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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 60 (April 1911)
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Hallström, Per: Adonia, [3]
DOI Artikel:
Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [3]: ein Volksroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0034

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Sehnsucht macht mich inüde; ich iöse mich in Tränen
auf. Aber ein Wort von dir beiebt mich wieder, ein
Wort von dir, und alles wird Tanz und Spiel und
Jubel.“

Bath Seba betrachtete ihn und blickte in ihr
Inneres, und ihre Verachtung wurde zu Neid. Sie er-
wog und versprach sie: „tch will den König bitten.“

Und sie ging

Adonia sprang auf. Die Qewissheit der Freude
über sich. Er konnte nicht stehen bleiben, er ging
auf und nieder, bereit wie ein gefangener Vogel gegen
die Mauern zu stossen in erwartungsvollem Jubel.

Und Bath Seba kam zu Salomos Thron.

„Ich bringe eine kleine Bitte, du wollest mein
Angesicht nicht beschämen.l“ Und Salomo empfing
sie ehrfurchtsvoll und versprach es ihr.

Sie brachte Adonias Botschaft vor: „Qib ihm
Abisag,“ schloss sie.

Schon bei Adonias Namen flammte der König in
Erregung auf, denn er fürchtete seinen Nebenbuhler
noch und hasste ihn Bei der Nennung Abisags
blitzten seine schmalen Augen vor Freude, seine Qe-
danken suchten rasch, während die Züge seines Ant-
litzes die . Erstarrung des Zornes annahmen. Als er
seinen Arm mit den schweren langen Falten des Qe-
wandes erhob und sprach, war in seiner Stimme nur
Entsetzen über die Sünde und des Herrschers
strafende Strenge.

„Abisag von Sunem,“ rief er. „Abisag begehrt
Adomal So möge Gott den verderben, der seines
Vaters Scham kränken will. Dies hat Adonia zu
seinem eignen Urteil gesprochen, gegen das Qesetz
des Herrn hat er gesündigt.“

Seine schmalen Augen standen gerade nach vorn-
wärts gerichtet und senkten sich in geheucheltem
Kummer, denn er wollte niemandes Blick begegnen.
Er wusste, dass es Lüge war, was er gesagt hatte,
und dass Abisag nur Davids Dienerin gewesen war.
Er schloss in einem Tone, in dem die kalte besiegelte
Gewissheit lag: „Möge der Herr mich vernichten,
wenn er dieses nicht gegen sein Leben gesprochen
hat. So gewiss der Herr Iebt, am heutigen Tage soll
Adonia sterben.“

Indes ging Benaja aer Kriegsoberste hin, er zog
das Schwert, noch bevor er Adonia erreichte, und die
Finger tasteten um den Knauf nach einem festen
Griff: „Du sollst sterben.“

Adonia fuhr aus seiner Erwartung auf, ging ihm
entgegen, das Lächeln seliger Erwartung noch um die
Lippen, und ohne Benajas Worte zu verstehen. Da
erstarrte sein Antlitz in Entsetzen und undeutlich
stammelte er eine Frage. Es kam keine Antwort.
Benaja stiess ihm das Schwert tief in den Hals, dass
er im Falle mitgerissen wurde.

So starb Adonia, der sich nahe dem Königtum
gewähnt hatte, und nahe Abisag und nahe dem Glück.

Abisag von Sunem erfuhr nie, dass sie geliebt
worden war, und sie hörte nichts von Adonias Tod.
Sie trauerte, doch nicht um den, der um ihretwillen
gestorben war. Sie wusste, dass sie nie ihre Berge
wiedersehen würde, und sie träumte immer matter,
immer seltener von ihnen und von Zuar. Es kam
wie ein Nebel über alles, was sie fühlte und sah. Und
sie begriff, dass sie verurteilt war, zu altern und zu
erkalten, ein Stein zu werden vor der Qruft des
königlichen Greises.

Schluss

Der Kaiser von Utopia

Ein Volksroman

Von Paul Scheerbart

XCIII

Der Herr Citronenthal

Der Kaiser Philander war in Utopia wohl der
einzige Mensch, der ganz ruhig blieb, doch diese Ruhe
führte man allgemein auf die überstandene Krankhelt
zurück.

Philander pflegte jetzt häufiger mit seiner Frau zu-
sammen zu sein und sprach viel zu ihr über seine
Ruhe; er sagte, dass er so fest von einem grossartigen
Geisterleben, das hinter allen irdischen Erscheinungen
tätig ist, überzeugt sei — dass ihm die Bestätigung
seines Glaubens eben nur eine Befriedigung und rticht
eine Aufregung verursache.

