Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 66 (Juni 1911)
DOI Artikel:
Koch, Hermann: y x Ex=Nx=z=Nz/Dx
DOI Artikel:
Lux, Joseph August: Der Ingenieur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0082

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
tickende Uhr schlug da ein, ein Benzinmotor fing
zu knattern an - in die ganze Masse kam Be-
wegung, die Kehlkopfsöffnung erzitterte, erweiterte
sich, eine schnarrende, grauenerregende Stimme
ertönte: -

„Schiehler der Aaemie vier a - - Schiehler

der Aaemie-Schiehler-“-

Hinaus! - Hinausü-

Er durchrannte all die Gänge, durch die er
gekommen war. - Und durch die ganze Zeit
konnte er es wieder hören, - mußte wieder das
Gewimmer, das unmenschlich-menschliche Heulen
hören!-

Und er rannte, wand sich durch die schleimigen
Bordtiren, rannte durch die Blutpfützen, daß diese
aufspritzend ihn mit Blut durchtränkten. - - Er
glitt aus, sprang wieder auf - - und nacli Jahr-
tausenden kam er zur Türe. -

Er befühlte die Rosttüre: aucli innen kein
Schloß, kein RiegelÜ Und das Gewimmer, das
Geheul wurde immer lauter, kam immer näher,
wurde abgehackter, wurde zu einem Gelächter, das
anschwoll, je mehr er raste. - - Je mehr er tobt,
als er sich in diesem fürchterlichen Raume ge-
fangen sah, desto grausamer ertönte das Kichern
und Lachen! -

-Die ganze Hölle schien zu lachen! -

Und dann geschah etwas Furchtbares, aus dem
Dunkel tauchte der Mathematikprofessor auf, wie
ein Te-Te-Heine-Teufel sah er aus, fuhr ihn an
und ätzte ihm mit einer glühenden Kreide Zeichen
in die Haut und murmelte: - - „vau der fünfund-
zwanzigsten, vau derfünfundzwanzigsten, vau. —“
Er heulte auf vor Schmerz und dieser Teufel
grub weiter ein seine feurige Schreibkreide in
sein weißes Fleisch: „vau der fünfundzwanzigsten,
vau-“

Mit furchtbarer Gewalt warf er sich gegen

die Tür-und die Klasse grinste ihn an.-

Der Herr Professor kam auf ihn zu und
lächelte, lächelte. - Er kam nicht weil er schlief,
wie konnte ein Mathematiker, und gar noch einer
der über Versicherungsmathematik vorträgt, ahnen,
daß jemand, ein Mensch bei seinem Vortrag
schläft! Nein, deshalb kam er nicht - er bückte
sich lächelnd und hob ein schwarzes Buch auf,
ein Buch, das auf die Erde fiel, als er erwachte. - -

ORCHIDEEN

von

GUSTAV MEYRINK

-„So, soü - Sie beschäftigten sicli also

während der Mathematik, während des interes-
santesten Kapitels der politischen Arithmetik, der
Todesfall- und Rentenversicherung mit - Botanikü
Mein Lieber, ich würde Sie dem Herrn Direktor
melden, aber, aber Sie sind gestraft genug, jawohl,
Sie sind gestraft genug, ich sage sogar übergenug;
denn wissen Sie, Sie Unglücklicher, Sie ver-
säumten während Ihrer Lektüre die ganze Ab-
leitung der Formel:

Der Ingenieur

Von Joseph Aug. Lux

Architekten, Maler und Kunstgewerbler, die
seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf
der Suche nach dem neuen Stil waren, glaubten
ihn im Ornament gefunden zu haben.

Entscheidend in diesem Zusammenhang ist

nur das allen gemeinsame Merkmal, daß sie von
den neuen Raumwerten keine Notiz nehmen, daß
sie den neuen Weiten, der neuen Höhen, der
neuen Linien Linien nicht begriffen und unberührt
von den Wundern dieser Hallen und Bogen
blieben, die, schlank und zierlich, phantastischen
Gebilden glichen, neuen Rhythmen aus Mathe-
matik und Technik geboren.

Der Begriff des Schönen hat wieder einmal
eine Umwälzung erfahren. Oder er ist vielmehr
verjüngt und neugeboren, nachdem ihm die Ge-
wonheit Hebammendienste geleistet hat. Wir
sprechen heute schon von Meisterwerken der
Technik, von der Ingenieurästhetik, von einer
Eisenarchitektur.

Die Meisterwerke der Technik, nicht die
historisch befangene Architektur haben der mo-
dernen Zeit ihr Stilgepräge gegeben, wodurch sie
sich völlig von den früheren Spielepochen unter-
scheidet.

AIso auch die architektonischen Künste ein-
schließlich des Kunstgewerbes empfangen direkt
und inoirekt von daher ihre formale Bestimmung.
Direkt durcli die maschinellen Herstellungsweisen
und durch die neuen Baustoffe wie Glas, Eisen
und Betoneisen. Indirekt durch die geistige Be-
stimmung hinsichtlich der veredelten Sachlichkeit,
des Zweckgedankens und der Hervorkehrung des
Konstruktionsprinzipes, dem wir vor allem unser
ästhetisches Interesse entgegenbringen.

Wie immer bei der Entdeckung neuen Ma-
terials ist der Vorgang dergestalt, daß die über-
lieferten und gewohnten Formen in diesem Material
eine Zeit lang wiederholt werden, solange, bis
die immanenten Stildesetze des neuen Stoffes er-
kannt und in spczifisch eigenartigen Formen ihren
künstlerischen Ausdruck finden.

In den ersten Stadien der Eisenkonstruktionen
treten Gußformen auf, die der Steinarchitektur
entlehnt sind.

