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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 73 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Von Dichtern
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Lasker-Schüler, Else: Dem Prinzen von Marokko
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Döblin, Alfred: Die Verwandlung
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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0137

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Lyrik herab, die nicht einmal zeilenweise bezahlt
wird. Kein Geschäft zu machen. Aber ich wet-
te: die Lyrik der Destinn wird er sogar be-
sprechen. Zeile zwanzig Pfennig.

Trust

Dem Prinzen von
Marokko

O, du Süssgeliebter, dein Angesicht ist mein
Palmengarten,

Deine Augen sind schimmernde Nile
Lässig um meinen Tanz.

In deinem Angesicht sind verzaubert
Alle die Bilder meines Blutes,

Alle die Nächte, die sich in mir gespiegelt haben.

Wenn deine Lippen sich öffnen
Verraten sie meine Seligkeiten.

Immer dieses Pochen nach dir —

Und hatte schon geopfert meine Seele.

Du musst mich inbrünstig küssen,

Siisserlei Herzspiel;

Wir wollen uns im Himmel verstecken.

O, du Süssgeliebter.

Else Lasker-Schüler

Die Verwandlung

Von Alfred Döblin

Erna Reiss gewidmet

Die ersten Jahre der Ehe dieser beiden, der
Königin und des Prinzgemahls, waren friedlos ver-
laufen. AIs aber das Kind, der Thronerbe, in
dem alten Schlosse schrie, öffneten sich clie
eisernen Torflügel des Seitenportals; auf den
Steinen des Schlosshofes stand die schlanke blas-
se Königin, sie schwang sich in den Sattel,
jagte, von einer kleinen Kavalkade gefolgt, auf
dem Schimmei durch die winkligen Strassen,
zwischen den gebückten Häusern, über den
Marktplatz auf die gelben Wälder. Nun spreng-
te die wilde Königin wieder durch die verschlun-
genen Waldungen, auf den Nachbardörfern
fanden Picknicks statt, Maskerade und Mum-
menscherz in Dorfsälen, bei denen stets ein re-
serviertes Nebenzimmer voll war von den glü-
henden Wangen ihrer königlichen Majestät, von
dem Zittern ihres frechen Leibes wie der pru-
stenden Laune ihres Mundes, von der verhüllten
Süsse ihrer abgehackten Stimme, prunkvolle Fe-
ste, bei denen ein leiser kranker Kavalier ihr
Flieder reichte, das Gesicht in ihre Brust ver-
grub und wieder an ihrem Hals weinte, vor
Glück, Angst und Selbstverachtung. Auch der
Prinzgemahl zog wieder einsam seines Wegs
wie ein Mönch'. Mit traurig gekräuselten Lip-
pen sah man die dicke Gestalt durch die Säle
schlendem, ihn, bald zutunlich wie ein Kätz-
chen, bald träge und faul, fliessend von Ironien
und Selbstspötteleien. Er war wortkarg; man
hörte aufbrausende Worte aus seinem Munde.
Abends schlich er ohne Diener in den Damen-
flügel, legte seinen wuncen Kopf in den Schoss
eines schmächtigen, schwarzen Hoffräuleins mit

strahlenden Augen. Jetzt sah man nicht mehr die
Röcke der Königin schief sitzen; keine Haar-
nadeln, die sie verloren hatte, lagen auf den
Korridoren; die Treppen fühlten nicht mehrihre
müden verzagten Füsse; lachend gingen diese
beiden, Königin und Prinzgemahl, durch die
dunklen Säle nebeneinander. Sie trug eine blaue
Schleife aus Seide über dem rechten Ohr; aus
dem Haar hing sie herab; ihr Geliebter hatte
sie gebunden. Im Knopfloche des Prinzen steck-
te die Purpurnelke, daran flatterten offen zwei
schwarze Frauenhaare.