Und als nun die Zeiten etwas ruhiger wurden, da
liess sich eines Tages der Herr Citronenthal meiden
mit der Behauptung, dass er Wichtiges vom Herrn
Bartmann zu melden habe.

Nun — der Kaiser sah seine Gemahlin bedeutungs-
voll an und bat sie, im Nebenzimmer zu horchen.

Da kam der Herr Citronenthal und erzählte alles das,
was er mit dem Herrn Bartmann erlebt hatte — von
dem Abendbrot in der Familie des Altertumsverehrers,
von dessen Schnupftabaksdose und von der Rede im
Bierpaiast.

Der Kaiser hörte das alles und bat den Herrn
besonders, die Schnupftabaksdose zu schildern.

Und das tat dann der Herr Citronenthal so um-
ständlich, dass man die Dose hätte danach herstellen
können; der Kaiser sprach dabei mit seinem Stimm-
verstärker und bat seinen Gast, recht laut zu sprechen,
da er etwas schwerhörig sei, sodass die Frau Caecilie
im Nebenzimmer Alles deutlich hören konnte.

Und dann entliess der Kaiser den Herrn Citronenthal
mit grossem Danke und verehrte ihm noch zum An-
denken eine sehr alte silberne Kette mit Emailmalerei.

Das Geschenk machte den Herrn Citronenthai aber
so gesprächig, dass er noch was sagen wollte.

Und er sagte es:

„Der Herr Bartmannn“, flüsterte er —

„Sprechen Sie laut!“ rief der Kaiser.

„Der Herr Bartmann“, also sprach nun laut der Herr
Citonenthal, hat damals im Hause meines alten Freun-
des dessen älteste Tochter so lange und so innig an-
gesehen, dass ich fest davon überzeugt bin, der Herr
Bartmann verliebte sich damals in die älteste Tochter
meines alten Freundes. Und diese Dame ist auch ver-
schwunden. Und somit nehme ich an, dass diese Beiden
zusammen ins Ausland gegangen sind.

„Ach!“ rief der Kaiser, „das ist interessantl Nehmen
Sie diesen Ring zum Angedenken.“

Und er gab dem Herrn Citronenthal noch einen
alten silbernen Ring mit aufgelegter Goldplastik.

Der Herr Citronenthal konnte sich vor Freude kaum
fassen, und der Kaiser versprach, im Auslande weiter
nach dem Herrn Bartmann suchen zu lassen.

Kaum war der Herr Citronentha! fort, so kam die
Frau Caeciiie wieder zum Vorschein — mit ganz rotem
Kopf.

Der Kaiser sah sie an — und musste plötzlich
furchtbar lachen und rief:

„Ich glaube du bist eifersüchtig!“

Da musste die Kaiserin ebenfalls lachen und fiel
ihrem Gemahl ganz stürmisch um den Hals und küsste
ihn.

Philander hob den Zeigefinger der rechten Ffand in
die Höhe und sprach ernst:

„Wie kann eine Kaiserin einen falschen Bart küssen?
Ist das nicht eine Geschmacklosigkeit?“

Da lachte das kaiserliche Ehepaar so übermütig^
wie es schon lange nicht gelacht hatte.

Und der Kaiser zeigte die bewusste Schnupftabaks-
dose, und die Kaiserin sagte:

„Nun hab ich den Beweis.“

Dann aber legte der Kaiser seinen Stimmverstärker
fort und sprach Ieise:

„Du, Caecilie, solchen Witz reiss ich aber nicht
noch einmal. Mir ist bei all diesem Bartmannsspass
schon mehr als einmal recht plümerant geworden.
Bedenke bloss, wenn man davon was erfährtl Dann
würde man mir plötzlich alle ernsthaften Absichten,
die ich doch sonst habe, garnicht mehr glauben. Und
meine ernsten Geschichten sind mir doch wahrhaftig so
wertvoll, dass ich beinahe aus der Fassung komme,
wenn ich denke, dass man schliesslich auch hinter
meinen ernsten Geschichten blos lustige Spässe wittern
könnte“.

„Ach Philander“, flüsterte da die Caecilie, „ich
schweige ja, und der Sebastian und der Haberland —
die schweigen doch auch“.

„Nun wollen wir wieder“, sagte leise der Philander,
„ganz ernst sein.“

Da lachte die Kaiserin ihren Kaiser aus — und
sagte — immerzu lachend:

„Du Philander, jetzt musst Du immer tun, was

ich will — sonst erzähle ich die Bartmannsgeschichte
aller Welt.“

„Aber Caeciliel“ rief der Kaiser entsetzt.

