deren Fläcfre ebensc schwarz wie die Himmei-
fläche ist Diese Verwandlung gieich weißer und
gleich schwarz gedrnckter Flächen kann man an
den Zeichnungen des Aubrey Beardsly und des
Markus Behmer außerordentiich deutlich sehen,
da sie nur mit weißen Umrrß oder weißer Silhou-
ette auf schwarzem Grunde oder mit schwarzem
Kontur oder Fleck auf wetßer Fläche geschaffen
wurden.
Ein machtvoüer Vorstellungserreger mit ein-
fachsten Mitteln ist Albrecht Dürer in seinen Holz-
schnitten. Man vergleiche den Ton zwischen
starken Schattenstrichen, zwischen iockeren in den
Haibschatten, zwischen verstreuten in den Licht-
partien mit dem ieeren Papierrand. Dann wird
man wahrnehmen, daß eine große Zahl verschie-
dener Töne vom Betrachter erzeugt werden, die
zum Teil viel dunkier ais der Papierrand, zum Teil
viel heller erscheinen, geradezu leuchten, wo er
eine sonnenbeschienene Ferne, oder die strahlende
Sonne selbst gibt. Wo er aber an einem mit Kohle
gezeichneten Kopf auch nur ein Halstuch bunt
färbt oder die Färbung eines Gewandes andeutet,
sieht man Gesicht und Hintergrund sich von selbst
mit Farbe iiberziehen. Indem er aiso hier und dort
ein paar Tasten anschlägt, vereinigen sich die Ton-
werte zu Schwingungen, die als Harmonie bei
guten Kunstwerken empfunden oder als Disharmo-
nie wohl berechnet werden. Ein guter Künstler
beherrscht die ganze Fläche und vergißt nie die
Grundakkorde, die er anschlug, sondern verwebt
in ihrem Nachklang alles Einzelne zu einer Gesamt-
stimmung, die er uns planmäßig erzeugen läßt, so
wie ein Dichter oder Musiker durch Buch und
Notenheft uns nötigt, an Wort und Note unser Be-
wußtsein zu kristaliisieren und zu organisieren.
Von Formmerkmal zu Formmerkmal, von Schat-
tenstufe zu Schattenstufe, von Farbenwert zu
Farbenwert in rhythmischer Entwicklung läßt er
uns Vorstellungen selbst schaffen, aus unseren
Fähigkeiten Form, Licht und Bewegung schöpfe-
risch erzeugen.
Hamburg
Von Günther M .rr
Vorspiel
In fernen Ländern hab ich die Schönheit gesucht,
in Einsamkeiten und Wüsten.
Ich hab über Woiken mein Traumreich gesehn,
habe die Erde vergessen.
Ich habe das Heute verflucht
mit seinen grellen Tönen und Lüsteit,
Trüb waren die Augen von der Sucht
nach andern Zeiten, als wüßten
unsre Tage nichts von der Schönheit.
Da hat dein Leben, du herrliche StadL
deijies weichen Nebels Wehn,
dein starkes Lärmen, deine glatte Stille
mein Schauen an sich gerissen.
Da tauschte ich Leben
für furchtsames Träumen.
Holla, das häßlichste Ding ist schön,
wenn es nur rollendes Leben hat.
Sind die Dinge, die heute wir wissen.
Darum nicht schön?
Liebt ihr nur Träume von fremden Küsten? —
Tag, den ich iebe, dir klingt mein Grüßen,
dir und der Schönheit, die du mir zeigst.
Magst du mit all deiner Technik dich rüsten
und hinjagen in toller Flucht,
oder wenn du voll Schönheit schweigst,
stets lieg ich staunend, anbetend dir zu Füßen.
Gib dich mir, du, den ich so lange suchte.
