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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 131
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Koch, Hermann: Taaus Anfang
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Adler, Joseph: Durch Nacht zum Lichtbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0180
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Taaus Anfang
Von Hermann Koch
Bis zur Decke der niederen Zelle ragte der un-
beweglich schwarze Schatten, vor dem Taau saß,
kler. noch Mensch war. Auch einer, dem die U m -
menschen diese Nacht als die letzte seiner Nächte
bestimmt hatten. — Er lag still — hörte das
weiche Strömen einen fernen Regen und wußte
unfern im Grunde der Nacht einen Galgen stehen,
von dem jetzt das Regenwasser zackig herabrann
— und irgendwo seinen Henker —
Taau war außerhalb des Lebens, dachte an
keinen Tod. Und diese Wände waren ihm Lamel-
len, er wußte: sie berühren, heißt sie zersprengen.
Leben ist Fluch, die Organismen herabgewür-
digte Materie.
Damit sein Körper, der unförmige Fleischkloß
zu existieren vermag, müßte er ekle Substanzen,
wieder Organismen in sich würgen. Und immer
nur ein Leben wäre wieder möglich, dessen schön-
ster Augenblick gekommen ist, wenn zwei Wesen,
Superlative der Widerwärtigkeit, zusammenkleben,
wenn einem neuen, blöden Geschöpf Leben ent-
steht, das ihm später zur Qual wird.
--— Feig, grausam sind die Menschen, auch
ihre Götter beleben sie.
Niemand und nichts aber darf sich gegen die
Allmacht seines Willens stemmen, diese drollig-
herausgepritzten Jammerwesen dürfen ihn nicht
zerstören.
Sie haßten ihn, weil er ein ausgewachsenes
Menschenwesen getötet hat, weil er ihnen sagte,
was sie nicht verstehen durften, daß töten und
vernichten das unzerstörbare Recht jedes anima-
lischen Lebewesens ist. Er nahm sich sein Recht,
sie aber sind — — — „Menschen“. Wenn sie
dies vergäßen, wie sie es einigemale vergaßen,
würden sie einander zerreißen, würden von split-
ternden Knochen Streifen roten Fleisches kratzen,
— und Blut trinken —
Morgen, ... in einer Million von Jahren wird
er dies wollen.
Noch sind sie die „Herren der Erde“, sie zer-
wühlen sie, saugen sie aus — — auch Dich
Erde wird er rächen!
Er ließ sich von einer Aufruhr grausiger Vor-
stellungen treiben.
Er saß noch ohne Bewegung. Der Tag kroch
grau und meuchlerisch in die Zelle.
Die Komödie hatte begonnen. Einige Men-
schen kamen, die faselten etwas und führten ihn
hinaus, in den eckigen, naßkalten Galgenhof.
Vor ihm stand jemand, der etwas las. Er hörte
nicht was, er sah nur, wie eine feige Furcht sie
umstrickte, sah die Furcht derer, die ihn töten
wollten.
In ihm ballte sich der Zerstörungswille; der
ihm am nächsten stand, fiel — und ringsum die
nächsten und übernächsten — sie fielen, von sei-
nen konzentrischen Energiewcllen berührt.
Da begann er zu wachsen. Er strebte ins Un-
ermeßliche, schoß in den Raum. — — Tief unten,
wo seine Füße im feuchten Nebeldunst wurzel-
ten, lagen tote Menschen, — — lag er selbst.
Er atmete nicht. Er fühlte das Ende der Zeit.
Unter ihm schmolz die Erde, die Landmassen
zogen sich zusammen — er stand auf einer Kugel.
Im Chaos seiner Eindrücke sah er nur im
Dunkel die schwarzglühende Sonnenfläche.
Die Erde wurde kleiner. Sie rollte noch und
kreiste unter ihm, der still stand, der zweimal
größer als die Erde war.
Da hielt er sein Wachsen ein. — Die Erde
klebte an seinen Füßen; denn sie war schwer. Um
ihn herum wirbelte in immer kleineren Kreisen

der Mond, der von ihm angezogen bald an ihm
zerschellt.
