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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 78 (September 1911)
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Döblin, Alfred: Der Dritte, [2]
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0178

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schicken. Er beobachtete, dass diese Erklärung
allseitig beifälliges Erstaunen hervorrief und dass
man ihm dankbar die Hände küsste.

Am vierundzwanzigsten dekretierte er schrift-
lich, dass man ihn sorgfältig sezieren möchte.
Am fünfundzwanzigs-ten morgens trennte er sich
von seiner schönen Frau in unbändiger Freu-
de; der ernste kahlköpfige Arzt tanzte im Frack
um sie herum, küsste sie und fancl kein Ende
mit ihr zu lachen. Gegen zehn Uhr setzte er
sich in das Automobil, gab die Telegramine auf,
fuhr nach dem Charlespark, liess den Wagen am
Eingang des Parkes warten, nachdem er einen
Zettel hinterlassen hatte mit der Nachricht seines
um halb elf stattfindenden Todes. Mitten im Ge-
büsch stehend bemerkte er, dass er in seiner
Freude den Revolver zu Hause gelassen hatte
und hängte sich daher nicht ohne Schwierigkeit
an seinem Schlips auf.

Die Autopsie des Verstorbenen war völlig
ergebnislos.

Am Abend der am sechsundzwanzigsten
vorgenommenen Leichenschau besuchte Herr
Wheatstren die Wittwe, teilte ihr mit, dass
er, wie sie wisse, ein Freund des Verblichenen
sei. Er wolle keine grossen Reden führen, son-
dern ihr nur mitteilen, dass er einige glückliche
Stunden mit ihr z!u verleben gedenke. Er bitte
sie, das Gedächtnis des Verblichenen zu ehren,
denn nur in Rücksicht auf ihr gemeinsames
Glück habe er sich am fünfundzwanzigsten an
seinem Schlips aufgehängt. Die gebrochene blon-
de Frau vergoss reichlich Tränen, sagte sie er-
kenne Dr. Converdon darani; er sei immer so
giitig gegen sie gewesen. Es käme ihr zwar al-
les so rasch, aber das Leben sei wohl so. Sie
fuhr mit ihm in dem Automobil in seine Land-
villa und verlebte ihrerseits mit ihm glückliche
Stunden. Er seinerseits fühlte sich bald abgesto-
ssen durch die Routine der sanften blauäugigen
Dame in den Vergnügungen des Genusses; er
hatte gehofft, ihr selbst diese beizubringen. So
übernahm er dann nach einer Woche die Ver-
waltung ihres Vermögens, fluchte aui die Heim-
tücke des Dr. Converdon und fragte sie nach
ihrer Herkunft. Als der Parterregymnastiker er-
fuhr, dass sie zuerst als Sekretärin bei Dr. Con-
verdon beschäftigt war, bemerkte er, dass er
keine Sekretärin brauche, — er wisse als Akro-
bat wenigstens nicht, wozu. — Er werde ihr
Vermögen weiter gewissenhaft verwalten, ihr ei-
nen ausreichenden Zinsgemäss gewähren, aber
eie scheine ihrer ganzen Anlage nach nicht für
einen einzelnen Mann, wie ihn, geschaffen, auch
wiesen die bezeigten Talente darauf hin. Und so
empfahl er ihr dringend, ihre Begabung zu ver-
werten; auch das grösste Kapital würde schliess-
lich aufgezehrt. Sie verschloss sich seiner Dar-
legungen nicht. Und Herr Wheatstren führte die
junge blonde Dame, die er auch heiratete, bald
aus, auf die Rennplätze, in die Theater; behan-
delte sie roh und mit Berechnung. Sie aber
pries ihn auf Schritt und Tritt, weil er ihr das
Höchste bot was es auf Erden gäbe, nämüch
erhebliche Abwechslung.

Briefe nach N orwegen

Von Else Lasker-Schüler

Liebe Jungens

Rat nur, die beiden waren gar nicht mehr
da, als ich um zwölf Uhr lebendig ins Cafe
kam, aber Dein Freund der Doktor sass und

sang für sich, manchmal so laut, er vergass schier
den Ort. Seine Stimme ist mythenhaft, olym-
pisch, auch Krater raucht darin und dröhnen
kann sie wie Zeuswort. Dass wir beide uns
böse sind, ist direkt unkünstlerisch.

