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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 99 (Februar 1912)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [2]: ein Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0347

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Ihr beiden Preunde, was ist das? Wart Ihr
schon dort, Ecke KurlürstendaTnin und Wilmers-
dorferstraße, im Cafe Kurfürstendamm? Ich bin
zum Donnerwietter dem Cafe des Westens untreu
geworden; wie einen Herzalleriiebsten hab ich das
Cafehaus verlassen, dem ieh ewige Treue ver-
sprach. Das Cafe Kurfürstendamm ist eine Frau,
eine orientalische Tänzerin. Sie zerstreut mich,
sie tröstet mich, sie eritzückt mich durch die vie-
len siißerlei Farben ihres Gewands. Eine Bewe-
gung ist in dem Cafe, es dreht sfch geheimnisvoll
wie der schimtnernde Leib der Fatme. Verschlei-
erte Herzen sind die : sternenumhangenen, kleinen
Nischen der Galerien. O, was man da altes sagen
und Iauschen kann —- ieise singen Violinen, selige
Stimmungen. Das Cafe ist das lebendiggewor-
dene Plakat Lucian Bernhards. Ich werde ihm
einen Mondsicheiorden, der ihn zum thebanischen
Pascha ernennt, und meine huldvollste Bewunde-
rnng iibermitteln lassen.

Herwarth, Kurtchen. ich schreibe heute selbst
die „ungeschriebenen“ Zeilen an Sascha nach der
Zitadeile in Rtißland. Lasse nieinen flammenden
Myrtenbrief nicht veröffentlichen.

'Telegramm.

Lben regierender Prinz in Theben geworden. Es

lebe die Hauptstadt und mein Volkü

Ich werde in meiner Stadt erwartet, kostbare
Teppiche hängen von den Dächern bis auf die
Erdböden hernieder und rolien sich auf und wieder
zusammen. Meine Neger liegen schon seit Son-
nenaufgang vor rnir auf den schwarzen Bäuchen
und vvcrden am Abend nnter die Leute gehen, sie
das Wort „Hoheit“ iehren, bis das Wort tanzt in
ihren Miindern. Ich bin Hoheit. Merkt Euch das,
betont es Jedem, der Euch in den Weg iäuft. Aber
mich schmerzt diese Ehrupg, denn ich kanri nicht
in meine Stadt zuriick, ich habe kein Geld. Und
die Morgenländer lieben den Glanz; sie greifen
Sterne aus den Wolken, und ihre Herzen sind auf-
gespeichert mit dem goldenen Weizen des Him-
mels. Hier gibt es keine Sterne, kleine Streu-
körnchen glitzern zur Erde; 0, wie arm diese
Abendlande, hier wächst kein Paradies, kein Engel,
kein Wunder.

Wie hat mich diese Arrnut so beschämt, Eure
Armut; ich habe nicht einmal einen Damastniantel;
meine elenden Schuhe sind zerrissen — ich sehe
»elbst mit Verachtung anf rneine eigene Hoheit
herab. Aber die Neger siud feinfühlig, sie haben
ein Spiel erfunden, wir spielen zur Probe hier
schon Volk imd König. Sie stellen sich zu meinen
beiden Seiten scharenweise auf, hunderttausend-
abermiliionen Köpfe in Turbanen, die schreien und
kreischen, Allah, machäh! Und trampeln mit den
Fiißen und klatschen in die Hände - ich lächle
mit meiner Hand, werfe gnädige Küsse unter das
Volk. Ich bin ganz in Gold gekleidet wie der
allerleuchtendste Mond, meine Haare funkeln, die
Nägel meiner Finger sind Perlen; ich werde in
den Palast getragen und gebe meinem teuren Volk
die Verfassnng.

lch hoffe, Dich haben meine Briefe nicht ge-
iangweilt, oder hat Kurtchen oft gegähnt? Lies
noch einmal meinen Brief, Herwarth, der mit den
Worten endet: ich bin das Leben. Wie stolz!
Nun bin ich wie ein durchsichtiges Meer ohne FJo-
den, ich hab keinen Halt mehr. Du hättest nie
wanken diirfen, Herwarth. Was helfen mir nun
Deine bereitwilligen Hände und die vielen anderen
Finger, die mich bang umgittern, durch die meine
Seele grenzenlos fließt. Bald ist alles zu Tode
fiberschwemmt, alles ist in mir verschwommen,
alie meine Gedanken und Empfindungen. Ich habe
mir nie ein System gemacht. wie es kluge Frauen
tun. nie eine Weltanschauung mir irgendwo be-
festigt, wie es noch kliigere Männer tun, nicht ein-

