Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

DOI Heft:
Nummer 184/185 (November 1913)
DOI Artikel:
Claudel, Paul: Verkündigung: Ein geistliches Stück in vier Ereignissen und einem Vorspiel
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0126
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Peter von Ulm: Der Bischof hat sie mir
erteilt, und Ihr seht, ich bin ein seltner und spär-
licher Gast, nur meinen Arbeitern nicht so selten,
weil sie meiner Befehle bedürfen; auch ist mein
Leiden noch verschlossen und verdeckt.

Und wer sonst außer mir führte ihnen zur An-
dacht jene werdenden Kirchen aus, deren Bürde
mir Gott auf erlegt hat?

Violäne: Darum also sah man Euch diesmal
nicht mehr in Salhof?

Peter von Ulm: Ich mußte herkommen,
denn meine Aufgabe ist, Marienbergs Klause zu
öffnen.

Und jedesmal die Wand zu zerteilen, wenn ein
neuer Flug Tauben dort einziehen will in die hohe
Lade, deren Luken nur nach dem Himmel offen
sind.

Und diesesmal führen wir ein erlauchtes Opfer
zum Altar, ein erhabnes Gefäß.

Die Königin selbst, die Mutter des Königs, und
stieg hinauf die Stufen.

Um ihres entthronten Sohnes willen.

Und danach kehr ich zurück jetzt nach Speier.

Violäne: Baumeister der Tore, laßt mich
Euch dieses hier öffnen.

Peter von Ulm: Ist denn kein andrer auf
dem Hof zu diesem Dienste bereit?

Violäne: Die Magd liebt den Schlaf und hat
mir gern die Schlüssel ausgeliefert.

Peter von Ulm: Fühlt Ihr nicht Furcht,
nicht Abscheu vor dem Aussätzigen?

Violäne: Gott wacht und wird mich be-
schützen.

PetervonUlm: So gebt mir den Schlüssel.

Violäne: Ueberlaßt es mir! Ihr versteht

Euch nicht auf diese alten Tore.

Nicht wahr, Ihr haltet mich für ein schönes
Fräulein. Dem sind die Finger so fein, daß sie
nichts Rauheres kennen als den Sporn des neuge-
backnen Ritters? Diesen Sporn, so leicht doch,
als wär er wie ein Vogelbein ihm an die Ferse
zu heften!

Paßt auf!

(Sie öffnet die beiden knarrenden Schlösser und
schiebt die Riegel zurück.)

Peter von Ulm: Das Eisenwerk ist stark
verrostet.

Violäne: Das Tor wird nicht mehr benutzt,
aber der Weg hier hindurch ist der kürzeste.

(Sie zieht mühsam an der Stange.)

Das Tor ist offen!

Peter von Ulm: Wer kann einem solchen
Angreifer widerstehn?

Welcher Staub! Der alte Flügel kracht und
zittert bis hoch hinauf.

Die Käuzchen, wie sie flüchten! Ihre alten
Nester brechen ein.

Und endlich geht alles auf in der Mitte.

(Das Tor steht offen. Man sieht durch die Wöl-
bung die mit Wiesen und Ernten besetzten nächt-
lichen Felder. Im Osten schwache Dämmerung.)

Violäne: Das bischen Regen hat allem gut
getan.

Peter von Ulm: Der Staub auf der Straße
hat sich gelegt.

Violäne (leise und herzlich): Friede mit
Euch Meister Peter!

(Schweigen. Dann, ganz plötzlich, hell und wohl-
klingend, hoch im Himmel der erste Glockenschlag
des Morgenläutens. Peter von Ulm nimmt seinen
Hut ab, und beide bekreuzigen sich.)

Violäne (die Hände gefaltet, das Gesicht
nach oben gekehrt, mit einer wunderbar reinen
und hellen Stimme): Regina Coeli, laetare, alle-
luia!

(Zweiter Glockenschlag)

Peter von Ulm (mit tiefer Stimme): Quia
quem meruisti portare, alleluia!

(Dritter Glockenschlag)

Violäne: Resurrexit sicut dixit, alleluia!

Peter von Ulm: Ora pro nobis Deum.

(Stille)

Violäne: Gaude et laetare, Virgo Maria,
alleluia!

Peter von Ulm: Qui a resurrexit Dominus
vere, alleluia!

(Nachklingendes Morgengeläute)

Peter von Ulm .(ganz leise): Oremus

Deus qui per resurrectionem Filii tui Domini
Nostri Jesu Christi mundum laetificare dignatus
es, praesta, quaesumus, ut per ejus Genitricem
Virginem Mariam perpetuae capiamus gaudia
vitae. Per eundem Dominum Nostrum Jesum
Christum qui tecum vivit et regnat in unitate Spi-
ritus Sancti Deus per omnia saecula saeculorum.

Violäne: Amen.

(Beide bekreuzigen sich.)

PetervonUlm: So frühes Morgenläuten!

Violäne: Sie sprecheii dort oben noch im
Dunkeln den Morgengruß, wie die Karthäuser.

Peter von Ulm: Heut abend will ich in
Speier sein.

Violäne: Kennt Ihr den Weg? Zuerst diese
Hecke.

