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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 60 (April 1911)
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [3]: ein Volksroman
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Benndorf, Friedrich Kurt: Vom Gedichtelesen
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Walden, Herwarth: An die Herren Vorsitzenden der Deutschen Heimatspiele
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Adler, Joseph: Lokale Begebenheiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0035

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Qeist unseres Voikes, der hinter unserer Erscheinungs-
welt iebt diese Beiden scheinen mir zusammenzu-
gehen — und wir Alle scheinen in ihm unterzugehen.
Das Letztere wolltest Du im letzten Frühling nicht.“
„Heute,“ sagte der Kaiser, „will ichs schon, da
das Volk ein Andres geworden ist.“

Es wurde ganz dunkel im Perlmutterzimmer, aber
die Beiden sprachen immer weiter, ohne die Dunkel-
heit zu bemerken.

SchiU6£ folgt

Diejenige Denkmethode, die den grössten Qrad
von Wahrheit erreicht, ist die unwissenschaftlichste aller
Denkmethoden

» *

*

Dass alle diese Ergebnisse paradox sind, spricht
nicht gegen ihre Richtigkeit. Sie zeigen ledigiich die
Paradoxität wissenschaftlicher For-
schung überhaupt

hätten, eine prägnantere Fassung hätte er nicht finden
können.

Wenn Wildenbruch das noch hätte erleben dürfen!

Indem ich Sie bitte für unsere Mitarbeiter und Abo-
nennten eine Sondervorstellung zu) reservieren bin
ich Ihr

ergebener

Trust

PS. Warum haben Sie sich unter den Ehrenbeiräten
Henry Thode entgehen lassen?

Vom Gedichtelesen

Von Friedrich Kurt Benndorf

Mag uns ein Gedicht beim ersten Lesen nicht
bereit finden, seinen seelischen Blitzschlag zu empfangen
— die Erfahrung flüstert uns zu: trage das Buch,
worin es steht, mit dir herum, lies immer wieder darin,
es kommt Verstehen über Verstehen, wie bei einer
Landschaft oder einer Stadt, in die du dich einlebst.
Wieviel Poesie würden wir heute als unverlierbaren
Schatz besitzen, wenn wir vor Jahren ihr schon ent-
gegengekommen wären, mit Geduld gegen Fremdartiges
und in Gewärtigung künftigen Lohnsl Auf einmal er-
scheint die Stunde, wo wir gerade auf dieses Gleich-
nis, diesen Stimmungsgehalt vorbereitet sind, — wo
die Tür in unserm Innern aufspringt, durch welche die
Kunstgestalt in ihrer vollen Schönheit eingehn kann!
Auf einmal sind wir befähigt, uns bei der Perzeption
eines Gedichtes so synthetisch zu verhalten wie der
Dichter bei der Konzeption. Auf einmal überlaufen uns
Schauer, wenn „der Glühende" singt:

Wer hat uns tief gemacht I
Wir sind zu tief für uns!

Uns graut vor unsl

Die Krankheit kommt, es kommt das Alter.

Herb mein Antlitz, das Auge wälzt willekrank
in schwarzen Gedankenkissen.

Doch fühl ich jetzt: Das ist nur Ueberflor-
Selig, selig, du mein urtiefes Herz!

Am Heimatstrom des Lebens in seliger Ruh,
biutend rauschest du Grundmelodien empor —

Selig, selig in deiner Tiefe du!

Alfred Mombert

Die Wahrheit

Ein iogische Deduktion
Von John Wolfs

Ich setze das Ethos: Wir sollen Wissenschaft treiben
um der Lust willen, die sie uns gewährt.

Das Befriedigen des Erkenntnistriebs löst, wie das
Befriedigen jedes Triebs ein Lustgefüh! aus. (Das ist
allgemein bekannt)

Ergo:

Die Skeptizität des Seienden ist die Voraussetzung
für die Erforschung des Seienden.

Das Wissen der absoluten Wahrheit würde die
Wissenschaft vernichten. Es gäbe kein Objekt der
Forschung mehr.

