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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 68 (Juli 1911)
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Waue, William: Der Regisseur
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Heymann, Walter: Berliner Sezession 1911, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0099

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che und Forderungen des Publikums, das sich
vergessen will, um sich in eines Anderen Erle-
ben wiederzufinden.

Es ist eine gleich ernste künstlerische Auf-
gabe, ein tragisches oder ein komisches Werk
zu gestalten.

Berliner Sezession 1911

Von Walter Heymann

IV

Vielleicht nimmt gegenwärtig die Künstler-
schaft keiner anderen Provinz in solcher Zahl
und mit solchem Eifer an der Entwicklung der
neueren Malerei Anteil, als die Ostpreussens.
Ich zähle neben Corinth, Ernst Bischoff-Kulm,
Bertha Schiitz vor allem Theo von Brockhusen
und Waldemar Rösler, weiter Hedwig Weiss,
Anderson, Beyer, Max Neumann und Felix Me-
seck. An Bischoffs Bildern ist nicht nur nach
der impressionistischen Seite ein Fortschritt zu
konstatieren, auch die farbigere Anschauung der
Neuesten hat ihm gut getan. Dies gilt auch von
Berta Schiitz. Brockhusen und Rösler sind ver-
sprechende Talente, deren sich die Mark, ihre
neue Heimat, freuen kann. Sie und Beyer haben
die stärksten Anregungen von Gogh erhalten.
Aber während Beyer noch an dessen ABC buch-
stabiert, redet Brockhusen mit peinlicher Beto-
nung in Goghs Sprache und spricht Rösler eine
ziemlich selbständige, eigene, aus der man nur
van Goghs Geist heraushört. Der tote van
Gogh ist neben Hodler Beherrscher des Feldes.
Man möchte immer wieder Worte zitieren, die
er in den schönsten Künstlerbriefen, die ich
kenne, anwendet. (Vincent van Goghs Briefe bei
Bruno Cassirer). Oder an Meier-Gräfes vortreff-
liche Studie erinnern. (Entwicklungsgeschichte
der modernen Kunst bei Hoffmann, Stuttgart, mit
reicherem Bildmaterial in den „Impressionisten“
und als Monographie bei R. Piper, München)
Das Buch über Gogh ist übrigens noch zu
schreiben. Dass gerade Nordländer auf Gogh
gekommen sind, das heisst an ihm ihre Anlage
geklärt haben, ist bei dem Holländer mit goti-
scher Inbrunst des Fühlens nicht verwunderlich.
Seltsam nur, wie sich bei Brockhusen die kalte
Bedachtsamkeit an den temperamentvolleren Mit-
teln um so stärker zeigt . Er hat herrliche Was-
ser- und Himmelsfarben, mischt aber nicht ge-
nug, und seine grossen Flächen erstarren unter
der Steifheit der Pinselstriche. Seine Abbrevia-
turen wirken — zum Beispiel die Pferde im
Schnee, das Laub in der Frühlingslandschaft —
brillant beobachtet und zu hölzern wiedergege-
ben. Die Farben wirken schon als festgeworden.
Dem hoffentlich vorübergehenden Stillstand ge-
genüber ein Fortschreiten Röslers, der diese Ge-
fahren vermeidet — man sehe, wie er das Was-
ser des Teltowkanals beweglich erhält — und
der im Landschaftlichen Goghs Rat befolgt: „An
ein Ding denken, die Umgebung dabei betrach-
ten und aus ihr heraus erstehen lassen“. Rös-
ler, ein Dichter in Farben, zeichnerisch und ma-
lerisch sehr begabt, ist ein solch Verklärer, wie
ich sie herbeiwiinsche; von seiner Jugendkraft
erwarte ich sehr viel. Meseck kann Wesensmerk-
male erst in der Karikatur eikennen oder hält
er sich schon für befugt, sie als Karikatur zu
sehen? Manchmal möchte man den sehr talen-
tierten Neumann ähnliches fragen, fühlt sich aber
durch die Plastik seiner bunten silhouettenhaften

Körper, den vorzüglichen szenenhaften Aufbau,
die visionäre Sicherheit, kurz den tiefern Begriff
von Romantik, der auf Erhöhung des Wirkli-
chen denkt, fast entwaffnet. Hedwig Weiss hat
Gefühl für den Zauber der dunkelroten Rose.