Und dann ein niederes Haus im Fliederhain,
da stoßt Ihr auf drei, vier Bienenstöcke.

Und hundert Schritt weiter seid Ihr auf der
Königstraße.

(Schweigen)

Peter von Ulm: Pax tibi.

Wie die ganze Schöpfung mit Gott in einem
tiefen Geheimnis vereint ist!

Das Verborgne wird mit ihm wieder sichtbar,
und ich fühle auf meinem Gesicht einen frischen
Hauch wie von Rosen.

Lobpreise deinen Gott, gesegnete Erde, in Trä-
nen und in der Dunkelheit!

Die Frucht ist des Menschen, allein die Blüte
ist Gottes und der Wohlgeruch all dieses Ent-
sprießenden.

Also hat der heimlichen heiligen Seele Odem
sich wie der Duft eines Minzblattes kräftig ent-
faltet.

Violäne, Pförtnerin mir, Violäne, leb wohl!
Ich kehre nicht wieder zu Euch.

0 junger Baum der Erkenntnis von Gut und
Böse, da beginn ich auseinanderzufallen, weil ich
mich an Euch vergriff.

Und schon scheidet sich mir Seele und Leib,
wie der Wein im Bottich aus der zerquetschten
Rebe!

Was tuts. Ich bedurfte nicht des Weibes. Ich
besaß kein Weib, um daran zugrunde zu gehn.

Der Mann, der in seinem Herzen Gott den Vor-
zug gab, schaut in seiner Todesstunde seinen all-
einigen Schutzengel.

Bald kommt die Zeit, wo sich mir eine andre
Pforte aufschließt.

Der in diesem Leben wenigen gefiel, schlum-
mert dann tief nach getaner Arbeit unter dem Fit-
tich des ewigen Geistes:

Da schimmert schon hinter den durchsichtigen
Wänden überall her die dämmernde Seligkeit.

Und der Weihrauch des Dunkels vermischt
sich dem Qualm des verlöschenden Zunders.

Violäne: Peter von Ulm, ich weiß, Ihr er-
wartet nicht von mir zu hören, daß Ihr ein armer
Mann seid, und keinen heuchlerischen Seufzer, und
nicht, daß ich Euch Armer Peter sage!

Denn dem Leidenden sind die Tröstungen des
heitern Trösters wenig wert, und sein Weh ist uns
nicht, was es ihm ist.

Leidet mit unserm Heiland.

Doch wisset: ausgelöscht ist Euer schlechtes
beginnen, soweit es mich angeht, und wieder bin
Euch gut.

Und es ist mir kein Greuel, daß Ihr ergriffen
und krank seid. Sondern wie einem Gesunden
und wie unserm alten Freund Peter will ich Euch
nah sein.

Und Euch verehren, lieben und in Achtung
halten.

Dies sei Euch gesagt. Und ist Wahrheit.

Peter von Ulm: Ich dank Euch, Violäne.

Violäne: Und jetzt berichtet mir Neues.

Peter von Ulm: Sprecht.

Violäne: Was war das für eine schöne Ge-
schichte, die uns der Vater erzählt hat? Was ist
mit der Justitia, die Ihr in Speier äufbaut, und die
schöner werden soll, als die Türme von Worms
und von Köln?

Peter von Ulm: Die Gewerken von Speier
hießen mich, diesen Dom auf dem Grunde des
alten, Weinlagers errichten.

Dort, wo im Vorjahr der alte Speicher des Bi-
schofs abgebrannt ist.

Der Bau dient erstens Gott zum Dank für die
sieben fetten Jahre inmitten des Notstands im
ganzen Reiche.

Für das Korn und die üppige Frucht, die wohl-
feile herrliche Wolle.

Für die Tücher und das Leder, die guten Ab-
schlüsse mit den Kaufherrn von Augsburg und
Polen.

Danach für die erreichten Freiheiten, für die
von unserm Herrn, dem König, an sie übertrage-
nen Rechte.

Für den alten, zum Nachteil gültigen Brief der
Bischöfe Friedrich des Zweiten und Adomars.

Weil er vom Papst widerrufen wurde.

All dies kraft hellen Schwerterstreichs und der
Straßburger Gulden.

Denn so ist der christliche Staat: Keineswegs
knechtischer Furcht voll.

Sondern jeder hat sein Recht, sowie es sich
auswirkt in einer wunderbaren Vielfalt.

Auf daß das Liebeswerk sich verwirkliche.

Violäne: Von welchem Könige sprecht Ihr,
und von welchem Papst?

Ihrer sind doch zwei, und man weiß nicht,
welcher der richtige ist.

Peter von Ulm: Wer recht handelt an uns,
der ist der Rechte.

Violäne: Ihr redet nicht, wie sichs gebührt.

Peter von Ulm: Vergebt, ich bin nur ein
Laie.

Violäne: Und woher stammt der Name für
den neuen Dom?

Peter von Ulm: Hörtet Ihr niemals von
der heiligen Justitia reden?

Zu den Zeiten Kaiser Julians erlitt sie als Blut-
zeugin den Tod auf einem Anisfeld.

(Das sind die Körner, die man zur Kirmes vor
Ostern in das Weizenbrot tut.)

123
 
Annotationen