Fortsetzung folgt
Gemütliches
Familie
Ein fünfzigiähriger Rentier ist frühmorgens vom
Schlaganfall getroffen. Der Arzt am Bett des Be-
wußtlosen ersucht die Ehefrau, eine hagere, strenge
Person, die mit der Zeitung auf dem Sofa sitzt
um eine Tasse heißen Kaffee und einen Löffei für
den Kranken . . . Nach reichlich zehn Minuten
kommt sie mit einein zerbrochenen Tassenkopf und
einem alten schwarzen Löffel. Der Arzt erstaunt.
Die Frau zuvorkommend: „Sie können ihm ruhig
daraus zu trinken geben, Herr Doktor. Icli werf
die Sachen nachher doch wcg.“ —
Dieselbe Frau fragt den Arzt, eben von einem
Spaziergang heimkehrend, was sie wohl nehmen
könne, wenn der Tod des Mannes einträte. Sie
könne Aufregungen nicht vertragen; der Hausarzt
habe ihr dringend ans Herz gelegt, ihre Nerven
zu schonen. —
Fiinf Uhr nachmittags. Die Frau prallt an der
Tür zurück, als sie den Arzt wieder am Bett des
Kranken sieht. Sie war eben in Webers Trauer-
magazin. —
Etwas später holt sie sich ihre Zeitung aus
dem Krankenzimmer. Sie drückt dem Arzt, mit
Tränen in den Augen, die Hände. Er wäre wirk-
iich unsäglich bemiiht. Wie sollte sie ihm dafü»
danken. Und er möchte doch nicht vergessen,
den Mann bitte gleich den Ring abzuziehen. —
Der Apoplektiker ist tot. Die Familie, eine uralte
Mutter, die Ehefrau, zwei junge Söhne, sitzt still
in einer Reihe auf Stühlem vor dem Bett; ein
Bild von Hodler zu malen. Die Frau steht auf.
Gott hat es gewollt; was soll man machen Es
wird alles gut gehen; die Papiere sind gut an-
gelegt. Mama weine nicht. —
Unter Verlegern
Ein paar Tage nach meinem Abend im Verein
fiir Kunst bittet mich ein Verlag Neues Leben,
Wilhelm Borngräber, Goltzstraße 7, Tel. Vla,
19 367, um Einsendung meiner Sachen; man will
mit mir „in geschäftliche Verbindung“ treten. Ich,
verbliifft iiber die Fhre, geschäftlich ernst genom-
men zu werden, trete ein. Mündlich orientiert
mich in dern Verlag ein Herr, daß er sofort Suder-
manns Bedeutung erkannt habe, aber daß seine
Novellen nicht gehen. Ich bin erschlagen über
mein Peeh als Novellenschreiber. Unter dem
sechsten Januar 1912 erhalte ich, geschäftlich ernst
genotnniener Skribifax, einen Brief von Wilhehn
Borngräber, Verlag Neues Leben, Berlin W. 30,
Goitzstraße 7, Tel. Vla 19 367, (altes Amt!) Karls-
bad 23, Bankkonto Deutsche Bank Kasse P. Post-
scheckkonto 7491, Maschine Z, Diktat LE. Zweig-
häuser des Verlags Rom 307 Corso umberto 1,
Leipzig,. Königstraße 35—37; bekomme ich — sage
ich — vön einer derartig ungeheuren Apparatur
einen richtiggehenden Brief.
Herrn Dr. Döblm,
Berlin.
Sehr geehrter Herr Doktor! Ich habe Ihre
Arbeiten mit großem Interesse gelesen und will
ich nicht leugnen, daß die Eigenart Ihrer Dar-
stellung sehr viel Reizvolles enthält. Wenn ich
trotzdem zunächst von der Uebernahme des Ver-
lages Ihrer eingesandten Manuskripte noch ah-
sehen möchte, so hat das hauptsächlich darin
seinen Grund, daß die behandelten Themata nur
für einen ganz kleinen Kreis von Lesern bestimmt
smd. Sollten Sie inzwischen mal wieder zur Feder
greifen um einen allgemein populären Stoff zu be-
handeln, so sind wir gern mit Vergnügen bereit
mit Ihnen in Verbindung zu trten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Wilhelm Borngräber
Verlag Neues Leben.
