Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 100 (März 1912)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Kunst und Künstler
DOI Artikel:
Dehmel, Richard: Aus den Verwandlungen der Venus
DOI Artikel:
Dehmel, Richard: Gebet im Flugschiff
DOI Artikel:
Scheerbart, Paul: Audienz beim König: assyrisches Morgenidyll
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0354

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ohne sittlichen Ernst, und deshalb wird der Autor
poetisch: „0, mein deutsches Volk, — wohin ist
die Zeit versunken, da du noch mühsaon und ar-
beitsschwer dein bescheidenes Brot a ße s t, das
du im bitteren Kampf ums Leben erwarbest,
da du dich selber langsam auibautest in harten
Tagen, da du dir eine neue Existenz schaffen
mußtest, nach furchtbaren Kämpfen und Leiden.“
Das deutsche Volk hat eben den Existenzkampf
hinter sich und verjuxt sein Qeld fiir Schmierereien
von van Qogh und Cezanne. „Schiller, dessen
ganzes Leben ein von idealem Qlanz durchleuch-
teter harter Kampf und ein hehres- Leiden war,
wäre er heut noch möglich? . . . Aber schon
seine Epigonen sind verschollen; heute wird, was
in seinem Qeiste noch erstehen will, kurzerhand
verlacht.“ Das deutsche Volk hat sich sehr ver-
ändert. Nachdem es nun im bittern Kampf uins
Leben sich eine Existenz geschaffen hat, will es
durchaus sein Qeld ausgeben. „Der Besuch der
Venus von Milo in Paris, des alten Museums in
Berlin ist kostenlos, der eines feinen Restaurants
mit Austern, Sekt und Weibern recht teuer. Trotz-
dem gehört nur 1 e t z t e r e s heute bei uns schon
zu den Lebensbedürfnissen, und nicht bloß der
obersten Schicht.“ In der guten alten Zeit gab es
Austern, Sekt und Weiber gratis, während man für
den Besuch von Museen idealerweise zahlte. Ja,
wir sind materiell geworden. Die Richtung in der
Malerei „ernährt ihre Vertreter sehr wohl“. Aber
der „Richtung kann ein bitterer Vorwurf nicht er-
spart werden: sie ist alles eher als deutsch. Sie
hat die Manet, van Qogh, Cezanne zu Göttern
gemacht, ur.d die Nachfolge dieser zerzausten Qe-
nies, dieser Boheme in der Kunst, hat unsere junge
deutsche Künstlerschaft imtner wieder verführt.“

. . . „Darum bleibt uns als letzte Zuflucht die
Forderung, aus der Mbde heraus, in das Dauernde
hinein! Nicht für den Effekt, den plötzlichen wiis-
ten Beifall der Masse, sondern für die Zukunft,
für alle Zeiten und fiir alle Menschen außer und
nach uns.“ Aber dem Autor steht noch eine aller-
letzte Zuflucht offen: der wunderbare Vogel.
„Im Qeäst des Hochwaldes singt ein wunderbarer
Vogel. Von des alten deutschen Reiches Herrlich-
keit, von seinen Helden, seinen Liedern, seiner
Kunst; von des neuen Reiches herrlicher Krone,
die wie eine Sonne leuchend aufging über grünen-
den Eichenwipfeln. Ob er einst auch singen wird
von seiner Kunst?“ Schwer zu sagen. Schließ-
lich übernimmt es der Auchdeutsche, der in den
Zweigen wohnet. Sein Qeist leuc'htet herrlich auf,
wie eine Krone über grünenden Eichenwipfeln.
Hat ’nen Buchchen im Schnabel, von der Liebsten
einen Qruß.

Der Zeltgeist

Herr Fritz Engel, der für den Zeitgeist ver-
antwortlich ist, Herr Fritz Engel, der Qründer
der Kleiststiftung, der wie verrückt für ringende
Talente eintritt, Herr Fritz Engel veröffentlicht ein
Gedicht von Herrn Fritz Keller, dessen erste und
letzte Strophe lautet:

Schmücke dich und putz dich fein,
Herzmädel du.

Voller Qold und Edelstein
Ist meine Truh!

Qrüne, blaue, blinken drin
Und ein Herzlein aus Rubin.

Sapperlot, schon wird das Blut
Mir selber heiß.

Narr, der nicht ein Sündlein tut
Um solchen Preis.

Jung sein ist kein Kinderspiel —

Mädel, komm und küss’ mich viel.

Der Dank

„Ludwig Ganghofer, nach dem die Stadt Neu-
kölln eine neue Straße benannte, hat dem Magistrat
für dessen Bibliothek fiinf Exemplare seiner gesam-
melten Werke überwiesen.“

Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

Trust

Aus denVerwandlungen
der Venus

Von Riehard Dehmel

Du sahst durch meine Seele in die Welt,
es war auch Deine Seele: still versanken
im Strom des Schauens zwischen uns die

Schranken,

es ruhten Welt und Du in Mir gesellt.

