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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 68 (Juli 1911)
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Peledan, Sar: Die höchste Tugend, [3]
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Waue, William: Der Regisseur
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0098

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Der Orientale wiederholte nach einundzwan-
zig Jahren das Wort eines anderen Orientalen;
jenes einmal durch einen Rabbiner formulierte
Verdikt sprach ein Brahmane von neuem aus:

„Finis Latinorum“, sagte Ilon noch, als das
Schattenbild Merodacks durch die Ferne kleiner
geworden, ungewiss, unentschieden.

„Pater“ sagte Ounah zum Mönche, „gewäh-
re uns ein Hoffnungswort.“

„Eine Verheissung“ flehte Dagon.

„Ein Orakel“ forderte Nergal.

Ilon rief plötzlich erleuchtet:

„Die Hoffnung bleibt, die Verheissung ist
sicher, das Orakel gewiss. Ich schaue den Stern,
ich, Hoherpriester des Orients, Enkel der Magier,
die nach Betlehem kamen. Er zieht stets vor
uns her. Er wird nie erlöschen.“

In sich gesammelt hielt er inne, indem er
die lapidare Form seines Gedankens suchte und
sagte einfach:

Die Unendlichkeit des Christus.

Deutsch von Adolf Knoblauch

Der Regisseur

Von William Wauer

Der Regisseur ist ein Raumkünstler.

Innere Bewegung in äussere umdeuten, heisst
Regie führen.

Der Regisseur .empfängt die Dichtung, wie
ein Prisma den Lichtstrahl in tausencl Farben
zerlegt, gibt er es weiter.

Wenn die Inscenierung als unerlässlicher
Bestandteil eines Dramas empfunden werden soll,
bedarf sie eines ordnenden Prinzips, das aus
dem ursprünglichen Schöpfungsgedanken hervor-
gegangen, die Inscenierung nach jeder Richtung
hin und in jeder Beziehung vorschreibt. Dieses
Prinzip kann nirgends anders liegen als in der
Gestaltung des Dramas in Bühnenmitteln durch
den Regisseur.

Ohne das Wiederaufleben des Wortkunst-
werkes in einer Phantasie, die bühnenmässig
gestalten kann, ist eine Aufführung unmöglich,
denn diese ist ein neues Entstehen undein
neues Gestalten in einer n e u e n Kunst.

Die Anordnungen des Regisseurs sind sämt-
lich gestaltender, also formaler Natur. Er hat
aber auch alle Anordnungen formaler Natur zu
treffen, keine kann er und darf er einem Zufall,
keine einem Dritten überlassen. Zwei Kapeli-
meister in einem Orchester sind ebenso undenk-
bar wie Mitarbeiter beim Schaffen eines Kunst-
werkes.

Die Auffassung uncl theatralische Gestaltung
der Aufführung eines Dramas muss in einem
Gehirn entstehen. Die Führung, Leitung und
Anordnung der Kunstbetätigung, die zu einer
dramatischen Darstellung notwendig sind, kön-
nen nicht gleichzeitig unter verschiedene Indivi-
dueri verteilt werclen, cla alle jene Betätigungen
aus dem gleichen ursprüngüchen Schöpfungsge-
danken entstehen müssen. Eine dramatische Dar-
steliung kann sich ihre künstlerische Gesamtwir-
kung nur dann erhalten, wenn sie kein Element
zulässt oder in sich schliesst, das nicht ganz un-
mittelbar in der Gewalt ihres Regisseurs liegt.

Was den Regisseur vom Sehauspäeier und
seinen anderen Mitarbeitern unterscheidet, ist
das fortwährende Verknüpfen des technischen
Verfahrens, das jene auch kennen, mit der Be-
stimmung, der es jeweilig im Organismus des
Ganzen dient.

Die Auffassung des Regisseurs von einem
Drama bestimmt durch ihren individuellen Puls-
schlag die Aufeinanderfolge und Schnelligkeit
der Bewegungen, den Wechsel der Verhältnisse
des ganzen Organismus „Aufführung“. Durch
die kleinste Lücke kann sich die organi-
sche Lebenskraft verflüchtigen, durch eine wun-
de Stelle kann sich das ganze Kunstwerk ver-
bluten.

Widerstände, die der Regisseur findet und
nicht überwinden kann, zwingen ihn, unorga-
nische Konzessionen zu machen, wenn seine Ge-
staltung des Dramas eine künstlerisch-organische
war, wie sie es sein muss. Durch solche Kon-
zessionen wird das Kunstwerk vernichtet.

Man muss zu begreifen suchen, zu welchen
unkünstlerischen Konflikten es führen muss, wenn
der Regisseur bei seinen lebenden scenischen
Ausdrucksmitteln, bei seinen Darstellern, auf Wi-
derstand trifft, da ihm die grösste Anpassungs-
fähigkeit nur grade gut genug sein kann. Jene in
ihm latenten Masse und Verhältnisse, wie sie in
seiner Auffassung, seiner Wiedergabe des Dicht-
werks enthalten sind, suchen sich sehnsüchtig
zu verkörpern. Die Schauspieler aber dürften
taub bleiben für seine noch so beredte Sprache?
Sie dürften ihre literarische Auffassung des Dra-
mas, einer Rolle höher schätzen als die ihnen
noch unbekannte Welt, die der Regisseur aus
seiner Auffassung offenbaren möchte, höher
schätzen, nur weil sie die ihre ist? Wie unver-
nünftige Kinder wollen sie da Bedingungen dik-
tieren, wo sie erst urteilen könnten, wenn sie
gehorcht hätten, das heisst wenn das Resultat:
Gesamtaufführung (allein aus dem Geiste, aus
der gestaltenden Kraft des Regisseurs heraus)
erreicht worden wäre.

