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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 72 (August 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Wauer via München,weiter und so weiter
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Notiz
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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0132

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losen Blumenbaum und lasse es zwitschern.
Wie ich so dahinlebe, ich bin einer der fahrenden
Schüler aus St. Peter Hilles Platonikers Sohn.
Im Tanzschritt ziehen wir durch das Grün der
Stadt hintereinander mitten im Mondpolka. Die
Strassen und Plätze duften noch nach Marien-
balsam der Dome. Wir schweben, wir kennen
die Sünde nicht, an der Welt vorbei, mit Miin-
chen der Südstadt Deutschlands im Arme. Ich
muss München immer kiissen, schon, weil ich
Berlin hinter mir habe; wie von einer langwei-
ligen Kokotte geschieden fühle ich mich. Meine
Freunde spielen Harmonika, wir ziehen an
Schaufenstern pietätvoller Läden vorbei; Meister-
bilder, frommer Schmuck, wilde Waffen aus den
Gräbern der Bibelfürsten und überall die blau-
en Königludwigaugen! Eine alte Riesenkommode
ist Miinchen aus einem bayerischen Alpenknochen
gehauen. Man kann so andächtig kramen in
Miinchen und ausruhen auf gepolsterten Erin-
nerungen. Hier freut man sich seiner selbst, man
findet sich in seinem glücklichsten Augenblick
oben auf dem Berge der Stadt. Im Vorbeischrei-
ten an den Gärten Obersendlings, flüchtet vor mir
das prahlerische Häuserregiment Berlins. Es
steigt die Erde, ich sitze auf ihrem Rücken in
einem der Schlösser. Ich bleibe hier fiir ewig!
Man sagt das so leicht. Ein Paradies ist Mün-
chen, aus dem man nicht vertrieben wird, aber
Berlin ist ein Kassenschrank aus Asphalt; der
ihm zum Labsal benutzt, hängt sein Herz eng-
herzig als Schloss davor. Ich soll mich soganz
erholen in der bayerischen Hauptstadt. Giebt’s
auch Cafes hier? Da winkt schon eins von
Ferne. Sei mir gegrüsst, oder wie der Bayer
sagt „Gott grüss dich Cafe Bauer!“ Von einem
Altan herab ladet es den vorbeiwandelnden ein-
zutreten, manchmal sogar holt der luftschöp-
fende Ober den Gast in sein Cafehaus nach süd-
licher Sitte. Ich stelle eine gewisse Aehnlichkeit
zwischen dem Cafe Bauer mit unserem Cafe des
Westens fest, unserer nächtlichen Heimat, (grinst
nur verfluchte Somaliphilister und Sudanpro-
leten) unserer Oase, unserem Zigeunerwagen, un-
serem Zelt, darin wir ausruhen nach dem all-
täglichen schmerzvollen Kampf. Die Frau Wir-
tin ist sanft, sie pflegt unsere Launen, die uns
der Bürger schlug. Vom Oberober bis zum
Unterunter passen die sich dem Rhytmus der
Gäste an. Herr Rattke hat wieder ein neues
Buch geschrieben in Kochäen über Servieren,
verrät mir Richard, der Zeitungsverweser, der

Journaltruchsess. Er liest mir mit Pathos mein
Gedicht im Sturm vor über München; ich be-
ginne zu seufzen. Was fangen nun die spielen-
den Strassen dort ohne mich an und die vielen
gaukelnden Herzen? Dass die gesund bleiben,
dafür sorgen die Aerzte, namentlich der unver-
gleichliche Doktor Arthur Ludwig. Alle seine
Patienten kommen, weil er der unvergleichlich-
ste Mensch noch dazu ist, nie zur angeschla-

genen Zeit in die Sprechstunde, wegen der sü-
ssen Speisen und der Marmeladen, die zum
Mittag aufgetragen werden von seiner emsigen,
lieben Haushälterin. Und die bettlosen Patienten
und Freunde nahen gewöhnlich mit dem Die-
trich und der Zahnbürste im Gewande, sie

kommen vom Rande ihres Lebens und der Dok-
tor, ein heiliger Wirt, wie auf dem Bilde in

seinem Sprechzimmer, zu sehen ist: „Fräulein
Haushälterin, besorge für den Fremdling nun
eine Lagerstatt“. Er ist direkt ein Engel. „Ein
starkfühlender, intelligenter Engel“, betont ein
Kollege von ihm, Doktor Max Nassauer, der
dichtende Arzt in München.

