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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 98 (Februar 1912)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0340

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Briefe naeh Norwegen

Von Else Leskrer-Schüler



Liebe Beide. Als ich heute Morgen aufstand,
kroch eine kleine Sonne auf meinen Fuß und
spielte mit ihm wie eine bunte Eidechse Ringel-
rangel. Ich bin sehr glücklich heute, mein Zim-
mer ist siiß, die kalte Luft, die durchs Fenster
dringt, scbmeckt siiß und mein Schrank enthält
Iauter süße Feierkleider: ein goldenes, ein palmen-
farbenes und ein Kleid aus Kristallseide, es klingt,
Und meine Kriegsgewänder sind friedlich, die
v eite schwarzseidene Hose schmücken süße Per-
lcnborden und aus den Muscheln meines Gürtels
begegnen sich Schnecken und strecken ihre klei-
nen Korallenhörnchen entgegen: Allah machäh —
Es sind alles Muscheln, die ich am Strand des
Nils auflas. Und in der Kriegstasche aus wilden
Schalen harter Friichte, finde ich verzuckerte
Rosen, die süß zu essen sind. Ich bin verliebt. —

Herwarth, Kurtchen, er sagt, er hätte breite
Hände. Ich finde seine Hände wundervoll und
rührend, kleine Kinderhände, aber durch die Lupe
gesehn, als ob sie durchaus groß sein wollten. Ich
spiele den ganzen Tag mit seinen Händen; jedem
Finger habe ich einen Ring aufgesetzt, jeder
trägt einen anderen, seltenen Stein. Der an sei-
nem kleinen Finger erzählt die Geschichte rneines
Urgroßvaters, des Scheiks, des obersten Priesters
alier Moscheen. Am Goldfinger sitzt ihm die Sage
des Fakirs, des Bruders der Gemahlin des Emirs
von Afghanistan, der war der Vetter meiner Mut-
ter, Am Daumen droht ihm der blutigste Krieg,
ein rissiger, tiefer Stein mit dem Bilde Konstantins
des Kreuzritters, dem ich den Kopf abschlug in
der Schlacht bei Jerusalem. „Er“ ist selbst ein
Kreuzritter, ich befinde mich in verliebter Ver-
zweiflung.

Wollt Ihr mir beide telegraphisch mitteilen, ob
es stillos ist, daß ich mich in einen Ritter verliebt
babe? Tino von Bagdad.

Statt mir telegraphisch zu antworten, fragt
Ibr mich, wer „er“ ist. Aber ich hab schon
einmal betont, ich sag nichts genaueres mehr. Er
ist groß und schlank und wenn seine Augen sich
glücklich auftun, blühen sie wie ein Kornblumen-
feld. Ich habe ihm gesagt, jedes Ma! wenn er
seine Augen lächelnd öffnet, schenke ich ihm einen
Palast, oder einen goldenen Palmenbaum, oder
eine Hand voll schwarzer Pcrlen oder g a n z
Asien. Ich muß Euch noch etwas merkwürdiges
erzählen: er bat mich, er drängte mich, nicht
mehr ins Cafe zu gehen. Es war mir so zärtlich
zu gehorchen, ich ging am selben Abend nicht
mehr ins Cafe. Am anderen Abend war ich wie-
der dort; er war sehr traurig, als er da sagte,
er hätte eine Schlacht verloren. Mich beküm-
merts, er sollte alle Schlachten gewinnen, und
wenn ich ihm helfen sollte, mir den Kopf abzu-
schlagen. Oder meint Ihr, ich ginge auch ohne
Kopf ins Cafe? Nur mit dem Rumpf, dumpf
stumpf in den objektiven Sumpf! 0, wie pathe-
tisch, nicht? Aber, es gibt ia nichts objektiveres,
wie das Cafe, nachdem man in seiner Literatur
am Schreibtisch zu Haus die Hauptrolle gespielt
hat. Entzückend, sich abzuschütteln, seine inten-
siveste Last. Sagt, Ihr beide, kann mir das Cafe
schaden oder nicht schaden? Herwarth, Du be-
hauptest ja immer, ich bin ein Genie, das ist
Deine Privatsache. Soll ich mich nun von ihm
trennen und ins Cafe zurückkehren oder soll ich
bei ihm bleiben? „Kehre zurück, alles vergeben!“
Pfui! . . . Er hat das schönste Profil, das ich je ge-
sehen habe, wem soll ich es anvertrauen — Dir,
Herwarth: Er ist der Konradin, den ich tötete in
Jerusalem, den ich haßte in Jerusalem und alle
seine Kreuzchristen in Jerusalem. Wem soll ich
es anvertrauen wie Dir, Herwarth; die andern

sind ja alle Philister. Wir sind ganz lila, wenn
wir uns lieben, wir sind Gladiolen, wenn wir uns
küssen, er geleitet mich in die Himmel Asiens.
Wir sind keine Menschen mehr. Du erzählst mir
nie etwas, Herwarth, oder laß ich dich nioht zu
Worte kommen, oder hast du noch immer nicht
vergessen, daß wir verheiratet sind?

