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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 87 (November 1911)
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Loos, Adolf: Vom Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Schlafen, Essen, Trinken
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Kunowski, Lothar: Gegen Karl Scheffler
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Ehrenbaum-Degele, Hans: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0250

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fcar sind, daß sie heute und nicht in triiheren Jahr-
hunderten zu leben haben. Für Menschen, die
sich in Sehnsucht nacli der Renaissance oder nach
dem Rokoko verzehren, schreibe ich nicht. Es
gibt solche Menschen. Sie weisen immer auf die
vergangenen Jahrhunderte, in denen Maler und
Bildhauer Entwiirfe für den Handwerker geliefert
haben. Sie weisen auf die Renaissance, in der die
Menschen aus Kriigcn tranken, in die eine ganze
Amazonenschlacht modelliert oder geschnitten
war. Sie weisen auf Salzfässer, die wie ein Schiff
aussahen, das von Tritonen gehalten und wo das
Ruder als Salzlöffel verwendet wurde. Unmo-
derne Menschen. Und sie liefern Entwürfe für das
Handwerk. Oder sie modellieren, wenn sie zu-
fällig von ihren Eltern auf die Bildhauerschule ge-
schickt wurden, gleich alles selber.

Wollt Ihr einen Spiegel? Hier ist er: ein
nacktes Frauenzimmer hält ihn. Wollt Ihr ein
Tintenfaß? Hier ist es: Najaden baden um zwei
Felsenriffe. In einem ist Tinte, in dem andern
Streusand. Wolit Ihr eine Aschenschale? Hier
ist sie: eine Serpentintänzerin liegt vor euch aus-
gebreitet und an ihrer Nasenspitze könnt Ihr euch
die Zigarrenasche abstreifen.

Ich fand das nicht gut. Und da sagten die
Künstler: Seht, er ist ein Feind der Kunst. Aber
nicht, weil ich ein Feind der Kunst bin, fand ich
es nicht gut, sondern, weil ich die Kunst gegen
ihre Bedränger in Schutz nehmen wollte. Man
hat mich aufgefordert, in der Wiener Sezession
auszustellen. Ich werde es tun, wenn die Händler
aus dem Tempel vertrieben sind. Händler? Nein,
Die Prostituierer der Kunst.

Wendet euch von den Propheten der Renais-
sance. Liebt Eure modernen Qegenstände. Seht
den herrlichen Spiegel! Konnte die Renaissance
ein Glas hervorbringen, das ein weißes Taschen-
tuch mit derselben Reinheit und Frische reflek-
tiert? Seht das herrliche Tintenfaß! Wie der
große geschliffene Kristallglaswürfel funkelt und
gleißt. Es kann nicht umfallen; es kann nicht.
So schwer, so fest steht es auf dem Tisch. Wie
sicher man sich fühlt! Es kann nicht umfallen.
Seht die herrliche Aschenschale! Eine große
Glasschale, mit Silber montiert. Wasser ist darin,
um die glühenden Zigarrenreste sofort auszu-
löschen. Die silberne Montierung hat Einbuchtun-
gen, in die man die brennende Zigarre legen kann.
Hat die Renaissance so herrliche Dinge aufzu-
weisen? Freut Euch, freut Euch, Ihr Menschen
des zwanzigsten Jahrhunderts!

*

In den Auslagen sieht man Tiere aus weißem
Porzeilan. Gelbe oder blaue Flecke unter der
Glasur geben ihuen einen charakteristischen
„Chic“. Sie sind hiibsch, diese Kopenhagener
Arbeiten. Die eingerollte Katze. Oder die beiden
Hündchen, die sich an einander drücken. Mir ge-
fallen sie ungemein — in den Auslagen. Denn —
wie merkwürdig! — ich wäre in Verlegenheit,
wenn mir eins davon geschenkt würde. Ich würde
es in meiner Wohnung nicht zur Schau stellen.
Gewiß: die Besucher kommen und sagen: Ah!
Kopenhagen! Das macht einem Freude. Wie es
einem Freude macht, wenn man eine Zigarre an-
bietet und den Ruf vernimmt: Bock Imperiales!
Zwei Kronen das Stück! Denn diese Freude ist
teuer erkauft. Den ganzen Tag muß ich mich von
dem Vieh anglotzen lassen. In seiner perfiden,
humoristischen Weise. Dazu bin ich nicht immer
zu haben. Dafiir bin ich nicht immer gestimmt.
Indifferente oder große Dinge will ich in meinem
Zirnmer sehen. Korbfauteuils oder Reproduktio-
nen Klingers. Oder die witzigen Erzeugnisse
früherer Jahrhunderte. Vieux Saxe. Die greifen
nicht mehr in mein Leben. Die sind durch ein
Jahrhundert von mir geschieden.

