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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 84 (November 1911)
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Walden, Herwarth: Kunst und Lebensfreude
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0225

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Einzelbezug 15 Pfennig

WOCHENSCHRIFT

FÜR KULTUR

UND DIE KÜNSTE

Herausgeber und Schriftleiter:

HERWARTH WALDEN

JAHRGANG 1911 BERLIN NOVEMBER 1911 NUMMER 84

Redaktion und Vertag: Berlin-Halensee, Katharinenstrassn 5
Fernsprecher Amt Pfalzburg 3524 / Anzeigen - Annahme

: - : durch den Verlag und sämliche Annoncenbureaus : -:

Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / Halbjahresbezug 3,— Mark /
Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

inhSklt * TRUST: Kunst und Lebensfreude: Michels Reinfall / Berliner Sezession / Die liebelose Ausstellung / Notizen / ALBERT EHRENSTEIN:
muait. Kongo i MAX STEINER: Aphorismen / HUGO WOLF: Gedichte / PAUL SCHEERBART: Novelle / EISE LASKER-SCHÜLER: Briefe
nach Norwegen / M. R. SCHÖNLANK: Purrmann und Levi

Kunst und Lebensfreude

Miehels Reinfall

Ich erhielt einen Prospekt, geschrnückt mit
zwei Bildern, die ich fiir Kopien. fiir schlechte
Kopien frei nach Oskar Kokoschka hielt.
Durch den Prospekt wurde ich belehrt, daß es sich
mn „Originalgemälde“ eines Herrn Max Oppen-
heimer handelt. Der Prospekt teilte mir weiter
mit, daß „F.euer, Geist und Leidenschaft das Schaf-
fen dieses Herrn charakterisiert“. Seine Malerei
ist „eine Frucht glänzender Evolution“. Der
lntellekt dieses Herrn ist nicht nur grüble-
risch, er ist „hochgeziichtet“. Ich persönlich
glaube nicht einmal an die Fähigkeit, einen
Intellekt hochzuziichtigen. Die Bilder dieses Herrn
sind sogar „von erlauchter Naclrdenkiichkeit“.
Seine Malerei ist „faustisch, widerspräche dem
nicht die hohe sinnliche Kultur, die ihr zu Grunde
liegt“. Aber nicht damit genug: dieser Herr hat
„ein Temperament, das den Zweifeln und den Rät-
seln fremd ist“ (trotz der erlauchten Nachdenklich-
keit), „einen Geschmack, der die Erschütterung
liebt“, (nrit Feuer. Geist und Leidenschaft). „eine
entschiedene asketische Geistigkeit“ (trotz der zu
Grunde liegenden hohen sinnlichen Kultur). Alle
diese netten Sachen begegnen sich natiirlich „auf
einem hohen Rimkt“. Also vorbereitet beschließe
ich, das „Buch. das von diesem Kiinstler erzählt“.
zu fesen. Es ist von einem Herrn Wilhelm Michel.

Beriiner Sezession

Eine Ausstellung der „Zeichnenden Künste“.
Die Ausstellung ist besser als der Name. Den
Künsten wird viel zugenrutet, aber das Zeichnen
haben sie trotzdem noch nicht erlernt. Alles
Literarische der Sezession stimmt bedenkiich. So
das Vorwort. Die Sezession rühmt sich in ihm mit
Recht, daß sie das Interesse für Schwarz-Weiß-
Ausstellungen wieder belebt hat. Sie rühmt sich
mit Recht, daß sie unabhängig vom Staat ist, „der
aus natürlichen Gründen nur das Fertige und deut-
lich zu Ende geführte Kunstwerk anerkennt“.
Wenn der Staat nur fertige Kunstwerke
anerkennen und kaufen würde, läge kein Grund
vor, ihn zu bekämpfen. Die Sezession wird doch
uicht behaupten wollen, daß sie die staatlichen Ge-
uuüde für fertige Kunstwerke hält. Der Staat legt
bekanntlich viel mehr Wert darauf, daß die Maler
seiner Bilder möglichst lange verstorben sind.

Je mehr Jahrhunderte, desto besser. Bedauerlich
bleibt nur, daß auch das höchste Alter ein schlech-
tes Bikl nicht gut macht. Noch bedenklicher ist
es aber, wenn im Vorwort „von nicht deutlich zu
Ende geführten Kunstwerken“ gesprochen wird.
Diese Publikumsvorstellung verhindert wesentlich
die Anerkennung der großen Franzosen, wie van
Gogh, Cezanne, Renoir, und der Deutschen, die
von ihnen gelernt haben. Solch einen Satz drucken
zu iassen, ist sehr gefährlich. Man muß durchaus
dagegen auftreten, daß Künstler iiber Dinge reden,
die sie zwar verstehen, aber nicht durch Wort-
kunst ausdriicken können. Eberiso gefährlich ist
dieser Satz des Vorworts: „Wir wollen itn Qegen-
teil auch all das Künstlerisc.he und Interessante,
was in den ersten Entwürfen und Studien, in Ra^
dierungen, Lithographieen und Hcvlzschnitten liegt,
an dre Oeffentlichkeit bringen. So haben wir das
Publikum gelehrt, der Kunst in ihren ersten Sta-
dien der Entwicklung - gleichsam in der Werk-
statt nachzugehen und sie zu beobachten.“

