Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0389
DOI Heft:
Nr. 104 (März 1912)
DOI Artikel:Walden, Herwarth: Gedankenloses
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WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
Redaktkm und Vertag: Beriin W. 9 / Potsdamerstrasse 18
Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigen-Annahme
durch den Veriag und sämtliche Annoncenbureaus :-:
i -:-
Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN
*
"’! . ’ ..
Vierteijahrsbezug 1,30 Mark
.
Jahresbezug 6,— Mark / bei
preis für die fünfgespaitene
Halbjahresbezug Mark /
freier Zustelhmg / Insertions-
Nonpareillezeile 60 Pfennig
JAHRGANG 1912
BERLIN MÄRZ 1912
NUMMER 104
Ifthfllt * TRUST: Gedankeoloses: Baumeister Solness in Berlin / Kunst verpflichtet / Zuriick zur Natur / F. T. MARINETTI: Manifest des Futurismus /
. ALFRED DOBLIN: Der schwarze Vorhang / PETER ALTENBERG: Nacbwinter / RUDOLF KURTZ: Der Vortragsabend von Rudolf
Hiü*i»er / SIURLAI: Leo Tolstoi; Und das Licht scheinet in der F'insternis / INHALTSVERZEICHNISS: Zweiter Jahrgang Zweites Halbjahr /
OSKAR KOKOSCHKA: Zeichnung / RICHTER-Berlin: Kopf eines Zerhackten / Originalholzschnitt
Oedankenloses
Baumeister Sotness in Beriin
Der „Berliner Lokal-Anzeiger“ interviewte den
Berliner Stadtbaurat über seine Kunst:
„Und eimnat haben Sie sogar das M ö c h s t e
gewagt, was ein Bauktinstler wagen kann: Sie
haben einen h o h e n Turm gebaut“, warf ich ein.
„Ich sah iiri Turm meines Stadthauses“, fuhr
der Architekt fort, „auch wirklich eine seltene
Aufgabe. Zuerst wollte ich das Stadthaus o h n e
T u r m batien. Dann aber kam die I d e e m i t
d e m T u r m. Und sie verließ mich nicht mehr,
im Wachen un-d im Träumen nicht. Nur wer
die Kiinstlerpsyche kennt, kann nachfiihlen,
w’elche Seligkeit in der Konzeption einer s ol-
c h e n Idee iiegt und welche verzweifel-
ten Kämpfe sich nachher bei ihrer Durch-
fiihrung einzustelleri pflegen. Ein Maler kann an
seinem Bilde immer wieder änderti; sogar der
letzte Ausweg, die Zerstörung, ist in seine Hand
gegeben. Das Werk des Architekten steht fest-
gefiigt bis in alle Ewigkeit und ruft den Namen
des Schöpfers in die Welt.“
Der Interviewer wirft dem Stadtbaurat den
hohen Turm ein, den er als Höchstes gewagt hat,
und ruft den Namen seines Schöpfers vorläufig in
Vertretung der Welt. Sonst macht sich der Stadt-
baurat noch viel Sorgen um die Eindeckung der
Kuppel:
Ob da eine Kupfer-, ob eine Ziegekleckung
vorzuziehen sei, wurde nach allen Rich-
t u n g e n Monate Iiindurch erwogen. Eine
Kupferdeckung mit den üblichen Rippen gab die
Sicherheit, daß die frei vorgestellten Säulen
nicht abiallend wirken konnten; die Rip-
pen mußten sie mit dem Kuppel*dach eng ver-
binden.
Das ist immerhin schon etvvas, daß die Säu-
iein nicht abfaiiend wirken. Schließlich ent-
schloß sich der Stadtbaurat doch fiir Ziegeln, und
zwar durch Gottes Fiigung:
Ein Klempnermeister, der sich natürlich fiir
die Eindeckung mit Kupfer sehr interessierte,
redete mir immer wieder zu, ja nicht von der
Kupferdeckung abzusehen. Da — fast am letz-
ten Tag, an dem ich mich entscheiden mußte —
riihrte ihn der Schlag. Das erschien mir
als ein Zeichen des Schicksals, und
dfe Kuppe) wurde mit Ziegeln gedeckt.
WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
Redaktkm und Vertag: Beriin W. 9 / Potsdamerstrasse 18
Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigen-Annahme
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HERWARTH WALDEN
*
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.
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JAHRGANG 1912
BERLIN MÄRZ 1912
NUMMER 104
Ifthfllt * TRUST: Gedankeoloses: Baumeister Solness in Berlin / Kunst verpflichtet / Zuriick zur Natur / F. T. MARINETTI: Manifest des Futurismus /
. ALFRED DOBLIN: Der schwarze Vorhang / PETER ALTENBERG: Nacbwinter / RUDOLF KURTZ: Der Vortragsabend von Rudolf
Hiü*i»er / SIURLAI: Leo Tolstoi; Und das Licht scheinet in der F'insternis / INHALTSVERZEICHNISS: Zweiter Jahrgang Zweites Halbjahr /
OSKAR KOKOSCHKA: Zeichnung / RICHTER-Berlin: Kopf eines Zerhackten / Originalholzschnitt
Oedankenloses
Baumeister Sotness in Beriin
Der „Berliner Lokal-Anzeiger“ interviewte den
Berliner Stadtbaurat über seine Kunst:
„Und eimnat haben Sie sogar das M ö c h s t e
gewagt, was ein Bauktinstler wagen kann: Sie
haben einen h o h e n Turm gebaut“, warf ich ein.
„Ich sah iiri Turm meines Stadthauses“, fuhr
der Architekt fort, „auch wirklich eine seltene
Aufgabe. Zuerst wollte ich das Stadthaus o h n e
T u r m batien. Dann aber kam die I d e e m i t
d e m T u r m. Und sie verließ mich nicht mehr,
im Wachen un-d im Träumen nicht. Nur wer
die Kiinstlerpsyche kennt, kann nachfiihlen,
w’elche Seligkeit in der Konzeption einer s ol-
c h e n Idee iiegt und welche verzweifel-
ten Kämpfe sich nachher bei ihrer Durch-
fiihrung einzustelleri pflegen. Ein Maler kann an
seinem Bilde immer wieder änderti; sogar der
letzte Ausweg, die Zerstörung, ist in seine Hand
gegeben. Das Werk des Architekten steht fest-
gefiigt bis in alle Ewigkeit und ruft den Namen
des Schöpfers in die Welt.“
Der Interviewer wirft dem Stadtbaurat den
hohen Turm ein, den er als Höchstes gewagt hat,
und ruft den Namen seines Schöpfers vorläufig in
Vertretung der Welt. Sonst macht sich der Stadt-
baurat noch viel Sorgen um die Eindeckung der
Kuppel:
Ob da eine Kupfer-, ob eine Ziegekleckung
vorzuziehen sei, wurde nach allen Rich-
t u n g e n Monate Iiindurch erwogen. Eine
Kupferdeckung mit den üblichen Rippen gab die
Sicherheit, daß die frei vorgestellten Säulen
nicht abiallend wirken konnten; die Rip-
pen mußten sie mit dem Kuppel*dach eng ver-
binden.
Das ist immerhin schon etvvas, daß die Säu-
iein nicht abfaiiend wirken. Schließlich ent-
schloß sich der Stadtbaurat doch fiir Ziegeln, und
zwar durch Gottes Fiigung:
Ein Klempnermeister, der sich natürlich fiir
die Eindeckung mit Kupfer sehr interessierte,
redete mir immer wieder zu, ja nicht von der
Kupferdeckung abzusehen. Da — fast am letz-
ten Tag, an dem ich mich entscheiden mußte —
riihrte ihn der Schlag. Das erschien mir
als ein Zeichen des Schicksals, und
dfe Kuppe) wurde mit Ziegeln gedeckt.