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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 72 (August 1911)
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Aram, Kurt: Einsichten
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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0128

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Einsichten

Die Antwort

Der Berliner Lokalanzeiger über den „spei-
senden Zoo“:

Und weshalb muss ich, wenn ich im Re-
staurant 1. Ranges eine gute Flasche Wein
getrunken habe, meinen 1. Rang aufgeben und
ein Gast „ä la Kempinski“ werden, wenn ich
ein Glas Bier haben will? Da bei den Men-
schen auf solche Fragen keine Antwort zu
erhalten war, ging ich zu den Tieren, die es
im Zoo ja auch noch gibt. Die meisten grin-
sten spöttisch, die alte, weisse Schimpansin
aber, die schon so manches Jahr Berliner Le-
ben hinter sich hat, hielt sich den Leib vor
Lachen. So etwas Närrisches war ihr denn
doch noch nicht vorgekommen.

Kurt Aram

Die Folge

Die „deutsch Sprak“ ist nicht sowohl eine
arme und plumpe Sprache, wie es der famose
de la Marliniere Wort haben will, sondern ein
verteufelt schwieriges Idiom, das, wenn man
es schon mündlich' beherrscht, noch in der
Schrift auch den Eingeborenen so manche Nuss
zu knacken gibt.

Das kommt davon, wenn die Eingeborenen
des Lokal Anzeigers sich ohne Nussknacker be-
helfen wollen.

Das neue Profil

Ich sagte es ja: Was werden die Herren
vom Berliner Tageblatt ohne Clichee anfangen?
Die deutschen Glichees wurden am 14. Juli für
geschmacklos und die lateinischen am 16. Juli
für ekelhaft erklärt. Ich befand mich Ende Juli
in schweren Sorgen, sah schon das Ende der
Schriftstellerei voraus. Aber Herr Victor Aubur-
tin weiss sich zu helfen. Er bleibt sich im
Kamnf treu, schriftstellert weiter und wendet —
englische Glichees an. „In old good col-
onial times“ Man sieht sofort das alte Profil
Helgolands und Herr Auburtin hat sich ohne
Schwierigkeiten ein neues zugelegt. So wird der
unglückliche Mann von Land zu Land getrie-
ben. Das beschleunigte Tempo des Fortschritts
lässt allerdings viel Gutes erhoffen. Nun wird
er uns uns wohl spanisch kommen.

Die Aufgabe

Die Aufgabe, die ich mir gestellt sehe,
ist eine ganz neue, und erfordert eine ganz
neue und originelle Behandlung. Das Pro-
blem ist, eine pantomimische Darstellung mu-
sikalisch zu illustrieren, die in ihrer Wesen-
art ganz verschieden ist von früheren Vor-
führungen, aus denen der Gebrauch der
menschlichen Stimme verbannt war. Bisher
waren solche Vorführungen meist Balletts, in
denen eine Tanzmusik die wichtigste Rolle
spielte, oder pantomimische Revuen, in denen
ebenfalls der Tanz eins der wichtigsten Dar-
stellungsmittel ist.

Zwischen einigen Londoner Herren „einer-
seits“ und Herrn Professor Humperdinck und
Herrn Professor Reinhardt „andererseits“ ist
nämlich ein Vertrag „perfekt“ geworden, nach'
dem Herr Humperdinck eine Pantomime für
London schreiben soll. Herr Humperdinck teilt
einem englischen Korrespondenten mit, dass er
bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt sei
und die Marienhymnen des zwölften Jahrhun-
derts eifrig studiere. Komponieren muss doch
eine sehr schwere Sache sein. Da wird man
plötzlich vor Aufgaben gestellt, Pantomimen zu

