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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 100 (März 1912)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Kunst und Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0353

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Umfang zwölf Seiten Einzetbezug 15 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin W. 9 / Potsdämerstrasse 18
Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigen-Annahme

durch den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus :-:


Herausgeber und Schriftleiter:

HERWARTH WALDEN

Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / Halbjahresbezug 3,— Mark /
Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1912


BERLIN MÄRZ 1912

NUMMER 100

Inhal# • TRUST: Kunst und Künstler: Die kranke deutsche Kunst / Der Zeitgeist / Der Dank / RICHARD DEHMEL: Aus den Verwandlungea
luuai». der Venus ! Das Flugschiff / PAUL SCHEERBART: Novelle / ALFRED MOMBERT: Das ist der Tag / Das ist die Nacht / ELSE LASKER-
SCHÜLER: Gedichte / ALFRED DÖBLIN: Der schwarze Vorhang / LOTHAR VON KUNOWSKI: Der Schatten / GÜNTHER MURR: Hamburg /
JULIUS PASCIN: Das Kind / GEORG TAPPFRT: Der Clown / Originalholzschnitt / PIERWARTH WALDEN: Die Judentochter / Für Gesang und
Klavier / Dichtung aus des Knaben Wunderhorn / AUSSTELLUNG DER ZEITSCHRIFT STURM

Kunst und Künstler

Dte kranke deutsehe Kunst

„Im Geäste des Hochwaldes singt ein wunder-
barer Vogel . . . er singt von neuen deutschen
Reiche. Wie die leuchtende Kaiserkrone neu auf-
geht, wie eine Sonne iiber grünende Eichen-
wipfel. Von seinen Helden urid seinen Großen.
— 1 Von seiner Kunst aber singt er ■— nicht. —“
Ein wunderbarer Vogel, der von der auf-
gehenden Kaiserkrone singt und von der Knnst
nicht singt. So entschioß sich der Auchdeutsche,
den Vogel zu haben und von der kranken deut-
schen Kunst zu singen. Das Buch des Auch-
deutschen ist so dumni und kindisch, daß ihm
selbst Rembrandt als Erzieher nichts beibringen
könnte. Seine Ausführungen sollen ein Nachtrag
zu dem bekannten Schmarren vorstellen. So leid
es mir tut: es lohnt sich nicht, diesen Auchdeut-
schen vorzunehmen. Die achtundsechzig Seiten
werden keinen Schaden anrichten, weil sie so töt-
lich langweilig geschrieben sind, daß kein Leser
iiber die erste Seite kommt. Alle Banalitäten, alle
falschen Wertungen dcr letzten zehn Jahre sind in
das Buch aufgenoimnen worden. Man hört wieder
von den fabelhaften Preisen. die „das deutsche
Volk für Manet, Daumiier und Cezanne bezahlt.“
Der Autor nennt sie giitig wenigstens „ringende
Meister“. Nicht unoriginell ist vießeicht die Be-
hauptung, daß „die Miinchener Kunst auf weit
ernsterer Grundlage ruht“. Das soll zum Beispiel
Leo Putz zeigen. Der Autor besohwert sich fer-
ner iiber die „Kunstschreiberjugend, denen die
wissenschaftliche Vorbildung fehlt, und die die
Vertreter kiinstlerischer Gelehrsamkeit kurzerhand
verdrängt“. Der Autor empört sich ferner iiber
den Kampf gegen die Akademien und behauptet,
daß die Jugend dadurch zum Ausdruck bringen
woile. sie brauche nichts zu lernen. Der Autor wun-
dert sich wieder iiber den griinen Himmel, die rote
Wiese und die blauen Bäume. Man erfährt durch
ihn, daß „jeder Schmierer seinen begeisterten
Propheten und baldigst sein Kaufpublikum findet.“
Im iibrigen findet er, daß „der im besten Sinne
modernste Kiinstler“ Herr Heinrich Ziegel ist.
Er quatscht ferner von „nebeneinander ausge-
quetschten Farbentuben und wiister Probiererei.“
„Leider hat nun auch die Farbe an sich heute gar
eine Betonung gewonnen, die bedenkliche Früchte
zeitigt.“ Die Farbe an sich, die durch Betonung
bedenkliche Friichte zeitigt, wird immerhin recht
bnnt. Talent, sagt der Autor, darf ein Künstler
heutzutage nicht mehr haben, wenn er mit Recht

