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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 81 (Oktober 1911)
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Scheerbart, Paul: Die Schlachtpomade: assyrische Feldherrn-Novellette
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0201

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Die Schlachtpomade

Assyrische Feldherrn-Novellette
Von Paul Scheerbart

Der Feldherr Zirutu war ein Neffe des Kö-
nigs und der gewandteste Gauner der ganzen
assyrischen Armee.

Als die Assyrer bei Is-chupri sehr siegreich
gegen die Aegypter kämpften, da sah der Feld-
herr Zirutu auf seinen Streitwegen ein paarjun-
ge Löwen in der Nähe. Und flugs sagte Ziru-
tu zu seinen Getreuen:

„Lassen wir die Feinde für eine Weile in
Ruhe. Die werden ja doch geschlagen. Auf!
Eilen wir den Löwen nach. Wir wollen sie alle
lebendig fangen und dem König nachher beim
Abendschmaus zu Füssen legen. Das wird dem
König ein viel grösseres Vergnügen bereiten als
tausend frisch abgehauene Aegypterköpfe.“

Und wie Zirutu gesagt, so geschah’s; er
trennte sich von der Schlachtlinie mit seinen be-
sten Freunden und jagte den Löwen nach und
fing tatsächlich fünf Stück lebendig.

Die Freude des Königs Asarhaddon*) beim
Abendschmause nach geschlagener Schlacht war
ausserordentlich.

Zirutu bekam ein Ehrenkleid und dreissig
Pfund reines Gold. Und danach dachte dieser
kühne Feldherr nur noch daran, die sehr aparten
Launen seines königlichen Onkels zu befriedi-
gen Der Onkel war ein grosser Weltmann und
in Ninive zeit seines Lebens tonangebend in al-
len Modeangelegenheiten.

Und beim achten Becher sagte der Neffe
leutselig zu seinem königlichen Oheim:

„Onkel, deine Tapferkeit in allen Ehren —
du schlägst dich wie ein Löwe. Den Aegyptern
wird ungemütlich zumute. Das schlimmste ist
nur, dass sie uns noch öfters auskneifen werden.
Und wir müssen sie verfolgen. Das gibt noch
eine Reihe von Schlachttagen — es können noch
drei oder vier sein. Hast du nun auch, lieber
Onkel, die nötige Schlachtpomade mitgenommen?
Denn — bei dem Verfolgen der Feinde werden
wir noch manchen Schweisstropfen vergiessen.
Und die Spuren davon müssen verwischt wer-
den durch unsere neue Schlachtpomade, die wir
in Ninive erfunden haben. Sie ist mächtig teuer
— diese stark duftende Pomade. Hast du noch
genug davon, lieber Asarhaddon?“

Da erwiederte der König mit gerümpfter
Nase und runtergezogenen Mundwinkeln:

„Lieber Zirutu, teuer ist ja unsere Schlacht-
pomade in Ninive. Aber sie gefälit mir nicht
mehr. Dieser schlechte Geruch auf den Schlacht-
feldern muss durch andere Wohlgerüche über-
täubt werden. Diese Pomade ist in Ninive, aber
nicht auf einem Schlachtfelde erprobt worden.“

Das letzte hatte der Feldherr Nergal gehört;
er stancl wartend hinter dem König und sagte
als der ausgeredet hatte:

„Erhabener Herrscher! König der Heerscha-
ren! Mein starker König, vor dem die Feinde
fliehen. Die Feinde sind vor dir geflohen. Aber
sie sammelten sich im nächsten Dorfe und be-
reiten einen Nachtangriff auf unser Lager vor.“

„Zu den Streitwagen!“ briillte der König,
„wir wollen den Aegyptern zeigen, welche Män-
ner die Mächtigen auf dieser Erde sind.“

Alle Feldherren und Offiziere sprangen auf,
fuhren mit den Händen durch die gekräuselten
Haare, schmissen die goldenen Trinkbecher den
Sklaven zu und griffen nach Schwert und Lanze,
Helm und Schild und sprangen bald draussen
auf ihre Schlachtwagen.

