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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 80 (Oktober 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0194

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der Sonne aus, dass wir beide von Beduinen
stainmen, er sitzt immer wie ich auf einem ed-
lem Araberpferd, darum können wir nie ganz
verkommen. Wir sind vom Stamm der Melechs
und ziehen in Gedanken immer gegen andere
Rassen. Ich bin Höxter dankbar, er erzählte mir
ein Wunder, seine Schwester heisse Schlöme.

Wisst Ihr, wer gestern bei mir war, die
Exkaiserin Eugenie. Ich öffnete mit Zagen die
Korridortüre wegen des Gerichtsvollziehers. Ihre
Majestät versprach mir, an meine Tante zu
schreiben, die ist Zwillingsmillionärin.

Lieber Herwarth, edles Kurtchen, ich habe
mir seit einigen Tagen vorgenommen, Karl
Kraus, der Dalai-Lama in Wien, soll Minister
werden. Ich sehe ihn überhaupt nicht mehr an-
ders, als auf einem mächtigen Stuhl sitzen. Wie
langweilig und langsam alle Menschen sind, er
wäre schon längst Minister. Ob ich wohl Hof-
dichterin werden würde mit einer Apanage?
Aber daran denke ich erst in zweiter Linie. Ich
hätte die Angelegenheit Dalai-Lamas längst zur
Sprache gebracht, aber die Leute wie gesagt
lächeln immer langwierig, wenn ich was sage,
auch verstehen sie' nicht meinen gaukelnden Wor-
ten ein Seil zu spannen. Nur der Minister freut
sich meiner Sprünge, er ist ernst genug.

Der kleine Jakobsohn hat dreiundzwanzig
Nummern der Fackel bestellt, ich habe Dir so-
fort gesagt, Herwarth, er ist gar nicht so
schlimm, es wird ihn auch noch der Sturm um-
reissen. Seid vergnügt, beide, macht Euch keine
Sorge wegen meines Mitbruchs, ich hab Diaman-
ten und Perlen und — ein Heer Verse — auf
Dich gedichtet.

Ich kann Euch heute nur eine Postkarte
schreiben, der Bischof telephoniert eben, ob wir
gleich etwas in Sibirien spazieren gehen wol-
len? Wir nennen nämlich die Gegend am Lüt-
zowerplatz in Charlottenburg Sibirien. Wir ha-
ben überhaupt viel gleiche Empfindungen beim
Anschaun der Welt. Auch sehen wir dieselben
Tiere im Menschgesicht. Die Katzen liebt er,
ich nicht. Ich werde ihn heute fragen, ob er
die Katzen mehr liebe wie mich. Solche Fra-
gen berühren ihn glücklich. Ich frage ihn vie-
les Verhängnisvolle auf franzosisch, als wäre er
mein Gouverneur. Es ist so aufatmend, wenn einem
auf einmal alle die verantwortlichen Gedanken
und eingenisteten Gefühle von der Schulter glei-
ten und man eine Marionette ist, am feinen Sei-
denfaden geleitet. Aber manchmal bin ich sein
goldener Ball, den er liebevoll in Kmderhände
wirft. Oder ich schlummere vom Rausch seiner
Worte, er hat' etwas Rebenartiges. Ich lehne,
seitdem ich ihn kenne, oft an schwarzangestri-
chenen Wänden der Häuser und werde süss.
Wenn er nicht mit mir spielen würde; ich
müsste verdorren in der Nüchternheit von Ber-
lin. Unter Asphalt ist sogar hier die Erde be-
graben; einen grossen Baldachin wie des Win-
tergartens dumpfer Sternenhimmel wollen sie
jetzt über die Hauptstadt bauen; wo soll man
hin dann b 1 a u sehn. Der Westen unserer Stadt
ist mir am verhasstesten, die Arbeitergegenden
haben wenigstens etwas kriegerisches. Kürzlich
standen wir auf der Brücke, die zur Siemens-Fa-
brik führt, in der Nacht. Wir hätten uns fast
geküsst, aber ich entschwand seinen Lippen ohne
es zu wollen, wir sind auch beide zu weiss,
wenn wir erröteten im Küssen, wäre wie Blut,
vielleicht wie Mord. Ich muss Euch das alles
sagen, Iiebet mich dafür.

