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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 74 (August 1911)
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Pudor, Heinrich: Zur Physiologie der Frivolität
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Adler, Joseph: Schon wieder der Meyer
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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0148

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Gährungszustand im Gehirn erzeugt das ge-
schlechtliche Vermögen. Daher zeigen bei vielen
Menschen der Kopf und das Gesicht weit eher
Verfalls-Spuren als der übrige Körper. So er-
kläx-t sich die Verwüstung des menschlichen Ant-
litzes bei geschlechtlich ausschweifendem Leben
Im Leben der Menschheit hat der Ge-
schlechtstrieb, soweit uns bekannt ist, stets als
etwas Begehrenswertes, Wünschenswertes, sogar
Anerkennenswertes gegolten. Und da seine Be-
tätigung einen Genusswert darstellt, war man
voa jeher bemüht, die Ausübungsfähigkeit die-
ses Triebes für eine möglichst lange Zeit des
Lebens zu erhalten. Die Genussbegierde, stets
aufs Neue angestachelt, fand in der physischen
Ermattung keine Grenze und wurde über die
Erschlaffung der Sinne hinaus rege erhalten. Das,
was vordem genügt hatte, geschlechtsbereit zu
machen, konnte nur noch einen — W i t z her-
vorlocken. So entstand das, was man Frivoli-
tät nennt. Je intensiver sich die G e s c h 1 e c h t s-
m ü d i g k e i t hervordrängt, desto reichlicher
ist Grund zur Frivolität gegeben. Als Ergeb-
nis einer sexuellen Abgespanntheit ist sie also
etwas durchaus Logisches: das folgerichtige Pro-
dukt uncl die Begleit-Erscheinung jener geschlecht-
üchen Ernüchterung, die sich auf zerebrale Aus-
trocknung zurückführen lässt: Frivolität ist we-
näger eine geistige als eine physische Blamage,
sie verkündet eine geschlechtiiche Verarmung und
Unfruchtbarkeit. Man kann beobachten, dass
Menschen, die zur Frivolität neigen, an Frische
und Reichtum des Intellekts und des Gemütes
ebensoviel zu wünschen übrig lassen, wie an
geschlechtlicher Empfänglichkeit und sinnlicher
Kapacität. Der Frivole ist unter Umständen
noch genussfähig, aber die gewöhnlichen Reize
vermögen ihn nur zu einem „Bonmont“ anzu-
regen: er wircl cynisch. (Das Wort „cynisch“
will das gemein Tierische, „Elündische“ eines sol-
chen Zustandes bezeichnen, obwohl solche Zu-
stände unter Tieren weit seltener zu finden sincl
als unter den Menschen.) Die Erinnerung an
die Freuden des Geschlechtsaktes, die Tradition
uncl Konvention, die sogar hier eine Rolle spie-
len, erwecken in ihm stets wieder den Drang
nach neuen Genüssen. Nun setzt aber der ge-
schlechtliche Genuss überströmendes Gefühl, Emp-
fänglichkeit, Erregbarkeit voraus. Der Frivole
dagegen ist im Grunde stets ernüchtert, kühl,
gleichgiltig: er muss daher nach einer künst-
lichen Aufstachelung des Gefühlslebens verlangen,

so oft er sich Befriedigung holen will; der Ge-
schlechtsakt kann nicht mehr auf natürlichem
Wege betätigt werden: die Fähigkeit wircl also
gewaltsam erzwungen.

Schon wieder der

Meyer

Die Franzosen werden tiefer,

Und die Deutschen — täglich flacher
Nietzsche

Solange nicht ein einheitliches „Klassen-
bewusstsein“ die freien Berufsstände gegen die
„Festbesoldeten“ eint; solange der Dienst bei
den Idealen der Wahrheit und Schönheit nicht
von seinen Pflegern selbst jeder Tätigkeit in
„des Königs Rock“ gleichberechtigt eractrtet
wird — so lange kann man es den Man-
darinen nicht verdenken, wenn sie ihre Wert-
urteile lieber nach der Zahl der Pfauenfedern
bemessen als nach der Kraft des Kopfes, der
sie trägt — oder nicht trägt!

Zu guter Letzt platzt noch dieser Satz wie
eine Granate in die verwirrten Gedankenreihen.
Es ist das Wort g e f a 11 e n : Von dem Dienst
bei den Idealen der Wahrheit und Schönheit.
Literaturwiklerer schiessen zum Besten ihrer Beu-
te. Unter dem Strich des Tageblattes kämpft
cler Professor M e y e r auf Vorposten für
das „Klassenbewusstsein“ der freien Berufsstände.

