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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 101 (März 1912)
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Walden, Herwarth: Zeitschriften!
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0366

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Zeitschriften!

Aus dem dunkelsten Osten

Zu meirtem höchsten Erstaunen kommt mir
durch Zufal! eine Monatsschrift für „ostdeutsche"
Literatur urtd Kultur vor die Augen. Sie heißt
Der Osten und erscheint seit achtunnddreißig Jah-
ren in Breslau. Der Osten „ist die einzige rein-
literarischen und kiinstlerischen Zielen dienstbare
Zeitschrift des gesamten östiichen Deutschlands
und erfreut sich a!s solche in den Kreisen der In-
telligenz insbesondere bei Künstlern und Literaten
allgemeinster Wertschätzung und Verbreitung."
Der Osten wird im Auftrag des Vereins Breslauer
Dichterschule herausgegeben. Das alles war mir
durchaus neu. Und da ich dem Neuem stets sym-
pathisch gegenüberstehe, warf mich das neueste
Heft einfach um. Aus dem Vereinsleben der bres-
lauer Dichterschule wird mitgeteilt, daß am 10. Ja-
nuar Herr Paul Barsch „das Andenken Felix Dahns
in herzlichen Worten ehrte“. Am 24. Januar ge-
dachte Paul Barsch „des kiirzlich verstorbenen
ehemaligen treuen Vereinsmitgliedes Professor
Adolf Brieger in Leipzig und kniipfte an die Mit-
teilung von dessen Tode die Hoffnung, daß hie-
sige und auswärtige Mitglieder einander mehr als
bisher nähertreten möchten.“ Im Tode rioch gibt
Herr Paul Barsch die Hoffnung nicht auf, er kniipft
sie sogar an ihn. Von den lebenden hiesigen und
auswärtigen Mitgliedern schreibt einer iiber „Felix
Dahn in memoriam“:

Nun ist er von uns gegangen. Nun hat Bres-
iau mit .ihm einen Biirger verloren, dessen Cha-
rakterkopf sich aus der Silhouette der Stadt mar-
kant hervorhob, dessen Name mit der Geschichte
Breslaus innig verkniipft ist, fiir jetzt und
immerdar.

Man erfährt ferner, durch ein lyrisches Ge-
dicht, warum der Charakterkopf sich so markant
aus der Silhouette der Stadt Breslau hervorhob:
Cr trug einen Schlapphut:

Den Schlapphut auf den silbergrauen Haaren,
vom Havelock umschmiegt, so sah’n seit Jahren
wir täglich ihn durch unsere Gassen geh’n;
in Sinnen schien die Seele wohl versunken,
doch aus den Augen sprühten helle F u n k e n
wie Flammen, die auf Feuerbergen steh’n.

An alle Herzen schien das B i 1 d zu r ii h r e n ,
denn selibst wer ihn nicht kannte, rnöchte spiiren,
daß diesem e i n s t ein Gott die Schwingen iieh,
die Zauberkraft, dem Himmel nah’ zu bleiben!
So trug er in des Marktes lautes Treiben
den farb’gen Glanz, den Hauch der Poesie.

Man fühlt, den Hauch der Poesie hat FeLix
Dahn bis in die Zeitschrift Osten getragen. Wie
könnte sonst ein hiesiges oder auswärtiges Mit-
glied der breslauer Dichterschule sich so äußern:

Nun sickert leis deiner lauten Wünsche Loh’n;
du schlürftest Vergessen im Rausch meiner

Küsse.

Wir stehn hohen Mittags zwischen glühen-

dem Mohn

Und heben ins Licht die goldne Schale voll

reifer Genüsse . .

Wie könnte sonst der Dichter Karl Busse
solche reife Poesie in einer Novelle Krischan EIs-
ters Heimkehr ausduften:

Ihr Gesicht rötete sich. Sie schloß die
Augen, öffnete sie wieder; sie waren ganz voll
Licht. Als wär’ das Leuchten der Steine,
die als Brosche gefaßt waren, in ihre A u g e n
gesprungen.