Um Verklärung, Steigerung, Ausdruckskraft,
Expression geht dies allgemeine Ringen. Eine
französisch-belgische Malverbindung nennt sich
die „Expressionisten“. Wäre das durchaus im
Gegensatz des Ziels, nicht des Weges zum Im-
pressionismus gemeint, so müsste man wider-
sprechen. Wie viel „Expressionistisches“ ist etwa
in Monet und Renoir zu finden. Ich denke, es
gibt schliesslich Synthesen und ist gemeint im
Sinne von Goghs Wort: „Farbe sagt etwas
durch sich selbst, das darf man nicht übersehen“.
Das Zimmer der Expressionisten ist während
dieser Ausstellung ein Schauplatz des Elements
unserer künstlerisch-kulturellen Zustände gewor-
den. Alles Talente von gut durchschnittlicher
Begabung, alle etwas durch Fanatismus der The-
orien verwildert. Kenner versicherten mir, es
gäbc bedeutendere Kräfte dieser Bewegung im
Auslande. Und warum lud man nicht lieber die
besten Einheimischen ein, einen Pechstein, einen
Melzer. Da hatte die Jury wohl Hintergedan-
ken. Die meisten Herren von der Presse betrach-
teten mit Scheuklappen und schrieben Wortwitze
im Depressionszustande. Allgemein ärgerte man
sich über die Wildenhaftigkeit dieser „Primiti-
ven“ — ich habe aber Leute in der Tracht ge-
bildeter Menschen sich hier barbarischer beneh-
men sehen, als ich es den Zulus zutrauen wür-
de. Man machte nicht einmal den Versuch zu
begreifen. Alride le Beau zum Beispiel wendet
Hettnersche Mittel weniger dogmatisch, klarer
und eleganter an. Kees van Dongen gibt in
weichen konturlosen Farben Dinge vorzüglich
— man sehe diese Kristallkette der „Fatma“.
Aber so traumhaft er wirkt, seine Menscnen
werden zu Masken. Bei ähnlichen Mitteln zeigt
de Vlaminck, wie ein Bild, das wir als festes,
ruhiges, aufnehmen, im Kampf sich lösender
Formen und den verschiedenen Glutgraden der
Farbe uns zwingen kann, Bewegung zu fühlen;
Wasser mit wundervoller Spiegelung. Derain,
nüchterner, sieht jede Form mehr als gebannte
Bewegung, Doucet aber empfindet die Farbe, ja
die Nüance als so glühend, dass er sie Stiick
für Stück hinlegt, ein Brand aus buntglühenden
Scheiten, ein Mosaik aus Edelsteinsplittern, die
konstruktiv, strukturhaft angewandt sind, sich
aber in Feinheit auflösen. Mit diesen Bildern
ist der Teppich, dessen Wollfäden nicht ausstrah-
len, sondern tot bleiben, überholt. Das Mosaik-
hafte scheint fast im herbstlichen Vorwurf zu lie-
gen. Bei Othon Friesz wird jede Farbenverän-
derung vom festen Ding wie dessen Lokalkolo-
rit behandelt uhd nur in Wassern und Wolken
sieht man, dass sie der Sonne — Ursacherin
aller Veränderungen — näher sind. Braquet
übersteigert das noch, ihm ist (Terrasse) die
färbende Kraft verschieden starker Beleuchtung
hundertmal wichtiger als die Perspektive. Für
Puy, der pikant, voll treffsicheren Denkens und
etwas müde ist, scheint die Sonne, um die trübe
Schattigkeit der Dinge zu zeigen. Picasso sieht
den Menschen als ein Stück feinster Materie; er
studiert an ihm Vasen und Bildhauermaterial,
die bezeichnenden und schönen Veränderungen.
Er fängt erst an — und mit raffiniertem Ge-
schmack. Manguins Bilder haben am deutlich-
sten die verschiedene Leuchtkraft und Dichte
seiner farbigen Gegenstände zur Raumveriiefung
uhd zu Farbenspiel und Schönheit verwendet.
Seine Art ist mir zu geschickt-siisslich.