Es war eines Mittags, dass nach fröhli-
chem Plaudem erst die Königin, dann der Prinz
verstummte, dass die Königin langsam aufstand,
durch die Reihe der Lakaien wortlos hinäurch
aus dem Speisesaal ging, dass der Prinz mit
einem versunkenen Blick auf seine linke Hand,
sitzen blieb, die neben ihrer rechten gelegen hat-
te, sein Besteck zusammenschob, wortlos auf sein
Zimmer ging. Die Adjutanten und Damen des
Gefolges speisten rasch ab. Die Gemächer der
Königin waren geschlossen; die Königin, hiess
es, stände seit ihrer Rückkehr am Fenster, sei
garnicht erregt; sie würde ihr Zimmer bald öff-
nen. Der rote Hofrat, ein massiver riesenstarker
Jurist, mit strohblondem Vollbart, gütigen Au-
gen brummte, es werde doch einmal zu einem
offenen Eklat kommen. Das gelbe Knochengesicht
neben ihm mit pechschwarzen Augen und Haa-
ren, vorgeschobener Unterlippe, ein Männlein
mit einer Hakennase, der Hofarzt, zerknautschte
sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln.

An der Abendtafel sassen sie emst beiein-
ander. Es war ihnen nichts abzumerken; nicht
bei den Gesellschaften der nächsten Tage. Sie
berührten sich nicht, sie rückten mit den Stüh-
len von einander ab, sie sprachen freundlich mit
abgewandtem Gesicht zu ihrer Umgebung; kaum
ein Wort wechselten sie mit einander. Beider
Stimmen klangen höher, und es schien, als ob
einer zu dem andern hinüberlauschte.

Es war ein furchtbarer Moment, als sie sich
am dritten Tage auf dem Gang zu den Gemä-
chern der Königin trafen, stehenblieben und sich
die Hände gaben, eines Morgens, eines grauen
Morgens. Der Prinz hielt sie an der Schulter;
minutenilang sahen sie sich und sahen immer
wieder zur Seite. Jedes zitterte; das taten sie
sonst nur bei geschlossenen Augen. „Geh, geh,“
bettelte sie, huschte den schmalen Korridor zu-
rück.

Er sass auf seinem Zimmer. Der dicke Prinz
nahm einen Schemel und setzte sich vor setnen
Kostümschrank. Als er seufzte und sich reckte,
stiess er einen Blumenständer mit einer unge-
heuren Vase um. Das Wasser spritzte an seine
Stiefel; er rückte weg, schüttelte gedankenlos den
Kopf, setzte sich dicht an den geöffneten Schrank,
wühlte in den Sachen.

„Geh, geh“; das klang wie „komm, komin“.
Eine blonde Perrücke hielt er in den Händen
und drehte sie. Sie ist gut, aachte er, recht
gut; eine gute Perriicke. Sie störte ihn garnicht,
das wunderte ihn, machte ihn eigentümlich ru-
hig. Er setzte sie sich auf. Er liess sein Ge-
fühl ganz strömen in die Kopfhaut, an die Per-
rücke, um sie wohlig auszukosten. Was noch?
Mokka trinken. Kein Mokka, nichts trinken,
nichts. Er lief auf den Zehenspitzen zur Tür,
schloss auf, versperrte den ganzen Korridor,
stellte cie Klingel ab, hielt den Pendel der ho-
hen Wanduhr an. Sah sich dann wieder in sei-
nem Zimmer um, summte durch die Zähne. Er
sass tiefsinnig auf dem Taburett. Stück um
Stück der Gewänder zog er zu sich heran, taste-
te sie ab. Ein Wams gefiel ihm, das legte er