Es muss immer etwas gehoben werden. Un-
zählige verharren beständig in gebückter Stel-
lung, um nur, ob sie auch mit einem geisti-
gen Leistenbruch behaftet sind, zuzufassen und
zu „h e b e n“. Und die Hebung auch der of-
fiziellen Geltung unserer sonst glücklicher Weise
in der ganzen Welt mehr als manche Exzellenz
geschätzten Forscher, Künstler und Dichtermuss
von ihnen selbst ausgehn“. Denn:

Auch unter den deutschen Gelehrten gilt
der „Professor“ unbesehen mehr als der „Pri-
vatgelehrte“ uncl hiesse er Charles Darwin,

der in Amt uncl Würden stehende Schriftsteller
mehr als der „freie“, uncl wäre es ein Vol-
taire.

Wie heissen die in Amt pncl Würden ste-
henden Schriftsteller, die bei' uns mehr gel-
ten als die „freien“? Auburtin uncl Rudolf
Lothar? Oder Moszkowsky und Rudolf Pres-
ber? Allerdings stehen sie in Amt uncl Wür-
den, aber sie gelten „bei uns“ nicht mehr als
die freien Max Dreyer, Rudolf Stratz, Rosegger
u a. m. Dass sie im Auslande „glückücher
Weise“ mehr gesschätzt werden als manche Ex-
zellenz, spricht nur für die Lakaiendienste, die
sie und die Presse sich gegenseitig erweisen.
Die freien. Einen Dichter, der auch Exzellenz

war, hatte Deutschland schon. Und der Pro-
fessor Meyer behält recht. Die französische Re-
gierung hat vor geraumer Zeit dem „f r e i e n“
Schwankautor Kurt Kraatz die Palmen der Aka-
demie verliehen.

Wie sollten da nicht hierzulande periodisch
Anregungen zur Schaffung einer Akademie auf-
tauchen, einer offiziellen Vertretung innerhalb cier
„Schriftstellerwelt“ selbst:

Aber eine Akademie, die in Berlin oder
München oder Weimar ohne Marie v. Ebner
und Enrica v. Handel-Mazzetti, onne Stefan
George und Hofmannsthal, ohne Richard Deh-
mel und Paul Heyse begründet würde, schweb-
te von Anfang an in der Luft.

Nicht weniger als das, wenn sie nicht die
diversen aufgepumpten Literaturgrössen bis zum
Platzen füllen könnten. Die Möglichkeit, dass
Richarcl Dehmel die Ehre fliehen könnte, Ruhm
der Unsterblichkeit an der Seite der Handel-
Mazetti zu clulden, zieht der Herr Professor
gar nicht in Frage. Sein kitschiger Traum von
der „i d e a 1 e n“ Mitgliederliste einer deutschen
Akademie wird schon gar manchen „Waffen-
bru.der“ nicht schlafen lassen.

Es ist nicht genug, dass Presse und Pro-
fessoren ephemere Erscheinungen in der Lite-
raturwelt zu Typen von Dauer uncl Bedeutung
festlegen. Es soll auch noch eine Akademie die-
sen ewigen Rekruten im „D i e n s t e b e i cl e n
Idealen der Wahrheit und Schön-
h e i t“ den hohen Rang der Unsterblichkeit ver-
leihn. Nicht eine einzige Exzellenz soll um soi-
chen faulen Zauber hingegeben werden. Nicht
eine Pfauenfeder um ein vereinigtes — ein or-
ganisiertes Radschlagen der Kollegen. Und
nur ein Professor, namentüch wenn er Meyer
heisst, kann pathetisch fragen: ob man glaubt,
„dass unsere Geburts- und Berufsaristokratie je
den Ehrgeiz hegen wiirde, einen Platz zu ha-
ben in einer vielseitigen Vertretung
a 11 e r Richtungen durch alle Talente, einem
Hause, darin neben Clara Viebig und Gerhart
Hauptmann Erich Schmidt und Wilamowitz, ne-
ben Dryander und Naumann Maximilian Har-
den und Alfred Kerr sässen.“

Goethes Wort: die Unsterblichkeit ist nicht
jedermanns Sache, nachtrauernd, würcle Ericli
Schmidt an Clara Viebigs Seite r e s i g n i e r t
der „U n s t e r b 1 i c h k e i t“ leben. Und schon
gar nicht fragwürdig bleibt es, dass ein deut-
scher Fürst oder Graf — und es muss gar kein
bestimmter sein — der Frohmühe nicht denken
wird, Platz sich zu küren im Edelkreis geist-
starker Hochfrauen und Tatmänner.

Joseph Adler

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich
Ungarn / I. V.: Oskar Kokoschka

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