Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 99 (Februar 1912)
DOI Artikel:
Mürr, Günther: Hamburg, [4]
DOI Artikel:
Altenberg, Peter: Replik
DOI Artikel:
Blass, Ernst: Gedichte
DOI Artikel:
Koch, Hermann: Todesdelir
DOI Artikel:
Anzeige
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0350

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das trübe Wasser wiil die junge Bläue trinken.
Wie starke Qrüße

drängen die schwarzen Böen drüber hin. fiin

Winken

von Pahnen in die Sonne. Hinten

tber die betürmte Stadt ist der Nebelschleier

niedergerollt

ma!t ihren graurosanen Schein in matten Tinten.
Sein weicher Saum streiit. ein Sonnenstrahl, der

schmollt

sehr fiach den Wassersaum vor der Stadt.

Nur kurze Zeit. Der Tag hebt mit der Linken

des Schleiers süße Weichheit einpor

und läßt in sein stumpfes Grau sich sinken.

Replik

Von Peter Altenberg

Ein Herr Ludwig Wehring sprach inir im Un-
terhaltungsblatt des „Berliner Lokal-Anzeiger“
jegliches Talent ab. Das kann ich nun nicht fin-
den; es sind manche hübsche Sächelchen in mei-
nen Büchern. Nur muß man sie aus dem M'iste
herauszuklauben verstehen. Herr Wehring hat
etwas gegen mich; er will mich für kein Qenie
halten, heute, wo doch in jeder halbwegs annehm-
baren Familie drei sich befinden, sei es in Qesang,
Klavier, Malerei oder Dichtkunst, oder selbst noch
ganz unausgesprochen, hinter denen ein gewisses
Etwas schiummert, pst, nur nicht aufwecken!
Herr Wehring behauptet, bei mir einen Satz über
das Wesen der Freundschaft gefunden zu haben,
den auch Nietzsche ausgesprochen habe. Ja, was
kann ich dafür, daß dieser Herr Nietzsche und ich
fiber das Wesen der Freundschaft ganz derselben
Ansicht sind? Ich habe sie ihm nicht beigebracht,
also höchstens er mir. Aber auch das ist nicht
möglich, da ich von ihm niemals etwas gelesen
habe, was atle meine Freunde gern bestätigen wer-
den, die von meiner krassen Unwissenheit über-
zeugt sind. Qott, weshalb solien zwei Qenies nicht
auch einmal dieselben Qemeinplätze niederschrei-
ben?! Herr Wehring meint, ich sei etwas zu sehr
mit einem gewissen Peter Altenberg beschäftigt.
Ja, dieser Mensch kam eben leider mit mir auf dic
Welt, verließ rnich nicht eine Sekunde lang wäh-
ren.d 52 Jahren. Da nimmt inan freilich manche.
Eigenheiten an. die man unter anderen Um-
ständen nicht besäße. Ich könnte Herrn Wehring
fragen, weshalb meine Bücher ins Tschechische.
Russische, Französische, Dänische. Ungarische, Pol-
nische übersetzt seien?! Aber er könnte mir darauf
c'widern, daß gerade Schundliteratur den größten
Absatz habe. Worauf ich replizieren könnte, daß
meine Bücher gar keinen Absatz habcn. Woraut
er sagen wiirde: „Das glaube ich Ihnen gerne.“
Aber mit solchem geistigen Qeplänke! kommt
schließiich nichts heraus. Ich bitte Herrn Ludwig
Wehring daher ganz einfach inständigst, mir zu-
.Jiebe, mich dennoch für ein Genie zu erklären, und
mich nicht gegen eine Menge anderer zurückzu-
setzen, denen es in jeder Beziehung viel besser
geht als niir. Ich habe mich mein ganzes Leben
lang redlich geplagt, gar nichts zu leisten, und jetzt
wil! man mich nicht einmal für ein Qenie halten,
das geht nicht. irgendetwas muß man doch vorstel-
len in einer geordneten Geselischaft. Also, Herr
Wehring Ludwig, überlegen Sie sich’s, gehen Sie
in sich, oder vielmehr, gehen Sie aus sich heraus!

