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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 59 (April 1911)
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [2]: ein Volksroman
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Hallström, Per: Adonia, [2]
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Walden, Herwarth: Gelesenes und Erlebtes: Glaube und Heimat
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0027

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XCH

Die Sternwarte des Herrn Haberland

Als sich die erste Aufregung ein wenig gelegt hatte,
und die Ermüdung eintrat, da bat der Herr Haberland
den Kaiser, die Erlaubnis zu geben, dass sofort auf
den höchsten Bergen des Landes ein Dutzend neue
riesige Teieskope aufgestellt würden.

Und der Kaiser erfüllte natürlich den Wunsch des
Herr Haberland; der Staatsrat bewilligte sehr grosse
Sumnien.

Und dann wurden die Geisterscharen mit den alten
Teleskopen fortwährend beobachet, und die zwölf neuen
Teleskope wurden so schnell wie möglich fertiggestellt,
um die Beobachtungen in umfangreicherem Masse fort-
zusetzen.

Und diesen Beobachtungen gegenüber traten alle
anderen Interessen des Landes für mehrere Wochen in
den Hintergrund.

Und dann gab es eine Flut von Büchern, die das
Wesen der neuen Geisterscharen festhalten wollten;
leider veränderten sich die Flammengebilde so häufig
und oft so schnell, dass man an ihre Geisternatur
schliesslich nicht mehr glauben wollte.

Sehr viele Gelehrten hielten aber doch daran fest,
dass die Flammen nicht einfache Flammen sein könnten.

Das Leben im Innern der Erde beschäftigte die
Utopianer bald mehr als das Leben auf der Oberfläche
der Erde.

Schluss folgt

Adonia

Von Per Hallström

Fortsetzung statt Schluss

Sie zogen des Morgens hin, als aie Sonne ihnen
von den Bergen entgegensprang, rot und bebend wie
ein blutiges und lebendes Herz, sie jauchzten im Lichte,
und die Harnische brannten, und die Gewänder flammten
in Pracht gegen die langen Schatten des Morgengrauens.
Ab Jathar, der Priester, wusch sich im Brunnen Rogel
und legte seine Kleider an; er leuchtete in Gelb und
Rosenrot, und die Steine des Schildes blitzten, dann
zog er den Hügel hinan, ihm nach die wogende Schar.
Zwei Dienerführten einen Stier an tiefgebeugten Hörnern,
der zum Boden schnaubte und unruhig stampfte.

Nun beugten sie seinen Kopf rückwärts, so dass
der Hals sich spannte, und Ab Jathar ergriff das Messer
und schnitt. In kräftigem Strahl schoss das Blut mit
süsslich warmen Duft hervor, und ein Priester fing es
in einer Bronzeschüssel auf, wo es, quirlender Purpur,
bis zum Rande stieg; wie ein Turm fällt, wenn der
Grund untergraben wird, so sank das Tier auf seine
kraftlosen Knie, und die Erde seufzte unter seiner
Last. i

Ab Jathar nahm das Blut und goss es in die
Grube des Steines, und alle sahen an der leise wir-
belnden Bewegung der Luft, wie ein Dampf emporge-
zogen ward und hoch aufstieg, als würde er von
kräftigen Atemzügen eingesogen. Das war Jehovah,.
der Adonias Opfer prüfte und es gut fand, und Adonia
zuckte freudig zusammen.

Ab Jathar tauchte seinen entblössten Arm hinab
in den aufgerissenen Bauch des Stiers und ergriff die|Häute
des Magens mit ihrem gelben Fett, legte Kuchen von Honig
und Mehl darauf und hob seine blutige Bürde zum
Himmel. Seine Augen spannten sich mit zusammen-
gezogenen Pupillen, seine Mundwinkel zitterten, die
Stirne zitterte, aber der rote Arm war unbeweglich,
und er sprach, und seine Stimme war laut und singend
wie der Klang von Posaunen.

„Adonia, Davids Sohn, Adonia, des Königs Sohn
bringt das Opfer darl“

Auf den Stein hatten die Diener einen Stapel von
kurzgeschnittenem Holz gelegt; nun breitete Ab Jathar
sein Opfer darüber und entzündete den Scheiterhaufen
mit einem Feuerbrand. Eine lange hungrige Flamme
stieg sogleich gelb und rauchend aus dem harzigen
Holze auf, züngelte an dem Blute entlang und wies
gerade empor, wie ein Finger in die stumme Luft.

