Seit dem Abend im Cafe hatte der Künstler
Mia Mirana nicht wieder gesehen. In beiden hat-
ten die tiefen Erschütterungen des Kunstwerks
nachgezittert. In majestätischen Wellen war noch
die grobe Schwermut durch ihre Gedanken ge-
flutet, jene unendlich süße Traurigkeit wissender
Seelen, die das Wertvollste, was sie besitzen, aus
tiefen Augen betrachten und anbetencf vergehen
vor solcher Herrlichkeit. Während sie stumm und
ruhig einander gegeniibersaßen, stiegen versun-
kene Tage auf, übergossen mit dem Glanz des
Tlntrücktseins, die nicht zu zertreten.
Ich liebe dich! sagte die Seele des Weibes, ich
liebe dich so, daß alles, was ich beginne, Liebe,
immer nur Liebe ist.
Wie der Tau die Blumen, so liebe ich dich! er-
widerte die Seele des Mannes. Du bist so schön
und klar, daß ich in dir vergehe.
Ich nehme dich auf, sagte die Seele des Wei-
bes, und werde du. Ich habe keine Grenzen und
keine Nöte. Ich bin du und ich, und bin unendlich.
Wir fliegen durch alle Welten, erwiderte die
Seele des Mannes. Nichts ist uns verschlossen.
Unser Rausch ist ewig und ohne Ermattung . . .
Unter diesem Zwiegespräch aber wurden ihre
Mienen schlaff und unzufrieden, schmale Furchen
gruben sich in ihre Mundwinkel. Nebeneinander
schritten sie durch die Straßen, ließen die andern
hinter sich, sprachen gleichgültige Worte und
wußten nicht, daß bei den andern hinter ihnen ein
Weib war, brennend in eifersüchtigen Qualen.
Mechanisch setzten sie die Füße, sähen nicht die
Menschen, die an ihnen vorüberhasteten. Hörten
nicht die mannigfachen Geräusche der großen
Stadt, die wie ängstlich mit den Flügeln schlagende
Vögel über sie hinwegflatterten. Sie hörten nur
die Worte, die ihre Seelen zueinander sprachen.
Sie waren sehr glücklich.
JP
Als Johannes an diesen letzten Januarabend
zurückdachte, rieselte ihm ein feiner Schmerz zum
Herzen. Da war ein Ton, der sich nicht rein und
klar in das Hohelied dieser Liebe fügte. Da war
irgendwo ein scheues Wimmern in der Seele des
Weibes.
Ich liebe dich! sagte die Seele des Weibes.
Hier zitterte eine Sehnsucht, die in neuer Glut
hervorbrach.
Der Künstler starrte in den trüben Nachmittag,
der vor den Fenstern des hohen Zimmers stand,
wie ein Bettler, traurig in seinem Elend und ab-
stoßend in seiner anmaßenden Nacktheit.
Leuchtend erstand vor ihm wieder die Wüste.
Sie war ihm erschienen, damals, als er sein erstes
Werk vollendet hatte. Sie war ihm erschienen und
hatte ein neues Werk in ihm auf dämmern lassen.
Er hatte in der Wollust dieses Empfangens ge-
schwelgt, war versunken in der Schwermut dieses
unendlich süßen Genusses. Er hatte die Kraft des
schöpferischen Gottes in sich gefühlt und im Tau-
mel dieser Verzückung ein Weib angebetet. Hand
in Hand schritt er mit dem schönen Weib den
Berg hinab; die Nacht sank schwer und behäbig.
Alle Glut des Tages erkaltete, erstarrte. Und die
Stimme des Weibes ging durch die Nacht, lieblich
und betörend. „Wie ich dich liebe!“ Er lauschte dem
Rhythmus dieser Worte, dankbar, und schritt Seite
an Seite mit dem Weib in das Tal. Und die Stimme
des Arbeiters schlich in sein Ohr ... ein Stadt-
schicksal wuchs vor ihm auf und reckte tausend
starke Arme nach ihm und zog ihn zu sich herab.
Die Schönheit des Weibes und die Stimme des
Arbeiters, die umstrickten ihn und führten ihn aus
der Höhe seiner Einsamkeit in die Enge ihrer
Tagesherrlichkeit. Er erkannte, daß alle Kraft in
ihm selber lag, ^laß ihm die Gnade eines neuen
Werkes auch geworden wäre, wenn er nicht an-
betend zu Füßen der Weibesschönheit gelegen,
wenn er nicht mitleidig den Aengsten und Schmer-
zen des Arbeiters gelauscht, nicht hilfsbereit sich
der schrecklichen Eintönigkeit des Stadtschicksals
ergeben hätte. In dieser Stunde erkannte er die
Hoheit des mitleidlosen Schöpfertums. Und zwi-
schen alle die bedrängenden Bilder schob sich die
große Gebärde Zarathustras, des verruchten Hei-
ligen:
„Merket aber auch dies Wort: alle große Liebe
ist noch über allem Mitleiden: denn sie will das
Geliebte nachschaffen!
„Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und
meinen Nächsten gleich mir4 — so geht die Rede
allen Schaffenden.
„Alle Schaffenden aber sind hart.“
ln der Gnade des sinkenden Wintertages er-
kannte er auch dies. Und er ging hinüber zu Eva.
Sie saß in einen Sessel vergraben, und machte
manchmal im Halbschlaf ängstliche Bewegungen.
Sie hörte seinen Schritt. Verwirrt sah sie ihm ent-
gegen.
„Du bist nicht mit mir zufrieden. Du hast in
den letzten Tagen viel gelitten; seit jenem Abend.“
„Du liebst sie noch!“ sagte sie in leidenschaft-
licher Erregung.
Er lächelte ein unendlich gütiges Lächeln.
„Laß uns darüber reden. Es ist besser, wenn
Klarheit zwischen uns herrscht. Erinnerst du dich
des Nachmittags, an dem wir auf der Veranda des
Waldhauses saßen . . .? Ich betete dich an, ich sah
in dir die Erweckerin meiner kühnen Träume.“
„Damals liebetest du mich!“ schluchzte sie auf.
Er streichelte ihre Wangen. Seine Hände
waren weich und zärtlich wie Mutterhände. Er
empfand die süße Freude einer unendlichen
Schwermut. Er hätte weinen mögen über diesen
schlichten Menschen. Aber er fühlte den Rhythmus
einer versöhnenden Hoffnung in sich, er ahnte die
Seligkeit der großen Stille, der er und die Frauen,
die ihn liebten, entgegenschritten. Er hatte wieder
sich selbst gefunden und fühlte die Macht, die er
besaß. Seine Stimme ging halblaut, fast zärtlich
durch den Raum.
Damals liebte ich dich. Deine Schönheit, deinen
schlanken Gang, deine sanften Hände, die stille
Lieblichkeit deiner Stimme. Und so liebe ich dich
heute noch. Glaube nicht, daß es anders gewor-
den ist. An jenem Augusttag habe ich eine Sünde
begangen. Ich berauschte mich an mir selbst. Ich
war Schöpfer, Anbeter vor einer Macht, die ge-
waltiger war als ich und mir von ihrem Reichtum
gab. Du warst bei mir, ich atmete den Duft deines
reichen Haares . . . Ich sah deine Schönheit.
War ich nicht ein Gott, daß sich mir die Schönheit
eines neuen Werkes und die Schönheit eines Wei-
bes darbot? Dies war meine Sünde, daß ich die
Schlichtheit des Lebens vergaß. Du warst mir
nicht das fröhliche harmlose Mädchen, du wurdest
zu einem Weib, dessen Seele in demselben Rhyth-
mus tönte wie meine Seele, dessen Wünsche die-
selben waren wie meine, dessen Freude klar und
stark war, wie meine. In jenen Augenblicken
wähnte ich, deine Seele habe mich berauscht. Und
als sich mir deine Glieder entgegendrängten,
glaubte ich, du seist die Kraft, die mich so hoch
emportrug ... Er schwieg. Ein schweres Schwei-
gen sank herab. Eva schluchzte leise in sich hin-
ein. Das Schweigen tastete sich über die Möbel
hin, in alle Winkel hinein. Es war ein wunder-
bares Schweigen. Angefüllt mit den erlesensten
Kostbarkeiten; lächelnde Gesichter bildeten sich
in ihm und fügten zu der toten Schönheit eine
lebendige. Edle Gebärden wuchsen in dieses
Schweigen herein; das ruhige Winken ferner Men-
schen; die Herrschergebärden großer Toter.
Irgendwo tickte leise eine Uhr. Sie war der Puls-
schlag des Schweigens. Sie tickte ruhig und vor-
nehm. Das Schluchzen der Frau war erstorben ...
Die große Stille sog alles ein und herrschte.