Wisst Inr, wer heute in aller Früh ange-
klingelt hat — Fridolin Guhlke. Er habe sich
verliebt, er habe seine erste Liebe getroffen; da-
mals sei sie dreizehn gewesen vor drei Jahren.
Und er zeche nicht mehr, seine Flamme trüge
einen Heiligenschein um den Kopf. Auch ins
Cafe käme er nicht mehr, ich sollt ihm dieselbe
Askese versprechen. Heimlich halten wir alle
das Cafe für den Teufel, aber ohne den Teufel
ist doch nun mal nichts. lch bin neugierig,
wie lange der Guhlke es ohne Teufel aushält.
Manchmal gehts ja dort auch etwas zu heiss
her, wenn einen so eine aufgetakelte Plebejerin
anranzt, man soll ihr aus dem Weg gehn, ihr
Vollmond könnt nicht vorbei mit dem Spitzen-
überwurf. Ich wollt ihr eine Backpfeife geben,
als sie auch schon oben aus dem Billardraum
ihren Mann holte, der in Begleitung von gali-
zischen Saduzäern und Chaldäern sich mir nä-
herte. Aber ich verhielt mich stumm; hasse es,
mich mit lauten schreienden Weibern einzu-
lassen. Nach einiger Zeit, kamen dann zwei
Polizisten, mich zu vernehmen. Aber Richard
versteckte mich zwischen den Zeitungen, das
bleibt jetzt mein Fach. Dann kam unser
Direktor W., er hätte gerne die Scene gesehn.
Ich entschädigte ihn. Er kannte wirklich
noch nicht die Schauspieler im egyptischen
Lunapark. Gerade trabte das Dromedar am
grossen Fenster des Cafes vorbei, es kam
vom Tierarzt, es leidet an seinen Mägen. Ich
sehne mich nach Hassan, er war es nicht, der
Hochzeit hatte. Was mir noch einfällt, Kurt-
chen, Herwarth hat seine Taschentücher ver-
gessen, leihe ihm von Deinen. Du kriegst sie
gewaschen zurück. Es ist vier Uhr, es ist
noch ganz hell. Direktor W. fährt in einem
Wagen unserer kleinen Karawane voraus.

Lieber Herwarth und liebes Kurtchen, bleibt
noch so lange wie es Euch gefällt, ich freue
mich ja so, dass Ihr Euch schon erholt habt,
auch über Eure schönen, interessanten Ansichts-
postkarten. Wie vornehm ist Ibsens Grabmal
gehalten, eine Säule in der Sprache der Hiero-
glyphen, eine nordische Pyramide. Gestern zeig-
te mir der Erzbischof auch mein Denkmal. Der
indische Turm des Lunaparks müsste einmal
auf meinem Leibe stehn. Es überkam mich ein
Grauen, aber zu gleicher Zeit senkte ich erha-
ben den Kopf vor der mir angetanenen Ehre.
Der Bischof ist der Gärtner des Worts, er spricht
mit einer gleichmässigen Ruhe, die mir wohltut.
Er behauptet zwar, er spräche nur mit mir so
gleichmässig und vorsichtig, und ich weiss nicht,
ob er mich für eine zarte Pflanzenart oder für
einen Tiger hält. Als wir am Abend den Sla-
wen begegneten, ging er an uns vorbei; erspielt
altmodisch den Erhabenen, er ist eben ältlich
im jugendlichen Alter. Wenn man ältlich ist,
kann man keine Jahreszeit des Herzens erleben,
selbst den Winter nicht, ebenso wie der kindi-
sche nichts vom Frühling weiss. O, und alles
bedeutet der Wandel im Menschen; der Bischof
und ich, wir spielen augenblicklich Lenz. Peter
Baum giebt mir auch vollständig recht, er sei
nur zu faul zum Wandel. Er lässt Euch grü-
ssen, sein Roman aus der Rokokozeit sei fast
fertig, vor einem halben Jahr war er beinah
fertig. Lebt wohl, liebe Kameraden.