Liebe Jungens, als ich heute ins Cafe kam,
sassen der Slawe und der Bischof wo ver-
steckt. Der Slawe findet es scheints politi-
scher in Deiner Abwesenheit, Herwarth, sich
nicht mit mir zu befassen, er spielt den Ehren-
mann. Auf die Idee, dass er sich aus mir nichts
macht, bin ich noch nicht gekommen, aber ich
habe ihn satt, er ist auch gar nicht so schön,
wie ich ihn zuerst sah, er hat ein enges Mie-
nenspiel. Und er freut sich immer, wenn je-
mancl Verlust der Phantasie erleidet, da er kei-
ne besitzt., Ich habeHassan verloren, alle marok-
kanischen Träume uncl den tätowierten Halb-
mond an seinem vibrierenden Nasenflügel. Der
Bischof sah mich von Ferne weinen, er, küsste
schon dreiundzwanzig Mal mitleidig seiner klei-
nen, heiligen Katze den Kopf.

Heute stellte ich dem Bischof eine Sängerin
vor, weil sie der Talismanphotographie ähnlich
sieht, die er in seinem Portefeuille trägt. Nun
soll er in Wirklichkeit seinen Typus Angesicht
vor Angesicht sehn. Ich glaube zwar, er är-
gert mich nur mit ihm, aber ich will mich lu-
stig rächen. Felicitas summt immer meine Me-
lodien auf berliner Jargon, die ich aus dem
Morgenland weiss, sie ist mein verwässerter Nil
abwechselnd mit einer Schüssel Tigriswasser,
darin sie ihre Strümpfe wäscht. Aber sie trägt
seidene Strümpfe; mit Wohlgefallen bemerkte das
der Erzbischof, auch stellte er Vergleiche an
zwischen mir und ihr. Das nehme ich ihm übel,
ich glaube, ich mag ihn nicht mehr lleiden.
Meine ganze Psyche ist eine Weile eingekracht.
Eine feine ganz goldene Stadt ist meine Seele,
lauter Wandelgänge von Palast zu Palast. Und
ihre Landschaften übersteigen die Schönheiten
aller Länder. Ich soll wieder erkrankt sein, aber
wo? Es ist kein Mosaik mehr da, und mich
behandelt man auf Backsteine. Ich gab dem
Bischof, lächelnd die Hand zum Abschied, le-
ben Sie wohl, Herr Erzbischof, Sie behaupteten,
die Kultur der Egypter über alles zu lieben und
vergassen, dass man eine pharaonische Prinzes-
sin nicht (wenn auch in Gedanken) neben ei-
nem deutschen Pozellangänschen stellen darf. So
sagte ich ihm.

Herwarth, heute gabs wieder Aufschnitt bei
mir, dabei esse ich so gern Ente mit Mirabel-
len. Ich hatte geradezu Sehnsucht nach Kempins-
ki, trotz der gierigen Philister an den Neben-
tischen. Warum sind wir beide dort so un-

verheiratet? Bin weder in dem Lokal Deine

Verehrerin, noch Deine Kameradin, noch
Deine Angetraute. Du hist dort mein Lieb-
haber, erster Liebhaber, und ich fühlte wohl in
Üen beiden Malen, wo wir dort sassen, dass
auch in Dir verborgen wie in allen Männern
das Talent zum Bonvivant steckt; aber ich auch
nicht alleine clie Dichterin und die Tino von
Bagdad bin, nicht nur der Prinz von Theben,

zu guterletzt nicht nur als Jussuf der Egypter

existiert habe, sondern ich auch ein ganz kleines
Mäclchen sein kann, das zum ersten Mal von
einem Herrn zu Kempinski zum Abendbrot mit-
genommen wird und Geschmack an Kaviar und
Ente mit Mirabellen findet, sich aber noch schüt-
telt entsetzt vor der Schnecke in cler geöffneten
Muschel. Weisst Du noch unsere Angst, dass
Jemand uns von Bekannten sehen würde, — unser
Verhältnis. Ich frank aus Deinem Glas, Rot-
wein, und Du machtest mir Komplimente mei-
ner schmalen Fussgelenke wegen. Und ver-
sprachst mir seidene Striimpfe zu kaufen und
eine weisse Feder für meinen grossen Strohhut.
Du hast so emsig süss zu mir gesprochen, na-

