz und Origi-
nalität repräsentiert er den täppischen Vertreter
jenes Schrifttums, das rnit der Demokratie unter
einem Dache wohnt. Aus den Schornsteinen steigt
beständig ein Rauch, als ob rnan irn Hause die
Schmortöpfe voll köstlichen Eleisches hätte. Aber
in Wirklichkeit kochen die Tendenzatleten Bettel-
suppen, wenn sie nicht gerade Kohl aufwärmen.

Mit einer gedankenblinden Betrachtung, einem
diinnen, unsinnigeti Nichts, mit einer handvoll

Pbrasenbrei werden Zehntausende gespeist, wiiß-
begierige, bildungshungrige Zeitungsleser.

Eiri Feuilletoniste muß von der Lebensbriihe
die Fettaugen der Erfahrung abschöpfen, um dem
Lesepublikum „Atisbiicke gewähren zt» können“.
Er schmiert die Angein der Tür ins Interessante mit
der öligsten Phantasie, aber man muß sie ihm hin
imd wieder vor der Näse zuschiagen.

Und män rnuß ja wild werden, und es rnoß
aller Langmut reißen, vvenn ein Erich Schlaikjer
eirie kurzgcfaßte Naturgeschichte d e s Ä s t h e -
t e 11 sclircibt. Hier, icb will einige Sätze, die we-
der Kopf noch Schwanz haben, herauspeitschen.

„Der Ästhet ist in seinem Äußern ein seltsa,-
111er Parbenmensch, der wie ein phantastisches
Wunder durch die k a 1 t e W e 11 schreitet.

Er scheut kein Opfer, wenn es um die Kra-
watte geht; er liebt die furchtbare Qratwan-
de r u ng z w i sc h en Tod u n d L eb e n.

Die Ästheten sind wie Lilieri in der gewöhn-
liclien Rübenkultur der Menschheit. Sie säen
nicht und sie ernten nicht, unser himmlischer
Vater ernähret sie doch.“

Sie siud wie Lilieu, die nicht säen und ernten.

„Um seine blasse Vornehmheit zu retten, hat
er sich in die erlesenen Qärten seiner Kultur zu-
riickzieher ntüssen; aber sie werden von ihrer
kulturellen Sendimg iti den Lärm der Säle hin-
eingeführt, um als stille Punkte einer fernen
Schönheit in der nichtigen Menge zu schimmern.

Wenn ich von den inneren Kärnpfen um die
Krawatte absehe, ergreift mich nichts so sehr,
wie die tiefe schreckliche Einsarnkeit, die den
Ästheten im Bailsaal des Lebens umgibt.“

Oas Leben ein Balisaal? Auch gut. lch habe
Schlaikjer nicht zum letzten Mal zum Tanze aufge-
spielt.

Joseph Adler

Verantwortlich für die Schriftteiiung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Ausstellung

Zeitschrift Der Sturm

Der Biaue Reiter
Franz Flaum
Oskar Kokoschka
Expressionisten

Tiergartenstraße 34 a
Die Ausstellung ist tägiich von
10 bis 5 Uhr (auch Sonntags) geöffnet
Karte I Mark / Dauerkarte 2 Mark
Schluß der Ausstellung atn 10. Mai

Vortragsabend
von Rudoll Blümner

Am 17. März, abends 8 Uhr, trägt Rudolf
B 1 ü in n e r Dichtungen von Hans Christian An-
dersen / Peter Altenberg / Qotthold Ephraim
Lessing / Heinrich von Kleist / Lafontaine /
Paul Scheerbart vor. Der Abend findet im Arcbi-
tektenhaus, Wilhelmstraße 92-93, statt.

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