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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 85 (November 1911)
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Döblin, Alfred: Der Ritter Blaubart
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Zech, Paul: Zwischen Russ und Rauch
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Heymel, Alfred Walter: Eine Sehnsucht aus der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0235

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kleid, den Schleier vor dem stolzen weißen Qe-
sicht, eine Qerte in der Hand, tot auf dem Hof
des Schlosses.

Im Volk, bei den Schiffern und Vorstadtar-
beitern munkelte man, wenn der finstere Baron in
seinem schwarzen Ledermantel vorüberritt; die
Kinder schrieen vor ihm auf, warfen kleine Stein-
chen nach ihm, schossen mit dem Katapult auf
sefnen Hengst.

Die Tochter eines Ratsherrn, ein schmächtiges
hellblondes Mädchen, sah ihm vom Fenster aus
nach. Ihr traten Tränen in die taubengrauen
Augen, wenn die Männer ingrimmig von dem Ge-
schick des schwarzen Ritters sprachen; sie weinte
in ihrem Zimmer um ihn und war eines Tages anf
seinem Schlosse und wurde seine Frau. Alle angst-
vollen Beschwörungen der Verwandten konnten
dies nicht verhindern. Scharen von tobenden Men-
schen wälzten sich über den dunklen Weg nach
dem Schloß, noch ehe ein Monat verstrichen war,
als man die Leiche des süßen Qeschöpfes eines
Abends an dem Mauerdurchbruch fand. Die Po-
üzei umringte das Schloß zum Schutz, der Baron
wurde in Haft genommen. Das Qericht verfügte
die Exhumierung der beiden ersten Frauen, die
genaue chemische Analyse der drei Leichen auf
Giftstoffe. Die Untersuchung blieb ergebnislos.
Der Baron wurde auf freien Fuß gesetzt, das
Volk streckte ohnmächtig die Hände nach ihtn aus
tmd wollte ihn zerreißen, als er seinen Revol-
ver in der rechten Hand, langsant. höhnisch
lachend, nach der Heide hinausritt.

Von nun an mied er die Stadt völlig. Er
hauste allein in der Heide; nur sein Reichtum
hielt die Dienerschaft im Schloß zurück.

Da Iandete eines Tages eine kleine Yacht vor
der Stadt. Ein silbernes Horn blies über die
Heide; Miß Ilsebill kutschierte ein Schimmelge-
spann durch die glatte Chaussee nach der Stadt.
In dem Gasthof am Markt logierte sie sich ein.
Sie fragte den Wirt nach dem Baron Paolo und
seinetn verrufenen Schloß; sie fragte zum zweiten,
ob ietzt noch eine Frau bei ihm wäre; sie fragte
zum dritten, wo sie ihn sehen könne. Bei den
Rennen, die morgen in Stirming, dem Vororte,
stattfänden.

Schluft folgt

Zwischen Russ und
Raueh

Von Paul Zech

Die Einfahrt

Das eichne Tor, mit Stacheln schroff bezackt,
Fährt widerwillig aus den Eisenkappen.

Schwer über schwarze Pflastersteine klappen
Viel Nägelschuhe mörderischen Takt.

Wie eine blöde Hamtnelherde drängt
Der Trupp sich in das Fröstellicht der Lampen
und stolpert schläfrig über rund gewölbte Rampen
bis ihn der Dunst der Halle schwiil empfängt.

Der Steiger prüft die aufmarschierte Fracht
Und liest mechanisch und kommandolaut
die aufnotierten Namen aus der Liste.

Dann knirscht der Dampfstrom über die Qerüste
und zehn zu zehn in Käfige verstaut,
schnellt sie das Seil hinunter in den Schacht.

Der Hauer

Den breiten Nacken rittlings hingestemmt,
so führt er Schlag für Schlag die Eisenpflöcke
in das Qestein bis aus dem Sprung der Blöcke
Staub sprudelt und den Kriechgang iiberschwemmt.

Im Flackern des verrußten Qrubenlichts
blinkt der halbnackte Körper wie metallen.
Schweißtropfen stürzen, perlenrund im Fallen,
aus den weit offnen Poren des Qesichts.

Er summt ein dummes Straßenlied zum Takt

der Hämmer und dem Spiel der Eisen

und stockt nur wie von jähem Schreck gepackt,

wenn hinten weit im abgeteuften Stollen
Sprengschüsse dumpf wie Donnerschläge rollen
und stockt und läßt die Lampe dreimal kreisen.

1m Dämmer

Im schwarzen Spiegel der Kanäle zuckt
die bunte Lichterkette der Fabriken.

Die niedren Straßen sind bis zum Ersticken
mit Rauch geschwängert, den ein Windstoß
niederduckt.

Ein Menschentrupp, vom Frohndienst abgehärmt,
schwankt schweigsam in die ärmlichen Kabinen;
indes sich in den qualmigen Kantinen
die tolle Jugend fuselselig lärmt.

Nocheinmal wirft der Drahtseilzug mit Kreischen
den Schlackenschutt hinunter in die flachen
Gelände, drin der Schwefelsumpf erlischt.

Fern aber gähnen schon, von Dampf umzischt,
des Walzwerks zwiegespaitne Feuerrachen —
und harrn des Winks den Himmel zu zerfleischen.

Briefe naeh Norwegen

Von Else Lasker-Schüier

Lieber Herwarth, ich habe dem Dalai-Lama in
Wien fiir die Fackel ein Manuskript geschickt. Hier
die Abschrift.

Wertester Dalai-Lama, sehr geehrter Minister,
ich möchte ihnen etwas vom Himmel erzählen,
den ich meiner Mutter widme.