Da sah die Caecilie ihren Philander lange aa
und sprach traurig:

„Du traust mir so was zu ?“

Da bat der Kaiser sehr demütig um Entschuldigung.

Aber dann musste die Caecilie abermals lachen —
und der Philander ebenfalls.

Und er flüsterte dann:

„Wie ist es blos möglich, dass ich so furchtbar ernst
sein kann, während ich ein solches Vergnügen am
Spasse finde! Kannst Du das begreifen?“.

Die Kaiserin schüttelte den Kopf und dann ging
sie mit ihrem Gatten auf den nächsten Balkon, allwo sie
zusammen eine Flasche Wein tranken und Zigaretten
dazu rauchten

Der schwarze See iag in der Tiefe — ganz still.

XCIV

Der Lebenstempel

Und eines Abends sass der Kaiser Philander in
seinem Perlmutterzimmer am Fenster und blickte hinauf
zu den goldenen Rändern der roten Berggipfel und
seufzte

Vor dem Kaiser auf dem Tisch mit der Platte
aus Lapis lazuli lagen Berichte der Priesterschaft, die
sämtlich nur Erfreuliches enthielten und immer wieder
betonten, dass die Utopianer nach der Schreckenszeit
vollkommen umgewandelt seien. — Ueberall lebte ein
straffer und innerlicher Zug, und von Schlaffheit bemerkte
man nichts mehr.

„Wie wenig,“ flüsterte der Kaiser wehmütig, „habe
ich dazu beigetragen I Wären die allgewaltigen Natur-
ereignisse nicht vorgekommen, so wäre in Utopia
Alles im alten Schlendrian weitergegangen. Wie wenig
kann der einzelne Mensch hervorbringen I Wir müssen
mehr Intensität in uns erzeugen. Im Meeressumpf
stak Intensität — in den explodierenden Leichen
lebte auch eine störrische Kraft. Jetzt solls aber
festgehalten werden Und darum will ich einen
Lebenstempel erbauen — der auch für die Folgezeit
mächtige prickelnde Lebenskraft ausströmen soll “

Und als des Kaisers Onkel, der Oberpriester
Schamawi sich anmelden Iiess, da setzte ihm der
Philander in raschen Worten auseinander, wie er sich
den Lebenstempel dachte.

„Sieh mal, lieber Oheim,“ sagte er hastig, „der
Tempel müsste schon so gross wie ein paar kräftige
Städte sein — und sämtliche Photographieen vom
Meeressumpf, von den Irrlichtern, von den neuen
Kometen, von den Leichen und von den Geisterflammen,
— das Alles müsste in imposanten Hallen zur Auf-
stellung gelangen.

Und dann müssten die sogenannten Bartmann-
bücher uns Alles was dazu gehört besonders auch
die wissenschaftlichen Erörterungen vom Denken mit
Nase, Zunge und Gefühl — ebenfalls in dem Tempel
untergebracht werden. Und für Erweiterung der
Studien nach dieser Richtung hin müsste auch gesorgt
werden. Eine ganze Galerie neuer Lehrinstitute müsste
in dem Lebenstempel entstehen Alles, was das un-
geheuerliche Leben der Natur lebhaft zur Anschauung
bringt, müsste künstlerisch dargestellt werden. Und
schliesslich — nicht zu vergessenl — das, was über
unsere materielle Sphäre hinausgeht — von dem wir
schon so viel in den neuen Kometen und Geister-
flammen zu schmecken bekamen, — das müsste auch
da eine Stelle finden, Na, lieber Oheim, ich glaube,
wir verstehen uns.“

„Voilkommen I“ versetzte der Oberpriester, und er
ging mit einer Leidenschaft auf den Plan des Kaisers
ein, dass dieser schliesslich sagte:

„Wenn ich empfinde, wie Ihr alle das tut, was
ich möchte, so kommt es mir oft so vor, als hätte
ich Euch garnicht meine Ideen — sondern Eure Ideen
zur Ausführung empfohlen.“

„Vergiss“, erwiderte lächelnd der Oheim, „den ver-
schwundenen Bartmann nichtl Andrerseits ist Deine
Empfindung ganz echt; ich habe auch immer das
Gefühl, dass ich als Bevollmächtigter unsres erhabenen
Volksgeistes tätig bin — und Du musst mir schon
verzeihen, wenn ich manchmal nicht so lebhaft mehr
unterscheide zwischen dem Geiste der uns Alle führt
und nicht materiell für uns bemerkbar ist, und dem
Geiste, der in allen Utopianern materiell bemerkbar
ist — Der gewöhnliche Volksgeist und der erhabene

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