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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 88 (Dezember 1911)
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Rung, Otto: Der Vagabund, [3]
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Puy, Michel: Die Nachfolger der Impressionisten
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Walden, Herwarth: Sitten
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Scher, Peter: Triumph!: Ernst Hardt: Gudrun /
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Beachtenswerte Bücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0262

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«iekorative Erfindungsgabe. Mainssieux inter-
pretiert die Landschaft mit schönem Ernst. Hoffen
wir, daß diese so verschieden begabten ’Maler ie-
nem Ueberbietungswahnsinn entgehen, der in den
ktihnsten Kunstgruppen wütet, hauptsächfich bei
den ietzten, und der sie daran hindert, einen Exzeß
als ausreichend anzuerkennen, wenn er nicht an
Absurdität grenzt.

Madame Marie Laurencin hängt mit
den eben besprochenen Malern nur durch den Zu-
fall gemeinsamer Ausstellungen zusammen. Sie ge-
hört nur durch die Bravour ihres Koiorits zu ihnen.
Die Maler sind gehalten, freiwillig, erfüllt von einer
starken und lang überfegten Zeichnung; sie ist im
Gegenteil voiler Hingabe; statt ihnen in ihren ge-
wiss'enhaften Untersuchungen zu folgen, hat sie sich
einfach von ihrefr Neigung zum anmutigen und ver-
flihrerischen Manierismus leiten lassen. Oft sind
ihre Figuren unerklärlicii und geheimnisvoH wie die
getrocknete Blume zwischen den Blättern eines
Buches; oft scheinen sie erdgeboren sich dem Le-
ben zu öffnen wie Lilien in einem Busch. Oder in
einer Landschaft haben sie in ihren Augen die
Frische junger Ochsen oder die Unschufd der
Zicklein.

Aus detri Frpnzösischen von .lean Jacques

Ein Kapitel aus dem Buch: Le dernier etat de
la peinture von Michei Puy. Es soll zeigen, wie
man in Frankreich nettere Maler bewertet, die auch
in Deutschland zum größten Teil bereits ausstell-
ten. Ich stimme dem Autor in seinem Urteil über
die Begabungen der Jiingsten, nicht aber in den
G r ü n d e n seiner Ablehnung bei. Sie sind kritisch
durchaus zu vulgär gehalten. Was gegenüber
den sonstigen prinzipiellen Erwägungen besonders
auffälit.

H. W.

Sitten

Ber Kaiser und Pietsch

Der deutsche Kaiser hat den Hinterbüebenen
des Herrn Professors Ludwig Pietsch (in dem
Nachruf seines Organs heißt es unter anderem:
Wer wie Schreiber dieses . . . letzteren in seiner
Arbeitsfreudigkeit . . . Anekdoten, die auf seinem
Munde blühten . . . und wird die Nachwelt . . .)
der deutsche Kaiser hat folgendes Telegramm
gesandt:

Die Nachricht von derit Abieben Ihres von
tnir sehr verehrten guten Vaters hat mich tief
betrübt und spreche ich Ihnen und Ihren
Angehörigen niein aufrichtigstes Bei-
1 e i d aus. Wilhelni

Nordland

Skandinavien ist etwa ein ebenso falscher
Begrift wie Gesamtkunstwerk. Niemand, der
Dänemark, Schweden, Norwegen kennt, wird den
Begriff Skandinavien artwenden. Man könnte
ebensogut Frankreich, Itaiien, Spanien Romanien
nennen. Seit einigen Monaten zeigt man den Be-
wohnern vom Kurfürstendamm Nordland, wie es
i s t. Zu diesem Zweck hat man sehr viele Thea-
terkuiissen mit Schneelandschaften aufgehängt, tn
elektrisch beleuchteten Hütten zeigen die Eskimos,
daß sie essen und trinken können, und in der Vor-
führungshalle sieht man ihre „Gebräuche“. Der
Deutsche empfindet alle Ausländer als Wilde und
muß ihre Gebräuche sehen. Er setzt sich etwa
zu Paris in das Cafe de la Paix, unterhält sich mit
der Verwandtschaft, und hat Paris erlebt. Er setzt
sich etwa zu Kopenhagen in das Lokal von Wivel,
unterhält sich mit seiner Verwandtschaft, und hat
Kopenhagen erlebt. Auch zu Stockholm im Rat-
hausketier ist diese Art von Lokalstudien noch

\ mögffch. Dann wird es aber immer schwieriger.
In Kristiania gibt es zwar nocii eine Art von Caf£,
in dem Ibsen aus Verzweiflung, weil kein anderes
da vvar, jeden Nachmittag saß und den Deutschen
Autogramme Iiefern mußte. Dann hört alles auf,
sogar die Natur. Deshalb fängt die Natur erst
zwei Stunden hinter Kristiania an. Bis dahin
leicht Thiiringen . Rasen, Weiden. Triften, Kiihe,
Miihlen. Die Vegetation „hört“ auf.

Die Norweger erinnern stark an die Nord-
deutschen, trotzdem sie keine Schmerbäuche und
Umhängebärte mit sich tragen. Sie sind Demo-
kraten und schimpfen die Eremden auf den Stra-
ßen aus. Abends gehen sie in die lustige Witwe.
Sie besitzen einen von den drei größten Malern der
Gegenwart, Edvard Munch, (die andern beiden
sind Ferdinand Hodler und Oskar Kokoschka), und
sie lehnen seine Gemälde ab, wenn es sich ttm eine
öffentfiche Anstalt wie die Universität handelt.
Die Norweger sind imstande, Ibsen und Bjoernson
ein Denkmai zu setzen, wie es die Deutschen mit
Goethe tt n d Schiiler tun. Kristiania schikanierte
Ibsen, solange er lebte, ttnd bewilligte ihm ein
Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Wie es Wien
mit Beethoven tat. In Deutschland entschließt man
sich zu solcher recht peinlichen Dhrnng friihestens
dreißig Jahre nach dctn Tode des Künstlers durch
Umgrabung.

