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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 90 (Dezember 1911)
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Walden, Herwarth: Kunstkritiker mit und ohne
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0273

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Umfang acht Seiten Elnxelhezug 75 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion unal Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstraase 5
Fernsprecher Amt Pfalzburg 3524 / Anzeigen - Annahme
durch den Verlag und sämtliche Annoncenbureatis


Herausgeber und Schriftle iter:

HERWARTH WALDEN


Vierteljahrsbezug 1,50 Marü / Halbjahresbezug 3,— Mark /
Jabresbezug 6,— Mark / bei freier Zusteliung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1911


BERLIN DEZEMBER 1911


NUMMER 90

Iilho||* TRUST: Kunstkritiker mit und ohne: Der Mann mit den Stimmungsbildern / Der Mann ohne Geistesvermögen / OSKAR BAEIM: Die
luunil. Rettung / PAUL ZECH: Gedichte / ELSE LASKER-SCHÜLER: Briefe nach Norwegen / KURT HILLER: Der träumerische Schaffner /
TRUST: Theater und Variete: Die neue Oper / Wintergarten / Passagetheater / J. A.: Kunst, Demokratie und Presse / Beachtenswrerte Bücher /
OSKAR KOKOSCHKA: Porträt


Oskar Kokoschka: Ponm

PkImiw Lerln Lndwlg Schücking / Jena

Kunsikritiker mit und
ohne

Der Mann mis den St?mmungsbildern

\

Es gibt in Berlin einen Herrn, der einen
schwunghaften Handel mit Stimmungsbildern in
den Provinzen Deutschlands betreibt. Sie sind
zwar nicht gcrnait, aber dafiir auch nicht ge-
schrieben. Alles, was ein Qreis auf dem Herzen
hat und selbst in der Berliner Presse nicht mehr
unterbringen kann, gibt er der Provinz ab. Den
Lesern der Provinzzeitungen muß klar gemacht
werden, daß die Ansichten, die ihnen als Berliner
Stimmungsbilder vorgemalt werden, von „Kolle-
gen“ fabriziert sind. Die Kollegen besitzen den
Ehrgeiz, die fWaren ihres Bazargeschmacks mit
der „Marke“ Kunst zu versehen. So ein Stim-
mungsbild beginnt gewöhnlich mit Weltanschau-
ung. Etwa: „Ernst ist das Leben, heiter ist die
Kunst“. Der ganze Ernst des Lebens wird be-
sprochen. „jln den Vertraulichen Sitzungen der
Butgetkommission — folgenschweren Zusammen-
prall mit Frankreich — daß man dort auf das letzte,
das entscheidende Wort gewartet! (auf das Wort
h a t wartet man vergebens) — Ein Kantpf hat be-
gonnen, der kaum je zuvor stattgefunden! (diesmal
fehlt hat aus malerischen Qründen). Noch sind ja
nicht alle Schatten verschwunden und dürfte es
demnächst — das Qeläut der Weihnachtsglocken.“
Nach soviel Ernst des Lebens sorgt nun die Kunst
für die Heiterkeit des Stimmungsbildners. „Wer des-
sen teilhaft werden will, fiir die kleine Qegengabe
von einer Mark, der richte seine Schritte nach
einem nahe der Potsdamer Briicke gelegenen Eck-
hause, aus dessen einem Fenster eine große blaue
Fahne hängt mit der Aufschrift „Neue Sezession“.
Der Aufzug fiihrt uns im Nu nach dem zweiten
Stockwerk, und nun möchte ich den verknörgel-
sten Pesimisten sehen, der nicht, wenn er auch nur
einige Schritte durch dieses Zimmer gemacht, ver-
gniigt schmunzelt und alsbald in die ungezwun-
genste Heiterkeit ausbricht. Was diese Wände
an schreiender Farbenwildheit, an Klexen und
Punkten, die Menschen, an Strichen und Kreisen,
die Landschaften darstellen soüen, aufweisen, ist
unbeschreiblich. Einige große Leinewandflächen
sind nur mit Qriin, Blau, Qelb, Rot bedeckt, wirr
durcheinander, was es bedeuten soll, bleibt jedem
seibst iiberlassen.“

Also der Stimmungsbildner ist kein Pessimist,

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