Die Elgenart dieser Darstellung enthält sehr
vid ReizvoIIes. Ich, habe den Brief mit großem
Interesse getesen. Wenn ich ihn jetzt veröffent-
liche, so hat das hauptsächUch darin seinen Grund,
daß die behandelten Themata für einen großen
Kreis von Lesern bestimmt sind. Ich frene mich
und will ich nicht leugnen, daß ich mit Vergnügen
mal wieder zur Feder greife um das Neue Leben,
diesen allgemein populären Stoff, zu behandeln.
Ich sehe aus dem Brief, daß Neues Leben eher
aus den Ruinen als aus der deutschen Spracbe
blüht. Es ist wirklich um Sudermamn zu ent-
decken. Warum spricht das Neue Leben dauernd
m Interversionen zu mir? Warum, wenn es an
mich schreibt, schreibt es „mal wieder“ und nicht
„einmal wieder“, warum behandelt man mich s«
kurzerhand mit der Schreibmaschine, Maschine 2.
Wer ist iiberhaupt der Diktator LE? Ich fragts
ihn — es handelt sich um ernste Dinge der
Kunst —: wer hat das e in „trten“ ausgelassen,
er oder die Stenotypistin? Ich lasse es auf einen
Prozeß ankomnien, ich lasse mich nicht in emem
Brief so schofel mit Inversion und Auslassungen
behandeln. Meine Novellen habe ich bis jetzt noch
nicht zurück; aber ich will nur dies eine: in
richtigem Deutsch von den Verlegern mißhandelt
zu werden. —
Alfred Döhlln
Eplgrammatisches oder Verdrehte VoJksstlmmen
Wie man’s macht, ist's richtig. —
Man hat’s nicht schwer. —
Uebermut tut immer gut. —
Man kann sich iiber die Gesundheit der
Menschen krank ärgern. —
O lieb so dick du lieben kannst. —
O lieg so lang du liegen kannst. —
Wenn Menschen auseinandergähnen,
Dann sagen sie: „Auf Wiedersehen“.
Oelegenheit macht Liebe. —
Mhrimax
Briefe naeh Norwegen
Von Else Lasker-Schüler
Ich schrieb:
Heute Mittag aß ich die Erstgeburt, zwar
nicht Linsen, aber dicke Erbsen- Es schwant-
men Bröckchen darin und die Ueberreste eines
Schweinsohrs. Ich bin aufgebläht, aber Ihr
Antlitz, Cajus, hat Monderweiterung bekommen.
Wie dürfen Sie Sich erlauben, uns, vor allen Din-
gen mich, in Ihrem Vortrag mit Idioten anzureden;
zumai Sie genau wissen, ich bin Idiot. Aber
erinnern branchen Sie mich nicht daran, das ist
unzart, das ist direkt ordinär von Ihnen. lch
komme nicht mehr ins Gnu, ich hab gnug.
Herwarth, gestern ist mein Onkel, der süd-
deutsche Minister, sofort mit mir ins russische
Ballet gefahren. Hinter uns saßen strahlende Pe-
tersburgerinnen, zwischen ihnen Herr Barchan, der
Hexenmeister. Einige Male hat er bei uns in der
Wohnung frische Fische gezaubert und nach-
her verschlungen, Iebendig; er hat Dich auch
einmal verschwinden lassen wollen, Herwarth,
weißt Du’s noch? Ich meine, Dich verleugnet;
aber sein Aermel war nicht weit genug.
