Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 63 (Mai 1911)
DOI Artikel:
Fuchs, Richard: Die neue Kunstanschauung
DOI Artikel:
Heymann, Walther: Berliner Sezession 1911, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0059

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
falsche Schein bedeutet, daß das Interesse an
einem Vorgang, nur weil er Illusion ist, idea! sei.
O du schamhafte Uninteressiertheit. Es handelt
sich weder um ein geistigeres Verstehen der
Naturgegenstände durch den Kopf (wer die Welt
nicht versteht, versteht sie auch durch die Kunst
nicht, die damit erst recht nichts zu tun hat),
noch ist die Kunst eine Kraftprobe für unver-
mittelten Lebensausdruck.

Die Nachahmung der Natur ist aber ein
seelisches Geheimnis des Künstlers und seines
Werkes.

Kunst als idyllische Geborgenheit vor der
Welt ist also, wie alle Flucht aus dem Dasein,
eine Selbsttäuschung. Sie ist kein paradiesischer
Raum für kinderhafte Wünsche, sondern ihr Bild
bleibt der hohe männliche Schein der Weltlichkeit.

Das einheitliche Leben des Stoffes Farbe,
diese technische Wahrhaftigkeit des Grundes —
sind sie zu geringe Inhalte für die schöne
Menschenseele?

So bedeutet die Vollendung der Landschalts-
malerei die wahre künstlerische Bildnisschöpfung
der kosmischen Natur.

Ihr neues inneres Raumbild bleibt, als ein
Gefühlswert, immer unser Eigentum und Gesicht,
wird keine außerkünstlerische oder illusorische
Idee. Denn das Künstlerische ist kein Wirklich-
iichkeitswerk. Aber daß es kein überirdisches
Wunder ist, zeigt uns das einfache, natürliche
Mittel, wodurch es dasteht: dieses ist Form und
Sinn zugleich. Das ist das vorbildliche Edle der
Kunst. Das Kunstwerk äst, wie die belebende
Schönheit der Frau, am allerempfindlichsten gegen
absichtliche Unvornehmheit. Denn auch der Reiz
der Frau ist nur unsere künstlerische Kultur
unsere Plumpheit oder bloße Drolligkeit ver-
nichtet ihren Zauber und dessen innere Macht.
Der Wunsch ihres Naturells, immer nur mit Liebe
behandelt werden zu wollen, ist nicht persönliche
weibliche Eitelkeit, sondern rätselhafte Notwendig-
keit ihres Naturgeschlechts. Darum ist ihrerbeider,
der Kunst wie der Schönheit, Wirkung und
Wesen zugleäch dahin und für uns tot, sofern oder
sobaid wir noch grobsinnlich sind oder wieder
gleichgültig werden.

Im ähnlichen Fall wird, wer die Kunst der
Malerei im gerahmten Bild nicht ais die kolo-
ristische Gesetzmäßigkeit der harmonischen Er-
scheinung, mit zarter Beziehung des Auges zur
Farbenebene liebt, auch anderwärts bedenklich
sein nnd stets lieber alte heilige Geschichten
lesen. Es gibt ja doch viele gute andere Künste.
Der moderne Roman ist wieder so ein Form-
problem für sich. Aber die Rassigsten der Nation
werden die Entwicklung der höchsten Ver-
lebendigung fördern. Die Kunst sucht keine
objektive Einheit und kein abstraktes Ding. Die
künstlerischen Einheiten sind tiefe sich bestimmende
Menschlichkeiten. Liebe äst blos ein anderes
Wort für diese edelmenschlichen Verpflichtungen,
die nicht Finsternisse schaffen, sondern reinliche
Freiheit begründen wollen.

Die neue ursprüngliche Empfindung für die
lebhaften Wunder der schönen Gegenwart ist die
Instinktrettung unserer tätigen Seele. Dies wieder
allgemein Zugängliche, nicht der zufällige Privat-
inhalt des Einzelnen, ist nun die künstlerische
Legende unserer Zeit. Die Organisation dieser
unserer neueren Werte ist Kultur. Die Kunst-
form ist der seelische Gewinn der Harmonie aus
der begeisternden Spur des lebenden Stoffes.
AIs der Inhalt bleibt unsere Zeit, diese Formel
unserer stolzen Kämpfe und Hoffnungen.

