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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 63 (Mai 1911)
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Scheerbart, Paul: Lufthafen und Schwiegermama
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Lasker-Schüler, Else: Unser Liebeslied
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Fuchs, Richard: Die neue Kunstanschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0058

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Ais Herr Moritz die Karte hatte ging er zu
Herrn von Brand und bat ihn, gleich nach Metz
zu fahren.

Und als der Morgen graute, tat Herr von
Brand, was man von ihm wollte.

Frau Schröder war beim Anblick des deutschen
Lufthafens, dessen Wände tadeüos funktionierten,
so entzückt, daß sie ihren Scliwiegersohn stürmisch
umarmte. Fräulein Ciara und der alte Onkel
wurden gieich telegrafisch von der Sachlage ver-
ständigt.

Sechsunddreißig Luftschiffe hatten in dieser
stürmischen Nacht und an dem darauffolgenden
Morgen bequem in dem einen Lufthafen bei Metz
Unterkunft gefunden.

Das deutsche System hatte sich wieder
einmal giänzend bewährt.

Unser Liebeslied

Unter der Wehmut der Esche
Lächeln die Augen meiner Freundin.

Und ich muß weinen
Überall wo Rosen aufbiühn.

Wir hören beide unseren Namen nicht —

Immer Nachtwandlerinnen zwisdien den bunten Jünjjlinjjen.

Meine Freundin oaukelt mit dem Mond
Unserm Sternenspiel foig’en Erschrockene naci».

O, unsere Schwärmerei berauscht
Die Straßen und Plätze der Stadt.

Alle Träume lauschen gebannt hinter den Hecken
Kann nicht Morgen werden —

O, und die Seidig-e Nacht uns beiden
Tausendmal immer um den Hals geschlungen.

Wie ich mich drehen muß!

Und meine Frendin küßt taumelnd den Rosig-tau
Unter dem Düster des Trauerbaums.

Else Lasker - Sdhüier

Die

neue Kunstanschauung

Von Richard Fuchs

AUes Gedankliche ist obne Physis wertlos.
Alles wurde schon zum bloßen Verstande und
iernbaren Gedanken. Man wird wieder das große
Lebensmysterium der Kunst retten müssen.

Kein anständiger Mensch vermengt Kunst und
Leben miteinander. Aber ein klaffender Wider-
Spruch zwischen Kunst und Lebensnatur bedeutet
gewiß eine verderbliche Gehirngefangenschaft.
Wir können freilich nicht Kunst direkt leben:
aber organische Kunst gibt selbst die Wege der
Praxis an durch natürliche (nicht verstandesmäßige)
Bereicherung mit gesundem Leben.

Darum bleibt in jeder erfüllten Blüte einer
Kunstkultur die Theorie armselig zurüdc: es gibt
dann nur ewig alte und ewig neue Menschen,

welche den beiden Kategorien der gelehrten und
der wirklichen Menschen entsprechen. Das Leben
steht natürlich auf der Seite der reellen Gegenwart.

Was trotzdem ein Widerspruch des Lebens
bleibt, das löst auch keine dualistische Wissen-
schaft, sondern nur die Vertiefung des eigenen
psychologischen Interesses durch Aufklärung über
alle Lebensentstehung.

Die Bereicherung der praktischen Welter-
fahrung setzt diese allgemein öffentliche Aufklärung
fort, lehrt uns Glück in unserer Tätigkeit und
Respekt vor Gleichgesinnten.

Darum dürfen wir neuen Weltgläubigen uns
nicht wieder aus dieser geistigen Heimat heraus-
drängen lassen, welche unser eigenes Leben und
die innerste Natur äst, indem wir nie zulassen,
daß die menschlichste Natur mit einem Schimpfe
verlästert werde, damit nicht abermals die allein
rnögliche Wahrheit in einem fremden jenseits
hersche. Diesen alten Weltanschauungszwiespalt
will auch derjenige, welcher mittelalterliche Kasten-
herrschaft der Gesellschaft zuriickwünscht.

Wer möchte die ganze Heiligegeschichte der
Kirchenkunst ohne die meisten Künstler und
Schönheitsvollender ihres Faches! Wir lieben
die freie moderne Schöpfung in der heutigen
Kunst und ersehnen sie für alles Menschliche.
Dieses zu erfüllen, gebe uns ein Traum von junger
Morgensonne das Licht und die Wärmekraft, damit
wir uns am historischen Alten nur selbst entdecken
und entzünden und nicht von vornherein auf neue
Wirkungen der Menschheit verzichten. Denn im
künstierischen Schaffen offenbart sich allein die
relative Fortentwicklung der Wahrscheinlichkeit.
Natürlich liebt jeder Geist seinen Heimatboten,
wo er von Geburt her genährt wurde: aber erst
die gewonnene Freiheit über den nationalen Stoff
rechtfertigt den Könner. Man wird diesen lustigen
Uebermut nicht hindern können.

Wir Deutschen wir gehen zu schwer als
Menschen aus uns heraus. Unser nationaler Be-
griff ist noch ganz phiiiströs. Was uns gegen
andere härter macht, ist die deutsche Liebe zur
konventionellen Gattung, statt zum sinnlichen Sub-
jektäven und menschlichen Individuum. Wir fassen
sogar das soziale Moderne blos als Opposition
statt als etwas schlechthin Notwendiges, und sind
meistens überhaupt nicht modern, das heißt, ver-
lieren über schematischen Konstruktionen das
Leben und sein innigeres Instruktive.