ma! eine Arche habe ich mir gezimmert. lch bin
unge-bunden, überall liegt ein Wort v-on mir, von
iiberal! kam ein Wort zu mir, ich empfing und
kehrte ein, so wjar ich ja immer der regierende
Prinz von Theben. Wie alt bin ich, Herw<arth?
Tausend und vierzehn. Ein Spießbürger wird nie
tausend und vierzehn, aber mänchmai hundert
und vierzehn, wenn er es „gut“ meint. Herwarth,
warst Du mir treu? Ich möchte aus Geschmacks-
griinden in Deinem Interesse, daß Du mir treu
warst. Nach mir durftest Du Dich nicht richten,
ich hab den Menschen nie anders empfunden wie
einen Rahmen, in den ich mich stellte; manchmal,
ehrlich gesagt, verlor ich mich in ihm, zwei waren
aus Gold, Herwarth, an dem einen blieb mein
Herz hangen. Merrlich ist es, verliebt zu sein, so
rauschend, so iiberwältigend. so unzurechnungs-
fähig, immer taumelt das Herz; gestern noch stand
ich vor dem Bilde des stolzen Medici, er ist leben-
dig geworden und wollte mich in der Nacht ent-
fiihren. Wie biirgerlich ist gegen die Verliebtheit
dje Liebe, oder Jemand miißte mich geliebt haben.
Hast Du mich geliebt. Herwarth? Wer hat mich
geliebt?

Ich wiirde mich im selben Augenblick zu sei-
nen Füßen niederwerfen wie vor einem Fels, wie
vor emem kostbaren Altar, ich, der Prinz von The-
ben. Ich würde den Liebenden mit mir tragen in.
den Tod wie- die egyptischen Königsmenschen ihre
Kostbarkeit, ihren goldenen Krug mit sich ins
Gewöibe nahmen, und den letzten Rest aus ihm
tranken, den sie verachteten. Ich flüchte in das
Dickicht,- Herwarth, ich ertrage das Leben nicht
mehr, ich habe mich begnadigt. Ich fliichte in das
Dickieht, Herwarth, ich habe immer das Haus ge-
haßt, selbst den Palast; wer auch nur ein Gemach
sein Eigentum nennt, besitzt eine Häuslichkeit.
Ich hasse die Häuslichkeit, ich hasse drum auch
die letzte Enge, den Sarg. Ich gehe in den tiefsten
Wald, Herwarth; was ich tu, das ist wohlgetan.
ich zweifelte nie an mir. Kann man ein gläubi-
geres Wort aussprechen ohne ein Lächeln hervor-
zurufen? Oder hüpft wo eine Heuschrecke? Tch
lege mich unter die großen Bäume und strecke
rnich mit ihren Wurzein, die sich immer umhalten,
wie knorpliche Schlangen. Ich höre nicht nrehr
das Schellengeläute in meinen Ohren; jeder Herz-
schlag war ein Tanz. Ich kann nicht mehr tanzen,
Herwarth; ich weine Schnee fätlt auf meine
wieinenden Augen. Grüße Theben, meine Stadt,
vergiß wie ich nicht den Propheten Sankt Peter
Hille. er schrieb voraus: mir brach die Welt in
Splitter. Ich richte mich noch einmal auf. stoße
meine wilden Dotche alle in die Erde. eine Ki'iegs-
ehrung zn meinern Haupte. Hier und nicht weiter!

E n d e

mmsmtmsmmmesa

Der sehwarze Vorhang

Roman

Von Alfred Döblin

Fortsetzung

In dern fahlen Mondlicht der Träuinereien
zwitscherten Vögel ungestört, und Johannes’ Gar-
ten lag verzaubert in einenr Märcheri da.

Er hatte die wirrsäligen Pfade erst zaghaft
und stockend, mit dem Gefiihle eines schrnählichen
Selbstbetruges, ja einer verbotenen Schuld tind
Sünde, betreten; aber unter dieser Hemmuug eben
schliefen und stahlen sich die Triebe gepreßt iru-
rner wreder, imrner weiter ein. rnit niedergeschla*
genen grünen Augen, stießen sich vertraulich an,
Mit ein- und vielmaligem Gelingen und dem Genuß
an der geraiften Beute verlor sich die Angst und
wuchs die Begehrlichkeit; aus dem Versuchen.