Gedichte

Trauermarseh

Die Qartengänge hauchen dunkle Schatteri,

Feucht und beklemmend ist die Abendluft.

Man räuspert sich und schlägt den Kragen hoch.

Schon vor drei Jahren kamst du in die Gruft
Von denen fort, die dich gekannt noch hatten.

Wir kannten uns als kleine Sekundaner.

Der Duft des Winters ätzt und ist ein Mahner.

1m Blick den Widergianz des Sonnenstrahls
Sprachst du vom Tode. Längs des Spreekarials,

Und schwatztest angstlos schwere Träumerein,
Und dumpf und immer gütig im Gewähren . . .

Ein Fahrrad führten oft die Hände dein . . .
Mein Leben kann noch viele Stunden währen.

Lust

Jeder fällt sich um den Hals,

Zu der Zeit des Karnevals.

Und nach aiten Münchner Bräuchen
Hörst du ihn vor Lust fast keuchen.

Bis zur Drau, bis zur Sau
Hörst du herzigen Radau.

Wo du deinen Blick hinschwenkst,

Quietscht die Stute, bläst der Hengst.

Qanz nur Pteife, ganz nur Tute
Lärmen sie durch die Redoute.

Mit Musik und blauem Dunst
Herrscht a kreuzndele Brunst.

Menschensehnsucht?, dick verdeckt?

Arme, in die Welt gereckt?

(. . . Mit dem Hitt- und Herwärts-Neigen
Junger Körper gehn die Qeigen.

Ernst ßlaK

Todesdelir

Von Hermann Koeh

Als sicli die Konturen der schwarzeu Möbel,
der hellen Statuen im Qrau des Raumes aufgelöst
hatten, war er sich schori lange seiner Rettungs-
unmöglichkeit bewußt, und woran er ging, war,
seinen Kadaver zn retten . . .

Er stand vom Bette auf, zog sich zur I’ürc
und die Milchmarinortreppe hinab.

Schon riß ihm der Wind die Glastüre aus der
Hand, und die kahlen Bäume des Parkes bogen
sich ihm zu unter der Last des bleiernen, sausen-
den Himineis. Das Hemd flatterte um seinen gel-
ben, bebenden Körper, der sich miihsam und
schwankend durch die welken Blätterhiigel tappte.
Und die Blätter tanzten und braiisten um ihn her,
seine Haare kiebten’ an der kalten St.irne — —

Seine Augenlider fielen herab, die spitzen
Aeste rissen und quälten ihn iind immer kälter
imd starrer wurde sein Körper. Cr woilte sieh zu
Boden werfen und konnte es nicht, konnte nichts
sprechen und wünschte docli noch ciiürial seine
Stimme zu hören. Nur staiiimein kormte er: tot,
tot, tot, tot . . . Als er gegen den Feich zu
gehen wollte, trat er in Finsternis, irgend etwas
umflatterte ihn — Seine Kniee bogen sich
unter seinem Qigantenkopfe. Da zerriß einen
Augenblick die Schwärze in kleine Wölkchen, und
zwischendurch sah er seinc blatmiarmornen Olie-
der. Es ging vorüber.

Als sein Atige an den wahnsinnigen, fie-
bernden Aesten hing, sah er sie wachsen; Die
jungen Bäume schossen in die Höhe, die alten
wurden fett und bauchig. Das, was ihiti erst als
grüner Schimmer erschien, wurde zu Schleiern
und zu fleischigem Grün, durch das sich das gelbe,
brennende Sonnenlicht in Kreisen und Ringen
brach. Und oben in den gelben Liiften sauste es
und heulte, tausendstimmig. Kam es von den

Baumkronen oder von den weißen Schlössern
und Türmen? ~ — Aber er verstand es: IHM.

dem Eroberer, IttM, Deneb, jubelte es zu, ihm der

iioch einmal sich die Erde unterjochte. AJI der
Jubei . . .

