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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 81 (Oktober 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Döblin, Alfred: Gertrude Barrison
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Heymann, Walther: Glasmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0202

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Peter Baum, St. Peter Hille, Karl Kraus, Adolf
Loos, Oskar Kokoschka, Dr. Alfred Kerr, Mau-
passant etcetera sind nicht zu unbekannte Leute.
Ausserdein erschienen alle meine Essays in den
ersten Zeitschriften und Zeitungen, das müsste
Herm M ü 11 e r doch massgebend gewesen sein.
Mahle Miihle Miiller.

Euer Pechvogel

Herwarth und Kurt! Ich muss Euch heute
Nacht noch etwas ganz Seltenes erzählen, Stefan
George ist mir in der Dunkelheit eben begegnet.
Er trug einen schwarzen Samtrock, liess die
Schulter hängen, wie müde von der Last des
Fliigels. Ich schrie ganz laut. Ich bin einem
Erzengel begegnet, wie er gemalt ist auf den
Bildern Diirers.

Lieber Herwarth und guter Kurt, ich habe
das Cafe satt, aber damit will ich nicht behaup-
ten, dass ich ihm Lebewohl fiir Ewig sage, oder
fahre dahin Zigeunerkarren. Im Gegenteil, ich
werde noch oft dort verweilen. Gestern ging es
Tür auf, Tür zu, wie in einem Bazar; nicht
alles dort ist echte Ware: Iraitierte Dichter, fal-
sches Wortgeschmeide, Simiiigedanken, unmoti-
vierter Zigarettendampf. Der Rechtsanwalt kommt
schon lange nicht mehr hin. Warum es einen
so ins Cafe zieht! Eine Leiche wird jeden Abend
dort in die oberen Räume geführt; sie kann
nicht ruhen. Warum man überhaupt in Berlin
wohnen bleibt?. In dieser ka'ten unerquicklichen
Stadt. Eine unumstössliche Uhr ist Berlin, sie
wacht mit der Zeit, wir wissen, wieviel Uhr
Kunst es immer ist. Und ich möchte die Zeit
so gern verschlafen,

Kinder, ich langweile mich furchtbar, die
ganzen Geliebten sind mir untreu geworden. Ich
komme mir vor wie eine Ausgestossene, trete
ich in den Vorhof unseres Cafes. Den Slaven
kann ich ja nicht mehr ausstehen. Und der
Bischof ist mir zu wertvoll zum Spiel; wenn er
das Spiel ertragen könnte! Wer verträgt aber
clen Kopf- und Herzsprung! Minn ist herabge-
kommen durch die Undamen, ich weiss garnicht
mehr, ob er hier in Berlin ist. Ich bin inwen-
dig wie ein Keller, wie Sibirien ohne Duft. Ich
bin so allein, wäre ich wenigstens einsam, dann
könnte ich davon dichten. Ich bin die letzte
Nuance von Verlassenheit, es kommt nichts mehr
danach. Wenn mir doch jemand was Süsses
sagte! Wäre ich doch eine Biene und könnte
mir Honig machen. Was nützen mir Deine lie-
ben Briefe und lieben Postkarten. Ich kenn Dich
und Du kennst mich, wir können uns nicht
mehr überraschen, und ich kann nur leben von
Wundern. Denk Dir ein Wunder aus, bitte.

Gestem Abend war ich im Wintergarten mit
dem Maler Gangolf. Ich gehe so gern mit ihm
gerade in die Varietes. Er spöttelt nicht, er kann
grossgucken wie ein Kind. Manchmal über-
kommt uns auch Romantik — dann schielt er leise
nach der Nelke oder Rose oder Georgine, mit
der meine Hand spielt. Ich schiebe sie dann
ganz grundlos auf seinen Schoss. Am besten
gefielen uns die beiden musikalischen Clowns,
der eine in der weissgetünchten Maske Kubeiks,
dem Spiel nach war er selbst darunter versteckt.
Der zweite, verkleidet als Rubinstein, spielte, wie
der gespielt haben muss. Ja ja, man muss Clown
werden, um sich mit dem Publikum zu verstän-
digen, und — damit man dran kommt. Ich ha-
be Dir schon lange gesagt, Herwarth, ich trete
auf als Aujuste und spreche so mit dem Gänse-
schnabel meinen Fakir und meinen Ached-Bey