Wie könnte sonst der Theaterkritiker des
Ostens zu solchem Pathos sich erheben, wie in
diesem Satz iiber eine Schauspielerin:

So steht Martha Santens Persönlichkeit vor
uns als Mahnerin an eine von Sieg zu Sieg
geeilte Vergangenheit, als Repräsentantin einer
erfolggekrönten Gegenwart und eine nahe, glanz-
volle Zukunft verheißend, von der in Jahren
einmal Gutes zu sagen sein wiird unter der
Ueberschrift: Frau Santen als Helden-
m u 11 e r.

Die gesamte östliche InteJligenz scheint tat-
sächlich mit den Dahnaergeschenk fertig zu wer-
den. Jedenfalls: mein Gefiihl war richtig. Ich
habe nie an Breslau geglaubt.

Konfektionsdiehter

Ein Schneider in Berlin gibt eine Zeitschrift
für Herrenkleidung heraus. Zu ihren ständigen
Mitarbeitern gehören die deutschen Dichter, Kunst-
kritiker und Lebenskünstler Felix Poppenberg,
ständiger Mitarbeiter der Neuen Rundschau, Ed-
mund Edel, Oskar A. H. Schmitz, Hans von Kah-
lenberg und Hanns Heinz Ewers. Es ist natürlich
nicht das Geringste dagegen zu sagen, daß diese
Dichter für Herrenkleidung ein ausgetragenes In-
teresse besitzen, und ich wünsche ihnen sogar,
daß ihnen ihr Interesse an der Herrenkonfektion
recht viel, zum wenigsten aber einen gutsitzenden
Cutaway einträgt. Ich bin aber dagegen, daß sich
solche Herren als Künstler, Kunstkritiker oder
Dämoniker benehmen. Das gehört dort nicht zum
guten Ton. Man darf zwar auch in diesen Beru-
fen Oberhemden mit festen Kragen und festen Man-
schetten, Sockenhalter und sogar des Nachts ein
Pyjama tragen, aber tnan darf sich nicht für diese
Dinge in einer Schneiderzeitung literarisch ein-
setzen. Ich habe überhaupt Verdacht gegen die
Eleganz, die betont wird. Wer so mit Musike
dafür eintritt, dürfte diese Gegenstände, und einige
andere, erst durch seine literarischen Beziehungen
zu einer Schneiderfirma kennen gelernt haben. Der
dämonische Hanns Heinz Ewers hat es gut, er kann
einfach diese grausige Eigenschaft ablegen, sowie
er in sein verschnürtes Pyjatna schliipft. Des
Nachts sind nun einmal alle Katzen grau. Das bis-
chen Schminke geht ab und Herr Fritz Engel, der
erst neulich tiefgründige Analysen über Strindberg
und Hanns Heinz Ewers schrieb, wird erstaunt
sein, seinen Dichter zwar in Unterhosen. aber mit
seidenen Socken und Strumpfbändern zu sehen.
Da dichtet der Dämoniker nämlich so:

Sie also, Frau Helene und ihre gute Freun-
din, die Else, seien ausgegangen. um Weihnachts-
einkäufe zu machen, fiir ihre Männer. Und die
Else, die mit einem Architekten verheiratet sei,
habe so hiibsche Sachen gekauft, schneeweiße
Faltenhemden, seidene Socken, Strumpfhalter
und verschniirte Pyjamas. Und da sie doch auch
ihren Mann so lieb habe, so habe sie genau
dasselbe gekauft - und sie h a b e es von ihrem
Haushaltungsgeld bezahlt, an dem sie doch acht
Wochen gespart h a b e.

Der Architekt war aber zum Aerger von Hanns
Heinz Ewers noch nicht so ^weit. Der „neu-
modische Kram“ fand nicht seinen Beifall und der
Dämoniker mußte also folgendes dichten:

Was aber das Schlimmste sei: gerade als sie
das Paket gepackt habe, sei die Else gekommen,
und die sei mit ihr gegangen. Mit ihr, als sie
die schönen Saohen zurückgetragen habe, dann
auch mit ihr ins Warenhaus, wo sie das kaufen
mußte, was ihr Mann wünschte. Nachthemden
in Knielänge, WoIIsocken, Vorhemdchen und
Röllchen. Und gar keitie Strumpfbänder: die

Socken hielten von selbst, hatte ihr Mann ge-
sagt. Und wenn sie rutschten, möchte es auch
nicht viel schaden: dann brauchte tnan sie ja nur
wieder hochzuziehen.