schreiben, aus „denen der Gebrauch der mensch-
lichen Stimmen verbannt ist.“ Früher behalf
man sich, wie Herr Humperdinck mitteilt, mit
Tanzmusik. Jetzt also mit Marienhymnen. Sehr
gespannt kann „man“ sein, wie Herr Humper-
dinck das Problem lösen wird, eine „pantomi-
mische Darstellung musikalisch zu illustrieren“.
Der ganz unmusikalische Herr Reinhardt hat
bereits mit Sumurun bewiesen, dass ihm nicht
einmal zu der Musik von Viktor Holländer et-
was einfällt, trotzdem er sie sich bestellf hat.
Sie also offenbar als seiner Begabung kongenial
empfand. Herr Humperdinck muss also Gebär-
den „illustrieren“, die Herr Reinhardt nicht zu
erfinden vermag. Und noch dazu in Marienhym-
nen. Ich will Herrn Humperdinck bei der schwie-
rigen Aufgabe etwas helfen: vielleicht illustriert
er gleich die Kostüme und Dekorationen des
Herrn Ernst Stern, während Herr Stern dies-
mal in Musik malt. Oder aber, Herr Professor
Humperdinck denkt über die Pantomime „Die
Vier Toten der Fiametta“ nach, die er erst vor
vier Wochen gehört hat. Dann fällt ihm viel-
leicht auch ein, dass seine Aufgabe nicht ganz
so neu ist, und dass man auch ohne Volkslie-
der und Marienhymnen Musik zwar nicht ori-
ginell illustrieren, aber im Uebrigen doch kom-
ponieren kann. So ist die Aufgabe einerseits
oder andererseits zu lösen.

Die Lyrik iiberm Strich

Das Berliner Tageblatt wird immer poeti-
scher. Die Lyrik schäumt nur so über den
Doppelstrich in den Leitartikel hinein. Ein Wirk-
licher Geheimrat vom Kultus Ministerium seift
die Leser des Tageblatts tüchtig mit ihr ein.
Ihm macht es „nämlich jedesmal wieder Freude,
wenn das Zeitgenossenlexikon Wer ist’s? in neuer
Auflage erscheint.“ Der Geheimrat ist beglückt, dass
die Zeitgenossen sich mit jeder Auflage mehren.
Es soll jetzt schon fünfundzwanzigtausend ge-
ben. Nur ärgert sich der Herr Geheimrat, dass
die Zeitgenossen nicht alle von Bürgern oder
Handwerkern abstammen, oder es wenigstens
eingestehen. Er rät dem Herausgeber, wenn er
seine Fragebogen aussendet, „in dieser Richtung
einmal zu wirken, vielleicht setzt er in die be-
treffende Rubrik die schönen Verse von Karl
Busse an sein KindP
Doch heb’ einst nicht das Haupt zu sehr
Wir kamen auch von unten her;

In Tiefen haben wir geschafft,

Die Tiefe gab uns Kern und Kraft.

Es trug der Ahn kein Ritterschwert,

Ihm waren Pfriem uncl Ahle wert.

In blanker Kugel glomm das Licht —
Vergiss das nicht, vergiss das nicht!

Es ist ja durchaus nichts dagegen einzu-
wenden, dass jemand vori einem Schuster ab-
stammt. Karl Busse hätte dann aber wenigstens
bei seinen Leisten bleiben sollen. Dann hätte
der Wirkliche Geheimrat sich die Versohlung
sparen können, dass ihm das Licht der Schu-
sterkugel als schöne Poesie leuchtete. Hoffent-
lich lassen sich die fünfundzwanzigtausend Zeit-
genossen nicht durch die geforderte Abstam-
mung und die schönen Verse zum Dichten ver-
leiten. Man kann nämlich ein Schuhmacher und
doch kein Poet sein. Vergiss das nicht, vergiss
das nicht, vergiss das nicht, vergiss das nicht.