Tasten, Rucken wurde ein heftig geschmeidiges
Schlüpfen, wurde ein freches Stampfen, Schreiten
und Gleiten, und dann ein Segeln mit breitentfalte-
ten Fliigeln und hellem Rauschen und iibermütiges
Wiegen, Kichern, Kreischen, Plätschern in allen
Liiften.

*

Die Verwöhnung durch so stolze, himmlische
Freiheiten schufen langsam eine fein gesteigerte,
messerscharfe Empfindlichkeit; das Genüge, das er
im Walten über sein Herrschergebiet fand, machte
ihn noch scheuer, und der stumme trollte sich '
allein seines Weges.

Ohne Widerhäkchen, glatt uncl rund gar, muß-
teii die Dinge sein, an die er sich schmiegen konnte
wie die jungen Wicken, die er vor seinem Fenster
zog Über ihre weichen, hellen Kinderhärchen und
Ranken, Windungen, welche spürsam wie die
Schritte eines Blinden sind, streichelte er oft lieb-
kosend hin, ließ sie zart gegen seine Wangen spie-
len. Eine Unruhe dämmerte dann blau in ihm auf
und opalisierte ins Griine, Rote, Graue; schwärmte
schrnetteriingsweich auf.

Sein Blick löste sich lange Zeit nicht von
einem jüngeren Kameraden, so oft sie gemeinsam
nach Haus gingen. Er konnte sich nicht satt sehen'
an diesem vollen Gesicht, auf dessen gelblich blas-
ser Töniing ein feiner Bluthauch lag. Die großen
schwarzen Augen schauten tief irnd offen, drehten '
sich langsam.

Verklärt schien das stille Gesicht mit seinem
sanften auf der Haut ruhenden Glanze. Von der
Schule ermattet plauderte der Freund leicht und
teilnahmsvol), mit dem atmenden Glücksgefühl ei-
nes Menschen, der langsam von einer Abspannung
an di’e Oberfläche kommt. Er schmiegte sich müde
an Johannes, tätschelte nach Kinderart dessen
Hände mit seiner weichen Hand, plauschte.

Es war ein schöner warmer Wohllaut in seiner
Stimme. Er erzählte, daß er seine Lehrer lang-
weilig finde, einen andern aber nett, wirklich sehr
nett, „ach ja“, daß Hans zwar nicht. w.ie die andern
sagten. ein hochmütiger Mensch und etwas kopf-
schwach, wohl aber sehr komisch sei.

Ganz traumlos, nüchtern sagte er sein Spriich-
lein her, und alles entzückte Johannes. Und dann
war er wieder Leben, Blut, kätzchenhaft wild,
plötzlich, leuchtend mit großen Augen.

Johannes schenkte ihm Konfekt und Bonbons,
!itt dankbar, in einer rniitterlichen Angst ihn zu
verlieren, unter seinen Launen. Er unterwarf sich
gern, weil er etwas wie Unschuld imfSpiel mit denr
Freunde iiber sich kommen fiihlte. Sie saßen in
Johannes Garten zusammen und legten aneinander
gelehnt die Arme um die Schultern, worin Johan-
nes ein eigentiimliches, wohliges Vergniigen fand.
Er suchte den Freund auf dem Schulhofe, auf der
Straße; ihm fehlte etwas, wenn er ihn nicht fand.
AIs ein anderer seinetn Freunde die weichen, schö-
nen Wangen streichelte,’ sah er fort und biß sich auf
die Lippen.

Und doch sehnte er sich oft, wenn er die klare
Stirne erblickte, sie zu küssen, nein, die Lippen zu
küssen, oft, sehr oft; und seine Lippen wurden
feucht bei dieser süßen Sehnsucht.

*

Aber durch die unachtsame Bewegung eines
Platznachbars in der Schule war Johannes einmal
dessen Bleistift auf den Schoß gefallen; Johannes
sah es nicht. Bei der Untersuchung durch den Leh-
rer kam ein iibelbeleumdeter in den Verdacht, defl
Bieistift gestohlen zu haben, und Johannes, der den
Fund zu spät bemerkte, wagte in seinenr atemlosen
Schreck nicht sich zu erheben. Denn durch das
störrische Leugnen des Beschuldigten gereizt, war
der Lehrer, eine lange. hagere Gestalt mit raschen
stechenden Augen, in eine Wut atisgebrochen, dic
dem stillen namenlos und unerhört war und hatte
den scheinbaren Dieb furchtbar geschlagen. Die
Angst. die der Augenblick in Johannes hineinpreß-
te unter der Verschuldung, der Wut des Lehrers.
 
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