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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 61 (April 1911)
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [4]: ein Volksroman
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Schneider, Olga: Traum
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Kronfeld, Arthur: Bekannte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0044

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Da klopften sich die Sch ildbürger, als sie das ge-
)esen hatten, vergnügt auf die Schultern und Iachten
sich so Iustig an — wie sie es lange nicht getan
hatten.

Und sie erklärten einstimmig:

„Dann hst ja alle Not für uns ein Ende.“

Danach dankten sie den Kaiser in lustigster Form,
schickten ihm den roten Mantel und die Ober-
bürgermeisterkappe zu, liessen alle ihre wertvolleren
Sachen, die einen historisehen Wert beanspruchten, in
ein Altertums-Museum bringen — und zerstreuten sich
über das ganze Land.

Hierauf wurde Schilda abgebrochen mit Se-
bastianischen Abbruchsmaschinen in acht Tagen.

Und vier Wochen später stand das Aeussere des
grossen Lebenstempels fix und fertig dort — wo
einstmals Schilda stand.

XCVIII

Die Asketen

Das straffe Regiment der Priester hatte nun aus
den Utopianern im Handumdreheen ein ausserordentlich
ernstes Volk gemacht, sodass die Schildbürger nicht
überall sehr freundiich aufgenommen wurden.

Da liess der Kaiser ein grosses Rundschreiben
anfertigen, in dem zum Schluss zu lesen stand:

„Die Askese ist nur zur Erzeugung der grösseren
Lebensfreude da, die nicht identisch ist, mit dem, was
wir sonst Lebensgenuss nennen. Diese grössere Lebens-
freude können wir Menschen aber vorläufig noch nicht
in einem fort vertragen, sodass es gut scheint, den
harmlosen Spass nicht zu heftig zu verdämmen, wenn
er nur eine kleine Erholung sein wili. Die Schild-
bürger sind in Utopia auch nur eine kleine Erholung.“

„Aber Herr Kaiser,“ rief da die ganze Literatur-
zentrale, „was verstehn Sie denn unter einer kleinen
Erholung?“

Der Kaiser ärgerte sich über diese kühne An-
rempelung und beschloss,'sich dafür zu rächen.

Er liess feierlich sagen:

„Eine kleine Erholung ist es zum Beispiel, wenn
das Frühlingsfest in diesem Jahre ganz still ohne
Festlichkeit gefeiert wird — und zwar so, dass jeder
Utopianer drei Tage nicht seine Wohnung verlässt.
Die Priesterschaft ist einverstanden.“

Da sagte die Literaturzentrale :

„Der Kaiser bekommt einen bösartigen Humor
Wir wollen zu den Schildbürgern liebens.vürdig sein “

Und man wars. j®

XCIX

Philanders Testament

Am dritten Tage des Frühlingsfestes liess der
Kaiser Phiiander seine Priester kommen und sprach
zu ihnen:

„Zur Erinnerung an dieses stille Frühlingsfest
möchte ich einen geheimen Orden gründen — den
Orden der Bartmännerl In ihn sollen die Oberpriester
nur dieienigen Herren aufnehmen, die sich durch
grosse diplomatische Geschicklichkeit auszeichnen —
und diese Geschicklichkeit sollen sie dazu gebrauchen,
die Schaffenden — als da sind: Erfinder, Dichter,
Künstler, Gelehrte undsoweiter — gelegentlich durch kleine

Nadelstiche empfindlich zu reizen — damit mir die Ge-
sellschaft nicht wieder schlapp wird. Ich vermache
dem Orden neun Zehntel meines Vermögens; meine
Frau ist damit einverstanden.“

Man war etwas verblüfft — aber die Sache wurde
natürlich von Schamawi ganz ernstlich in die Wege
geleitet.

„Hm,“ sagte nachher der Kaiser, als er mit
Schamawi allein war, „vor dreitausend Jahren, als
die Kultur des wilden Westens noch dominierte, da
brauchte man den Orden der Bartmänner noch
nicht — da wurden dem Schaffenden ganz von selbst
so wiele Unannehmlichkeiten in den Weg geworfen,
dass er für Anregung nicht weiter zu sorgen hatte.
Aber heute gehts uns zu gut; die Gerechtigkeits-
und die Bequemlichkeitsliebe sind bei uns so weit aus-
gebildet, dass der Natur die natürlichen Sporen fehlen
die müssen wir ersetzen; der Lebenstempel muss die
Bartmännner ganz besonders raffiniert ausbilden.“

„Das werden wir schon besorgenl“ erklärte der
Oberpriester Schamawi.