Dort, wo das Meer schillerte, begann er. Er
senkte seine Hand in den Ozean, der nun über
das Land flutete, über die „altheilige Kultur In-
diens“. Er hörte im Denken das Heulen der Men-
schen, die das Meer kommen sahen, das Meer,
das sich in alles einfraß.
Er glaubte ihr Gebrüll zu hören.
Die Nachricht vom Ende Indiens entsetzte die
Erde. Ein Festland, mit in den Wolken ragenden
Gipfeln sei im indischen Ozean aufgetaucht-
Er hob die Hand, das Meer strömte zurück,
Schätze in seinen Eingeweiden. Nach wie langer
Zeit? Er sah das Land. Im Schlamme und zwi-
schen den Ruinen ihrer Talmipracht, lagen Milli-
onen verwester, stinkender Leichen — und da-
zwischen wachsen Pflanzen geil in die Höhe.
Der Anfang.
Wieder fiel seine Hand, Reiche zerschmetternd.
Weltuntergang! Erduntergang!
Da und dort, wo er nichts sehen konnte, lagen,
von den Massen der mißbrauchten Materie ver-
schüttet, zerstört, mit gebrochenem Rückgrat
Menschen . . .
Noch Lebende irrten umher, jammerten und
tollten. Fressende Feuer wüteten und von Angst
und Wahnsinn gehetzt, flohen und jagten die Men-
schen von Tod zu Tod.
Ihr Menschtum hatten sie schon lange ver-
gessen. Blut mochte spritzen. Pyramiden blu-
tiger, zerquetschter, geschändeter Leichen türm-
ten sich gegen das Blau. Und überall Huren und
Tollen, rasendes Gestammel der Ohnmacht. Er
bewegte die Hand, wo die Atmosphäre beginnen
mußte: Zyklone liebkosten die Erde.
Die Menschen, die sich in den Höhlen ver-
gruben, wurden verschüttet.
Wie gut wußte er alles!
Er legte die Hand auf das Europa der Kugel.
Sie war weich und fühlte sich kalt an. Die Hand
lag auf den Gipfeln der Alpen, auf den Gletschern
Skandinaviens und alle sahen die Hand des Zer-
störers.
Er griff in das Meer hinein, bohrte und wühlte
bis ein Spalt klaffte, in den sich das Meer stürzte.
Er zerrte weiter, riß die Erde in zwei Teile--
Das Innere war faul und schwammig.
Dann hob er sie aus der Bahn und warf Sie
gegen andere Systeme: die neuen Zwillings-
kometen.
Taau begann nun seine endlosen Kreise um die
Sonne.

Durch Nacht zum
Lichtbild
Die großen Kinotheater geben auch Zeitungen
heraus. Wochenblättchen, die Geist vom Geist der
großen Presse ausdünsten. Rotationsmaschine und
Kinematograph sind die beiden Gesichtshälften un-
serer Zeit. Geschwindigkeit ist zwar keine Hexerei,
aber der faule Zauber zieht. Die Wunder der
modernen Technik bringen die B i 1 d u n g s m a r -
g a r i n e unter die Massen. Sie haben über die
missionsfrohe Menschheit das Erlöserkreuz in der
Westentasche gebracht. Selbst denen, die der-
einst in ein Monistenkloster flüchten wenden, wird
Telephon und Marconitelegraph die Weltabgeschie-
denheit verkürzen. Die Wunder der modernen
Technik verblüffen und der Monismus macht es
dem Taschenspieler gleich. Er quirlt in einem Zy-
linder aus einem Rührei wieder das Huhn. Kunst-
stück. Aber das Theater? Die Volksbühnen, die
die Kunst dem Volke geben? Und besitzt denn die
Kunst Erziehungswerte überhaupt? Ein Künstler

schafft nicht für, sondern gegen das Volk. Nur
„u n s e r e“ beliebten Bühnendichter und Roman-
schriftsteller wenden sich an ein Publikum. Der
Oskar Blumenthal wird beim Dichten beständig
ein Parquet vor sich sehn, das die Mäuler zum Ab-
geben von Lachsalven aufreißen will. Dem liebens-
würdigen Rudolph Herzog blickt über die Schulter