Die altdeutschen Sprüche an den Wänden sind
wir jetzt glücklich los. Aber wenn nun die „an-
gewandten Künstler“ kämen und sagten: Schafft

moderne Sprüche! Ich sage: Nein, gar keine
Sprüche! Mit Witzblättern werde ich mir nicht
mein Zimmer austapezieren. Dafür weiß ich mir
einen anderen Ort.

Kopenhagen macht auch Blumenvasen. Biu-
menvasen ist nicht das treft'ende Wort. Vasen
ist vielleiclt richtiger gesagt. Denn diese Vasen
wirken besser, wetm keine Blumen darin sittd.
Blumen will ich itn Zimmer haben, aber mit den
raffinierten Kunsterzeugnissen dieser Richtung
können sie nicht konkurrieren. In Bunziauer Ge-
schirr kommen sie besser zur Geltung. Das fühlt
Jeder. Und daher sielit tttan die Kopenhagener
Vasen immer leer.

Ich glaube, die Zeit wäre nun glücklich vorbei,
wo sich das Stürmen und Drängen der Menscheti
in Gebrauchsgegenstände verkroch, die unbenutz-
bar waren, in Bierkriigel, aus denen man nicht
trinken, in Schusterhämmer, mit denen man nicht
Stifte einschlagen konnte. Der moderne Mensch
hat andere Mittel, seine Ueberschiissigkeiten los
zu werden Einmal wachte ich fröhlich auf. Mir
hatte geträumt, das ganze Kopenhagener Getier
sei toll geworden und müsse dem Kopenhagener
Wasenmeister übergeben werden.

Manche Leute sagen mir nach, daß ich Ge-
schmack besitze. Wenn man einma! in diesen Ruf
kommt, wird man von den L.euten gern bei ihren
Einkäufen mitgenommen. So bat mich eine Dame,
mit ihr in die Sezession zu gehen, um ihr beim
Einkauf zu helfeu. Zimmerschmuck. Geld spielte
keine Rolle. Aber groß durfte es nicht sein. Ich
riet ihr zu einem kleinen Marmorblock von Rodin.
Ein herrliches Antlitz entrang sich tniihsam dem
Stein. Die Dame besah das Stück von allen Sei-
ten. Sie wurde verlegen. Dann sagte sie: Wozu
dient das? Nun war es an mir, verlegen zu wer-
den. Das merkte sie. Und sie sagte: Sehen Sie,
Herr Loos! Sie sind iramer so gegen Gurschner
und die anderen. Aber bei denen weiß ich doch,
was sie wollen. Kann ich an diesem Stein Streich-
hölzer anzünden? Und wenn schon! Wo soll ich
sie hiniegen? Kann ich eine Kerze dranstecken?
Wo ist die Vorrichtung dafür? Kattn ich Asche
abstreifen?

Wie sagte ich doch vorhin: Prostituierer

der Kunst!

Das Kapite! vam Triiken. der Schluß des Vortrags,
den Ado!f Loos im Verein für Kunst hie!t.

Gegen Karl Scheffler

Von Lothar von Kunowski

Karl Scheffler hat im Novemberheft von
„Kunst und Künstler“ einen Aufsatz veröffentlicht
über meine kunstpädagogischen Bestrebungen, über
die Gesamtleistung Gertruds von Kunowski und
über die Ausstellung meiner Kunstschule und des
staatlichen Zeichenseminars in Diisseldorf.

Das ist keine Kritik. Das ist die Ekstase eines
Romanschreibers. Wer dieses Hirngespinst liest,
wird niemals glauben, daß Scheffler unsere Aus-
stellung iiberhaupt besucht hat. Was deren sechs-
hundert Arbeiten darstellen, erfährt man nicht.
Fernstehende müssen mich für einen Verrückten
halten, wenn sie diesen Unfug lesen.