Vom Himmel

In sich muß man ihn suchen, er blüht am lieb-
sten im Menschen. Und wer ihn gefunden hat, ganz
zart noch, ein blaues Verwundern, ein seliges Auf-
blicken, der sollte seine Blüte Himmel pflegen. Von
ihr gehen Wunder aus; unzählige Wunder ergeben
Jenseits. Könnte ich nur immer um mich sein, der
himmlischen Beete möchte ich ziehen. Wie man
versöhnt mit sich sein kann, und Eigenes sein Ewi-
ges küßt. Hätte ich je einen Menschen so unum-
stößlich erlebt, wie ich rnich! Zweitönig Pochen,
vertrautes Willkomm. Rundeilen meine Qedanken
um mich, um alles Leben — das ist die große
Reise uni aller Herzen Schellengeläute und Qeflü-
ster, über Wälle, die Jubel aufwarf, über Qründe
der Versunkenheit; und falle in Höhlen, die der
Schreck grub — und immer wieder seine Herz-
tapfen wiederfinden, seinen Blutton, bis man den
ersten Fliigelschlag in sich vernimmt, sein Engel-
werden — und auf sich herabblickt — siiße Mystik.
Und irrig ist, den Himmelbegnadeten einen Träumer
zu nennen, weil er durch Ewigkeit wandelt und dem
Mensch entkam, aber mit Qott lächelt: St. Peter
Hille. — Was wissen die Armen, denen nie ein
Blau aufging am Ziel ihres Herzens oder am Weg
ihres Traums in der Nacht. Oder die Enthiinmelten,
die Frühblauberaubten. Es kann der Himmel in
ihnen kein Licht mehr zum blühen finden. Aber
Blässe verbreitet der Zweifler, die Zucht des Him-
inels bedingt Kraft. Ich denke an den Nazarener,
er sprach erfüllt vom Himmel und prangte schwel-

gend blau, daß sein Kommen schon ein Wunder war,
er wandeite iminerblau über die Plätze der Lande.
Und Buddha, der indische Königssohn, trug die
Blume Himmel in sich in blauerlei Mannichfaltig
keit Erfiillungen. Und Qoethe und Nietzsche (Kunst
ist reden mit Qott) und alle Aufblickende sind
Himmelbegnadete und gerade Heine iiberzeugt
rnich, Himmel hing noch iiber ihn hinaus und
darum riß er fahrläßig an den blauen Qottesran-
ken, wie ein Kind wild die Locken seiner Mutter
zerrt. Hauptmanns Angesicht und auch Ihres,
Dalai-Lama, wirken blau. Den Himmel kann sich
niemand kiinstlich verdienen, aber mancher pfliickt
die noch nicht befestigte, junghimmlische Blüte
im Mensclien ab. Das sind die Teufel. Ihr
Leben ist ohne Ausblick, ihr Herz ohne Ferne.
Der Nazarener am Kreuz wollte dem Teufel neben
sich noch eine sanfte Wolke, einen Tropfen Tau
seines Himmels schenken. Doch eher ist ein Taub-
stummer zu überzeugen, als ein Qlaubdummer.
Der ist ein Selbstverbrecher.

Man kann nicht in den Himmel kommen, hat man
ihn nicht in sich, nur Ewiges drängt zur Ewig-
keit. Es öffnet sich dem Himmelbliihenden n i c h t
wegen seiner guten Taten der Himmel, verdammen
ihn auch nicht seine schlechten Handlungen zum
Staube. Der Himmel belohnt und verdammt nicht.
Aber Wertewiges bedingt den Himmel. Der spie-
gelt sich gerne im Menschen, unbegreiflich, wie Gott
selbst. Reich und besonnen ist der himmlische
Träger. Die Wunder der Propheten, die Werke der
Künstler und alle Erleuchtungen, auch die unbere-
chenbare Spiellust im Auge steigen aus der Ewig-
keit, der bleibenden Bläue des Herzens. Manch-
mal überkoinmt mich eine schmerzliche Verantwor-
tung, aber man kami nicht tief genug in sich
schauen und zum Himmel aufblicken.

Die Qottheit Himmel ist nicht zu greifen, sie
wäre bald vergriffen — die Ewigkeit ist nicht ein-
mal zu verkürzen. Die Qottheit Himmel im Men-
schen ist Qenie.

Leben Sie wohl, sehr verehrter Minister, mein
Himmel macht mich nicht glücklich im irdischen
Sinne, ich kann ihn nicht teilen. Wunderbar aber
spielen sich die tiefsten Erinnerungen meines Blu-
tes in dem Glanze meines Blaus wieder. Fata-
Morgana. Spätes Verwundern, seliges Aufblicken,
— Tragen Sie den Saphir meiner blauen Abend-
stunden zum Andenken an Ihrer grübelnden Hand.

Eine Sehnsuchtausder Zeit

Aus sanfter Schwermut und der Liebe Trafter
Ermann ich mich; versuch mich zu ermannen,

Und kann doch Tod und Untergang nicht bannen
Wohin ich flüchten will, ragt Mauer auf an Mauer.

Qrüb ich den Acker um, ein guter Bauer,

Und dient im Schweiße, wüßte ich von wannen
Dies alles komnit und wüßte wie von dannen
Ich käm aus Schmach und Schande, Scham und

Schauer.

Es fehlt uns allen Dienst und Ziel und Zwang,

Die allen nottun und die keine wollen,

So schmachten wir in Freiheit sonder Siege.

Im Friedensreichtum wird uns tödlich bang.

Wir kennen Müssen nicht noch Können oder Sollen
Und sehnen uns und schreien nach dem Kriege.

Alfred Walter Heymel

Dieses Qedicht wird noch einmal veröffentlicht, da es
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