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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 102 (März 1912)
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Mürr, Günther: Hamburg, [7]
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Der Lebenslauf eines deutschen Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0376

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an deren Bug ,das Wasser in die Höhe rollt.
Reihen stumpfbrauner, naßgeleckter Duckdalben.
Die Wellenjagd tollt spritzend um sie.

Rufen und Tuten,

Maschinenstampfen und Wellenklatschen ver-

binden sich

in die glefche Harmonie.

Der Segelschiffhafen ein Hain, wo Mast bei Mast
in die Höhe sticht. Senkrecht fällt der Hafen-

rand

ins Wasser. Die langen Landungsbröcken,
die flach tiberdacht, wie Koionaden,
fast regios stehend schwimmen,
sind wie ein vergessnes Land,
dahin selten ein Wandrer findet.

Manchmal Rauchwolken unter dem langge-

streckten Dach,

manchmai ein kurzes Qewirr von Stimmen.
Schmutzigc Arbeiter, die elektrische Drähte

iegen,

schwielige, dickgefrorne Hände.

Die leeren Läden gaffen iibers Wasser.

Aus einer Ttire häßliches Gelach

von einem schwarzstrubeihaarigen Weib.

Manchmal krachen hohe Dampferwellen

gegen die Brücken.

Die geben nicht nach.

Auf den Hafenstraßen wimmelndes Hin- und

Hertreiben.

Schiffer mit rotgewehten Backen,
mit klaren Augen und festen Kijmen.

Graue Backenbärte, wiegender, schiebender

Qang.

Arbeiter mit störrischem Nacken,
die beulige Blechkanne in der Jacke.
Nichtstuer, die ins Graue sinnen,
grüne Zollbeamte mit festem Schritt.

Radfahrer, die gewandt
durch die Menge sich regen.

Elektrische Bahnen fahr,en mit summendem

Sang

entlang den fadigen Drähten.

Schwere Lastwagen, dicht bepackt

mit Fässern und Ballen, werden von müden

Pferden in faulem Tritt
vor die Speicher geschleppt. Mit stumpf-

gewehten,

regengewaschenen Steinen schlingen die hohen

die Packen.

Auf deu engen Speicherstraßen gedämpfter

Arbeitsklang.

Verstreutes, schmutziges Stroh. Es dunstet

dumpfig und bang.

Alles regt sich und wandert.

Am andern Ufer schließen

dürftige Flußärmchen eine Werftinse! ab.

Neben den schmutzigen Wasserrinnen

ein breiter, trübfarbiger Weg von Kohlensand,

am Rand

schmutzigrote Ziegel, ein berußtes Band.

Dürre Bäume wollen 'zur Helle sprießen.
Schwäche hält sie in die Tiefe gebannt.

Habt ihr das eigne Leben erkannt?

Vereinzelt Leute mit schrägen,
arbeitverzogenen Körpern. fhr Gang plumpes

Tacken.

Von der Werft ein rastloses Geklapp,
unregelmäßig, laut und 'leis.

Buntverspritzte

treffen die Ting-KIänge das Ohr.

An den Ouais die Krähne dreht sich vor,
lassen Taue sinken, heben sie wieder gestrafft,
drehn sich zurück.

Stetige Arbeit in den stillen Fleeten.
rum so eng die hohen Speicher sich heben,
daß nie Sonnenstrahlen bis auf die glatte

Wasserfläche niederschweben.
Auch das Lärmen von Wind und Wasser fällt
hier in heimliches Schweigen.

Leise läßt manchmal ein Schiff sich niedergleiten.
Sieh, wie des Himmels Bogen sich weiten,
in immer fernere Fernen gleiten.

Das Grau muß, wte ein stähierner Rirtg,
unten um den Himmelsrand sich breiten,
ob dem klare Biäue sich bäumt.

Auf der Seewarte die deutsche Flägge, be-

strahlt, ein tanzendes Ding.
In Kirchturmshöhe fassen die stählernen Gerüste
von Werften 'und üasanstalten,
scharf ins Blau gezeichnet, an die Himmelswand.
Frischer atmet das heiie Wasser, und seine

Brüste

drückt der jubelnde Wind tnit fester Hand,
rast flußab. Die zahliosen Rauchwolken alle,
die aus Schiffen und Fabriken zur Höhe streben,
hält er, wie Fahnen, straff flußab gebannt.