Ich schreibe nun schon drei Monate oder
noch länger norwegische Briefe. Verreist Ihr
beide nicht wieder bald? Vielleicht regt mich
eine zweite Reise auch so an, wie Eure Nordpol-
fahrt. Ich habe zwar verlernt, mit Sonne zu
schreiben; meine Vorfahrengeschichten verlangen
Morgenland. Auch dem historischen Stil habe ich
758
fläche ist Diese Verwandlung gieich weißer und
gleich schwarz gedrnckter Flächen kann man an
den Zeichnungen des Aubrey Beardsly und des
Markus Behmer außerordentiich deutlich sehen,
da sie nur mit weißen Umrrß oder weißer Silhou-
ette auf schwarzem Grunde oder mit schwarzem
Kontur oder Fleck auf wetßer Fläche geschaffen
wurden.
Ein machtvoüer Vorstellungserreger mit ein-
fachsten Mitteln ist Albrecht Dürer in seinen Holz-
schnitten. Man vergleiche den Ton zwischen
starken Schattenstrichen, zwischen iockeren in den
Haibschatten, zwischen verstreuten in den Licht-
partien mit dem ieeren Papierrand. Dann wird
man wahrnehmen, daß eine große Zahl verschie-
dener Töne vom Betrachter erzeugt werden, die
zum Teil viel dunkier ais der Papierrand, zum Teil
viel heller erscheinen, geradezu leuchten, wo er
eine sonnenbeschienene Ferne, oder die strahlende
Sonne selbst gibt. Wo er aber an einem mit Kohle
gezeichneten Kopf auch nur ein Halstuch bunt
färbt oder die Färbung eines Gewandes andeutet,
sieht man Gesicht und Hintergrund sich von selbst
mit Farbe iiberziehen. Indem er aiso hier und dort
ein paar Tasten anschlägt, vereinigen sich die Ton-
werte zu Schwingungen, die als Harmonie bei
guten Kunstwerken empfunden oder als Disharmo-
nie wohl berechnet werden. Ein guter Künstler
beherrscht die ganze Fläche und vergißt nie die
Grundakkorde, die er anschlug, sondern verwebt
in ihrem Nachklang alles Einzelne zu einer Gesamt-
stimmung, die er uns planmäßig erzeugen läßt, so
wie ein Dichter oder Musiker durch Buch und
Notenheft uns nötigt, an Wort und Note unser Be-
wußtsein zu kristaliisieren und zu organisieren.
Von Formmerkmal zu Formmerkmal, von Schat-
tenstufe zu Schattenstufe, von Farbenwert zu
Farbenwert in rhythmischer Entwicklung läßt er
uns Vorstellungen selbst schaffen, aus unseren
Fähigkeiten Form, Licht und Bewegung schöpfe-
risch erzeugen.
Hamburg
Von Günther M .rr
Vorspiel
In fernen Ländern hab ich die Schönheit gesucht,
in Einsamkeiten und Wüsten.
Ich hab über Woiken mein Traumreich gesehn,
habe die Erde vergessen.
Ich habe das Heute verflucht
mit seinen grellen Tönen und Lüsteit,
Trüb waren die Augen von der Sucht
nach andern Zeiten, als wüßten
unsre Tage nichts von der Schönheit.
Da hat dein Leben, du herrliche StadL
deijies weichen Nebels Wehn,
dein starkes Lärmen, deine glatte Stille
mein Schauen an sich gerissen.
Da tauschte ich Leben
für furchtsames Träumen.
Holla, das häßlichste Ding ist schön,
wenn es nur rollendes Leben hat.
Sind die Dinge, die heute wir wissen.
Darum nicht schön?
Liebt ihr nur Träume von fremden Küsten? —
Tag, den ich iebe, dir klingt mein Grüßen,
dir und der Schönheit, die du mir zeigst.
Magst du mit all deiner Technik dich rüsten
und hinjagen in toller Flucht,
oder wenn du voll Schönheit schweigst,
stets lieg ich staunend, anbetend dir zu Füßen.
Gib dich mir, du, den ich so lange suchte.
