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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 62 (Mai 1911)
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Dymow
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Fixlein, Quintus: Von Leutchen, die ich lieb gewann
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0052

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essiert und unterhält. Mit und ohne Aristoteles. Es gibt
zahlreiche Dramen, die an Technik und Routine nichts zu
wünschen übrig lassen und bei denen doch alles zu wiin-
schen übrig bleibt. Dymow ist ein Dichter. Seine Per-
sonen sind Menschen, denen zu ihrer Menschheit nur ein
Weniger an Nuancen fehlt. Mit anderen Worten: sie sind
zu lebenswahr. Es ist ihnen zuviel Lebensindividuelles
gegeben, worunter stets das Kunstwahre leidet. Aber
Dymows Menschen interessieren. So etwa, wie uns
unsere Freunde und Bekannte interessieren. Das genügt
für das Theater, aber nicht für die Kunst. Wenn man
nun den Verfasser einen Dichter nennen kann, das heisst
einen Schaffenden, der Geschautes sagt, so gibt ein so ent-
standenes Werk mehr als rethorisches Temperament und
Technik des Dramas es vermögen. Nur der Künstler,
das heisst die kunstvolle Persönlichkeit, kann einen Orga-
nismus erstehen lassen. Beim Dichter wird das Geschaute
im Drama stets als feine, gute und auch tiefe Anmerkung
wirken. — Die Darstellung versagte nirgends. Eine voll-
endete Leistung kann eine zu einem bestimmten Zweck
zusammengestellte Vereinigung von Schauspielern nie er-
reichen. Trotzdem bleibt die Regie von Rudolf
B1 ü m n e r anzuerkennen, die ohne dekorative Mittel
dichterische Stimmung schuf und psychologisch ana-
lysierte. Blümner spielte selbst eine komische Rolle, wirk-
lich von innen heraus humoristisch und ohne Mätzchen,
wie es die Herren Komiker sonst belieben. M a r i e
B o r c h a r d t ist ganz talentvoll, als kleine Studentin sehr
rührend. Als Frau fehlt ihr die Sicherheit des Erleb-
nisses. Aber Erlebnisse kann ja jeder auf der Welt reich-
lich und billig haben. Ludwig Hartau versuchte
sich meines Wissens zum erstenmal in einer realistischen
Rolle. Etwas Schillerpathos steckte noch in ihm, aber
Hartau ist ein so vorzüglicher Schauspieler, dass die
Redensart von den Entwickelungsmöglichkeiten bei ihm
keine ist. Fräulein Hardegg war zu sehr „Duse“.

I<. M.

Von Leutchen, die ich
Iieb gewann

I / Ein übermütiger Schalk

Herr Rudolf Presber, der lachende, weinfrohe, launige
Poet, hat sich wieder geäussert. Der Ehbock hat die bunte
Kuh auf den Markt gebracht. (Concordia soll ihr Name
sein.)

„Bei jeder Gelegenheit, bei der die Kritik einstimmig
uud freudig die heiteren Novellen und Skizzenbücner
(des weinfrohen Poeten) als Werke eines echten deut-
schen Humoristen begrüsste, erhofften die Kritiker ein-
mal einen Roman des lachenden rheinländischen Dich-
ters, der unter den Lebenden der berufenste
wäre, einen ecliteu humoristischer. Ro-
man zu schreiben. Nun hat er ihn ge-
s c h r i e b e n.“

Die einstimmig geäusserte Hoffnung der Kritik ist
also in Erfüllung gegangen.

Zwanzig Zeilen tiefer gibt sich ein Denker in Apho-
rismen. Hier sind zwei:

„Der Roman ist in all seiner Munterkeit erfültt von
unerschütterlichem Glauben an das Leben und an die
Kraft tüchtiger, gesunder Menschen . . . ein übermütiger
Schalk lugt und lächelt hinter den menschlich inter-
essanten Episoden hervor . .

Nur wenn sie im Augenblicke wurzeln, können Liebe
und Vertrauen beständig sein.

Jeder Dichter muss zugleich ein liebevoller Sammler

sein —

von Erfahrungen.

Mehr kann die Kritik nicht verlangen. Der uner-
schütterliche Glaube, mit dem der übermütige Schalk ins
Leben lugt, ist die sicherste Gewähr, dass seine tüc'ntige
Gesundheit ihn noch öfter befähigt, die Hoffnungen der
Kritik zu erfüllen.