Der geneigte Leser ist nun wenigstens über die
Unterkleidung des Dichters Hanns Heinz Ewers
orientiert. Auch über das Schicksal der bedichte^
ten Personen will ich ihn nicht in Unruhe lassen:

Aber Erfolg hatte man schon. Der Herr
Zollinspektor trägt heute keine Röllchen mehr
und keine Vorhemdchen. Aber Strumpfhalter
trägt er dafür und ist ganz stolz, daß seine
Socken nicht rutschen. Nur mit der Idee des
Pyjamas ist er noch nicht ganz einverstanden —
aber er hat sie schon zur Erwägung gezogeti.

Man kann nicht imtner dämonisch sein. In
seiner Autobiographie stellt der Dichter mit der
einwandsfreien Unterkleidung seinen Stammbaum
fest. Er fiihlt sich mit E. T. A. Hofimann und
Edgar Allan Poe yerwandt. Bei Hoffmann dürfte
es sich um eine Verwechslung des Vornamens
handeln (der Herausgeber der Schneiderzeitschrift
heißt Hermann Hoffmann). Und bei Poe muß
ein Geschlechtsirrtum vorliegen. Herr Ewers be-
klagt sich in dieser Autobiographie bitter, daß er
angespieen werde von „meinem deutschen Volk,
das ich liebe“. Das deutsche Volk, das er liebt,
spuckt nicht nur auf die ganze Dämonie, Herr
Ewers muß sich sogar mit ihm über die Unter-
kleidung auseinandersetzen. Und Künstler, die, es
ist nicht auszudenken, vielleicht rutschende Socken
tragen, die spucken wieder auf die Dämonie des
Herrn Ewers. Und so sitzt der Dichter, wenn
auch im Pyjama, zwischen zwei Stühlen.

Da lob ich rnir die Herren Oskar A. H. Schmitz
und W. Fred. Aus der Schneiderzeitung erfährt
man endiich, womit die beiden Herren sich be-
schäftigen:

Die Herren Oskar A. H. Schmitz und
W. Fred beschäftigen sich seit langem mit der
Ergründung der modernen Psyche, dieser kom-
püzierten dem Wirrwar unserer Zeit preisgege-
benen Psyche sensibler Kulturmenschen, deren
Gefühl für alle Regungen des Lebens bis aufs
Aeußerste empfindlich geworden ist.

Die tnoderne Psyche soll offenbar auch von
unten bis oben neu bekleidet werden, und zwar
tailor-made. Ich wüßte nicht, warum auf diese Mit-
teilung sonst gerade in einer Schneiderzeitung
Wert gelegt wird. Im Besonderen beschäftigt
sich Herr Oskar A. H. Schmitz mit dem deut-
schen Gruß. Er widmet ihm einen Essay:

Es geht augenblicklich eine Bewegung durch
die deutschen Lande, die die Absicht hat, einen
Teufel durch Beelzebub auszutreiben. Es sieht
so aus, als ob es sich um eine Bagatelle dreht,
aber in Wirklichkeit handelt es sich um das An-
sehen der Deutschen im Ausland. Darum sei
es erlaubt, bei einer so w.inzig erscheinenden
Angelegenheit einige Augenblicke zu verweilen.

Es handelt sich wirklich um eine Bewegung:
nämlich um das Hutabnehmen, das ein Teil der
Deutschen reformiieren will, während ein anderer
Teil der Deutschen wenigstens in dieser Angele-
genheit international empfindet. International
nämlich macht man nach Herrn Schmitz die
Sache so:

Leute von gleichem Alter nehmen danach
vor einander den Hut überhaupt nicht ab; vor
Damen. erhebüch älteren Personen und Vorge-
setzten, wozu man für Schüler die Lehrer rech-
nen muß, wird der Hut gelüftet (oder ein wenig
gehoben). Tief abgenommen wird ei nur vor
regierenden Fürsten und deren Damen. Dies ist
das ganze Geheimnis.

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