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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 69 (Juli 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Antinous: Adi André-Douglas
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Döblin, Alfred: Die Segelfahrt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0105

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Antinous

Adi Andrd-Douglas

Der kleine Süsskönig

Muss mit goldenen Bällen spielen.

In bunten Brunnen
Blaugeträufel, honiggold,

Seine Spielehände kiihlen.

Antinous,

Wildfang, Güldklang,

Kuchenkorn mahlen alle Miihlen.

Antinous,

Du kleiner Spielkönig

In den Himmel fährt es schön auf Schaukelstiihlen.

O, wie lustige Falter seine Augen sind
Und die Schelme all in seiner Wange
Und sein Herzchen beisst will mans befiihlen.

Else Lasker-Schüler

Die Segelfahrt

Von Alfred Döblin

Die Digue von Ostende lag in dem blitzen-
den Mittagslicht. Die geschmiickten Menschen
auf der breiten Meerespromenade lachten und
gingen an einander voriiber. Unter dem Wider-
schein des unermesslichen Wassers funkelten die
Fenster der Strandhäuser zärtlich auf. Das un-
ablässige Brausen des Meeres rollte von den Stein-
dämmen zuriick, schwoll wieder an, schwoll
immer wieder ab.

Der schwere Brasilianer ging mit offenem
Munde unter den geschmückten Menschen. Er
ging dicht am Meeresgitter der Promenade. Er
hieit den Kopf gesenkt wie überrieselt vom Ba-
dewasser; seine vollen Lippen waren feucht. Die
schwarzen weissdurchzogenen Haarsträhnen fie-
len über seine Ohren. Er bog den Kopf mit dem
Kalabreser nach rechts und links, um dem An-
prall des scharfen Windes zu begegnen. Er
streifte ab und zu mit einem freudigen Blick das
graugriine Wasser. Sein gelbbraunes schwammi-
ges Gesicht zuckte, die Augen, die in grauen
Höhlen lagen, schimmerten; er spiirte den feinen
Luftwirbeln nach, die um seinen blossen Hals
fuhren, das graue Schläfenhaar anhoben und
gegen seine Wange mit feinen Stiletten anschwirr-
ten. Er fror leise; blickte an seinem weissen
Vorhemd entlang, über das weisser Sonnenschein
floss, und einen Augenblick beunruhigte ihn der
Gedanke, dass sein Blick vielleicht Schatten wer-
fe. Er seufzte, drängte sich tiefer zwischen die
Menschen. Das Schüttern des Eisenbahnzuges
schwang noch in ihm nach, der ihn gestern von
Paris an die See getragen hatte.

Fluchtartig hätte er Paris verlassen, flucht-
artig war er auf seiner Jacht aus der Heimat
über den Ozean gefahren, aus einem hoffnungs-
losen Glück; plötzlich seiner achtundvierzig Jahr
gedenk. In Paris hatte er vier Monate lang die
Schwelgereien der Kunst der glatten Säle, die
bestialischen Tänze ertragen; dann warf ihn eine
schwere Lungenentzündung hin; er lag aufge-
geben wochenlang im Hospital. Als er am Sonn-
tag das Haus verliess mit schwachen Knieen,
schlug er den Kragen seines Loden-Capes hoch,
bestieg eine Droschke, fuhr auf die Bahn. Einen
Tag schlich er gebeugt durch das tote Brügge.
Dann raffte er sich, jagte in der Julihitze nach
Ostende.

Er hob den Blick von dem diinnen Sande,
der unter seinen Füssen wegzog.

Sie glitt zum zweiten Male an ihm vorüber;
rostfarbenes Haar unter breitrandigem weissen
Hut. Ein grauer Blick aus einem klugen nicht
jungen Gesicht wich vor ihm zurück. Sie war
vielleicht Mitte dreissig. Er hörte noch hinter
sich eine hohe gesangvolle Stimme.