Fauler, welker Qeruch weckte ihn und aus
den gelben und roten Blättern, aus dem starren
Laub hob er den Kopf dann stand er beschämt
auf utid lief taumeJnd weiter. Zum Teiche.

Fr wollte verschwinden — das wäre, den
Mensclien verschwinden, ihnen den Triumph sei-
nes Sterbens rauben. Dazu hatte er zuletzt seine
Diener fortgeschickt, als er die Trostlosigkeit sei-
nes Leibes erkannte . . .

Mitten durcli die starren Strauehgerippe
zwang er sich, den Weg zum Wildteiche zu ver-
kürzen, es war schon grau — — Dann stand
er blutend, mit krampfhaft-zitterndem Körper am
Wasser. An der Herme, die vor ihm wurzelte,
begann er zu stoßen, zu zerren — lm tiefen
Dunkel schon, als nur zwischen Wolkenrisseu
schwaches Licht schimmerte, sah er die Büste im
Laub. Dann band er die Streifen seines Hemdes
zu Stricken und band den Faunenkopf an seinen
Fuß. — Ganz nahe dem Teiche sank er nieder —
Beim Erwacben und Aufspringen fiihlte er einen
Riß am Fuße, hörte schwach und verschwoinmen
ein glucksendes Qeräusch und mit einem Schreck-
gefühle, das ihm den Kopf zu zertriimmern drohte,
glitt sein Fuß in ein eisiges Wasser. Ueber sich
hörte er mit einem Male wieder das Sausen des
Sturmes, ganz nah fühlte er den kalten Atem des
Wassers . . . Der Sfcein rollte immer weiter
hinab, das Wasser berührte tötend seine Schen-
kel, seinen Leib. Er griff mit den Händen hinauf,
klammerte sich an einen rnorschen Ast, der ab-
sprang In diesem Augenblick, als er iriit

hilflos verkrampften Händen in die Luft krallte,
ergriff ihn, stürzte er in ein niegeahnfces Woh!-
gefühl ein zitternder Lichtschein umbrandete ihn,
in seinen gezwungen-saugenden Mund floß etwas
Lau-Süßes vor ihm schwebt eine weiße Kugel,
mit der er durch seinen Mund verkettet ist, und
eiri wohliges Wiegen hiillt sein Denken in Nebel
tmd von da begann er noch einmal sein Leben.
Alles war klar und scharf und doch fiihlte er und
erlebte alle Ereignisse in dernselben Sekundenteil-
chen Er steht vor einem Weltentore, schrei-

tet init seiner Mutter durch strahlend beteuchtete
Qänge und dureh neue und netie er trägt sie
hinauf, keuchend und matt, sieht, Orgin rnit dem
Messer, alles ist voll Blut, Blut und Feuer — die
Schule fiammt auf, er springt ins brandende Meer,
er geht durch den Riesenpark mit den Blitz-
leichen, sieht sich im gelben Lichte mit Amadäus

Amadäus starb und liegt in der Wüste,
Palmen wuchern aus ihm und Millionew grüner
Sphinxe nicken mit den Köpfen und der Mon l
tanzt und will ihn mit seinem Penis töten - —
Er will schreien, in seinem M.unde gurrt Wasser,
auf seineni Kopf-drücken Berge, drücken ihn hinab
iu die tötende Kälte.

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Anzeige

Das literarische Cabaret ü n u veranstaltet
seinen letzten Abend am Donnerstag, den 22. Fe-
bruar 1912, abends 9 Uhr, im Cafe Austria, Pots-
damerstraße 28. Programm: Kurt Hiller: Ueber
(jeorg Heym / Qedichte vou Heym, vorgetragen
von Werner Lotz / Qedenken von Alfred Kerr
Heinrich Eduard Jakob: Klassischer Impressionis-
mus; E. B.: Enitgegnung / Armin Wasserntann:
Aus Wedekind / Ernst Blass: Oedichte / Kurt
Hiller: Ueber Lyrik / Epiiog. Karten zu einer
Mark in der Buchhandlung von Edmund Meyer
und an der Abendkasse.
 
Annotationen