Fährt man dann aber noch acht Tage weiter.
so hören aucli die Norweger attf, tmd man be-
findet sich endlich attf eiiieni Teil der Erde, auf
dem es sich leben läßt. Warum muß nun ein un-
gliicklicher Manager auf die idee kommen, einige
von den wenigen Leuten, die dort leben^ nach
Berlin zu transportieren. Es ist allerdings erfreu-
iicher, als wenn tont Berlin dorthin reiste ttnd die
Gegend voriibergehend durch seinen Aufenthalt
kultivierte. Aber den vierunddreißig Menschen,
die Polarlandschaft sich vorstellen können, ohne
dort gewesen zu sein, wird die Phantasie vergiftet.
Es wird ihnen die letzte Hoffnung genommen, daß
man doch noch irgendwo auf der Erde existieren
kann.

Doch der Manager konnte sich nicht genug tun.
Auch Schweden liegt ziemlich weit vom Kur-
fürstendamm, woraus sich die Notwendigkeit ergab,
auch Schweden, ällerdings ohne Gebräuche, vor-
zuführen. Ich gebe nun für eine Schwedin mit
Wonne sämtliche Berlinerinnen auf. Aber picht
für drei Schwedinnen, öie in eine Art von Tiroler-
kostüm gesteckt werden, schon recht auffailend
flott berlinisch sprechen, und diese herrlichste
Rasse der Welt „veranschaulichen" solien. Die
selbstsichere Vornehmheit der Schwedin in Körper,
Kleidung und Sitten, die Kiihle ihres Geistes, die
aus einem Vermögen stammt, die Tiefe ihres Ge-
fiihls, das beherrscht und beherrscht ist, rnacht sie
zttr kiinstlerischen Persönlichkeit, auch wenn nie-
inais Kunst in ihr lebendig wurde. Im Gegensatz
zu den Kunstweibern dieser Erde, die Kunst aus-
üben, ansehen, anhören, beriechen, und doch stets
die kleinen Spießbürgerinnen bleiben, die sie sind.
Welch ein Glück, daß Schweden nie entdeckt wer-
den wird.

Die Eskimos reisen wieder ab. Sie solien
Heimweh haben. Man kann es ihnen nachfühlen.
Stets in elektrisch beleuchteten Hiitten mit Schnee-
hintergründen von Hugo Baruch & Co. leben zu
müssen, und noch dazu von den Berlinern ange-
gafft ztt werden, wird stets nur bei den Berlinern
als Vergniigen gelten.

Der verheiratete Ehebrecher

Herr Martin Zickel ist vom Oberverwaltungs-
gericht für a 11 e Z e i t e n als unwiirdig befunden
worden, ein Theater in Preußen zu leiten. Er hat
nämlich, wie es in dem Urteil heißt, „trotzdem er
verheiratet war, ehebrecherischen Umgang gepflo-
gen.“ Wenn der Mensch schon die Ehe brechen
will, so sei er wenigstens nicht verheiratet. Oder
soll sich der tiefmoraiische Spruch des Oberver-
waltungsgerichfs auf die Ehe zur linken Hand be-

ziehen. Wo Herr Zickei doch rechts verheiratet
war. Die Herren Blumenkohl und Kadeiburg wer-
den ihre Unlustspieie in Zukunft vorsichtigerweise
nur nocli Eunuchen zur Aufführung iibergeben. Die
Kunst darf nicht geschädigt werden. Wozti haben
wir in Preußen ein Oberverwaltungsgericht?

Trast

Triumph!

Ernst Hardt: Gudrun / Lessing-Theater

Das ist’s, was diesem Mann geiingt:

Daß er den Bart zu Ehren bringt.

Den Bart, der voll herniederwallt
Auf eine männiiche Gestalt.

Den Bart, von Jamben eingedämmt,

Und psychologisch ausgekämmt

Hinwiederum — wie Dichter sind —

Bemerkt man anch ein biondes Kind.

Der Manne naht. Er kämpft. Er freit.

Seiti Sinn ist treu. sein Schwert ist breih

Er zieht mit Vatern ins Gewühl.

Die Jungfrau sitzt und sinnet schv iil.

Die Amme sprengt sich lyrisch ein.

Der Nebenmanne braust herein.

Normannenmännlich, etwas laut.

Die Jungfrau: Weiche — ich bin Braut!

Indes, der Psychologe fühlt:

Das arme Herz ist aufgewiibit.

Ein Seelenzwiespalt? Nichts genau’s!

(Die Amme schiittet Lyrik aus.)

Bald steht das Mädchen zwischen zwein.

Und schwankt (und liebt doch nur den ein’.

Der wo sie stürmisch überfiel).

Der Tod beendet dieses Spiel. —

Der teutsche Vollbart rauscht im Wind:

Behiit dich Gott, du blondes Kind!

Wir gehn erhoben und versöhnt —

Der Bart, der Bart ist preisgekrönt!

Wir sehn den Horizont erhellt.

Dies ist der Lauf, der Lauff der Welt!

Nun sucht nur nach dem jungen Kleist —

Ihr krönt ja doch den Vollbartgeist.

Den teutschen Geist, dem es gelingt,

Daß ihr euch selbst zu Ehren bringt.

Peter Scher

Beachtenswerte

Bücher

KARL HAUER

Von den fröhlichen und unfröhiichen Men*
schen / Gesammelte Essays

Verlag: Jahcda und Siegel / Wien und Leipzig

Verantwortlich für die Schriftleitung
HCRWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

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