Wissenschaft ist also nicht, wie man gemeiniglich

glaubt, Erforschung der Wahrheit, —-sondern

Erforschung der Wahrheit

Die Wahrheit ist in Wahrheit der Todfeind der
Wissenschaft.

Je mehr Lebenskraft, desto weniger Wahrheit hat
die Wissenschaft.

Voraussetzung wissenschaftlichen Strebens, des
Strebens zur Wahrheit zu kommen, ist die Unmöglich-
keit zur Wahrheit zu kommen.

An die Herren Vor-
sitzenden der Deutschen
Heimatspiele

Hochwohlgeboren

in

Potsdam, Rathaus.

Euer Hochwohlgeboren Aufforderung, durch rege
Anteilnahme die Deutschen Heimatspiele zu unterstützen,
habe ich zur Kenntnis genommen und beehre ich mich,
auf dieselbe Folgendes zu erwidern :

Ich begrüsse mit Freuden die Bestrebung, dem
Patriotismus, der unter der derzeitigen Entartung der
Kunst, vornehmlich des Theaters, so schwer gelitten
hat, wieder auf die Beine zu helfen, auch mir will
scheinen, dass derselbe, insbesondere die Liebe zu
Gottes freiem Herrscherhause und der angestammten
Natur nicht besser gefördert werden könne als durch
einen Besuch der Stadt Potsdam mit ihren herrlichen
Schlössern und Parks, mit ihren reichen historischen
Erinnerungen an Friedrich den Grossen und durch
einen Nachmittag im Walde und bei den Deutschen
Heimatspielen. Eine Aufführung von Axel Delmars
Heimatspiel auf den Tag von Kunersdorf, die ff. Ge-
tränke und div. Speisen der bestrenommierten Brauerei
von Adelung und Hoffmann sowie des Restaurants
Wackermanns Höhe werden nicht verfehlen, die deut-
sche Jugend die Zeit der Not der Mark Brandenburg
und den „alten Fritz“ lieben zu lehren. Was wäre ge-
eigneter, die Hurrah-Fähigkeit der preussischen Lunge
zu gedeihlicher Entwicklung zu bringen, als ein Preussen-
Drama aus der bewährten Feder des Herrn Axel Del-
mar? Wie gut tut derselbe, dasselbe im Freien, („unter
Gottes freiem Himmel“ wie sie mit Recht sagen) auf-
suchen zu lassen und werde ich nicht verfehlen, bis
zur Aufführung inbrünstig zu beten, dass dieselbe nicht
verregnet werden möge. Denn Gottes freier Himmel
kann in Preussen recht ekiig sein.

Immer und immer wieder muss der deutschen Ju-
gend die Liebe zu den angestammten Kiefern und Re-
staurants eingepflanzt werden, damit dieselbe nicht ent-
arte. Wie gelangen wir wieder zu einer gesunden Kunst ?
Wenn Volk und Künstler erkennen, dass nur die Kunst
wahr, gut, schön und preiswert ist, die patriotische
Stoffe behandelt und spreche ich Ihnen zu Ihrem guten
Griff meinen Glückwunsch aus.

Die grosse Zahl namhafter Ehrenbeiräte bürgt da-
für, dass nur ff. Patriotismus verabreicht wird. Lauter
Männer zudem, die durch ihre intimen Beziehungen
zur Deutschen Kunst Herrn Axel Delmar und dem
Potsdamer Fremdenverkehr gute Dienste leisten werden.
Kann die deutsche Dichtung besser vertreten werden
als durch die Herren Max Dreyer und Rudolf Herzog?
Und wenn auch Herr Ferdinand Gregori mitmacht,
habe ich die sichere Gewähr, dass es eine erstrebens-
werte Sache ist. Ganz abgesehen davon, dass die Be-
teiligung vom Präsidium und Central - Ausschuss der
Deutschen Bühnengenossenschaft dafür bürgen, dass an
die Auffassungsfähigkeiten der Zuhörer keine modern
überspannten Anforderungen gestellt werden sowie dass
bei der Gelegenheit auch für die Hebung des Standes-
bewusstseins unter den deutschen Schauspielern etwas
abfällt.