Auc'n die Künste sind lebensphysiologische
Systeme und ihre ewigen Gesetze sind für uns
nur Sterne. Denn es regiert die Welt kein
religiöses Gesetz der Kunst. Liegt doch nicht
eänmal allen wirklichen Erscheinungen ein univer-
sales Weltgesetz zu Grunde. Aber es gibt
subjektiv-menschliche Gesetzmässigkeiten der höcht
indiväduellen Künste.

Keine bewusst konstruierte Konzentration der
Künste ist so nötig, wie die organische Bestätigung
und Konzentration der spezifiscnen künstlerischen
Kraft. Ein volkswirtschaftliches Problem der
Kunstökonomie hätte dann zur besonderen Auf'
gabe, die heimatliche Verwertung des geschaffenen
Ideals und seine Wiedereinsetzung in einen öffent-
lichen Dienst zu prüfen und zu ordnen. Die
nationale Frage ist aiso auf allen Gebieten eine
Frage des Kulturtaktes. Denn es handelt sich
nicht darum, zwischen den Extremen der allzu
biederen Genügsamkeät und des großen Rausches
zu pendeln, wo das Fest nur Wahnsinn ist oder
wiederum nur der Sonntag einmal Feiertag. Die
lachende Seele kennt nicht diese grobe Kluft
zwischen Frone und Erlösung. Das Leben ist ihr
selbst ein hochherziges weltliches Engagement.

Die Begriffskrankheit der nationalen Mensdien
ist lediglich die Erinnerung an ein unweltliches
Ideal aus der Zeit der Kirche.

Die Kunst ist nur in der Entartung eine
moralische Allegorie der Dinge: und trotzdem
behält man das Stoffliche auch hier noch lieb,
dieselben Objekte der Natur, die der wahre
Künstler gänzlich in der Form aufhebt; jedodi
nur in ihm Beherrschung, nicht zu ihrer abtötenden
Vernichtung. Der moderne, die Welt liebende
Künstler, dem diese Form ohne äußerliche, primitive
räumliche Konstruktionen gelang, schuf die tiefe
Komposition der impressionistischen Malerei. Ihre
lebende harmonische Ordnung durch reine Farbe
ist der Triumph inneren Gesichtes, unserer
seelischen Sinne und unserer zweiten Welt der
Erscheinung. Diesen psychischen Raum trägt das
Erscheinungsbiid allein; er ist keine materielle
Vortäuschung eines Wirklichen. Der malerische
Impressionismus ist keine willkürliche Sonderkunst,
sondern die erneuerte Kunst der Malerei in unserer
Zeit. Wie lange aber hat man ihm Unvollendung
(durch Verwechslung von Malerei und Plastik)
und Skizzenhaftigkeit (durch Erinnerung an das
Ideal der Renaissance) vorgeworfen: die ver-
weilende Deutlichmachung eines Details würde
den sorgsamen Künstler vielleicht um seine wert-
vollste anschauliche Mitteilung bringen, die im
wesentlichen Punkt des Bildes liegt, dem Blick-
punkt des Beschauers. Scheinbare Härten sind
kein Schaden, wenn sie dienend bleiben. Ein
Beispiel dafür ist Marees.

Die relative Gestaltung des Raumes geben
äußere Architektur und Innenraumkunst, und auch
diese mittlerweile nicht mehr im bloss einseitigen
Schema der Renaissance. Also nicht dass die
Aussenwelt vom Auge abgesondert im Gemälde
sei, sondern nur, daß wir ihren Organismus künst-
lerisch sehen, ist die Hauptsache. Die abge-
schlossene Welt des Kunstwerkes ist nicht ein
än das Biid eingeschlossener deutlich werdender
Raum, sondern bedeutet nur unsere eigene Seele-
Sonst fordert doch bloß wieder der Rohe, der
den Raum nicht als Seelenfunktion sieht, von der
Kunst, ihn auch noch mit den Armen unß Beinen
zu sehen. Das Stilelement der figürlichen Linie,
die abstrakt in keiner Natur vorkommt, hat immer
etwas von bewußter Konstruktion und von der
symbolischen Zeichnung an sich auf das drei-
dimensionale plastische Bildwerk deutend, bleibt
dem Raumkörper ‘dienend, nicht dem Bild der
Fläche, und ist darum ein beliebtes Mittel der
Vermengung der Formen der Wandmalerei und
des Staffeleibildes. Durch eine nur symbolische,
nicht organische Formensprache hätten wir jenen
direkten Kunstkniff, der uns erspart, durch Seele
zu sehen, wo sich aber auch nicht mehr künst-
lerisch zu sehen verlohnt, weil dadurch allerdings
wieder der Inhalt im Bilde wäre, während der
Jnhalt nur eine hohe Kultur sein soll, die immer
die einheitlichste Schönheit ist; nämlich der von
keinem Verstand als zu deutende Zweck getrübte
reine Genuß der Augen. Fremde Formenwieder-
holung führt bloß das Schema in alle engeren
Künste zurück. Jede irgend äußerliche Verstands-
kultur ist eine schiechtere in Ansehung der
spezifischen Seelenbildung, die sich nicht an Ge-
genständen, sondern inneren Erlebnissen entwickelt.

Man will die Abbildung des Objektiven,
natürlich im Bälde — aber das ist nichts anderes
als ein in kindischen Idealismus versetzter
Materialismus: die Freude darüber, daß die
Darstellung bloß nicht wirklich ist, macht noch
kein Kunstwerk. Im Grunde verlangen nicht ge-
rade die Schläuesten deutlicHe Objekte. Dieser

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