Julius Pascin: d»s Kmd

hochgeschätzt sein soll. „Daß zum Beispiel Ziigel
es doch hat, ist ihm nur erlaubt, weil es eigent-
hch kein Talent mehr, sondern eher Oenie ist. was
an ihm unwiderstehlich fortreißt. Die Kraft und
die glückliche Unfehlbarkeit, mit der dieser seine
Farbe hinhaut, sind eben iiber das bloße Talent
hinaus!“ Erlaubt ist, was dem Auchdeutschen ge-
fällt. Wenn einer die Farben mit Kraft und
giiicklicher Unfehlbarkeit hinhaut, kann man sich
eben nicht zügeln, und stößt gegeti die Lcute aus,
die Farbentuben auf die Leinwand quetschen.
Aber auch das Hauen rächt sich. „Große Talente,
die mit ihrem Pfunde wild gewirtschaftet haben
(man denke an E b e r I e i n) sind der allgemeinen
Mißachtung mit einer Wut preisgegeben worden,
die doch erschreckt.“ Ja, 0 Auchdeutscher, das
kommt von der wilden Wirtschaft. Wenn Herr
Eberlein mit vielen tausend Pfund Gips und Mar-
mor um sich schmeißt, reagieren die Beschmisse-
nen stärker. Um die Leute von Talent kümmert
sich heute kcin Mensch mehr. Stuck wird ver-
achtet. Hingegen van Gogh anerkarnt. „Ein
van Gogh, ein zum Teil unerträglicher Kiinstler,
findet ungeheuren Beifall. Und gar ein Gaugtiin!
Gerade solche rohe Kunst. die nur aus Streben und
Wollen, nur aus Nichtszustandebringenkönnen be-
steht, arn liebsten von Selbstmördern.
ist heute das Wahre, Begeisternde, Erhebende!“
Man lese diesen Satz und man vergesse nie, daß
die Königlich akademische Hochschule der bilden-
den Kiinste zu Berlin dieses Buch dringend emp-
fiehlt und dem Autor ihren besonderen Dank aus-
spricht. Es wird wohl auch nicht leicht gewesen
sein, einen Autor zu entdecken, der heute noch
für Anton von Werner eintritt und auf die Zeit hin-
weist, die einst dem Direktor der Akademie Ge-
nugtuung fiir den Hohn und Spott seiner Zeitge-
nossen geben wird. Und wer hat'SchuId an der
ganzen Geschichte? Der Simplizissimus, der alles,
aber auch alles, Religion, Sitte, Gesetz, Staat, Ge-
sellschaft, Familie, Ehe, Erziehung, Lehre. Armee,
Industrie, verhöhnt.

„So wenig zu Ieugnen ist. daß die Kiinstler-
schar, die da wirkt, garnicht selten Perlen von
Schönheit und Empfindung zu Tage fördert, sö
wenig liegt das in der Richtung und Absicht des
Ganzen.“ Natiirlich entdeckt der Autor die Gold-
körner bei Herrn Wilhelm Schulz. ..... so
haben solche Goldkörner mit dem eigentlichen
Sinn der SimpJizissimusrichtung nichts zu tun.“
Die blinde Henne also. Der Schlimmste von die
Richtung aber ist „0. Zille“. Heinrich, ihm graut
vor dir! Der Auchdeutsche findet Zille „absto-
ßend, ja widerlich“. Er zeichnet ohne Schönheit,

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