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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 97 (Februar 1912)
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Blümner, Rudolf: Erinnerung an Herman Bang
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Mürr, Günther: Hamburg, [3]
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0331

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Ich glaube, ßarden und Rhapsoden konnten
weniger. Denn dieser Herman Bang spielte vor
meinen Augen und Ohren einen Roman . . . Ver-
zeihung, ich habe nicht recht gehört (wende ich
mich zu einem Zünftigen neben mir), Sie sagten, er
posiert? — Hm, wenn er posiert . . . wenn er
posiert . . . was heißt das, und was kümmert’s
mich? Hier wird eine Kunst fiir eine Kunst ent-
faitet. Haben Sie denn schon so erzählen hören?
Erst ein tastendes Konferieren mit dem kleinen
Ungeheuer auf den Sesseln da unten, einem klu-
gen Ungeheuer, von dem nichts zu fürchten ist.
Dann erzählt der Dichter von dem Meister Claude
Zoret, der aus einer Bauernfamilie stammte und
der erste war, der Qenie bekam. Und der Dichter
hat die Achtung vor dem Qenie, daß er sich hoch
vom Sessel erhebt: und so, die Arme erhoben, den
Blick seitwärts, wie in hohe Weite gewandt, ju-
belt er vom Qenie. Erst da die Ruhe wieder über
ihn gleitet, greift er zu den Armsesseln und, sich
ruhig niederlassend, erzählt er weiter vom großen
Meister — (o, er muß ihn gut, sehr gut gekannt
haben, dieser Claude Zoret, das sehe ich lmrner
und imrner aus den Aufblitzen seines Auges, dem
Qreifen dieser unruhigen Hände) — erzählt die
Szene in Prag, da Mikael sich zum ersten Mal
Claude Zoret naht, er spielt abwechselnd den
Meister und den Jiinger — (ohne: ,sagte er‘, ohne:
.sagte darauf der andere'). Ihm gemigt ein Schritt
zur Seite, eine schroffe Wendung nach hinten, ein
Drehen des Kopfes, ein Zucken der Schulter. Und
wieder reißt es ihn vom Sessel auf, da er von
Mikaels Liebe zur Fürstin Zamikof spricht . . .
Sucbe das nicht int Roman nachzulesen: da fin-
dest du es nicht. Es war ein Impromptu des Tem-
peraments, oder meinetwegen auch des Artisten
— gleichviel!

Und endlich stellt Herman Bang Claude Zorets
Leiden und Sterben dar und zwingt zur Bewun-
derung sans phrase. Ich habe sie alle leibhaftig
gesehen, die Aerzte und Diener, die Reporter und
Freunde, die um des Meisters Sterbelager waren,
ich habe das marternde Klingeln des Telephons
gehört und den erlöschenden Blick des Meisters
am Zeiger der Uhr gesehen, ich habe gehört, wie
Mikael sein ,Lucia, Lucia, Lucia‘ in die Nacht des
Louvre gerufen, und ich werde Charles Switts
Stimme nie vergessen, ein Steinwurf gegen die
geschlossenen Fenster: „Herr Mikael, der Meister
ist tot-“

Wir reden und schreiben, wir schreiben und
reden . . .

Aber die Kunst bleibt. voraussetzungslos.
Herman Bang starb am ersten Februar 1912

Qlühendes Blei, geschmolzene Bronze fließt
unter den langen Wogenschatten,
und das Blau, das der Himmel niedergießt,
muß in des Wassers Stumpfglanz ermatten.
Alles ist ganz bläulich, was du siehst.

Unter schattigem Steinb; uckenbogen
gleitet mein Boot in e'ien Teich.

Rings von dichtbebaun fen Qärten umzogen
liegt er lautlos, ein Feenreich.

Aller Menschenlärm ist fortgezogen.

Nur die Blätter rascheln hier manchmal.

Das Wasser liegt glatt, wie in Oel getaucht.