*) Regierte 681—668 vor Christo

Und bald dachte kein Mensch mehr in der
dunklen Nacht an die Schlachtpomade des Kö-
nigs. Die Fackeln flackerten, und man stiess in
der Dunkelheit abermals auf den Feind. Das
ergab ein wüstes Schlachtgetümmel. Die Fackeln
mussten sehr bald gelöscht werden, denn die
Pfeile der Aegypter trafen viele der assyrischen
Krieger und auch zwei Feldherren. Selbst der Kö-
nig erhielt einen Streifschuss am linken Oberarm
neben der Goldspange, Die Wunde wurde
schnell verbunden.

Aber — das Schlachtgewiihi in der Dunkel-
heit war ganz entsetzlich.

Als der Morgen graute, wandte sich der
Feind abermals zur Flucht.

Und unzählige grauenhaft verstümmelte Lei-
chen bedeckten das Schlachtfeld.

Der König hielt sich die Nase zu, sprang
wieder auf seinen Streitwagen und raste davon
in das nächste Dorf, wo gleich ein Lager auf-
geschiagen wurde.

Der Feldherr Nergal hatte gesehen, dass der
König sich die Nase zugehalten hatte. Er rief
im Lager seine Sklavin Kidimuti zu sich und
erzählte ihr von der Schlachtpomade und fragte
sie, ob sie nicht eine bessere, stärker duftende
Pomade hätte, die imstande sei, in Wahrheit die
übler: Gerüche eines Schiachtfeldes zu iibertäuben.

Kidimuti, eine braune, sehr schlanke Schön-
heit aus dem Innern Arabiens, sagte in ihrer ge-
brochenen Sprache:

„Hab' viel gehört von Pomade — bei uns
zu Hause. Weiss wohl, wo beste Pomade zu
finden. Dort — hinter Bergen — wo Sonne
aufgeht. Da auf grossem, stillem Wasser — in
Barke — bei Mondenschein — wenn Flöte zu
hören — da kennt man Salben und Pomadeund
gutes Räucherwerk. Hier nicht. Hierzuviel Wi,!d-
nis. Werde dir sagen, wenn’s so weit ist. Still
— auf grossem Wasser — in Barke — bei Mon-
denschein.“

Und dabei sah sie träumerisch in die heiss
brennende Sonne. Und Nergal ebenfalls.

Der aber wusste nicht, was Kidimuti mein-
te; während sie sprach, wurde ihm alles unklar,
und er legte sich auf einen Haufen Stroh und
wollte einschlafen.

„Kräusle mir die Haare!“ sagte er noch —
dann war er weg und schlief und träumte von
wiehernden Rossen, von klirrenden Schwertern,
surrenden Pfeilen und krachenden Lanzen.

Kidimuti aber kräuselte ihrem Herrn Bart-
und Haupthaare und sang dazu ein altes ara-
bisches Beduinenlied, das von den Schlachten in
der finsteren Wüste handelt — in jener Wüste,
in der die Sterne nachts so hell funkeln, dass
man sich deutlich sehen kann, auch wenn der
Mond nicht scheint.

Und Nergal schnarchte.

Nun gab’s aber für das Heer des Königs
Asarhaddon nicht drei oder vier Schlachttage,
sondern vierzehn Schlachttage hintereinander. Bis
vor die Tore von Memphis trieb der König die
immer wieder fliehenden Aegypter. Das war ein
Laufen und ein Schlagen — ohne Rast — im-
merzu. Fünfmal verwundete Asarhaddon den
Pharao Tarku. Und der war froh, ,als die Tore
von Memphis hinter ihm zugeschlossen wurden.