Fortsetzung folgt
Gemütliches
Familie
Ein fünfzigiähriger Rentier ist frühmorgens vom
Schlaganfall getroffen. Der Arzt am Bett des Be-
wußtlosen ersucht die Ehefrau, eine hagere, strenge
Person, die mit der Zeitung auf dem Sofa sitzt
um eine Tasse heißen Kaffee und einen Löffei für
den Kranken . . . Nach reichlich zehn Minuten
kommt sie mit einein zerbrochenen Tassenkopf und
einem alten schwarzen Löffel. Der Arzt erstaunt.
Die Frau zuvorkommend: „Sie können ihm ruhig
daraus zu trinken geben, Herr Doktor. Icli werf
die Sachen nachher doch wcg.“ —
Dieselbe Frau fragt den Arzt, eben von einem
Spaziergang heimkehrend, was sie wohl nehmen
könne, wenn der Tod des Mannes einträte. Sie
könne Aufregungen nicht vertragen; der Hausarzt
habe ihr dringend ans Herz gelegt, ihre Nerven
zu schonen. —
Fiinf Uhr nachmittags. Die Frau prallt an der
Tür zurück, als sie den Arzt wieder am Bett des
Kranken sieht. Sie war eben in Webers Trauer-
magazin. —
Etwas später holt sie sich ihre Zeitung aus
dem Krankenzimmer. Sie drückt dem Arzt, mit
Tränen in den Augen, die Hände. Er wäre wirk-
iich unsäglich bemiiht. Wie sollte sie ihm dafü»
danken. Und er möchte doch nicht vergessen,
den Mann bitte gleich den Ring abzuziehen. —
Der Apoplektiker ist tot. Die Familie, eine uralte
Mutter, die Ehefrau, zwei junge Söhne, sitzt still
in einer Reihe auf Stühlem vor dem Bett; ein
Bild von Hodler zu malen. Die Frau steht auf.
Gott hat es gewollt; was soll man machen Es
wird alles gut gehen; die Papiere sind gut an-
gelegt. Mama weine nicht. —
Unter Verlegern
Ein paar Tage nach meinem Abend im Verein
fiir Kunst bittet mich ein Verlag Neues Leben,
Wilhelm Borngräber, Goltzstraße 7, Tel. Vla,
19 367, um Einsendung meiner Sachen; man will
mit mir „in geschäftliche Verbindung“ treten. Ich,
verbliifft iiber die Fhre, geschäftlich ernst genom-
men zu werden, trete ein. Mündlich orientiert
mich in dern Verlag ein Herr, daß er sofort Suder-
manns Bedeutung erkannt habe, aber daß seine
Novellen nicht gehen. Ich bin erschlagen über
mein Peeh als Novellenschreiber. Unter dem
sechsten Januar 1912 erhalte ich, geschäftlich ernst
genotnniener Skribifax, einen Brief von Wilhehn
Borngräber, Verlag Neues Leben, Berlin W. 30,
Goitzstraße 7, Tel. Vla 19 367, (altes Amt!) Karls-
bad 23, Bankkonto Deutsche Bank Kasse P. Post-
scheckkonto 7491, Maschine Z, Diktat LE. Zweig-
häuser des Verlags Rom 307 Corso umberto 1,
Leipzig,. Königstraße 35—37; bekomme ich — sage
ich — vön einer derartig ungeheuren Apparatur
einen richtiggehenden Brief.
Herrn Dr. Döblm,
Berlin.
Sehr geehrter Herr Doktor! Ich habe Ihre
Arbeiten mit großem Interesse gelesen und will
ich nicht leugnen, daß die Eigenart Ihrer Dar-
stellung sehr viel Reizvolles enthält. Wenn ich
trotzdem zunächst von der Uebernahme des Ver-
lages Ihrer eingesandten Manuskripte noch ah-
sehen möchte, so hat das hauptsächlich darin
seinen Grund, daß die behandelten Themata nur
für einen ganz kleinen Kreis von Lesern bestimmt
smd. Sollten Sie inzwischen mal wieder zur Feder
greifen um einen allgemein populären Stoff zu be-
handeln, so sind wir gern mit Vergnügen bereit
mit Ihnen in Verbindung zu trten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Wilhelm Borngräber
Verlag Neues Leben.