Splitter von einem Sonnenstrahl

hat atmend die Luft drüber hingehaucht.

Voll von Licht die Farben überall.

Dunkelgrüne Bilder hoher Bäume
wiegen sich auf aer bianken Flut,
schleichen meinem Kahne nach wie Träume,
fiiehn, will ich fliehen in ihre Hut
lautlos gleitend an des Ufers Säume.

Und das Wasser ist ganz bräunlich blau.
Eintönig klingt das Platschen und Tropfen
unterm Ruderziehen. Jetzt wie Tau
ein einsamer Vogelruf. Scharfes Klopfen
von raschem Puilen. Ein junger Schwan,

noch grau.

Aus einem Kanal, der im Schatten vergeht,
kommt ein schmales, braunrotes Indianerboot
mit leisem Plätschern ins Helle geweht.

Drei bionde Mädchenköpfe, auf denen die

Sonne lacht.

Jede Qekrönte auf einer Bank,
am Bug, in der Mitte, am Steuerplatz.

An die Vorderste lehnt sich lang
ihr dunkellockiger Schatz.

Sie treiben langsam auf meinen Nachen zu,
durch der Bäume leise schwankende Orüne.
Mädchen- und Männerlachen schwimmt

durch die Ruh,

und piötzlich singt eine: „Bon soir, ma-

dame la lune.“

Das schmale Boot biegt in das Dunkel wieder
und trägt mit fort des Lebens klares Lachen.
Von neuem sinkt die biaue Stille nieder.
Verzaubert dräng ich heimwärts meinen Nachen.

Halb tönt noch in meinem Ohr das Singen.

Ich iasse mechanisch die Ruder gleiten.

Wie sie glitschernd durch den Spiegel dringen,
ziehen sie ganz fein zu beiden Seiten
Streifen, drüber Sonnenstrahlen springen.

Fortsetzung folgt

Hamburg

Von Günther Mürr
Feenteich

Fortsetzung

Blaue, frische, herbstbesonnte Tage.

Das gute Wetter kommt also doch.

Aller Regen klingt uns jetzt wie Sage.

Das Barometer steigt immer noch.

Doppelt schön nach grauer Sommerplage.

Freudig löse ich den braunen Nachen
und treib ihn voll Träumen langsamen Schlags
durch des Wassers laues, leises Lachen,
die zitternde Luft des schönen Tags.

Wie die ganze Erde träumt im Wachen!

Briefe naeh Norwegen

Von Else Lasker-Schüler

Lieber Herwarth. Es hifft Dir nichts, ich sende
Dir diesen Brief solange, bis Du ihn im Sturm ver-
öffentlichst. Ich glaube Dir schon, daß es Dir oft
weh tut, Zeilen rneines Herzens prägen zu lassen,
aber da ich mich nicht zu beherrschen gelernt habe,
verlange.ich es von anderen. Dir wurde es gewiß
nicht leicht, Deine Löwen zu bändigen, Pudelhunde
gehorchen eher; ich sagte Dir schon einmal, die

wüsten Temperamente bellen oder jammern nur,
manche kläffen auch.

' Motto: Die Sonne bringt es an den Tag.