Wir gehen alle in den Simplizissimus, in

Kati Kobus ihrer berühmten Künstlerkneipe. Heu-
te kommen die Kegler! Ich meine die Leute
vom Kegelabend. Ludwig Scharf trägt mit
starkem Ton seine Verse vor, jedes Wort ist an
das andere geschmiedet. Sein Gesicht ist eine
diabolische Arabeske. Dazwischen tönt die fah-
rende Stimme des Guitarrenspielers und die lie-
benswürdigen, drolligen Bemerkungen Max Hal-
bes; er gefällt mir sehr. Und all die kleinen
summenden Mädchen mit den braunen und blon-
den Liedern. Und die Hauptsache bleibt die
Kati Kobus, die Simplizissimusherrscherin mit
dem Kronmal auf der Stirn. Sie ist die Her-
zogin des Rausches, sie ist eine Regierende. Wer
so zu unterscheiden vermag wie sie! Eine Ju-
welierin, wer so das Angesicht auf sein Geist-
karat zu werten vermag. Das Scheiden aus ihrem
Nachtgarten, wo das Lachen blüht zwischen
Bilderhecken, tut mir besonders weh. „Frau
Helene, sage ich mich ermannend eines Morgens
zu meiner Wirtin, es muss geschieden sein! ! !
Berlin! Vom Waggon aus steige ich sofort die
Stufen des Kleinen Theaters hinan zur General-
probe der Vier Toten der Fiametta. Morgen
zur selbigen Stunde werde ich Jacobsohn wie-
dersehen — ich werde Jacobsohn wiedersehen!

Direkter Wauer fundiert noch seinen letzten
Fusstapfen, er ist ein Baumeister und umreisst

die Gebärden der Spielenden. Fest und sicher
bewegt sich nun das ungeheure Pantomimen-
drama und ballt sich wieder zur Einheit. So
wohlgeformt und nicht ein Abweichen, nicht ein
überflüssiges Zureichen. Allerlei Grauen führen
des Schneiders (William Wauer) Klauen die
Schneidernadel unentwegt. Grandios ist die Be-
wegung seines Mundes, die nicht ein stummes
Reden, aber ein drohendes Auftun seines Ge-
sichtes bedeutet. In grossen teuflischen Zeichen
nicht minder, wie ihr Direktor, spielt Rosa Va-
letti, die Schneidersfrau, und rotangefüllt, ein
Blutbezechter, ein wankender Bär, tappt der Last-
träger (Guido Herzfeld) auf den Ruf der ver-
zweifelten Fiametta über die Stufen der Treppe,
in das Trauerspiel. Das Harlekintrio. Ein Ge-
mälde, das im Anschaun mit dem Körper des
Bewunderes verwächst. Und die ungeheure Last
Trauerspiel, rollt sich auf einer Musik auf-
w ä r t s hochmütig über die Leiche verdutzer
höhnender Kritik. Herwarth Walden, ein Hod-
ler der Musik, der alles süssliche zerreisst im
Siegeskrampf und Kampf. Morgen ist die Pre-
miere der Vier Toten der Fiametta, ich werde
Jacobsohn wiedersehen —, ich werde den klei-
nen Jacobsohn wiedersehen! „Wer kommt noch
mit ins Cafe?“

Else Lasker-Schüler

Notiz

Die Nummer 71 dieser Wochenschrift wur-
de wieder vom Verkauf auf den Bahnhöfen aus-
geschlossen. Trotzdem der Holzschnitt Variete
von E. L. Kirchner doch schon das menschen-
möglichste an Bekleidung leistet. Für die preu-
ssische Eisenbahnverwaltung kann man offenbar
aber garnicht zugeknöpft genug sein. Sollte wie-
der einmal eine Nummer auf den Bahnhöfen
fehlen, so mögen unsere Leser nicht allzukühne
Hoffnungen auf erotische Sensationen setzen.
Die Grösse des Halsausschnittes ist von der zu-
ständigen Behörde für Beamtinnen und Zeich-
nungen festgesetzt. Wenn man wissen will, was
sich ziemt, so frage man in Zukunft dort an.

Die Redaktion

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich
Ungarn / I. V.: Oskar Kokoschka

Die Fackelj

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veröffentlichte das franzö-
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