Begas

Die Abonnenten des Berliner Tageblatts ha-
ben es nicht leicht. Sie müssen alle vier Wo-
chen ihre Kunstanschauung ändern. Beim acht-
zigsten Geburtstag des Altmeisters Begas schrieb
man:

„Die Verantwortung für den schlimmen,
neupreussischen Denkmalsstil belastet Begas schwer.
Man darf es auch heute nicht verschweigen, er
trug die volle Schuld daran, er war sich selbst
untreu geworden. . . Kamen die Forderungen
des neuen Kurses nach immer laireren Formen,
nach immer barockeren Häufungen, nach immer
schnellerer Arbeit seinen Wünschen entgegen, oder
hatte er nur nicht den Charakter, so bequeme
Gelegenheiten abzuweisen. Er hat an die wich-
tigsten Stellen statt ernster Monumente üble und
flüchtige Dekorationen gestellt.“

VierWochen später „An Begas Totenbahre“:

Hierbei kommt es garnicht einmal so sehr
auf die Z a h 1 d e r W e r k e an, die aus Be-
gas’ Werkstatt hervorgingen, um unsere Strassen
und Plätze zu zieren. Gewiss, es sind gerade
die räumlich beträchtlichsten Berliner Monumen-
te, die von Begas herrühren: Bismarckdenkmal,
Kaiser - Wilhelm - Denkmal, Schiller - Monument,
Schlossbrunnen .... Aber wichtiger und be-
deutender ist, dass der Stil, der sich in diesen
Werken bekundet, auch den späteren Werken an-
derer Meister massgebend wurde, dass ein Be-
gasstil hier sich in allen öffentlichen Werken der
Plastik und der Architektur durchsetzen konnte.

Das prunkende, rauschende Barock, das in
der nüchternen nachklassizistischen Zeit Wil-
helms I. in Berlin noch vollkommen unmöglich’
gewesen wäre, wurde durch Begas die Kunst-
sprache der unruhigen neowilhelminischen Zeit,
die jetzt allgemach hinter uns zu liegen kommt
und Geschichte zu werden beginnt. Ganz wun-
derbar passte die laute, sich grandios gebende
Kunst des Meis'ers dieser aufgeregten Zeit mit
den vielen grossartigen Absichten an . . . und
ein ganz wunderbar gütiges Geschick hat über
uns gewaltet, dass es gerade doch immer Be-
gas, doch ein Meister ersten Grades war, an
den Wilhelm II. mit seinen ersten zahlreichen
Aufträgen geriet. Was wäre aus Berlin gewor-
den, wenn schon in jener frühen Zeit des neu-
en Regimentes jene kleineren Geister zum Wort
gekommen wären, die sich nach Begas’ Aus-
scheiden marmorn und bronzen breitmachen
durften.“

Wenn die jetzt kleinere Meister genannten
Bildhauer gestorben sein werden, wird sie das
Berliner Tageblatt sicher als Altmeister feiern.
Jedenfalls ist der preussische Kultusminister
Herrn von Trott zu Solz schon heut überzeugt,
dass das ganz wunderbar gütige Geschick noch
immer iiber Preussen waltet. Der neue Ehren-
doktor der Stadt Breslau depeschiert:

„Anlässlich des Hinscheidens Ihres
Herrn Vaters, Exzellenz Wirklichen Geheimen
Rats Professor Reinhold Begas spreche ich Ihnen
und den übrigen Hinterbliebenen meine herz-
lich Teilnahme aus. Noch unter dem Ein-
druck der reichen Ehrungen, die
dem Verewigten bei der Feier der Vollendung
seines achtzigsten Lebensjahres zuteil wurden,
betrauert auch die preussische
Kunstverwaltung den Heimgang des
führenden Meisters der Berliner Bildkauerkunst,
des anregenden Lehrers zahlreicher, namentlich
in Berlin wirkender Bildhauer und des Schöp-
fers so vieler glänzender Meisterwerke. Seinem
Namen ist für alle Zeiten ein rühmliches An-
denken gesichert.“

Noch unter dem Eindruck seiner Ernennung
zum Ehrendoktor kann man der Breslauer Uni-
versität a n 1 ä s s 1 i c h dieser Depesche nur zur
Logik, Sprache und Kunstanschauung des preu-
ssischen Kultusministers gratulieren. Auch der
deutsche Kaiser hat ein Beileidstelegramm ge-

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