Bei dem Klang dieser Stimme wandte sich
Copetta um. In dem Augenblick hörte der
Wind auf mit Messern zu werfen. Sie sprach
mit einer alten Dame, die sie stützte. Der Bra-
silianer schob den Hut in den Nacken; eben als
er über ihre schmalen Schultern blickte, schwarr
zer Ueberwurf auf dunkelblauer Seide, verlor er
sie. Der weisse Hut wippte über der Menschen-
menge, verschwand um eine Ecke.

Copetta schlenderte in ein Cafe, löffelte eine
Schokolade. Das Meer rollte unablässig gegen die
Steindämme; leises Scharren der Sandkörnchen;
der Wind warf mit dünnen Stiletten.

Nachmittags um die Zeit des Kurkonzertes
ging der schwarze Brasilianer in einem langen
grauen Gehrock über die Digue. Leicht und
frech wehte die Musik. Als er mit seinem dicken
gelben Stock vor dem Kurhaus Schritt um Schritt
den Boden stampfte, wich ein grauer Blick wie-
der von ihm zurück. Die alte Dame sprach auf
sie ein. Ihr Gesicht war schmal, die Backen-
knochen traten scharf hervor; die kleinen Augen
unter den dünnen roten Brauen blickten bestimmt
und nüchtern, über der Nasenwurzel hatte sie
Sommersprossen, von den Augenwinkeln zogen
sich schon Fältchen. Ihr Gang schwebte.

Der Brasilianer strich sich über die Augen,
blieb unwillig stehen, schlenderte schon weiter.

Gegen Abend sass er auf der Veranda sei-
nes Hotels. Als er die Weinkarte in die Hand
nahm, fiel ihm ein, dass er heute dreimal eine
Frau gesehen hatte, rostfarbenes Haar unter einem
wippenden Hut; dreimal eine Frau, schwarzer
Ueberwurf auf dunkelblauer Seide; ein grauer
Blick. Still schob er seinen Stuhl zurück, mit
Seufzen, Lächeln, und Versichhinstarren zog er
seine Brieftasche heraus, trug seine breite Visi-
tenkarte in die Villa, in die er sie hatte ver-
schwinden sehen, gab sie einem Mädchen ab.
Als er wieder die Meerluft an seinem Hals fühl-
te, fragte er sich, wozu das eigentlich gewesen
war. Dröhnend schlug er seine Zimmertür hin-
ter sich zu, warf sich im finstern Zimmer auf
einen Schreibsessel, zerriss die Bilder seiner bei-
den Kinder, nahm eine Nagelschere, zog seinen
edelsteinbesetzten Trauring ab, hing ihn über
die Schere, hielt den Ring über die brennende
Kerze. Die Steine verkohlten; die Schere wurde
heiss; er liess sie fallen. Wühlte mit beiden Ar-
men in zwei grossen Eimern mit Meersand, die
er sich auf sein Zimmer hatte bringen lassen,
stand ächzend auf, bestreut den Boden und Tep-
pich blind mit Sand, fluchte leise auf die Hunde,
die Hausdiener, die zu wenig Sand gebracht
hatten. Schlief auf seinem Sessel ein.

Wie er am Mittag eben auf der Veranda,
in einem Stuhle liegend, tief die scharfe Luft
einatmete und schwindlig die Augen schloss,
stand vor ihm das Bild der gehenden Frau, sehr
schmales verwelktes Gesicht, ein klarer bestimm-
ter Blick, der sich fest auf ihn richtete. Sie hatte
ihn bitten lassen, nicht Mittags sie zu besuchen.
Er warf die dünne Decke von seinen Füssen,
stülpte den Hut über das zerwühlte Haar, schritt
schwerfällig, die Arme auf der Brust verschränkt,
die Stufen herunter, tiber die leere sonnige Pro-
menade, auf ihre Villa zu, einem einstöckigen
Haus mit schmalen, geschlossenen Fenstern. Er