Ein Gemurmel des Jubels verbreitete sich rings-
umher, denn das kündete Gutes, und Adonia blickte

siegesgewiss nach den Hügeln der Stadt hinüber. Neue
Opfertiere wurden herangeführt. Stiere, die vor dem
Blutgeruch bebten, Hammel, die blutgesprenkelte Aug-
äpfel nach aussen drehten. Ihre Kehlen röchelten
und gluckssten unter dem Todesstreich. Ihre roten
Körper wurden kunstfertig zerstückelt, dass das Blut
in der Haut zurückblieb und kein Tropfen zur Erde
fiel, der Scheiterhaufen zischte von dem feuchten
Fleische, und aus den dunklen Flammen fiel schwarzer
blanker Russ Die Luft war lau von Blut, salzig von
Blut, sie liess die Nüstern sich weiten, von dem fetten
Steine schoss das Opfer wie eine Riesenblume aus
Blut und Flammen, im Rauch stand die Sonne blut-
rot, ohne Strahlen. Aller Hirne wurden von einem
Taumel ergriffen, die Luft wogte und wirbelte, die
Augen glänzten vor Verzückung, die Lippen lachten
vor Grausamkeit und von dem Jubel der Stunde ward
Adonias Zukunft wie ein Banner getragen, das vom
Winde geblaeht wird. Aber noch einmal zitterte
Adonia in Unruhe, als er sein letztes Opfer brachte,
zwei Tauben. Die anderen begriffen nicht, warum er
sie opferte; es geschah für Abisag und ihn, damit sie
sein würde.

Als die Hälse der Vögel abgedreht und die blau-
grauen Flügel geknickt waren und sie in den Scheiter-
haufen geworfen wurden, flatterten sie in dem starken
Zugwind und wurden fast brennend emporgehoben,
verzehrt und verschwanden. Es dünkte Adonia, dass
Jehovah sie in Gnaden angenommen habe, und er ver-
mochte seine Freude kaum zu tragen. Nun war sie
sein, nun war alles sein.

Als der Scheiterhaufen niedergebrannt war, ver-
sammelte man sich unterhalb des Hügels, wo das
Fleisch aer Opfertiere zubereitet wurde, man ass und
trank, und der wilde Triumph der Opferung wandelte
sich in lärmende Freude.

Man nannte Salomos Nanten und höhnte ihn unter
Lachen und Schimpfworten, man rechnete die Anzahl
der Opfer zusammen — nie hatte er so viele gebracht.
Mit wohllautenden und schönen Worten suchte er
seinen Gott zu gewinnen, mit reinen Kleidern und
Waschungen; wie würden seine kargen Lippen erstaunt
sein, wenn er so viel Blut gesehen hätte! Behutsam
wie eine Arche des Herrn schritt er dahin, eine Stein-
tafel hatte er in der Brust an Stelle des Herzens.
Er sollte hier sein, Salomo, und sehen, ob er es
wagte, der König von Kriegern zu werden, er, der
Metze Bath Sebas Sohn — sie sollte hier sein, die
Hündinl Bei ihren Haaren würde man sie ergreifen,
sie, Adonias Feindin, und ihr Gesicht in die blutigen
Häute drücken, sie, Urias blutige Witwe, und ihre ge-
malten Nägel würden sich in die Erde einkrallen vor
Scham.

Sie waren berauscht vom Triumph und übersatt
an Nahrung, sie drohten mit den Waffen gegen Edom
und Syrien, gegen Ammon und Tyrus und schworen
bei Adonias Namen. Joab trat vor und rief ihn zum
König aus, und aus weitoffenen Lippen riefen alle mit.
Ein Wirbel von Stimmen, die emporgeschleudert wurden
und zusammenstiessen und hinaushallten, eine Säule
von Jubel und Triumph, die den Himmel trug, und
der Sonne schmelzendes, blendendes Feuer leuchtete
zu Adonias Ehre.

Er nahm die Huldigung mit gelassenem Blick ent-
gegen. Jetzt, da er das Begehrte sicher und zum
Greifen nahe hatte, bebten seine Hände nicht länger
vor Verlangen; Wie Feuer mit Feuer vereinte sein
Wesen sich mit der Macht. Nur der Gedanke an
Abisag schnürte seine Kehle in ungestümen Begehren
zusammen und liess vor seinem ßlick lockende Fahnen
flattern.

Ein Schrei stieg über die Höhert wie eine Antwort,
und ein paar schrille Töne aus Pfeifen schwangen
sich hoch auf und tanzten in Freude Frauenstimmen,
Männerstimmen, tausende von Stimmen. Es musste
die ganze Stadt sein, die aus wiederhallenden Mauern
ihren Triumph hinaussandte. War das Gerücht schon
dorthin gedrungen.

Das Murmeln und Rauschen sang und stieg wieder,
und näher kam es mit dem trillernden Zwitschern der
Pfeifen, und aus dem Schrei drang ein Wort, ward
halb erhoben und sang wieder unter, brach einmal
ums andere vor, bis man es ahnend verstand und
erbieichende Lippen „Salomo“ und „König“ flüsterten.