Be? Memphis sah die Kidimuti den grossen
Nil, und sie sagte gleich geheimnisvoll zu ihrem
Feldherrn:

„Hier Wasser still. Und hier auch duften-
des Wasser — sehr viel. Frauen werden flie-
hen auf dem Wasser. Jetzt sei du Wasserjäger.
Lass Frauen in Ruh. Lass sie dir nur Salben
und Schlachtpomade geben. Sei zufrieden da-

mit. Kehr’ um. Gib an König. Dann macht
er dich zum Statthalter in Aegypterland. Und
ich bin dein ganz grosses Frau.“

Jetzt verstand Nergal.

Und er handelte, wie die Kidimuti gesagt
hatte.

Nachts, als der Mond schien, streifte er in
Kähnen auf den Wassem des Nils umher und
fand eine Barke — mit Frauen.

Die waren froh, als er nur ihre Salben und
Pomaden wollte, gaben ihm gleich Nachricht,
dass noch fünf andere Barken kommen würden,
in denen noch mehr Salben und Pomaden seien.

Kurzum: Nergal brauchte noch zehn andere
Kähne, um all die ägyptischen Büchsen und Do-
sen unterzubringen.

Und als Asarhaddon sich am nächsten Ta-
ge frisieren liess — von zwanzig Sklaven, da
kam der Feldherr Nergal — mit seiner Schlacht-
pomaden-Karawane und sagte nur:

„Hier, Herr, dasBessere, das du wünschest.“

Da wurden alle die Elfenbeintuben und die
Hornfässerchen und die Säckchen aus der Haut
des Krokodils, und die Alabasterdosen, und die
bunten Glasflaschen von kundiger Hand geöffnet
und der Geruch geprüft.

Und man fand bald so kostliche Kostbar-
keiten, dass der König immer heiterer wurde und
seinem Feldherrn Nergal immer mehr Gold und
Edelsteine und andere im Krieg erbeutete Sachen
schenkte.

Und schliesslich bekam Nergal die Stelle ei-
nes ägyptischen Statthalters mit Königsgewalt.
Und Kidimuti sagte im Mondenschein:

„Alles das wusste die Kidimuti. Sie ist die
Frau, die kann schauen in Zukunft. Geheimnis-
voll ist Kidimuti wie die Sphinx, die drüben da-
liegt im Mondenschein zwischen den vielen Py-
ramiden.“

Zirutu wurde ganz grün vor Neid.

Memphis wurde vierzehn Tage später im
Sturm genommen von den Heerscharen des Kö-
nigs Asarhaddon. Der Pharao Tarku geriet in
Gefangenschaft.

Briefenach Norwegen

Von Else Lasker=Schüler

Liebe Renntiere. Ich freu mich so auf
Euer Geweih! Aber ich dachte mir gleich, dass
Ihr so leicht nicht von der Schlittengegend fort-
kämet. Und habe also zu früh Schluss mitmei-
nen Briefen an Euch gemacht. Uebrigens emp-
fing ich schon viele bedauernde Anfragen des-
wegen, also bleibt noch, friert ein ein bischen.
Ganz recht, ich werde anfangen, meine Briefe
an Euch zu sammeln und sie später unter dem
Titel „Herzensbriefe, alleinseligmachender Liebes-
briefsteller, Gesetzl. gesch. herausgeben. Vorwort:
Alle bis dahin vorhandenen Stellen hinterlassen
Uebelkeit und Magendruck. Und den Deckel
muss mir ein Porzellanfabrikant zeichnen, ein
Pärchen zwischen bunten Zwiebelmustern. Oester-
heid und Cohn sagen, dass ist meine erste ver-
nünftige Idee, nur ihr Lektor Knoblauch war
empört darüber. Der Verlag hat sich aber noch
nicht erholt von dem Reinfall in meine Wup-
per. Und was meint Ihr — Müller Mahle
Mühie hat mir mein Manuskript Essays aus
München wiedergesandt, „sie seien ja sehr
hübsch, aber das Publikum interessiere sich nicht
für die Namen.“ Ich meine doch, Julius Lieban,
Emmy Destinn, Tilla Durieux, William Wauer,

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