schob sich durch einen dunklen Korridor, klopf-
te leise an die Tiir, an der ihr Name auf einer
Visitenkarte stand. Nichts verlautete. Er riss
die Türe auf. Sie lag halb im Bett; hatte, um
herauszuspringen, die blaue Decke nach der
Wand zu geworfen. Zwei volle frauenhafte
Beine berührten mit feinen Zehen eben den Bo-
den, ein sehr schmächtiger strenger Körper rich-
tete sich auf in einfachem, bandlosen Hemd, ein
ernstes schmales Gesicht unter dem aufgelösten
Haar. Erschüttert blieb der schwarze Brasili-
aner an der Türe stehen. Sie lächelte, deckte
sich zu, bat ihn, in einer Viertelstunde wieder-
zukommen. Totenblass, ohne ein Wort zu spre-
chen hob er seinen Stock vom Boden auf. Das
alte Mädchen gab ihm die Hand; er sah in klei-
ne nüchterne Augen. Am Abend kam ein Bote
aus seinem Hotel zu ihr; er lud sie zu einer
Segelfahrt für den nächsten Morgen ein; nicht
einmal seinen Namen hatte er auf der Karte un-
terschrieben. Sie drehte den mächtigen Briefbo-
gen in der Hand hin und her; halb unwillkür-
lich nahm sie einen Bleistift, schrieb auf dasselbe
Blatt, er möchte kommen, er möchte recht früh
kommen; sie machte unter ihren Namensbuch-
staben L. noch einen wunderlichen Schnörkel,
den sie fast eine Minute malte.

Bei grauendem Morgen lief sie ihm vor der
Tür in dünner Bastseide entgegen; sie sprangen
eilig die schmale Steintreppe zu dem murmelnden
Strand herunter; sie warf mit Muscheln nach
ihm zurück und fand, als sie sich nach ihm um-
wandte, dass es in seinen Mienen scharf arbei-
tete Ganz weisseß Leinen trug er; er ging mit
blossem Kopf; die linke Hand trug er im Ge-
lenk verbunden; er sagte, er hätte sich gestern
Abend beim Fall über Glas an der Ader ge-
schnitten. Mit einem Ruck stiess er ein kleines
Ruderboot in das Wasser, hob die Aufschreiende
auf clen Sitz, sprang nach, ruderte gemächlich
auf ein Segelboot zu, das vor der Holzbrücke
am Herrenbad schaukelte. Sie sprangen in den
Segler; Copetta zog schon den Anker; ihre blo-
ssen Arme hielten sich an der Steuerbank fest;
leise klangen die hölzernen Mastringe an, nach
einem Zug blähte sich das Grosssegel; das Boot
ging in See.

Sie fuhren durch die Strandgischt in das
graugrüne Meer hinein. Ueber die scharfe Ho-
rizontlinie kam ein weisser Schein, der sich von
Augenblick zu Augenblick verstärkte und höher
rückte. An dem starken Morgenwinde flogen
sie gleichmässig hin. Nun hockte der Brasili-
aner neben dem Grossbaum auf den Planken,
legte die Takelung fest. Wild lachend richtete er
sich auf, schwang breitbeinig ein dünnes Tau
wie ein Lasso um seinen Kopf und warf es ge-
gen sie; sie schüttelte sich umschnürt, löste sich
mit einem Ruck, schleuderte das Seil geballt mit
einem mädchenhaften Kichern gegen seine Brust.
Rasch hatte sie das Ruder angebunden an sich;
sich über Bord gebückt, überschüttet ihr kaltes
Gesicht mit Meerwasser, warf einen Fuss auf
der Ruderbank, bis über die Aermel triefend,
zwei volle Hände gegen ihn. Er fing das Salz-
wasser schlürfend mit offenem Munde auf, schluckte.
In dem böig aufblasenden Wind liessen sie das
Boot laufen, das anfing wie ein unruhiges Tier
zu zittern. Sie jagten sich über die Planken.
Johlend sprang die Schmächtige auf die Ruder-
bank und schlug mit den Fäusten gegen die Ta-
kelung. Sie riss sich ihre dünne Jacke ab, pfiff
und drehte sich um sich selbst. Ihr Mund mit
den dünnen Lippen öffnete sich oft zu einem
kurzen, kindlichen Lachen. Der breitschultrige
Brasilianer sass zusammengesunken auf dem

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