Die Plastik ist durchweg gut vertreten. Ein
gewisser Neu-Berliner Stil unmotivierter Forsch-
heit und strammer Turnerbewegungen kommt
hier nicht zur Geltung und seine Nachwirkung,
Leere, macht sich nirgends quälend bemerkbar.
Etwas davon ist noch in der liegenden weibli-
chen Figur von Hans Schmidt-Friede-
n a u zu finden, tritt aber gegenüber der Kühn-
heit seines Vorwurfs zurück. Auch der Löwe
von M a r c k s ist mir deswegen nicht lieb, ob-
wohl ich vor dem natürlichen Assyrertum die-
ses Tieres Hochachtung habe. Empfindlicher
leidet darunter die vorzügliche Komposition der
jugendlichen Ballspieler von NikolausFried-
r i c h , die immerhin sich eines neuartigen Vor-
wurfs echt plastischer Art so gut bemächtigt
hat, dass man sie zur Aufstellung in einem
Sportpalast nur empfehlen kann. Für noch jung
halte ich Hans Krückeberg, dessen mo-
numentaler Esau das rührend Unbeholfene ernst-
haft zum Ausdruck bringt. L a n g e r s Arbei-
ten sind geschmackvoll, noch ästhetisierend auf
Kosteni der Klarheit. Alexander Oppler
ist ein geschickter Könner; K 1 i m s c h wendet
bei aller überlegenen Sicherheit seiner prachtvoll
gearbeiteten Portraitbüsten etwas zu sehr den
Verstand an, Kraus’ Broncebüste wirkt leb-
haft und wahr, Max Kruse bleibt in den
Holzbildnisbüsten ein Virtuos im guten wie im
beinah niedlich schlechten Sinne. Neben dem
guten Kopf von W i 1 d und dem tüchtigen
C a u e r s , der originellen Marmorarbeit L a n-
gen-Goerings machen Fritz Behns
Bronzen einen günstigen Eindruck. Voll lieb-
licher Anmut grüsst die Maske von Desbois,
raffiniert ist das knieende Mädchen Kogans.
G a u 1 hat meisterhafte Leistungen, er darf von
keinem Museum übergangen werden, weil er
heute als Tierplastiker die unumstrittene erste
Grösse ist. Hermann Fritz „Bären“ sind
lebhaft, F r y d a g s „Keulenschnitzer“ ist zö-
gernd — und beide erfreuen. Bick-Zürich,
H a 11 e r und M i 11 y S t e g e r haben in ih-
ren Mädchenfiguren verschieden starke Quanten
Maillol, Blick entzückt mich, Haller ist am leb-
haftesten beeinflusst und doch eine starke Po-
tenz. Der Vergleich mit der sicheren und wie-
der höchst gelungenen Mädchenfigur M. Stegers
ist lohnend und ich möchte mich zu ihren Gun-
sten entscheiden. K o 1 b e — ich glaube nie-
mandes Geschmack wurzelt hier so im Sinnli-
chen, niemand verlangt so quälend viel von sei-
nen Leistungen, diesmal sind «ie eine Reihe von
Siegen. Köstlich die Stellung der „Ueberrasch-
ten“, und die „Tanzende“ doch am schönsten.
Wir sind im grossen Reich der plastischen Jde-
en. B a r 1 a c h gibt durch seine breitnasigen,
breitmäuligen Holzfiguren unerhört deutliche
Empfindungen, schenkt dem plastischen Instinkt
Reichtümer, die vom primitiven Etruskertum ins
psychologische uncl ethische Verstehen gegenwär-
tigen Lebens reichen. G e o r g e M i n n e hat die
glanzvolle Entwicklung vom Zierlichen zum Ge-
waltigen genommen. Seine Bildnisbüste mit Wucht,
Ernst, Tatkraft und Schwermut gehört in die
Maskenkammer des Schicksals. Und da sitzt,
gross im Stein die Schlummernde, das Werkvon
Richard Engelmann, Steglitz - Dahlem.
Sie ist das Schlummern. Kein Teil des

Leibes, cler nicht an deinem Schlummer mitlebt,
Ewige. Doch die Hand im schlafenden Haar
des zur Seite hin ruhenden Kopfes hat in ihrem
Griff noch einmal alle Stille gefangen, die un-
terbewusste Gebärde.

Ende

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