und meine Gedichte. Gangolf war bewegt dar-
iiber — er zeigte mir am Abend noch zur Zer-
streuung sein Puppentheater. Er hat eine Stadt
voll von Miniaturmenschen geschaffen. Auch sei-
ne Gemälde sind wirklich geformt vom bunten
Blut der Farben. Leid tat mir, dass er sein her-
vorragendes Selbstbildnis zerstört hat, den Mann
hinter dem Fenster, der iiber dieTiirme der Stadt
blickt. Sie hat ihn verloren und er die Stadt.
Wir wollen jetzt öfters zusammen wieder in die
Varietes gehen. Du hast doch nicnts dagegen,
Herwarth. Ich griisse Dich!

Gertrude Barrison

Vor ein, zwei Wochen las Miss Gertrude Bar-
rison wieder vor. Ich habe sie vor einigen Jah-
ren mehrfach gehört; auch sah ich sie einmal
tanzen. „Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich
ein“: ich meine die Verwandlung, nicht Verän-
derung, die sie inzwischen erfahren hat. Sie las
früher zagend mit einem deutiichen Klageton,
mit dem Schmelz einer frühen Sentimentalität.
AIs sie sich neulich neben das kleine Podium-
tischchen setzte — wir waren nicht mehr im
Salon Cassirer, die feierlichen, ernsten Kerzen
leuchteten nicht, wir waren in einem kleinen
Saale des Architektenhauses, kein Exil, meine
Herren, ein schöner Ort, da nämiich der Verein
für Kunst tagte — als Miss Gertrude vorlas,
drängte sich mir das Wort „Reife“ auf die Lip-
pen. Sie sprach volltönend, alle Register aufge-
zogen: hart, wild, zart, mit Leidenschaft und
Fülle, sie las: das Weib. Sie erzählte von Alten-
berg ohne jede Hemmung. Und ihn selbst den
P. A. fand ich nachdem er mir lange aus den
Augen entschwunden war sonderbar und gut
verwandelt; es trat jener Umschwung hervor,
der aus dem Strengen, Lyrischen, Theoretischen,
Abrupten in die Masse der Empirie, in den
Reichtum der Erlebnisse, der Sturz in das aus-
gebreitete Leben. Auch hier: Reife, — ich will
das Vorangegangene damit nicht Unreife genannt
haben. Es waren nicht sechs Kerzen wie früher
in dem Saal, aber diese beiden Kerzen leuchte-
ten hell genug. Alfred Döblin

Glasmalerei

Im Kunstsalon Keller u. Reiner,Ber-
1 i n, waren vom Künstlerbund fiir Glasmalerei
und Glasmosaik Arbeiten seiner Mitglieder aus-
gestellt. Was hier gezeigt wird, spricht vernehm-
lich für die gute Tradition und die weiterwach-
sende Jugendkraft unseres Kunstgewerbes.

Seit die byzantinische Kunst das Mosaik zu
Schmuck und Gestaltung des Raumes feierlich
verwendet hat, kennt man die grossen Wirkungen
dieser mit zusammengesetzten Stein- und Glas-
stücken arbeitenden Kunst, die sich in fast see-
lisch verinnerlichtem Anschluss an die Architek-
tur und einer nahezu klingenden Begleitung der
Wohlräumigkeit gezeigt haben. Südeuropa ist
heute noch reich an altchristlichen Basiliken,
voller Steinteppichen des Cosmatenmosaiks, das
aus den vielfarbigen Marmorstücken altheidni-
scher Tempelsäulen zusammengesetzt wurde. Im
Norden erglühten in den Lichtöffnungen him-
melan züngelnder, gothischer Dome luftiger und
leuchtender die bunten Glasfenster, deren Far-
ben Grade der Inbrunst bedeuteten. Heute ist

diese Glaskunst weltlicher geworden, und wird,
nachdem sie künstlerisch und gewerblich Zeiter,
der Entartung erlebt hat, in den letzten Jahr-
zehnten erst wieder ernsthaft reformiert. Man
weiss heute, dass sie j e d e s Zimmer schmücken
kann. Immer aber muss sie eine Steigerung be-
deuten, f e s 11 i c h sein oder f e i e r 1 i c h. Und
wenn ein buntes Erzeugnis der ungenauer Glas-
maierei genannten Glasmosaikkunst genau dem
Raum entsprechend am Fenster angebracht ist,
steigert es seine Schönheit.