Das Publikum kann den Satz nur so auffassen,
daß die Schwarz-Weiß-Kunst in all ihren tech-
nischen Abarten das erste Stadium der Entwick-
lung zur Malerei bildet. Hat der Schreiber das
wirklich gemeint, so irrt er sich gründlich.
Schlechte Bilder entstehen gerade dadurch, daß
man sie von der Zeichnung her „entwickelt‘‘.
Malen ist eine Angeiegenheit der F a r b e. Und
je mehr man das Zeichnerische in farbigen Flächen
auflösen kann, je rnehr nran Konturen vermeidet,
umso größer ist die Kunst des Bildes. Die Zeich-
nung steht zur Malerei etwa in dem Verhältnis wie
ein Klavierwerk zum Orchesterwerk. Sie sind
trotz naher Verwandtschaft verschiedene Künste,
weil sie mit einem völlig andern Material ar-
beiten. Dcr beste Zeichner braucht nicht Malen
zu können, und der größte Symphoniker kann auf
dem K'lavier langweilen. Das Beste an der

Anssteliung der Zeichnenden Kiinste sind die bild-
hauerischen Arbeiten. Die Sezession maclit end-
lich den vernünftigen Vorschlag selbständige bild-
hauerische Ausstellungen zu veranstalten. Die
Bildhauerei hat ebensowenig mit der Schwarz-
Weiß-Kunst zu tun, wie init den Gemälden. Drei
bekannte große Meister zeigen von ihren schönsten
Schöpfungen. Roditi eine Bildnisbiiste von Gustav
Mahler und ein kauerndes Weib, beide in Bronze,
und eine Marmorarbeit Francesca und Paolo. Die
Bildnisbiiste von Qustav Mahler halte icli iiber-
haupt für die beste, die bisher geschaffen worden
ist. M a x K1 i n g e r hat es errdlich aufgegeben,
„gedankenvoll“ zu sein. Infolgedessen sind seine

beiden Biidnisbüsten wieder von der alten Kraft.
Als Gesamterscheinung aber, gröfier als diese bei-
den, wirkt Georg Minne. Er wandelt den
Stein völ'lig in Kunst um. Von aen jüngercn
kommt diesen Meistern anr nächsten G e o r g
K o 1 b e. Er gehört zu den wenigen ßildhauern,
die Künstler sind, die ein persönliches Erlebnis in
eigener Form wiedergeben können. Den Typus
seines jungen Mädchen hat er schon öfter geschaf-
fen. Jetzt ist der Typtis ein junges AVädchen
g e w o r d e n. Von ganz neuen Namen seien
Benno E I k a n , (Der alte Mann und Maske von
Wilhelm Trtibner) und Hans Krtickeberg
(Kopf eines Kriippels) nachdrricklich genannt. Die
wertvollsten Schwarz-Weiß-Arbeiten stammen von
dem göttlichen Paul Cezanne (Lithographien),
von Auguste Renoir (gleichfalls Lithographien),
Paul Gauguin, Meister, denen man nur mit Be-
wunderung nahen darf. Ich verbinde übrigens diese
Namen absichtlich nicht durch eine Konjunktion.

Die bekannten Berliner Sezessionisten sind
auf dieser Ausstellung nicht sehr interessant, bei
manchem wundert man siclr, daß sie jemals
als Ausnahmeerscheinungen gelten konnten. Bla-
mabel wird aber nachgerade die Mitgliedschaft
des Herrn Baluschek. Die Photographie kann
heute an „Illusionswirkung“ alles möglich ma-
chen, wozu braucht da Herr Baluschek sich
noch um Kunst zu bemühen. Die jüngere Ge-
neration vermeidet jetzt den Umweg iiber Lie-
bermann und Genossen. Es sind verschiedene
Hedwig Weiß und H a n n s B o 1 z (den ich
schon bei der Besprechung der juryfreien Kunst-
scliau erwähnte). Auf den amüsanten gemalten
Gartensaal von Emil Rudolf W e i ß sei nodi hin-
gewiesen.

Die liebelose Ausstellung

Der Lokalanzeiger weiß ietzt bereits, daß es
sich bei Bildern „nicht um das Gegenständliche
handelt“. Er kaun es sich aber nicht versagen,
gerade auf Grund dieses Wissens einmal eine Aus-
stellung nach dem Gegenständlichen zu betracli-
ten. Ein Doktor wurde daher eigens in die iury-
freie Kunstschau gesandt, um durch die Bilder das
Wesen der Frau, „die stets etwas rätselhaftes für
uns hat“, zu erkennen. Dem Doktor fallen fol-
gende Eigenschaften der Frau, nein, sie springen
ihm sogar in die Augen: Kampfeslust, stille Me-
lancholie, unerfüllte Sehnsucht, siißes Nichtstun.
Man sieht, Rätsel raten ist garnicht so schwer.
Freilich wird die Aufgabe wesentlich dadurch er-

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