Dem Regisseur opponieren bedeutet sein
Kunstwerk kritisieren, ehe es da iist.

Wieviel Opfer an Details der Regisseur brin-
gen muss, um das Wesentliche, das innere We-
sen einer Dichtung zur Geltung zu bringen, dar-
über ist jede Verständigung mit dem Schauspie-
ler ausgeschlossen, zumal über die letzten Mo-
tivierungen eines Kunstwirkens (die wichtigsten)
jede Erörterung unmöglich ist.

Der musikalische Sinn bemerkt in jedem
Dinge vor allem, wieviel Rhythmus und Melos
in ihm vorhanden ist. Diese im Drama zu ent-
decken und in der Aufführung zum Ausdruck
zu bringen, ist cüe musikalische Aufgabe des
Regisseurs.

Ein unmusikalischer Regisseur wird schon
die Tempi eines Dramas im Ganzen und in
seinen Teiien nicht treffen können.

Der Regisseur steht zum Dichter ungefähr
im selben Verhältnis wie der Uebersetzer.

Jede dramatische Konzeption muss, um le-
bendig zu werden, zweimal gedichtet werden,
einmal im Wort vom Dichter, das zweite Mal
in scenischer Form (in sie den Schauspieler ein-
gerechnet) vom Regisseur.

Wie der Traum kann auch die Vision einer
dramatischen Darstellung nur aus e i n e m Ge-
hirn geboren werden.

Der künstlerische Wiile des Dichters, wie er
im Drama sich offenbart, genügt nicht, die ein-
zelnen Faktoren der Darstellung mit ihm eins
werden zu lassen. Der Regisseur besitzt allein
die Möglichkeit, seinen künstlerischen Willen,
seine Interpretation in scenische Ausdrucksmittel
umzusetzen.

Der Regisseur schafft die Voraussetzungen,
aus denen das Dichtwerk geboren wurde. Er

clichtet das „Gesicht“ des Dichters, das dieser
in Worte formte, nochmals in seiner Weise.
So scheint es dann auf der Bühne, als entstünde
das Werk aus dem Nichts, als erlebe man es
als etwas, das nur einmal und eben so ist, wie
man es erlebt. In solchen Momenten wird Auf-
führung und Dichtung eins.

Der Regisseur organisiert für den Spieler
das poetische Geschehen in Klang- und Bewe-
gungsformen.

Der Regisseur orchestriert das Drama.

Die charakteristischen Merkmale in Bewe-
gung und Klang für die Zustänae und Ver-
änderungen festzustellen, die während des Spre-
chens der Dichtworte im Sprecher vorhanden
sind oder vorgehen, das heisst für den Regis-
seur das, was man beim Musiker „orchestrie-
xen“ nennt.

Der Regisseur hat dieselben künstlerischen
Freiheiten und Verantwortungen dem Dichtwerk
gegenüber, wie etwa ein Maler gegenüber dem
Porträt, oder ein Kapellmeister gegenüber der
Partitur.

Der Regisseur bestimmt für den Schauspie-
ler die Reihenfolge und das Tempo der Auto-
suggestion, die sich dieser geben muss. Diese
Bestimmungen bedeuten für die dramatische Auf-
führung das, was die „Stimmen“ im Orchester
für die musikaüsche Aufführung bedeuten. Diese
Stimmen sind so von einander abhängig, so un-
ter einander bestimmt, dass jeder Eingriff sinn-
los ist.

Die menschlichen Darstellungsmittel zerle-
gen sich für den Regisseur in die rythmischen
Bewegungen des Körpers und die klingenden der
Stimme.

Alle scenischen Mittel, den Darsteller inbe-
griffen, muss der Regisseur zu einem gemeinsa-
men organischen Leben verbinden. Der Regis-

seur muss endlich die Darsteller aus den litera-
rischen Fesseln wieder befreien, mit denen sie
sich durch das selbstische Hervortreiben des
dichterischen Wortes gebunden haben. Die sinn-
tragenden Worte dürfen in den scenischen Aus-
drucksmitteln nicht mehr sein als wieder ein sol-
ches. Sie dürfen nicht herrschen, sie müssen
dienen.

Die Form der Darstellung ist beim wahren
Regisseur nicht das Ziel, sondern das Ergebnis
seiner Auffassung. Sie muss von innen gewach-
sen, nicht von aussen zusammengesetzt sein.

Der Regisseur ist weder der Anwalt noch
der Diener des Dichters. Er steht den Dichter-
werken gegenüber wie der Maler der Natur,
der Landschaft. Er benutzt sie als Motiv, als
Vorwand, seine Kunst zu produzieren.

Suggerieren kann man nur, w ras augenbück-
lich in einem selbst lebendig ist. Deshalb kann
der Zuschauer nur dann unter den Einfluss ei-
ner Aufführung gebracht werden, wenn sie eine
höchst individuelle Ausdrucksform erreicht. Die-
se höchste individuelle Ausdrucksform, der künst-
lerische Wille des Regisseurs, muss einheitlich
und ungehemmt seine Kraft gegen das Publi-
kum wenden können; denn der Widerstand, den
sie clort iiberwinden muss, ist stark.

Allen Zuschauern clie gleiche Art zu se-
hen uncl zu empfinden aufzuzwingen, das ver-
mag der künstlerische Wille des Regisseurs nur
dort, wo er souverän herrscht.

Für den Regisseur ist das Publikum nur
eine einzige Individualität — er fragt nicht nach
dem Geschmack und Forderungen, sondern reisst
sie mächtig hinein in seine Anschauungsweise,
er zwingt den Zuschauern sein eigenes Erleben
des Dramas auf. Damit erfüllt er alle Ansprü-

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