Ursprünglich wurde ein solches Glasbild
einfach aus ein paar zurechtgeschnittenen, ver-
schiedenfarbigen Stücken bunten Glases zusam-
mengefügt. Man erfand dann ein malendesTrü-
bungsmittel, das Schwarzlot, das zur Ab-
dämpfung der Farbigkeit wie zur Steigerung der
Farblosigkeit, also „zur Unterstützung der ma-
lerischen Vorstellung des Künstlers“ dienen konn-
te. Später entdeckte man das S i 1 b e r g e 1 b.
Auf Glas geschmolzenes Silber gab ihm die
schönsten, durchsichtigen Gelbtöne. Schliesslich
gelangte man zur Möglichkeit der Farbmischung
durch das U e b e r f a n g g 1 a s. Es ist dies ein
Glas aus zwei Schichten, deren eine farbig ist.
Diese konnte man teilweise wegätzen, die stehen-
bleibende Farbschicht mit Schwarzlot und Sil-
bergelb trüben und gemischt färben; dadurch
erhielt man gesteigerte Farbenmöglichkeiten auf
dem e i n z e 1 n e n Glasstück. Immer noch aber
überwiegt die Mosaikwirkung die malerische.
Schwarzlot, Silbergelb und Ueberfang leisten.
nur Unterstützung der Arbeit, für deren far-
bigen Aufbau das Passende aus fünfhundert Glä-
sern ausgewählt werden kann.

Jede Glasmalerei muss auf bildmässige Wir-
kung ausgehen, wie die Wandmalerei. Die Blei-
streifen, die ihre Gläser zusammenfügen, wirk^ 11
zugleich zeichnerisch, indem sie die Kontu.
verstärken und wie ein Netzwerk, das sie
Gliederung des Raumes in Beziehung setzt. Die-
se Verbindung mit der Architektur scheint mir
nicht stark genug gegen den wundervollen Li-
nienfluss der „Verkündigung“ von H. V o g e -
ler-Worpswede aufzukommen. Ein Glas-
gemälde, das ans Oelgemälde erinnert. Im Rund-
gemälde „ Anbetung“ bietet Becker-1 empel-
b u r g ein schönes Beispiel für die Wirkungen
des Silbergelb in dem Heiligenschein der Maria.
Seine weiblichen Figuren sind gelungen, schön
seine Tiermosaiken, mit denen das P e t e r B e h-
rerissche Goldmosaik und U n g e r s Pallas
Athene und Romulus und Remus in wuchtiger
Ausdruckskraft wetteifern. Die wunderbarsten
Wirkungen, die man in alten Domen für uner-
reichbar halten möchte, leben in der prachtvol-
len Farbenglut Max Pechsteins wieder
auf. Leichtfertigen Tadlern dieses Modernen, die
ihm Unkenntnis des Akademischen vorwerfen
zu dürfen glaubten, sollte die klingende Stren-
ge seines „Architekten“ zu denken geben.
Beneidenswert wäre jeder deutsche Architekten-
verein, der sein Haus mit diesem kostbaren und
billigen Kunstwerk weihen wiirde. Auch seine
exotischen Frauenfiguren in leuchtender Blüten-
pracht beweisen den tiefen Ernst dieses leiden-
schaftlichen Künstlers. Es ist lehrreich, wie er
den Akt, dessen blosse Fläche in der Glasmale-
rei leicht matt wirkt, durch Konturierung der
Glieder zu steigern weiss. Harold Ben-
g e n s wohlgelungene Komposition ist in der
Farbigkeit der beiden Körper noch nicht end-
gültig, Looschens „indische Göttin“ zu un-
bestimmt im Ausdruck. Viel Aehnlichkeit mit
Pechstein, gleichfalls reiche Farbigkeit hat die viel-
seitige Kunst von Cesar Klein. Seine bun-
ten Putten-Blumen-Figurenstücke, seine farbigen

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