Cajus-Majus, der Cäsar, setzte sich geheim-
nisvoll an meinen Tisch, als sich Peter Baum
für einen Augenblick entfernte, Cajus möchte
mich etwas fragen. Ich möchte Sie etwas fra-
gen, Else Lasker-Schüler, passen Sie mal auf!
Es handelt sich um meine literarische, wie um
meine materielle Zukunft. Würde es mir Herr
Walden übel nehmen, falls ich bei Capuletti in
Florenz in den Verlag einträte? Kraus ist ja
erhaben über dergleichen, aber Walden hat zur
Zeit Herrn D. schon einmal bei einer solchen
Gelegenheit die Alternative gestellt. Ich habe ihm
geantwortet, Herwarth, dass er meine Stellung
zu Dir überschätze. Ich wäre noch nicht mal
als Laufbursche unten im Bureau angestellt,
ich bewürbe mich aber um den Sekretariatspo-
sten und würde seine Angelegenheit zur Sprache
bringen. Bin ich nun so dumm? Offen gestan-
den, ich mag Cajus-Majus schrecklich gern lei-
den, er ist ein drolliger, erwachsener Pausbak-
kenengel, ein frommgewordener Bacchant im
Bacchantenzug; sein Humor hat sich frisch er-
halten, aber statt der Trauben trägt er einen
weissen Kragen um den Hals. Was sich doch
die Menschen verändern, was die Literatur aus
einem Menschen macht. Aber allen Emstes,
Herwarth, wirst Du es ihm übel nehmen? Eins
will ich Dir sagen, druckst Du nichts mehr von
ihm, schreib ich nicht eine Bohne mehr. Die
einzigen Sachen, die mir Vergnügen machen,
sind Cajus-Majus Sachen. Als Peter Baum
wieder an unseren Tisch trat, kamen durch
die Cafehaustüre die Signorina Marie und

die Margret. Ich sagte, die Margret sieht heu-
te aus wie ein Gliihwürmchen, und Peter Baum
schnappte danacn. Aber Cajus-Majus schwamm
weiter durch die literarische Seligkeit wie ein
Wallfisch. Aus seinem Kopf floss über Kreuz
ein Springbrunn. Wir gingen zeitig nach Haus,
Herwarth, auf Ehrenwort! Wieder ist ein Brief
vom Dalai Lama aus Wien gekommen, ich habe
iha zu den anderen Briefen und Karten und
Drucksachen in deine fife o clock Hose gesteckt.

Lieber Cook und lieber Peary, ich muss

Euch ein Geheimnis anvertrauen: Gestern in der
Nacht, der Himmel war eine Mischung von tau-
benblau und stern, gingen der Bischof und ich
in eine kleine Kneipe in die Mommsenstrasse.
Aber ich hatte kein Geld mehr bei mir, als ge-
rade noch fiir ein Glass Wasser, das Trinkgeld
kostet. Der Bischof verträgt aber wahnsinnig
viel Alkohol; er wollte durchaus Burgunder

trinken, weissen Burgunder. Er beteuerte mir,
dass durch sein Herz weisser Burgunder strö-
me, er wollte mich, durch die Blume des Weins,
von seiner reinen Liebe verständigen. Aber ich
sagte ihm, ich hätte kein Geld. Und er war
sehr niedergeschlagen, dass ich von ihm
nichts annehmen wollte. Meint Ihr, ich hätte

mit ihm den Burgunder trinken sollen?
Oder Goldwasser? Ich will Euch offen sa-
gen, wir haben Goldwasser getrunken; ich ha-
be mich zum ersten Mal von einem Menschen
freihalten lassen; es lag eine Zärtlichkeit in sei-
nem Geben, manchmal reichte er das kleinge-
schliffene Glas bis an meine Lippen, wie mans
bei einem Kind tut. Ich liebe seitdem den Bi-
schof und ich habe ihm erlaubt, meine Haare
zu küssen, er sagt sie duften nach Lavendel.

Schluss folgt

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