hinweg ein reizendes Geschöpf ins Manuskript, ent-
zückt und hingerissen. Und der geniale Hei-
lemann fühlt bei der Arbeit das beifällige Lächeln
der Kunstverständigen, der Geschmackfesten, hin-
ter sich. Nein, wie entzückend. Gott, wie origi-
nell. Kinder, nee, der Heilemann ist einzig. Das l
macht er famos. Dieses Gesicht, die Augen. Zum
Staunen. Wahrwaftig. Bravo! Sehr gut. Wirklich
sehr gut. Puppig. Einfach puppig. Wenn solche
Zurufe ihn umschweben, dann fließt sie munter
fort. Zwischen dem gemalten und dem photogra-
phierten Kitsch liegt nur der künstlerische Anstrich,
den sich jener vor diesen gibt. Die billigen Aschin-
gerwürstchen konnten die Moabiter Schinkenschau
auch nicht volkstümlicher machen. Die künst-
lerische Photographie hat vor dem kitschigen Je-
mälde immer noch den Reiz des Echten voraus, und
das lebende Bild beschleunigt den Verfall der
Kunst, die sterblich ist. Auch müßte man mit dem
sündhaften Flimmerschrecken einen Kunsttempel
ausräuchern-, der den Leuten einen Riesenerfolg
seiner Eröffnungsvorstellung in bezahlten Feuille-
toninseraten vorlügen läßt. Jede deutsche Film-
fabrik schickt der Inhaltsangabe eines Schla-
gers mehr Lob für den Autor voraus, als ein
Theaterdirektor Scheu vor dem Schatten Goethes
hat. Bitte:
„Der Roman eines Dramaturgen begegnet uns in
diesem Film als ein spannendes Schauspiel, reich
an tragischen Momenten und erschütternd in der
Gestaltung der Schicksale. Felix Holländer, der
erste Regisseur im Bühnenstabe Max Reinhardts,
schrieb vor kurzem den Roman „Der Eid des Ste-
phan Hüller“; als ein Romancier von blendender
Phantasie hat Felix Holländer längst einen Namen,
aber erst hier, wo seinem Plan die Sprache des
Films sekundiert, erweist sich die dichterische
Stärke dieses Epos, das vom Glück und Unglück
des Stephan Hüller erzählt.“
Der Roman eines Theaterdramaturgen begeg-
net uns in einem Film. Er begegnet uns. Mahlzeit.
Oder: Guten Abend. Es ist ja Nacht. Wir wollen
auch gar nicht an ihm vorbei. Zwar hätte er
besser getan —, aber jetzt ist es zu spät. Er ist
an tragischen Mtomenten reich. Zeigen! Falsches
Geld und gestohlenes Leben. Die Gestaltung der
Schicksale erschüttert uns nicht. Er kann nicht
länger sein als unsere Geduld. — Ein Romanzier
mit blendender Phantasie, ein Stilist, jeden-
falls, ein Sprachkünstler, natürlich, ver-
kauft ein Epos, ein Kind seiner Muse, an eine
Gesellschaft, eine Fabrik, die es stumm machen
und verkrüppeln und auf einen Films von tausend
Metern spannen wird. Ein Rabenvater. Nein, ein
Romanzier. der längst schon einen Namen hat,
aber erst hier, wo seinem Plan die
Sprache des Films sekundiert —-. Da
finde sich ein Mensch zurecht. Trotz dem Plan,
dem die Sprache des Films sekundiert. Augen-
blick. Der Plan verwirrt. Erst den Degen ein-
gesteckt, und dann den Sekundanten mit der Phan-
tasie des Romanziers geblendet. Ein Theaterdra-
maturg, der erste Regisseur im Stabe Reinhardts,
macht sich, mit dem Kientopp gemein. Jeder Kom-
mis hat etliche Pfund Gesinnungsstolz mehr im
Leibe. Er wird keine Geschäfte machen mit der
Schmutzkonkurrenz seines Chefs. Einem Schrift-
steller kommt die Sprache des Films zu Hilfe.
Sie sekundiert ihm. O, blutige Schmach. Un-
erhörte, blutige Schmach. Joseph Adler

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