Die Sonne strahit ein breites, goldnes Band,
ganz voll Glitzerschein, quer über den Fluß,
als ob sie die Wellen küßte.

Vier Schlepper, den Bug zur Brücke gewandt,
rauschen an mit spritzendem Fuß.

Eine unsichtbare Faust drückt sie ans Land.
Plötzlich ein Dampferruf mit tiefem Kkuig,
in ihm ein geller, langer Schrei,
ein heller Pfiff und andre noch
gesellen sich drein. Ein einziger
gewaltiger Akkord über der weiten Fläche.
Lang hält er an, schließt in seinen Gruß
das ganze Leben und Schaffen ünd Wechseln,

als wüßte er,

was er übergießt. Ein Hailen,

Klingen und Rufen, herriich häßiiches Schallen.
Vorbei.

Unberührt gleitet der Strom. Tropfen sprit-

zen hoch

aus dem weißen Schaum und glitzern.

Die Dampfer jagen, stoßen sich fast und ver-

meiden sich doch.

Klingen und Lärm, Schaffen nnd Werden,
Wandern und Wechseln,

Leben, zitternd vor Kraft,

voll jubelnder Wonne und grauem Graus,

Leben, Leben breitet sich über der weiten

Fläche aus.

E n d e

Der Lebenslauf emes
deutsehen Malers

Die ,.W o c h e“ hat e-inen Preis ausgeschrie-
ben für den besten Lebenslauf eines deutschen
Künstlers. Zugelassen sind Maler. Bildhauer, Ar-
chitekten und Kunstschriftsteller. Die Musiker,
die eben erst mit den Militärmärschen dran waren,
die Dichter, denen einst die Balladenausschreibun-
gen galten. sind diesmal übergangen. Es ist kei-
neswegs Bedingung, daß die Lebensläufe Auto-
biographien sind, wie aus der Zulassung der Kunst-
schriftsteller hervorgeht. Bedingung ist nur, daß
die Lebensläufe fiir die Leser der „Woche“ inter-
essant genug sind.

Wir sind in der Lage, bevor die Jury (Artur
Kampf, von Thne, Gustav Eberlcin, Hofrat Thode,
Rudolf Herzog) noch zusammentrat, die Arbeit
auszugsweise mTtzuteilen, die mit aller Bestimmt-
heit den ersten Preis zu erwarten hat.

Sie hat zum Gegenstand den Lebenslauf eines
Malers, eines sehr bekannten, vielfach ausgezeich-
neten Malers. Der Verfasser, ein führender
Beriiner Kunstscbriftsteller, schildert
zunächst den allgemeinen Charakter der Bilder.
„Sie Iassen keinen Zweifel darüber, daß er aus-
schließlich in der besten Gesellschaft sich bewegt,“
„daß nichts so großen Reiz auf ihn ausübt, wie
mondaine Schönheit und Eleganz.“ Danach dürfen
wir wohl über die „Stoffe“ seiner Bilder beruhigt
sein. „Sie bezeugen seine Abneigung gegen die
Crapule. In seinem Oeuvre gibt es weder Bau-
ern, noch Arbeiter, noch arme Leute. Der Salon

ist’ seine HGmat, das Pärkett d'ef 'Bodfen, auf dein

er sich am liebsten tind mit der größten Anmut
bewegt.“ Und weiter : „Was ist der Salon ohne
die Frau?“ Dieser Mäler wlrd also in der Dar-
steliung der Frau des Saions seine Aufgabe sehen.
Und wie erfiillt er sie? „Er ntianciert aufs feinste,
mit soviel Diskretion etwa, wie ein Weltmann sei-
nen Gruß nacb der gesellschaftlichen Steiiung der
zu grüßenden Persönlichkeiten abstimmt.“ Wir
brauchen jedoch nicht zn beftirchten, daß bei der
Betätigung eines so feinen inneren Taktes die Toi-
letten zu kurz kämen, ausdrücklich wird uns ge-
sagt: „dabei ist der äußeren Erscheinung nicht ge-
ringere Aufmerksamkeit zugewendet, als der Per-
sönüchkeit.“ Damit nicht genug der Genüsse:
„Boudoirwinkel in raffinierter Beleuchtung, Di-
wane, Kissen, Vorhänge, Felle, Wände mit Biidern
ergänzen dann, was in der persönlichen Erschei-
nung sich nicht geben Tieß.“