In dieser Stille ahnte Johannes die Wiederkunft
der reinen blauen Abende. Der Künstler versank
in die Süße dieses Schweigens, kostete die ganze
Not dieser anklagenden Stunde aus. Das erste
Werk lebte wieder in ihr; die Mutter war lebendig
geworden, er sah in einer hohen Zukunft die süßen
Erlebnisse der blauen Abende, sah die Mutter wie-
der am Flügel im großen Musiksaal sitzen. Jetzt
Fleisch und Blut, nicht mehr eine in Liebe erschaf-
fene Erscheinung.
Zum zweitenmale hatte ihn ein Weib gerettet.
Dieselbe Hand, die ihn aus dem Taumel leerer
Großstadttage emporhob, sie hatte ihm sein Werk
wiedergeschenkt, indem sie ihm seine Schönheit
zeigte.
Jetzt war er gefestigt; endlose Monate Qualvol-
ler Wanderung hatten ihn geläutert, sodaß er sei-
ner Bestimmung nie mehr untreu werden konnte.
Die erhabene Wüste belebte sich ihm abermals
mit Wesen, die sie aus sich selbst gebar. Denn
die Not der Menschen, durch die er geschritten
war, hate seine Liebe vertieft und ihn die mitleid-
lose Liebe des Wissenden, des Schöpfers gelehrt.
Jetzt war er grausam in seiner unendlichen Liebe,
hart in seiner Sehnsucht. Jetzt hatte er den Mut,
an allen vorbeizugehen und sie nicht zu erblicken,
sie zu verachten und doch um jeden Schlag ihrer
Herzen zu bangen.
Ueber das große Schweigen brach plötzlich das
verzweifelte Aufschluchzen Evas herein. Alle
'Angst, aller Gram, aller zornige Schmerz, der
letzten Tage brauste in mächtigem Strahl hervor.
Jetzt ahnte sie mit dem Scharfblick egoistischer
Liebe, daß sie zu unbedeutend sei, um dem Manne
alles zu geben.
Wild schlug ihr Schluchzen durch den Raum.
„Warum hast du mir dies getan, Johannes?“
weinte sie. „Einmal erzähltest du mir von Mia
Mirana ... O, wie liebte ich dich, als ich dich so
fröhlich sah! Daß du sie geliebt und mit ihr zu-
sammen gelebt hast. . . und während du dich freu-
test, daß du mir von dieser Liebe erzählen konn-
test, litt ich.
Sie schlug die Hände vor die Augen und weinte.
Aber die Seele des Künstlers lächelte. Sanft und
ruhig streichelte er die Wangen der verstörte*
Frau und sagte ihr tröstende Worte:
„Warum weinst du? Warum weinst du nur?
Ich liebe dich noch, wie ich dich damals liebte.
Ich liebe dich, weil du schön und reif bist, und ich
liebe deine Stimme und deine Hände ... Sie sind
die Schalen, aus denen deine Seele strömt. Ich liebe
deine zarten weißen Hände, sie sänftigen, wenn sie
über meine Stirn streifen . .
Unendlich gütig war seine Stimme, die Stimme
einer Mutter, deren Kind sich grämt um eine kleine
Not.
Schwer sank ihr Kopf auf die Lehne des Sessels.
Da erzählte Johannes von seiner Erlösung.
Langsam und klar. Die Ehrfurcht des Kindes vor
der Heiligkeit der Mutter lag darüber.
„Du törichtes Kind. Ich liebe alles. Und muß
allem wohltun, weil ich es liebe. So .groß ist
meine Liebe, daß sie schrecklich wird. Schlicht
und klar ist deine Seele, ohne Wogen und ohne
Abgründe. Ich liebe Mia nicht so, wie du glaubst.
Sie ist mir ehrwürdig geworden. Gewaltig war
ihre Liebe. Denn sie wußte nicht einmal, daß sie
mich rettete. Dies ist Mutterliebe. Sie gibt und
weiß nicht, daß sie gibt, und ist so reich, daß sie
in alle Ewigkeit nicht erkennt, wie viel sie gab...
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Mia Mirana nicht wieder gesehen. In beiden hat-
ten die tiefen Erschütterungen des Kunstwerks
nachgezittert. In majestätischen Wellen war noch
die grobe Schwermut durch ihre Gedanken ge-
flutet, jene unendlich süße Traurigkeit wissender
Seelen, die das Wertvollste, was sie besitzen, aus
tiefen Augen betrachten und anbetencf vergehen
vor solcher Herrlichkeit. Während sie stumm und
ruhig einander gegeniibersaßen, stiegen versun-
kene Tage auf, übergossen mit dem Glanz des
Tlntrücktseins, die nicht zu zertreten.
Ich liebe dich! sagte die Seele des Weibes, ich
liebe dich so, daß alles, was ich beginne, Liebe,
immer nur Liebe ist.