Denn es handelt sich um die Verehrungs-
heiligung des sinnlichen Irdischen, nicht eines

Unwirklichen, und um seine Vergeistigung, nicht
Verflüchtigung. Unser frommes Verhältnis zur
Ewigkeit ist das artige Maß der menschlichen
Natürlichkeit in uns, die als Grund unserer
Organisation dauernd bleiben wird. Dann, wenn
im Staate der Natur alles natürlich geworden
ist, wird auch wieder der berechtigte philosophische
Gedanke möglich sein, als ein Faktor der Lebenden,
nr.d wir werden den ehrlichen Denker nicht ver-
kennen, seitdem wir ihn von dem reinen Künstler
unterscheiden lernten, der kein dilettantischer
Verfälscher und kein Kostümkomödiant mehr sein
will.

Das Genie der Zeit wird feinere, helle Männ-
lichkeit.

Der innere, einzige Mensch, der subjektive
frohe Träger des einzigen Lebens ist kein Diener
eines Weltgesetzes, ist als freie Indivädualität der
Besitzer der ewigen Menschlichkeit und ist uns
darum, in einer vollendeten Kultur, wieder näher
sogar als Berg, Wald und Meer: uns, den
Schöpfern und Genießern unserer eigenen Leben-
ideen, nicht der Wahnbegriff vom Idealen.

Denn gegenüber allen monumentalenWundern,
den elementaren und technischen Phänomenen,
erleben wär noch täglich das allein Unersetzliche
eänes Zaubers der Menschenseele.

Berliner Sezession 1911

Von Walther Heymann

Ein Stück Kunstmarkt, das ein Kulturfaktor
im Leben Berlins sein möchte, ein Spezial-
geschäft mit einer Sammlung von Entwicklungs-
versprechen in zeitgenössischen Kunstwerken,
das ist die Berliner Sezession auch unter dem
neuen Vorstand geblieben. Weil als Entwicklung
schon die blos technische Ausprägsamkeit ver-
standen wird, ist sie keine Brutanstalt für die
Reifenden, die jungen Talente, keine Schutzstätte
der Werdenden; immer aber regt sie durch die
Darstellung vieler möglicher Wendungen von
Wachsens-Zuständen in reizhafter Weise das
sachliche interesse, den Geschmack und die
Urteilslust an. Es bedeutet aber Ieicht Hemmung,
Brandschatzung des Einzelnen zugunsten des
Niveaus der Gesamtheit. Noch ist kein Genie
am Kurfürstendamm aufgewachsen. Tiefe Geister
brauchen große Ruhe.

Mann gehe mit dem Nachgeschmack der
fortgeworfenen Zigarette zu M a x S 1 e v o g t,
der einen Sondersaai hat. Und finde alles be-
stätigt, die Menschen, die kleinen Szenen, von
denen man kommt. Selbst ein quantum satis
Virtuosentum, die Verwandlungsfähigkeit, ist beim
Porträtisten am Platze, Elan als flotte Anständigkeit
sehr sympathisch, Rationalismus und Skepsis
sieht man durch Lebenserfahrung und natiirliche
Anmut ergänzt. Ja, dieserMaler hat dieMeisterhand
des erwählten Skizzierers und den geschärften
Blick des Gegenwartmenschen. Nie langweiiig
und niemals nur interessant; seine Kunst trifft
die intelligenten Nerven, wo Gewohnheit, leichter
Witz und rascher Antrieb in ihnen walten. Ge-
orgiritter und Hatschiere, Essen bei Hof und
Betparade, bunte Ueberbleibsel einer starken Ver-
gangenheit, famos gemalte Erregungen fiir eine
fremde Zukunft. Sommerstrahlen im Park, ein
Pflanzgarten, ein Stiick friedsame Heide —
durch den Schmiß der Auffassung guckt noch
das stille Gefühl. Temperamente — d’Andrade,
der Leutnant — ihre Stoßkraft wird aufgefangen