Das Prestige jener stilnachahmenden akade-
mischen Architektur war immerhin groß genug,
daß in den ersten Jahrzehnten des modernen
Eisenstils, etwa seit der Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts, sich auch die technischen Kon-
struktionen in die Zwangsjacke der historischen
Stilimitation nötigen lassen mußte. Technische
Werke sind aus dieser Zeit überliefert, die mit
einem solchen historischen Mäntelchen drapiert
sind. Historisch ornamentierte Gußformen treten
an den modernen Eisenarchitekturen auf.

Wir brauchen nns nur an unsere Lichtmaste,
an die eisernen Kandelaber unserer Straßenbe-
leuchtung erinnern, um festzustellen, daß auch
hier die historischen Zierformen, das Sezessio-
nistische inbegriffen, noch nicht vor der eigenen
natürlichen Sprache des Materials zurückgetreten
sind.

Nur jene technischen Konstruktionen, die nicht
vom Architekten beeinflußt waren, und bei denen
der Ingenieur nicht an Architektur zu denken
brachte, sondern lediglich seinem technischen
Engenium folgte, hat das Eisen seine eigene Stil-
sprache entwickelt, und, ohne daß es besonders
bemerkt worden ist, eine neue Epoche der Stil-
entwicklung herbeigeführt, vor deren künstle-
rischem Machtspruch wir uns in Bewunderung
beugen müssen.

Dabei darf aber nicht die irrige Meinung
Platz greifen, daß das technische Genie ohne
Rücksicht auf die ästhetische oder wenn wir
wollen, künstlerische Erscheinung arbeitet.

Wenn auch insiriert durch Material und
Technik ist die Formahnung Vorläuferin und
Pfadfinderin der mathematisch erhärteten Kon-
struktion. Und diese Formahnung ist das künst-

lerische Element, das auch die Geburtsstunde
der Ingenieurwerke segnet.

Der Bau des Londoner Kristallpalastes war
die erste konsequente Eisenarchitektur, gegen die
alle früheren architektonischen Anwendungen des
Eisens, wie in der Kuppel der Halles-au-bie in
Paris, tastende Versuche sind, die im einzelnen
stecken blieben und augenscheinlich nur das
Surrogat der Holzkonstruktion sind. Aber von
dem Kristallpalast aus schreitet der eiserne Riese
nun mit Siebenmeilenstiefeln in der Entwicklung
fort, und sein Siegerschrrtt in der Architektur ist
unaufhaltsam.

Aber erst die Pariser Weltausstellung vom
Jahre 1889 schuf in der Maschinenhalle den
größten Weitraum und in dem Eifelturm das
größte eiserne Höhengebilde der Welt. Was die
Glaseisenkonstruktion bisher an mächtigen Raum-
und Höhengebilden geschaffen hat wie vor allem
die großen Bahnhofshallen, weist auf die Ma-
schinenhalle zurück als auf den Triumph der
Technik.

Nur durch das Material und seine Konstruk-
tionsbedingungen können wir den Weg zur
Aesthetik nicht nur des Eisenbaues und der tech-
nischen Konstruktion, sondern der Architektur
überhaupt und der ihr dienenden Künste finden.

Unwillkürlich drängt sich jedoch zum Ver-
gleich die alte Steinarchitektur auf, stellt sich in
den Weg und verhindert den reinen Genuß des
Schönen, das sich lediglich in der Zweckmäßig-
keit, in der Oekonomie der rationellen Kon-
struktion und in den grundlegenden Bedingungen
des neuen Baustoffes offenbart.

Die Natur des Steinmaterials, das nur druck-
fest ist, hat die formalen Möglichkeiten der Stein-
architektur an unabänderliche Formen gebunden
und die stilistischen Möglichkeiten begrenzt.

In der Konstruktionsweise dem Eisen viel
näher verwandt ist das Holz, das von altersher
mit seinem Gerüststil das Vorbild rationeller
Konstruktion im Gegensatz zum Steinbau ge-
bildet hat.

Als ein Baustoff ist das Holz dem Stein inso-
fern überlegen, als es nicht nur druckfest, sondern
druck- und zugfest zugleich ist.

Die Ueberlegenheit des Eisens über diese
beiden Baustoffe äußert sich darin, daß es die
Eigenschaften der beiden anderen summiert, die
die Festigkeit auf Druck, Zug und Biegung im
höchsten Maße besitzt und bei der Homogenität
seiner Substanz eine Bildsamkeit besitzt, die den
statischen Formenmöglicheiten keine Beschränkung
auferlegt.

Die statischen Gesetze bewirken den stärksten
äußeren Unterschied zwischen der Eisenarchitektur
und der Baukunst. Die Entmateralisierung ist
die große Tugend der Eisenarchitektur, uicht aber
des Steinbaues.

Das Zusammenspiel dieser Bauglieder erfolgt
zumeist nicht auf mathematischer Grundlage,
sondern auf jener geheimnisvollen, unerlernbaren
Verfassung der Empfindung, die wir künstlerisch
bezeichnen.

Die Kuppel der Peterskirche ist nicht auf
Grund von Berechnungen entstandnn, sondern
infolge einer künstlerischen Konzeption, die mit
instinktiver Gewißheit das Kühnste wagte.

Ganz anders ist der Vorgang bei der Eisen-
architektur. Einsenkonstruktionen sind nicht ge-
baut, sie sind berechnet. Womit nicht geleugnet
werden kann, daß auch hier die schöpferische
Formenahnung als ein gewissermaßen künstle-
rischer Vorgang vorangeht und die prüfende
Rechnung nachfolgt.

Während die Baukunst mit einer Fülle von

526
 
Annotationen