Wie der Tau die Blumen, so liebe ich dich! er-
widerte die Seele des Mannes. Du bist so schön
und klar, daß ich in dir vergehe.
Ich nehme dich auf, sagte die Seele des Wei-
bes, und werde du. Ich habe keine Grenzen und
keine Nöte. Ich bin du und ich, und bin unendlich.
Wir fliegen durch alle Welten, erwiderte die
Seele des Mannes. Nichts ist uns verschlossen.
Unser Rausch ist ewig und ohne Ermattung . . .
Unter diesem Zwiegespräch aber wurden ihre
Mienen schlaff und unzufrieden, schmale Furchen
gruben sich in ihre Mundwinkel. Nebeneinander
schritten sie durch die Straßen, ließen die andern
hinter sich, sprachen gleichgültige Worte und
wußten nicht, daß bei den andern hinter ihnen ein
Weib war, brennend in eifersüchtigen Qualen.
Mechanisch setzten sie die Füße, sähen nicht die
Menschen, die an ihnen vorüberhasteten. Hörten
nicht die mannigfachen Geräusche der großen
Stadt, die wie ängstlich mit den Flügeln schlagende
Vögel über sie hinwegflatterten. Sie hörten nur
die Worte, die ihre Seelen zueinander sprachen.
Sie waren sehr glücklich.
JP
Als Johannes an diesen letzten Januarabend
zurückdachte, rieselte ihm ein feiner Schmerz zum
Herzen. Da war ein Ton, der sich nicht rein und
klar in das Hohelied dieser Liebe fügte. Da war
irgendwo ein scheues Wimmern in der Seele des
Weibes.
Ich liebe dich! sagte die Seele des Weibes.
Hier zitterte eine Sehnsucht, die in neuer Glut
hervorbrach.
Der Künstler starrte in den trüben Nachmittag,
der vor den Fenstern des hohen Zimmers stand,
wie ein Bettler, traurig in seinem Elend und ab-
stoßend in seiner anmaßenden Nacktheit.
Leuchtend erstand vor ihm wieder die Wüste.
Sie war ihm erschienen, damals, als er sein erstes
Werk vollendet hatte. Sie war ihm erschienen und
hatte ein neues Werk in ihm auf dämmern lassen.
Er hatte in der Wollust dieses Empfangens ge-
schwelgt, war versunken in der Schwermut dieses
unendlich süßen Genusses. Er hatte die Kraft des
schöpferischen Gottes in sich gefühlt und im Tau-
mel dieser Verzückung ein Weib angebetet. Hand
in Hand schritt er mit dem schönen Weib den
Berg hinab; die Nacht sank schwer und behäbig.
Alle Glut des Tages erkaltete, erstarrte. Und die
Stimme des Weibes ging durch die Nacht, lieblich
und betörend. „Wie ich dich liebe!“ Er lauschte dem
Rhythmus dieser Worte, dankbar, und schritt Seite
an Seite mit dem Weib in das Tal. Und die Stimme
des Arbeiters schlich in sein Ohr ... ein Stadt-
schicksal wuchs vor ihm auf und reckte tausend
starke Arme nach ihm und zog ihn zu sich herab.
Die Schönheit des Weibes und die Stimme des
Arbeiters, die umstrickten ihn und führten ihn aus
der Höhe seiner Einsamkeit in die Enge ihrer
Tagesherrlichkeit. Er erkannte, daß alle Kraft in
ihm selber lag, ^laß ihm die Gnade eines neuen
Werkes auch geworden wäre, wenn er nicht an-
betend zu Füßen der Weibesschönheit gelegen,
wenn er nicht mitleidig den Aengsten und Schmer-
zen des Arbeiters gelauscht, nicht hilfsbereit sich
der schrecklichen Eintönigkeit des Stadtschicksals
ergeben hätte. In dieser Stunde erkannte er die
Hoheit des mitleidlosen Schöpfertums. Und zwi-
schen alle die bedrängenden Bilder schob sich die
große Gebärde Zarathustras, des verruchten Hei-
ligen:
„Merket aber auch dies Wort: alle große Liebe
ist noch über allem Mitleiden: denn sie will das
Geliebte nachschaffen!
„Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und
meinen Nächsten gleich mir4 — so geht die Rede
allen Schaffenden.
„Alle Schaffenden aber sind hart.“
ln der Gnade des sinkenden Wintertages er-
kannte er auch dies. Und er ging hinüber zu Eva.
Sie saß in einen Sessel vergraben, und machte
manchmal im Halbschlaf ängstliche Bewegungen.