Es kamen Gerüchte, verwirrtes Flüstern, wider-
sprechende Rufe. Von einem Felsen glaubten einige
zu unterscheiden, wie das Feld in der Ferne von
wehenden Tüchern und ausgestreckten Armen wogte,
da nahte eine Bote: „Salomo ist König. Zu David ist

sie gegangen, Bath Seba, und hat ihn an ein Ver-

sprechen erinnert. Bei Gihon ist Salomo gekrönt, mit
Oel aus dem ‘Tabernakel; er hat auf Davids Stuhl

gesessen und David hat ihn gesegnet; das Lärmen,

das ihr hörtet, das waren die Freudenschreie des
Volkes.“

Da zerstreuten sich schnell Adonias Freunde vor
der Gewissheit, dass alles vergeblich war. Und Adonia
fürchtete für sein Leben und ging, eine Freistatt zu
suchen in des Herrn Tabernakel.

Ein schwerer blauer Rauch lag dort drinnen, und
der Schein der Armleuchter drang nicht bis zu dem
Cherubim der Tapeten. Die Luft war drohend un-

gewiss — man sah nicht wie gross der Raum war —
und erfüllt vom Duft des Räucherwerks. Aber vom
Brandopferaltar draussen drang ein ekler Duft von
verbranntem Fett herein.

Die Bundeslade stand unter den beschwingten
Gestalten des Gnadenstuhls, davor glänzte der Rauch-
opferalter. Adonia umklammerte ihn mit den Händen,
sein Leben zu schützen; er klebte vom Versöhnungs-
blut und entglitt schiüpfrig seinem Griff. Dort ver-
weilte er, indess ein Bote Salomo seine Unterwerfung
kündete.

AIs seine Augen sich an die dichte Luft gewöhnt
hatten, sah er rings um sich alles, bis hinein in die
Ecken. Die Wände waren dunkel vom Rauch, und
hier und dort sickerte ein schwarzer Blutstropfen.
Die seltsamen, länglichen Augen des Cherubim starrten
grausam und kalt an ihm vorbei. Die Engel an dem
Gnadenstuhl biickten sich starr in die goldenen Ge-
sichter; er erbebte und erwartete seinen Tod. Der
schwere Duft des Räucherwerks machte seine GedankeH
stocken. Er wusste nicht, wie lange er starr dort
stand und das blutige Gold kalt unter seiner Hand
fühlte, seine Augen hefteten sich immer fester an die
starrenden Kugeln der Engeisköpfe und voli Entsetzen
grübelte er, was ihr Blick wohl bergen möge.

Er sah ihre Häupter sich beugen und der Rauch
unter ihren Flügeln verdichtete sich und ward von
einem trocken glühenden Schein durchleuchtet. Und
in dem Scheine brannte ein Licht, ein blendendes
zackiges Licht von dronender, schreckensvolier Gestalt
Adonia glaubte, Jehovah zu sehen. Den Gott der
Heerscharen, der Mauern bricht und eherne Spiesse
zertritt wie Rohr, den Gott der Wüsten, dessen Macht
sich spiegelt in dem brennenden roten Sande, den
Gott der Gesetze.

Schiuss folgt

Gelesenes und Erlebtes

Glaube und Heimat

Der Wert dieser „Tragödie eines Volkes“ entspricht
seinem Titel. Schiller ins Oesterreichische übertragen.
Zum Schluss allgemeine Rührung. Der Reiter, der nur
immer so im Blute schwimmt, in lutherischem natürlich,
bricht zusammen, als er den Boden des Glaubens be-
tritt. Er „tritt sogar sein Schwert mit wildem Tritt
entzwei.“ Das Zusammenbrechen geschieht neben den
Brunnenpfeiler. Mehr kann man nicht verlangen. Im
Uebrigen charakterisiert Schönherr, der Autor, durch
szenische Bemerkungen. Fast jede handelnde Person
spricht einmal „gewaltig.“ Sie meint es aber nicht so
schlimm. Die Weiber „erschauern“ meistens „in Ehr-
furcht.“ Auch brechende Augen und gezogene
Pallasche sind reichlich vorhanden. Der Hauptheld
hat zum Beispiel während fünf Sätze folgendes zu
leisten: „Es arbeitet mächtig in seinem Innern,“ „als
wäre er zu einem festen Entschluss gelangt,“ „innerlich
flammend,“ „bemüht sich umsonst,“ „zitternd vor in-
nerer Erregung,“ „der Toten gut zuredend wie einein
störrischen Kind,“ „immer eindringlicher und gewaltiger,“
(ha!) „seinem innern Entschlusse Worte leihend“. Un-
mittelbar darauf glüht er noch von innen heraus und
schreit auf. Sonst denkt man beim Lesen des
Stückes an Anzengruber und Gerhart Hauptmann und
ist beglückt, dass das deutsche Volk und das oester-
reichische vom ersten Diener des Staates bis zum
letzten Sklaven wieder mai einen Dichter gefunden hat „

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