Die Elgenart dieser Darstellung enthält sehr
vid ReizvoIIes. Ich, habe den Brief mit großem
Interesse getesen. Wenn ich ihn jetzt veröffent-
liche, so hat das hauptsächUch darin seinen Grund,
daß die behandelten Themata für einen großen
Kreis von Lesern bestimmt sind. Ich frene mich
und will ich nicht leugnen, daß ich mit Vergnügen
mal wieder zur Feder greife um das Neue Leben,
diesen allgemein populären Stoff, zu behandeln.
Ich sehe aus dem Brief, daß Neues Leben eher
aus den Ruinen als aus der deutschen Spracbe
blüht. Es ist wirklich um Sudermamn zu ent-
decken. Warum spricht das Neue Leben dauernd
m Interversionen zu mir? Warum, wenn es an
mich schreibt, schreibt es „mal wieder“ und nicht
„einmal wieder“, warum behandelt man mich s«
kurzerhand mit der Schreibmaschine, Maschine 2.
Wer ist iiberhaupt der Diktator LE? Ich fragts
ihn — es handelt sich um ernste Dinge der
Kunst —: wer hat das e in „trten“ ausgelassen,
er oder die Stenotypistin? Ich lasse es auf einen
Prozeß ankomnien, ich lasse mich nicht in emem
Brief so schofel mit Inversion und Auslassungen
behandeln. Meine Novellen habe ich bis jetzt noch
nicht zurück; aber ich will nur dies eine: in
richtigem Deutsch von den Verlegern mißhandelt
zu werden. —
Alfred Döhlln
Eplgrammatisches oder Verdrehte VoJksstlmmen
Wie man’s macht, ist's richtig. —
Man hat’s nicht schwer. —
Uebermut tut immer gut. —
Man kann sich iiber die Gesundheit der
Menschen krank ärgern. —
O lieb so dick du lieben kannst. —
O lieg so lang du liegen kannst. —
Wenn Menschen auseinandergähnen,
Dann sagen sie: „Auf Wiedersehen“.
Oelegenheit macht Liebe. —
Mhrimax
Briefe naeh Norwegen
Von Else Lasker-Schüler
Ich schrieb:
Heute Mittag aß ich die Erstgeburt, zwar
nicht Linsen, aber dicke Erbsen- Es schwant-
men Bröckchen darin und die Ueberreste eines
Schweinsohrs. Ich bin aufgebläht, aber Ihr
Antlitz, Cajus, hat Monderweiterung bekommen.
Wie dürfen Sie Sich erlauben, uns, vor allen Din-
gen mich, in Ihrem Vortrag mit Idioten anzureden;
zumai Sie genau wissen, ich bin Idiot. Aber
erinnern branchen Sie mich nicht daran, das ist
unzart, das ist direkt ordinär von Ihnen. lch
komme nicht mehr ins Gnu, ich hab gnug.
Herwarth, gestern ist mein Onkel, der süd-
deutsche Minister, sofort mit mir ins russische
Ballet gefahren. Hinter uns saßen strahlende Pe-
tersburgerinnen, zwischen ihnen Herr Barchan, der
Hexenmeister. Einige Male hat er bei uns in der
Wohnung frische Fische gezaubert und nach-
her verschlungen, Iebendig; er hat Dich auch
einmal verschwinden lassen wollen, Herwarth,
weißt Du’s noch? Ich meine, Dich verleugnet;
aber sein Aermel war nicht weit genug.
Ich schreibe nun schon drei Monate oder
noch länger norwegische Briefe. Verreist Ihr
beide nicht wieder bald? Vielleicht regt mich
eine zweite Reise auch so an, wie Eure Nordpol-
fahrt. Ich habe zwar verlernt, mit Sonne zu
schreiben; meine Vorfahrengeschichten verlangen
Morgenland. Auch dem historischen Stil habe ich
758