mentlich wie ich mich genierte, noch etwas von
der Auswahl der Konfitüren zu wählen. Und
ich vergass wirklich, dass ich Deine Frau war
und machte mich über Deinen Drachen lustig,
über ihre finstere Stirn. Aber ich werde nie
Dein stutziges Gesicht vergessen; da wusste ich,
dass Du schon öfters mit kleinen Mädchen
bei Kempinski soupiert hattest, die Deine Frau
Ihrer fanatischen Galiläerstirn wegen verspotteten.
Das hatte Dich imrner wieder von den Lecker-
mäulern abgebracht, denn Du wurdest barsch
und unmutig zu mir, weil ich Deine „Frau“
beleidigt hatte. Und wie ich erfahren habe, bist
Du erst neulich in einer kleiner Gesellschaft
dort gewesen, dein Freund, der Doktor brachte
eeine lachende Kleine mit. Warum hast Du
nicht Kurtchen veranlasst, den Doktor auch zu
der Reise nach Norwegen einzuladen? Er sieht
abgearbeitet und verärgert aus. Es giebt keinen
Menschen, der aufmerksamere Liebe nötiger hat,
als der Doktor, als „unser“ Doktor, sind er
uncl ich auch schuss für ewig. Ich habe jahre-
lang Jünglingen, die ihm ähnlich sahen, Blu-
men gesandt.

Liebe Nordpolforscher, Direktor Wauer hat
heute Morgen ein Telegramm aus Elberfeld be-
kommen. Die Stadt Elberfeld hat ihn verstän-
digt, dass der Wupiperthalergesangverein ihm
ein Ständchen bringen wird, weil er ming Stöcks-
ken auffiihren tät. Was mich meine Einwohner
doch gut leiden mögen! Und eine Deputation
Färwer, Knoppmaker on Suttaschdreher on zwei-
hundert Weberslüte werden unserm Direktor ein
Album mit bergischen Photographien überrei-
chen. Ich schwärme wahnsinnig für Direktor
Wauer.

Liebe Beide. Wieso weiss Richard Weiss
von der Aufführung meines Schauspiels? Er
schickte mir heute Rosen. Ich möchte ihn ein-
mal sehen. In seiner Schrift clehnt er sich und
geht wieder ein; in seiner Schrift stehen alle
seine Gedichte gemalt, manche sind gebeugte
Bäume, aber auch herrliche Kuppelbauten erhe-
ben sich an Ufern. Ja, seine Schrift hat Ufer
uncl Flüsse, heilige Wellen, die nach Gebeten
duften. Seine Schrift duftet. Es hat mir Jemand
verraten, dass er schlank ist, dass er braune
Haare habe und schmerzlich der Blick seiner
Augen sei, und dass er den Scheitel an der
Seite, wie ich, trüge. Ich denke an ihn immer
sehr bewegt: ich wollte, ich wäre ein Spassma-
cher und er eine Schlange, ich würcle ihm das
Tanzen beibringen.

Lieber Herwarth und lieber Kurt, ach, ich
hab diese Nacht so sonderbar geträumt! Ich
lag auf einer Bahre mitten auf einem Platz. Ich
lag gehüllt in einem weiten, stillen Tuch, wie
in einem Meer — und war tot. Manchmal
tratst Du zu mir, Herwarth, und hobfet das
Meer von meinem Angesicht und wiesest auf
meine Stirn. Und es verhöhnten sie so viele
Menschen, wie ich Tage gelebt hatte. Ich be-
gann mich schon wegen Deiner Arglosigkeit zu
ärgern, denn ich habe immer den neugierigen,
dreisten Tag gehasst. Aber als die Nacht kam,
bat ich Dich, clrei Prinzessinnen meiner Liebe
zu beschenken. Du versprachst mir feierlich, der
Venus von Siam das Armband zu senden, das
ich beim Aufschreiben meiner Gedichte trug.
Du wiederholtest mir mit reiner Stimme, meinen
Ring mit dem eingefassten Abendrot, Ruth der
Frau des gentlen Rechtsanwalt, der immer vom
Mai singt, zu reichen. Du schworst mir treu,
dass Du Nora von Indien, dem weissen Panther,

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