Da zog der Kaiser die Schnupftabaksdose, die der
Herr Citronenthal so genau beschrieben hatte, aus
der Westentasche heraus und bot seinem Oheim, dem
Oberpriester Schamawi, eine Prise Schnupftabak an
und nahm selber ebenfalls eine.

Da musste jeder der beiden Herren drei Mal niesen.

In ganz Utopia war es aber so still, wie in einer
Kirche.

Der Kaiser lächelte.

Auch der schwarze See lag in der Tiefe ganz still.

„Wir wollen zu meiner Frau gehen I“ sagte der
Kaiser.

Und sie gingen zur Frau Cäcilie, während der
Kaiser in Gedanken immer noch seine alte Schnupf-
tabaksdose in der linke Hand hielt

Ende

Traum

Von Olga Schneider

.Ich bin zum Tode verurteilt. Weshalb

und durch wen, weiss ich nicht. Am Dienstag soll
ich sterben. Da sagt der Papa, ich soll eine Rede
verfassen, und diesen oder jenen Punkt zur Milderung
meiner Handiungsweise anführen, dann wird mich der
Kaiser begnadigen. Und ich setz mich und schreib
und schreib und rede zu mir in Iauter juristisch-Iatei-
nischen Ausdrücken und mit einem Mal steh ich in
einem Hörsaal oben auf der Kanzel, habe eine

schwarze Kutte an und halte einen Vortrag über höhere
Mathemitik und entwickle eine Beredsamkeit, ein Können
und Wissen auf diesem Gebiet, dazu spreche ich in
einer mir völlig fremden Sprache so fliessend und

überzeugend, dass atle Leute mir zujubeln, wie toll
applaudieren, mit den Füssen strampeln und ich mich
immer wieder verbeugen muss. Und der Papa sagt:
„So, ich hab bewirkt, dass Du noch eine Woche

Bedenkzeit bekommst.“ — Und ich sitze in der

elektrischen Strassenbahn, da steht ein Herr mir

gegenüber auf, verbeugt sich und fordert mich zum
Tanzen auf, und wir tanzen im engen Raum der
Elektrischen, die Leute pfeifen einen Walzer dazu, geben
mit den Füssen den Takt und der Kondukteur ärgert
sich und sagt immer: „Das Spucken und Rauchen ist
hier verboten —Plötzlich geht die Türe auf, wir
tanzen auf die vordere Plattform hinaus, stehen auf
einmai oben auf den Drähten der elektrischen Leitung

— die Funken sprühen grün und blau in unsere Kör-
per über — ich will immer nach den Drähten fassen

— und sause mit dem Freilauf einen Berg hinunter —
verliere das Pedal — und der Freilauf saust, dass der
Staub in Wolken auffliegt, mich einhüllt, ich nichts sehe,
nichts, nichts — und da fällt mir ein, ich muss dem
Otto einen Brief schreiben und zur Maria-Antoinette
gehen, damit sie mich begnadigt — und fahre die
steile Strasse zur Maria-Plainanhöhe in Salzburg hin-
auf — es ist furchtbar heiss — ich schwitze und
schwitze — ärgere mich furchtbar, dass man sich mit
frischgewaschenen Haaren absolut keine anständige
Frisur machen kann — und nehme das Rad auf die
Schultern, trag es den steilen Berg hinauf bis zum
Gipfel und da steht ein Säulentempel, wie die Akro-
polis herrlich, ich setze mich auf einen Stein, lehne
mich an eine Säule — und da sind meine Bergschuhe
voll Schnee und so schwer, als hätte ich Eisen drin —
und schaue mir die Aussicht an, es ist aber nicht
Salzburg, das vor mir liegt, ich sehe mit einmal nichts
als so schmutziggelbe, braunrot abgegriffene Steine,
wie in einem Baukasten und denke mir: „Wieder ein
verschwendeter Tag, aber im Freien verlebt!“

Bekannte

Der fettig Lächelnde aus Oesterreich
Reicht zu jovialem Grusse mir die Hand.
Franziska lehnt zerrissen an der Wand ;
Hassblitzend mustert sie und geil und bleich
Mich und den fettigen Herrn aus Oesterreich.

Er stellt uns beide vor, und formgewandt
Verzieht er sich. Ich bin korrekt-galant,

Sie fassungslos. Ich werde plötzlich weich
Und sage leise: Zartes junges Tier,

Hast Du denn Angst ? und Ekel ? Zieht Dich

nicht

Unter der Schwelle rassig fahle Gier
Dennoch hinüber in das heisse Licht?

Du schriebst mir . . . und doch Ekel? und

vor mir ?

— Sie senkt die Lider. Und ich schweige schlichL

Arthur Kronfeld

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich-Ungar«
ta Vertretung : Oskar Kokoschka

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