Man lernt jetzt den „künstlerischen Werde-
gang“ unseres Meisters kennen. Wir hören mit
Interesse, daß der Baron v. R., ein berühmter Ma-
ler, Einfluß auf das junge Talent gewann. U n s e r
Künstler „faßte zu diesem schon deshalb ein be-
sonderes Interesse, weil er in dem chevaleresken
österreichischen Baron einen Vertreter der Ge-
sellschaft sah, in der er selbst lebte und sich wohl
fiihlte.“ „Die Aussicht, mit diesem charmanten
Künstier ein gemeinsames Atelier zu haben, war
überaus verlockend für den jungen Anfänger.“
Wichtig ist das Verhältnis unseres Künstlers zu
einem gewissen Leibl, der damals in der Maler-
schaft einen Ruf besessen zu haben scheint. Wir
hören, daß ein Bild „Chopin“ und zwei Porträts
in der Art dieses Künstlers gemalt -voirden, aber
wir erfahren auch das Urteil unseres Künstlers
über jenen Zeitgenossen: er wird als ein Imitator
Holbeins bezeichnet, dessen Sitzfleisch jedoch Aner-
kennung verdiene. Vielleicht macht sich einer un-
serer jüngeren Kunsthistoriker einmal daran, den
weiteren Spuren dieses Leibl, dem Namen nach
wohl ein Schweizer oder Bayer, nachzugehen.

Auch der äußere Lebenslauf unseres Mä-
lers wird nicht vorenthalten. Wir diirfen in sein
Leben interessante Blicke tun. Wir hören, daß er
das Gymnasium mit erschöpften Nerven verließ.
Er schlug zunäcbst die juristische Karriere ein.
Daß er in ein Korps eintrat, versteht sich wohl von
selbst. Und siehe da: „diese völlige Freiheit von
Pflichten und Arheit brachte die Nerven des Jun-
gen Mannes bald wieder in Ordnung.“ Der Drang
zur Kunst läßt sich aber nicht ersticken. Der
junge Mann sattelt um. und bald saßen ihm „hüb-
sche und elegante junge Damen aus seinem Be-
kanntenkreise.“ Eine Rheinreise unterbricht
diese Tätigkeit. „Ein iiberans geselliger Verkehr
eutwickelt sich, doch findet er Zeit und Gelegen-
heit. ein paar Landschaftsstudien zu malen.“ Am
zweiten August nimmt er am Bonner Universitäts-
fnbiläum teil. „Er trägt Isarencouleur und ver-
tritt sein Korps bei dem Eestkommerse im Kley-
schen Garten, dem Kronprinz Friedrich Wilhelm
und Oeneral von Moltke mit großem Gefolge bei-
wohrien.“ Dann kehrt er in das Atelier zurück.
„Konzerte nnd Theater wechseln mit Festlich-
keiten und Kaffeehansbesuchen ab. Immerhin malt
er mehrere Porträts.“ Im Winter eine Begegming
mit dem französischen Naturalisten Courbet, der
ihm als Mensch sehr sympathisch ist. Ansprechend
ist die Vermutung, daß Courbet in dem obener-
wähnten Leibl „vielleicht noch mehr ais den Maler
den guten Biertrinker geschätzt hat.“

Berufsmodelie benutzt der Meister nicht gern
für seine mondainen Schöpfungen. Diesen „fehlt
eben das undefinierbare Etwas, das das Wesen
der Dame ausmacht.“ Nur so war es ihm mög-
lich, „die Romantik des Saions auszuschöpfen“.
was zum Beispiel Leibi stets versagt geblieben ist.
In dem Bilde „Chopin“„ist im Gegensatze zu Leibl,
der sich immer nur an die äußere Erscheinung
hält, das Leben selbst und der geistige Zustand er-
faßt. Die junge Dame, deren Hände die Sticke-
 
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