und unvermindert stark auf die Leinwand |
worfen; ihre Müdigkeit als Charakteristikum ge-
wertet. Hier ist Slevogts Innigkeit ganz durch
die Lösung der Aufgabe festgehalten. Mit den
herausfallenden Blumen schiägt er Mossons
feinste Sentimentalitäten tot und blessiert das
Geschmacksvirtuosentum B r e y e r s. Manchmal,
wo sein Farbensinn alltäglicher Schwäche dient,
so in den beiden Damenbildnissen, sind mir
weder die gewagten Kleiderfarben erträglich, nocli
finde ich den Fleischton gut. Dennoch der Herr
Bl. ist bei menschlicher Auffassung frischer gc-
geben, als Triibner es könnte, und eine Bildnis-
studie des Prinzregenten zeigt unhöfisch wahr
einen giitigen, etwas müden, kordialen, wdtzigen.
alten Herrn. der seinen Körper immer wieder zur
aufrechfen Haltung zu zwingen gewillt ist. His-
toriker der Ztikunft, ihr habt in Slcvogt eineu
glänzenden Zeugen. Aber scine materialistische
Kunst bleibt zu okkasionell, er kann steigern,
aber nicht in die Höhen der Größe, die Tiefer,
der Seele, dieWeiten des zeitlos und unpersönlich
Menschlichen tragen, das fühlt er selber, und das
macht ihn zu hastig. Menzel das Temperament,
Liebermann die gesiindere Beanlagung voraus-
zuhaben, mit Stärken und Schwächen du jout
zu sein, als einer, der nur die Leistung, nicht die
Schöpfung zu geben vermag, — das ist das
Schicksal dieses großen Talentes.

L o v i s C o r i n t h kann noch mehr. Wo
er voraussetzungslos Fleisch zu malen scheint,
hat er unerhörte Bravour. Das ist einfach groß
heruntergestrichen und iebt, selbst gegen weiß
wirkt es in der Nana nicht schmuizig, das Gesicht
ist vielflächig ausdrucksvoll. Von den beiden
Portraits des Professors Meyer könnte man in
einer Kritik des ganzen Corinth den Ausgang
nehmen. Das Bild des Prufessors im Bibliothek-
zimmer ist im Ernst der Auifassung, in dei
Freude an durchdringender Psychologie von
konzentrierter Eindruckskraft. Das Dekansbild
hat den größeren, einen fabelhaft sicheren Wurf-
aber der gut behandeite Hintergrund hat wenig,
Luft — und das Kostümgefühl ist bei Corinti.
etwas verwildert. Sein Sfilleben, eine Holländerci,
läßt mich absolut kalt. Brillante Einzelheiten
in klankem Oel. Was Corinth könnte, wenn er.
kritischer wäre — darum bleibt es wohl ewig
schade. Charlotte Berend zeigt sich ini,
Portrait eines Malers sehr fortgeschritten und;
lobt damit ihren Meister.

Meister imd Leister, die Verklärer sind, die.
brauchen wir. Schöpfer, die Reifes ins Hohe
steigern, die Natur durch die Wunderkraft der
Seele menschlich, göttiich reich machen. Was
kann I s r a e 1 s, der Rembrandts Evangeliuu«
inbrünstig nachmunnelte, dem D a u m i e r an
die Seite stellen, der dies und dazti Rubens und
Michelangelo in sich durchlebt hatte und in
„Ueberkarikatur“ vereinfachte Schöpfung zwängte,
die sich in den Farben zu befreien sucht. „Die
Last“ und „Die Fliichtlinge“ vergißt man nie
wieder. Als U h d e begann, da freuten sich alle
Vernünftigen an seiner rein-deutschen Art. an
seinem lieben, sauberen und innigen Fühlen. Wie
schön ist ein Pflanzgarten gemalt. Nur, wir ver-
stehen heute nicht mehr, daß er je als Revolutionär
galt, dieser Friedfertige der Gesinnung, im dem
das Genrehafte so dicht hinter der Wirklichkeif
steckte. Wo er so mit der Vergangenheit paktierte?
ist — zur Warnung fiir Konzessionsschulzen
seine Wirkung heute fiir uns verflogen. Wo ef
ihre Kräfte weiterfiihrte, bedauert man nur seirt
irühes Ermüden. Selbst in der Atelierpause —\
diesem rriaiteh Biid — lebt noch eine große
Raumtiefe. — Es muß übrigens noeh viel

503
 
Annotationen