Das stimmt. Die Erfahrungen, die Fritz Engel allein
beim Sturm gesammelt hat, haben seinen Genius schon
öfter beflügelt.

2 / Lyriker

Mit der Lyrik ist es immer noch eine böse Sache.
Man kennt sich so schwer aus. Aber immerhin: einen
Sinn müssen die Gedichte doch haben! Bei den Lyrikern
des „Sturm“ muss man sich da oft wundern. Die Leute
sind doch manchmal gar nicht unintelligent. Aber wenn
sie Verse dichten —! Kurzum: man wundert sich. Es
ist am besten, ich lasse hier einige Gedichte folgen, die
beweisen mögen, dass man dichten und doch verständlich
sein kann:

Mein heisses Haupt wühlt in den Kissen,

Es ist schon tiefe Mitlernacht,

Glocken weinen sturmzerrissen,

Aengstlich in der wilden Nacht.

3 / Wunderknabe

Es kommt mir erst heute in die Hand, aber es ist
nie zu spät. Vor einigen Monaten weinte Herr Georg
Hirschfeld im roten Tag über das Geschick der Wunder-
kinder. (Anlässlich des jungen Komgold.)

„Zeigte sich nicht als spukhaftes, atembeklemmendes
Symbol die Tragik des Künstlers, der immer ein hilf-
loses Kind bleibt und eine Stunde lang tausend Seelen
beherrscht, um kurz darauf nach einer einzigen zu
suchen?“

Es kommt im weiteren zu folgendem Satz:

„Die Blume Küustler-Einsamkeit will einen ver-
schlossenen Garten, wunderbarst gewiss bei einem
Kinde.“

Die Sterne und die Welt verglimmen,

Der Wind pfeift um die Dächer schrill —

So weinen heisre Menschenstinnnen.

Ich fühle, dass was sterben will.

(Der Tag Nummer 96 vom 25. IV. 1911)

Aus derselben Ausgabe desselben Blattes:

Was soll dir der Sonne Strahl,

Was des Lenzes Blühen?

Wenn du fühlst zu deiner Qual
Deine Jugend fliehen?

Doch es ist zu deinem Glück
Hoffnung dir gegeben:

Biomalz verleiht zurück
Jugendkräft’ges Leben!

Auch Fritz Engel ist dafür, dass Lyrik Sinn haben
muss. Er hat es erst kürzlich bewiesen, als er den
Schneider aus Wittstock über Metrik unterrichtete. Er
lässt in seinem Zeitgeist so singen:

Die Sonne sank.

Der letzte rote Schimmer
entfloh der Nacht.

Niemand hielt Wacht.

Der letzte Wellenflimmer
im See ertrank.

Müde birgt der Mut
sich in der Nacht . . .

Der Tag versprühte —
was in ihm glühte,
vergurgelt in Vergessenheit
lautlos in der Zeit —
niemand hält Wacht . . .

Und endlich:

(„Meine Berechtigung, dies hier auszusprechen, leite
ich von eigener Erfahrung ab. Ich denke an das süsse,
schauerliche Jahr der „Mütter“, als ich selbst noch eine
Art Wunderkind war. Nachdem mich tausend Hände
im Theater willkommen geheissen hatten, sehnte ich
mich sofort nach einer einzigen Seele und entwarf als
mein nächstes Werk einen Roman. Ich hatte natürlich
mit zweiundzwanzig Jahren keine verantwortlichen
Hüter mehr, aber ein Kind war ich doch noch, und die
Verantwortung trug das „Schicksal“.)

Das war v o r sechzehn Jahren, als Herr Hirschfeld
keine veranlwortlichen Hüter mehr hatte. W i e unver-
antwortlich das Schicksal mit ihm umging, ermisst man
aber erst, wenn man bedenkt, dass es ihn n a c h sechzehn
Jahren einen verantwortlichen Redakteur finden liess, der
diese Klage der Oeffentlichkeit übergab.

Wunderknabe! Wunderknabe!

Quintus Fixlein

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich-Ungarn
1. V.: Oskar Kokoschka

Druck von OTTO ELSNER / BERSIN S. 42

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