Bei mir, Herwarth, richtet die Sonne weniger
aus, aber in Kunstdingen kann ich nicht lügen.
Meine Kunst bringt es an den Tag. Ich war nämiich
in Jedermann oder heißt es Allerlei? Ich glaube,
es heißt Alierlei für Jedermann oder Jedermann für
Allerlei: Herein meine Herrschaften ins Riesenkas-
perle, ins Berliner Hännesken! Ein evangelisch
Stück wird gespielt für die „getauften“ Juden, na-
mentlich, sehr anschauend und erbauiich. Alle
getauften Juden waren in der evangelischen
Vorstellung - Schaustellung gewesen und waren
erbaut n a m e n 11 i c h von dem blonden
Germaniaengel in Blau und Doppelkinn. Ich
dachte sofort, nun ist Moissis - Jedermann ge-
rettet!? Rechts ein Fleckchen, links ein
Fleckchen Mensch oder Engel an des Kasperle-
wand.und wie das Qewissen an zn heulen anfing:
Jedermann, hier Jedermann, dort Jedermann. Wo
karn das her — ich denke aus den Ställen, Her-
warth. Nein, da wollen wir lieber auf die Kirmes
gehen in Cöln am Rhein ur.d eiti Cölner Hännerken-
theater aufsuchen, von dort sollte Dichter Reinhardt
die Naivität herholen, nicht sich welche anfertigen
lassen von dem Hofmannsthaler in Wiener Styl
oder übertünchen lassen, ein britisch-evangelisches
Mysterium, charakteristisches Qähnen mit noch ent-
setzlicheren, gelangwei!itenf unechten Reimereien
eines „Verbesserers“. Denk fnal an, wenn er
sich auf Bildhauerei verlegt hätte, an der Skulp-
tur geflickt hätte, und. der Venus von Milo däe
beiden Aermel angesetzt hätte!

Was grub er doch alles Litterarische aus: Zu-
erst den Oedipus von Sophokles und nährte ihn
mit Wiener Blut; däe Elektra machte er zur dä-
monischen „Lehrerin“. Ihm gebrichts an Phan-
tasie. Imnier sagen dann die Leute, Herwarth,
weäl sie stutzig werden: Ja, haben Sie denn noch
nicht das Qedicht von ihm gelesen: Kinder mit
großen Augen? —- Ich habe sogar Tor und Tod
und den Tod des Tizian von ihm gelesen; glän-
zende Dichtungen allerdings aber in Qranit
Qoethes oder Qeorges gehauen. Wenn Jeder-
mann wiißte, was Jedermann wär usw —
eine Blasphemie, eine Verhöhnung einer alten
Pietät, einer religiösen Verfassung. Das Leben
und der Tod, die Siinde und die Strafe, Himmel
und Hölle, alles wird zur Schaustellung herab-
gewiirdigt, wäe die Elephanten und Araberpferde
mit Bändern und Kinkerlitzchen geschmückt aller-
dings nicht einmal wie hier den Kindern zur
Freude, dem reichen sensationslustigen Publikum
zur Erbauung, pfui Teufel, daß der Sekt besser
mundet.

Ein paar Tage vor Weihnachten forderte Di-
rektor Reinhardt mein Schauspiel die Wupper ein.
Sie liegt noch nicht zwei Monate in seinem Haus;
mein Schauspiel hat Leben, meine Geschöpfe
möchten weiter Ieben. Nun wird mein Schau-
spiel eine Geisel sein in Reinhardts Händen, er
wird meine Dichtung ins Feuer werfen oder sie mir
mit ein paar Phrasen seiner Sekretäre wiedersen-
den lassen. Gleichviel, ich will keine Riihrung
noch Sentimentalität aufkommen lassen, Her-
warth, ich muß meine Dächtung opfern der Wahr-
heit, dem Ehrgeiz zum Trotz. Denke, der Prinz
von Theben wirft die letzte Fessel von sich.
Ich kann mich nur wieder erreichen, wenn ich seinem
Herrn Direktor Reinhard die Wahrheit hier sage:
Die Aufführung des Jedermann ist eine unkünstle-
rische Tat, eine schmähliche — von ihm zumal;
er gilt im Publikum fiir künstlerisch unfehlbar.
Wenn Dichter Reinhard Qeld nötig hat, sollen seine
Sekretäre es rauben, die Kassenschränke kann
man nicht unterbilden, aber Unkunst fiir Kunst den
Zuhörern einflößen, solche Qeschenke sind Dieb-
stähle.

Draußen tobten die Sozialdemokraten, es war
am Tag der Wahl — in mir stürmte eine stärkere

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