Ich habe nun nur ihn. Aber ich bin so be-
gierig, wie es meiner Bleibe und meiner Sterbe
geht, dem Cafe des Westens? Es ist genau so,
als ob ich einen Ohrring verloren hab, ich beginne,
mich nicht mehr zu fühlen, Ein Säufer muß in
seine Kneipe, ein Spieler in seine Hölle, nur ich bin
abnorm. Aber er meint es ja gut, er sagt, die
Leute verstehen mich nicht. Aber das Cafe ist
das einzige Geheimnis zwischen uns; (selbst Dich
kennt er, Herwarth,) das Cafe liegt wie eine Küste
zwischen uns. Gibt es nun einen Ort auf dem so
eine Bazarbuntheit ist, wie in unserem Cafe? Und
eine nettere, liebenswürdigere Circe wie unsere
Frau Wirtin? Euer Odysseus

Lieber Herwarth, Kurt, wißt Ihr das Neueste?
Cajus-Majus ist verschollen, er darf nicht mehr
ins Cafe kommen, er soll sich das Leben genom-
men haben, teilweise wenigstens. Ich habe es
selbst gehört im Cafe, ich war verkleidet als Poet,
nur der Kokoschkasammler, Herr Staub, erkaraite
mich, er ist ein Eigener; es war gestern am ersten
Februarlenztag, der Schnee lag bescheiden auf dem
Hag . . . Ich bin PoetinU Aber lauter Leute
kamen ins Cafe mit lauter seltsamen Tiergesich-
tern, ich wollte, ich hätt manchmal so eins zum
Bangemachen. Ich hätte gern mit dem Kokoschka-
sammler gesprochen; einmai lachte er auch, aber
ich wollte, ich hätte zum Teufel wenn ich
wüßte, was ich wollte.

des Mondes oder es einsinkt — o, der AugenWick,
wenn meine Stadt Theben—Bagdad einsinkt.
Sieh Dir die Bilder an, Herwarth, wie klar aMe
Dinge und Undinge des Herzens gezeichnet sind.
Sollte man nicht an die Wirklichkeit glauben, ist
die zu verwerfen? Ist dieser kleine Abschnitt der
Herzstimmungen meiner medizinischen Dichtung
wertlos?

Leb wohi, icii w.ill noch au deri Dalai-Lama
schreiben.

lch werde so lange an das rote Tor
Ihrer Fackel riitteln, bis Sie mir öffnen. Ich
habe ein neues üedicht, ein neues Gedicht habe
ich gedichtet. Ich habe es mir in den Kopf gesetzt,
es muß in Ihre Fackel herein, es hilft mir kein
Himmel, es muß in Ihrer Zeitschrift gedruckt wer-
den. Ob Sie die jetzt alleine schreiben oder nicht,
ich lasse mich darauf nicht ein. — es muß sein.
Ihre Fackel ist mein roter Garten, Ihre Fackel
trug ich als Rose über meinem Herzen, Ihre
Fackel ist meine rosenrote Aussicht, mein rotef
Broterwerb. Sie haben nicht das Recht. allein die
Fackc! 7,u schreiben. wie sol! ich mich weiter rot
ernäiircn?




i 1

Herwarth, ich muß viel denken, ich hab auch
wieder viel Angst. Und mein Herz spür ich
immer so komisch, ich kann nachts nicht schlafen
und träume mit offenen Augen Wirklichkeiten. Es
gibt einen Menschen in Berlin, der hat dasselbe
Herz, wie ich eins habe, dein Freund der Doktor.
Sein Herz ist kariert: gelb und orangefarben mit
grünen Punkten. Gallienhumor! Und manchmal
ist es schwermütig, dann spiegelt sich der Kirch-
hof in seinem Puls. Das muß man erleben! Aber
meins ist manchmal doppelt vergrößert, oder es
ist purpurblau. Wenn er wenigstens Schwärmerei
des Herzens kennen würde; aber die Unruhe fühlt
er manchmal. Ich erlebe alle Arten des Herzens
nur den Bürger nicht. O, die Herzangst, wenn das
Herz versinkt in einen Wassertrichter oder zwi-
schen Erde und Himmel schwebt in den Zähnen

Ich habe bald mchts mehr zu sagen, Her-
warth und Kurt. Uebrigens seid Ihr ja so lange
wieder in Berlin schon, und meine norwegischen
Briefe neigen sich dem Ende zu. Ich habe bald
überhaupt nichts mehr zu sagen, dünkt mich; wer
wird ferner meine Gedichte sprechen? Nur der
Prinz Antoni von Polen kann sie sprechen, seine
Mondscheinstimme ist durchsichtig und alle Oe-
sichte, die horchen, werden sich in meinen Gedich-
ten spiegeln. Ich kann bald nicht mehr Ieben
unter den Menschen, ich langweile mich so über-
aus, über alle hinaus und hin, ich seh kein Ende
mehr und weiß nicht wo es aufhört sich zu Iang-
weilen und traurig zu sein. Er, der Prinz, spricht
meine Gedichte, daß sie über alle Wege scheinen,
immer allen Gestalten, die da wandeln, ins Blaue
oder ins Ungewisse voraus.
 
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