sich über das Gesicht; es roch nach Flie-
der. Er legte es sich an, band sich einen dün-
nen Kavalierdegen um, strich vor dem Spiegel
an seinen Kleidern herunter. „Komm, komm“.
Er schauerte zusammen, schloss leise die Tür
auf und schlich, immer durch die Zähne sum-
mend, den Korridor entlang. In der Mitte blieb
er plötzlich stehen, lief auf sein Zimmer zurück,
suchte am Boden einen Büschel roter Purpur-
nelken aus den Scherben auf, legte ihn behutsam
über den linken Arm. Er ging über die Schwel-
le; als sich eine Klinke am Ende des Ganges
rührte. Die Tür schloss leise auf; ein helles Ta-
geslicht fiel schräg aus dem Gemach der Köni-
gin auf den engen Gang; leichte rauschende
Schritte näherten sich, das schmale, herrische Ge-
sicht der Königin. Sie trug eine schwarze Per-
rücke, deren störrische Locken ihr über die tot-
blassen Wangen fielen; eng lag ihr ein hö-
fisches schwarzes Seicenkleid an. Sie gingen
Arm in Arm, sie gingen spazieren durch die
leeren Gemächer, sie gingen stumm die spiegel-
glatten Empfangssäle, die Speisesäle; sie gingen
durch die dunklen Bildersäle. Wie frei er sie
führte, wie gut ihre Schritte Takt hielten. Sie
hatte das Gesicht von ihm abgewandt, die
wilde Königin. Nur als sich ihre Arme an
der Türe der Königin lösten, wurden ihre
Wangen glühend, ihr Atem flog. Er legte be-
hutsam auf ihre Schwelle den Nelkenbusch nie-
der; die wilde Königin nahm seine warme Hand,
führte ihn über die roten Blumen hinweg in ihr
Zimmer; vor einem Haufen von Briefen, Blättern
und Bändern standen sie mit gesenkten Köpfen,
hielten sie sich an den Schultern, berührten sich
ihre Stirnen.

Die Tür schloss sich hinter ihm; er sass
auf dem Taburett vor seinem Spiegel, strich an
seinen Kleidern herunter. Er wollte sie ablegen;
es widerstrebte ihm irgendetwas; die Aertnel
schienen festzukleben. Er erschrak vor seinem
kurzgeschorenen blonden Haar; als er seine ei-
gene Uniform angelegt hatte, fuhr er liebkosend
über die fremden Gewande, die er auf dem Tep-
pich ausgebreitet hatte. Heimlich stiess er von
hinten mit dem Hacken in den Spiegel, schlug
Nägel in das blosse Holz, hing das fremde Ko-
stiim offen auf.

Sie sassen bei der Mittagstafel beisammen;
jetzt lenkten sie ihre Blicke zusammen. Er fuhr
manchmal mit der Hand über sein Gesicht, sei-
nen Kopf, riss an seinem hohen Uniformkra-
gen, suchte die Arme unter den Tisch zu ver-
stecken; kam sich maskiert vor. Die herrische

Königin spöttelte mit ihm; mit einmal legte sie
ihr Besteck hin; die Tränen stürzten ihr aus
den Augen; sie knirschte mit den Zähnen. Man
lief ihr nach, als sie sich jede Frage verbat.

Sie lag nach einer Stunde ruhig lesend im Bett
und bemerkte nur, dass sie cas Geschrei ihres

Kindes störe; man solle das Kind in einem an-

dern Teil des Schlosses unterbringen. Sie wür-
de morgen den Hofarzt fragen, ob nicht viel-
leicht der Meeresaufenthalt für das schwächliche
Kind besser sei als die Schlossluft. Die alte
Hofdame, die auf einem Stuhle bekümmert ne-
ben ihr sass, wollte erschreckt etwas erwidem,
aber die Königin wiederholte, sehr bestimmt sie
anblickend, ihre Frage, ob sie nicht auch die
Meeresluft für das Kind besser halte als das
Gebirge. Worauf die alte Dame auf ihrem Stuh-
le rückte, an ihrer langen Goldkette nestelte und
mit beherrschter Stimme beipflichtete.

Entsetzt aber stand sie am Abend auf, —
es mochte bald zehn Uhr sein, — als die jun-
ge Königin, die sich an den Flügel ge-
setzt hatte, sich nach einigen klimpernden Tö-

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