Wie sagen Sie doch in Ihrem Prospekt:

„Lassen Sie unter Gottes freiem Himmel Heimat-
kunst auf sich wirkenl“

Wenn alle Deutschen Heimatkünstler von Frenssen
bis Rosegger, von der Etsch bis an den Belt, von
Axel Delmar bis Schönherr, von Curt Zahn bis zur Clara
Viebig und zum Kunstwart zu diesem Satze gefeUt

Lokale Begebenheiten

Heineverehrung

Eine Berliner Tageszeitung schreibt:

„Ob es wahrscheinlich ist, dass Heine, wenn
er heute lebte, sein berühmtes Frühlingslied
also umgedichtet hätte:

Kling’ hinaus bis an das Haus,

Wo die Veilchen spriessen. —

Wenn Du eine H o s e schaust,

Sag, ich lass sie grüssen!?

Die Konferenciere des gestrigen grossen
Moden-Meetings im Warenhaus Tietz beschloss
ihren Vortrag über die Mode im allgemeinen
und den Hosenrock im besonderen mit dieser
ein wenig kühnen Vermutung.“

Ein Durchschnittsgehirn kann so bescheiden sein,
dem berühmten Lyriker ein witz- und geschmackloses
Analogen, das es selbst produziert hat, zuzumuten.
Die Heinesche Lyrik ist streckenweise so glatt, dass
sich eine Zeitgenossin beherzt auf sie herablassen
kann, sie wird sich an ihr kein Loch der besseren
Erkenntnis in den eigenen Geistesstoff reissen.

Es kann in dem berühmten Frühlingsliede eine
Rose geknickt und an ihre Stelle eine Hose gehängt
werden: das Lied verliert nicht dadurch, lebt es doch
nur von Worten, die eine sangbare Weise locker zu-
sammenhält. Aber der „unentwege“ Klassikerverehrer
leidet unter einer Umdichtung, wo nur gegenwärtige
Sterilität an überliefertem Unvermögen sich reibt. (Man
lese über dieses Thema: Karl Kraus: Heine und
die Folgen.)

An der Leine

Und Edmund Edel schwärmt noch immer von
Pleuresen. Der Verfasser des „männlichen Gegen-
stückes“ zum Roman „das gefährliche Alter“ hat von
Jupe-cullotte noch immer nicht geplaudert; selbst
bei Gelegenheit einer Würdigung des „Hippodrom
Noblesse“ im Citypark schwang er sich nicht auf die
hohe Causeuse der liebenswürdigen Spötter: um von
ihr herab auch etwas über die 1 e t z t e Mode zu
sagen. Diesmal nimmt er es mit einem ernsten Unter-
ton auf, er will originell sein, und das ist auch amü-
sant.

In der Manege ein Dutzend Pferde, die
bessere Tage gesehen haben, und denen mit
der Zeit alles egal geworden ist An einer
langen, virtuos klatschenden Peitsche hängt
ein sehr nobler Stallmeister. Er sieht aus
wie Cyrano de Bergerac, ist aber besser ge-
kleidet. Die Weste ist rot, der Sammetrock
dunkel, der Zylinder schwarz und das Ganze
glänzt fettig.

Nur eine Redewendung mag noch so viel bessere
Tage gesehen haben, es wird sich immer noch ein
Schmock finden: „Staat mit ihr zu machen“.

Es gibt ein Hippodrom der Literatur, darin auf
den Rosinanten der Schriftsprache Attacken gegen die
Kunst und die Wahrheit geritten werden. Edel ergeht
es dabei vielleicht wie dem Tertianer: „der hinter einer
Pleuresendame reitet“.

Er hat grosse Mühe, nicht herunter-
z u f a 11 e n, und das nicht sehr zart besaitete
Friedrichstrassenpublikum lacht über ihn. Aber
der Tertianer merkt es nicht. Er reitet stolz
durch die unwahrscheinlich grünen Auen, die
an der inneren Zeltwand ringsum aufgemalt
sind. Ein Trauml Dreimal herum in de
Manege — dreimal durch traumgrüne Am
durch ein romantisches Leben, durch

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