Dein Auge sah ich grenzenlos erhellt:
Erleuchtung fluteten, Erleuchtung tranken
zusammenströmend unsre Zwiegedanken,
in Deiner Seele ruhte Meine Welt.

Und ganz im Weltgrund, wo sonst blindgeballt
entzweite Lüste hausen voller Eehle,
enthüllten sich auf einmal unsre Hehle
vereint als lauter Liebeslustgewalt.

Denn Liebe ist die Freiheit der Gestalt
vom Bann der Welt, vom Wahn der eiignen

Seele . . .

Das ist Liebe. Und mit leichtem Sinn
gäb ich all mein ernstes Selbstbeschaueti
spielbereit für Dein Empfinden hin,
du liebseligste der Frauen!

Ja, solch Spiel das ganze Leben,

Lieberes könnt ich nicht erwerben;

Frohsinn hast du mir gegeben.

Doch auch Du, auch Du wirst sterben!

Wil'd und wehe und zum letzten Mal
wird mein Herz an deinen Leichnam schlagen;
still in unserm Freudensaal
wird dein steinern Bildnis ragen.

Einsam werd ich wieder dann erschauern
vor den wirren Weltgewalten;
o Vernunft, sie iiberdauern
unser menschliches Oestalten.

Blaß im Leeren steht der Mörgenstern,
nur noch wie ein überflüssiges Pünktchen;
und doch hängt siclt imnier wieder gern
jede Seele an dies Fünkchen.

Bis aufs Meer hin sieht mein Qeist es stehn
iiber tausend angstbefahrenen Qleisen,
sieht’s in teilnahmloser Bahn sich drehn
bis ans Ende aller Erdenreisen —

sieht die Scharen der vom Sturm Umbrandeten,
die Myriaden der nach Rettung Winkenden,
der Qescheiterten, Qestrandeten,
der Verschmachtenden, Ertrinkenden —

f

sieht sich mitgequält von all der Qual:

Seele, Seele, stirbst du nicht vor Qrausen?!
Aber da vertreibt den trüben Schwall
eine Stimme, sternhin ein Erbrausen:

Psalm an den Geist

Bleibe dir heilig, Qeist,

Herr deiner Seele!

Ein fremder Schein beirrt dich noch:

was spähst du nach Schiffeh trti Nebel,
von Andern gelenkt?!

Aus deinem Leuchtturm blickst du hinab,
und Ströme, auf denen der Erdbali durchs

Weltdunkel rast,

reißen an dir und reizen zum Sturz
hinunter ans lauernde Ufer.

Dort standest du schon als Jüngling;
und während Woge auf Woge kam,
schriebst du, den Krückstock tief einbohrend,
Namen auf Namen in den feuchten Triebsand,
geliebte Natnen — und keiner blieb.

Manche taten schon so
und wurden stolze Verzweifler.

Aber mächtig macht nur der Qlaube;
und Niemand lebt, den sein Tiefstes
nicht noch iiber die Sottne hinaufweist,
iiber die Sterne, und weiter.

Sahst dtt nicht gestern die Zimmerleute,
wie sie die Leiche auf der Leiter trugen,
vom Neubau weg:

machte nicht jeden ihrer schweren Schritte
die Kraft des Abgestürzten
sichrer als ,ie ihn selber?!

Wahrlich, Keiner von Diesen

wird sich zu Tode stürzen;

und wenn sie einst den Geist aufgeben,

vvird jede dieser sechs Handwerkerseelen

— vvir Alle sind Erben —

hell triutnphierend an den Schauder denken,

als sie den Andern auf seinem Werkzeug trugen.

Bleibe dir heilig, Qeist:

Herr deiner Seele!

Gebet im Flugsehift

Von Richard Dehmel

Schöpfer üeist, unbegreiflicher,

der du Wesen ersinnst, die Gestalt annehmen,

grausig gütiger du,

denn jedes lebt vom Tod vieler andern,

Qötter wie Menschen,

Tiere, Pflanzen,

Kristalle, Qase, Aetherdämonen,

kann jedes übergehn in jedes,

ins Meer, ins Luftmeer, in fernste Qestirne,

bauen einander, zerstören einander,

begehren auf wider sich und dich,

lassen sich Krallen wachsen vor Qier,

Flügel,

und selbst Maschinen, die Vögeln gleichen,
ächzen aus ihren Nöten zu dir
um das letzte Quentchen Vollendung:

Jetzt: hier schweb ich in deinem Licht,
wie ein Wasserstäubchen im Regenbogen
mitdurchhaucht von all deinen Farben,
ohne Bitte,
nur voller Dank

deines beseelenden Odems teilhaftig,
deiner Inbrunst,

die sich staunend in Menschenmund nennt:
Phantasie! —

Audienz beim König

Assyrisches Morgenidyll
Von Paul Scheerbart

Die Sterne strahlten noch ganz hell über der
neuen Stadt Kalchu, die der König Assurnasirabal
aufbauen ließ als ein Zeichen seiner Qröße. Nicht

796
 
Annotationen