Wer ist Karl Scheffler? Der Redakteur von
„Kunst und Künstler“. Er besitzt also eine Platt-
form, auf der er jedem, den er nicht mag, mit der
Faust äns Gesicht hauen kann. Diesmal wählte er
sich für seinen Angriff im besonderen eine Frau.
Gertrud von Kunowskis Jugendwerk von zwei-
hundertfünfzig Arbeiten war mit einem Federstrich
zu tilgen. Vorsichtigerweise hatte Karl Scheffler
schon vorher Doktrinen und Maximen verbreitet,

welche aller Welt die Unfähigkeit der Frau zur
Kunst plausibel tnachen sollten. Mit diesem Hirn-
gespinnst glaubt dieses Männchen die geduldige
Arbeit einer Künstlerin in mehr ais zehnjährigem
Werk diskreditieren zu können. Er tiennt dieses Ge-
samtwerk „frauenhat't eng“.

Wer ist Karl Scheffler? Ein fleißiger Bureau-
arbeiter, der mit Schriften über moderne Kunst auf-
trat, als der Hauptsturm längst vortiber war. Ge-
duckt hinte seinem Büchergestell, auf dem gewiß
auch meine fünf Bände „Durch Kunst zum Leben“
und „Unsere Kunstschule“ steheu, iiberfällt er einen
praktischen Lehrmeister, der rund tausend Arbeiten
seiner Schule iiberall iu Deutschland ausgestellt
hat und seit 1901 an die Spitze der Bewegung
für feine Talentpflege trat. Am Ende will dieser
kleine Bureaumensch meine Rolle gegetiüber der
Jugend iibernehmen. E r will sie unterrichten,
nachdem er tneine Geistesrichtung ais gefährliche
Herrschsuclüt des Diktatiors „Gedanke“ abgetan
hat.

Wie greift Karl Scheffler mich an? Mit den
Waffer, des Maximendrechslers. Er entwickelt eine
Theorie, nach der Männer meiner Art unmöglich
Lehrmeister sein können. Dann folgert er aus die-
sem Prinzip, daß meine Lehren und Unterrichts-
leistungen nichts taugen — er, der kieine Bureau-
tnensch, der den Sturm gar nicht kennt, der einem
Lehrmeister im Atelier selbst zehn Jahre um die
Ohren pfiff, als es galt, junge Leute zu bilden,
die Doktrinen hassen und keinem Lehrmeister
gestatten zu verknöchern. Er, der Vertreter der
Sezessionsakademiker und ihres Schulfiaskos, wil!
rnich zum Akademiker stempeln, der ich das ganze
Unterrichtsgebiet befruchtet habe.

Ahnungslos, ein Brilienträger, ein Schnupfta-
baksokrates der Kunst erklärt dieser Feind des
Kunstgewerbes, ohne eine Spur von Sachkenntnis,
alle Maßnahmen eines praktischen Lehrmeisters in
fünfzig Bildergruppen, die Problemstellungen und
Lösungen enthalten, an denen kein junger Künstler
voriiberkommt, fiir — Kunstgewerbe! Mit War-
nungsschreien will er die in unserer Ausstellung
studierende Jiigend rasch an diesen Problemen vor-
überführen.

Ein Aesthet, der sich an den furchtbarsten
Exempeln verfehlter Sezessionsschule und au deren
Geschmack berauscht, nicht etwa an der frischen
Jugend, deren Arbeiten für die Sezessionsschule
gar nicht existicren, stellt sich gespreizt vor mich
hin, urn mir Vorlesungen über „höheren Ge-
schrnack“ zu halten.

Auf meine Schulbank! Karl Scheffler! Be-
ginne in tneitter Vorbereitungsschule zeichnen zu
lernen.

Gediehte

Von Hans Ehrenbaum Degele

Aber vom Baum der Erkenntnis . . .

VoII tnüder Lässigkeit wie eine Dirne
Enthüllst du langsam deine schlanken Weichen;
Ich aber stütze sehnsuchtsschwer die Stirne,
dem Traurn des Ideals mich anzugleichen.

Das also war das schwache Ziel der reichen
Nächte voll Singens zitternder Gestirne!

Ein toter Schimmer alltagsfremder Firne
Lebt mir im Geist noch als Erinnrungszeichen.

Nun wird sich endlos oft das Morgen reihn,

Und immer wieder werd ich dich genießen,
Lächelnd und zitternd immer, ohne Denken.

Und meine Sehnsucht wird nach Sehnsucht schrein,
Du aber wirst mir nie mehr Sehnen schenken,

Und all mein Blühen wird in nichts zerfließen.

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