Sie hörte seinen Schritt. Verwirrt sah sie ihm ent-
gegen.
„Du bist nicht mit mir zufrieden. Du hast in
den letzten Tagen viel gelitten; seit jenem Abend.“
„Du liebst sie noch!“ sagte sie in leidenschaft-
licher Erregung.
Er lächelte ein unendlich gütiges Lächeln.
„Laß uns darüber reden. Es ist besser, wenn
Klarheit zwischen uns herrscht. Erinnerst du dich
des Nachmittags, an dem wir auf der Veranda des
Waldhauses saßen . . .? Ich betete dich an, ich sah
in dir die Erweckerin meiner kühnen Träume.“
„Damals liebetest du mich!“ schluchzte sie auf.
Er streichelte ihre Wangen. Seine Hände
waren weich und zärtlich wie Mutterhände. Er
empfand die süße Freude einer unendlichen
Schwermut. Er hätte weinen mögen über diesen
schlichten Menschen. Aber er fühlte den Rhythmus
einer versöhnenden Hoffnung in sich, er ahnte die
Seligkeit der großen Stille, der er und die Frauen,
die ihn liebten, entgegenschritten. Er hatte wieder
sich selbst gefunden und fühlte die Macht, die er
besaß. Seine Stimme ging halblaut, fast zärtlich
durch den Raum.
Damals liebte ich dich. Deine Schönheit, deinen
schlanken Gang, deine sanften Hände, die stille
Lieblichkeit deiner Stimme. Und so liebe ich dich
heute noch. Glaube nicht, daß es anders gewor-
den ist. An jenem Augusttag habe ich eine Sünde
begangen. Ich berauschte mich an mir selbst. Ich
war Schöpfer, Anbeter vor einer Macht, die ge-
waltiger war als ich und mir von ihrem Reichtum
gab. Du warst bei mir, ich atmete den Duft deines
reichen Haares . . . Ich sah deine Schönheit.
War ich nicht ein Gott, daß sich mir die Schönheit
eines neuen Werkes und die Schönheit eines Wei-
bes darbot? Dies war meine Sünde, daß ich die
Schlichtheit des Lebens vergaß. Du warst mir
nicht das fröhliche harmlose Mädchen, du wurdest
zu einem Weib, dessen Seele in demselben Rhyth-
mus tönte wie meine Seele, dessen Wünsche die-
selben waren wie meine, dessen Freude klar und
stark war, wie meine. In jenen Augenblicken
wähnte ich, deine Seele habe mich berauscht. Und
als sich mir deine Glieder entgegendrängten,
glaubte ich, du seist die Kraft, die mich so hoch
emportrug ... Er schwieg. Ein schweres Schwei-
gen sank herab. Eva schluchzte leise in sich hin-
ein. Das Schweigen tastete sich über die Möbel
hin, in alle Winkel hinein. Es war ein wunder-
bares Schweigen. Angefüllt mit den erlesensten
Kostbarkeiten; lächelnde Gesichter bildeten sich
in ihm und fügten zu der toten Schönheit eine
lebendige. Edle Gebärden wuchsen in dieses
Schweigen herein; das ruhige Winken ferner Men-
schen; die Herrschergebärden großer Toter.
Irgendwo tickte leise eine Uhr. Sie war der Puls-
schlag des Schweigens. Sie tickte ruhig und vor-
nehm. Das Schluchzen der Frau war erstorben ...
Die große Stille sog alles ein und herrschte.
In dieser Stille ahnte Johannes die Wiederkunft
der reinen blauen Abende. Der Künstler versank
in die Süße dieses Schweigens, kostete die ganze
Not dieser anklagenden Stunde aus. Das erste
Werk lebte wieder in ihr; die Mutter war lebendig
geworden, er sah in einer hohen Zukunft die süßen
Erlebnisse der blauen Abende, sah die Mutter wie-
der am Flügel im großen Musiksaal sitzen. Jetzt
Fleisch und Blut, nicht mehr eine in Liebe erschaf-
fene Erscheinung.
Zum zweitenmale hatte ihn ein Weib gerettet.
Dieselbe Hand, die ihn aus dem Taumel leerer
Großstadttage emporhob, sie hatte ihm sein Werk
wiedergeschenkt, indem sie ihm seine Schönheit
zeigte.
Jetzt war er gefestigt; endlose Monate Qualvol-
ler Wanderung hatten ihn geläutert, sodaß er sei-
ner Bestimmung nie mehr untreu werden konnte.
Die erhabene Wüste belebte sich ihm abermals
mit Wesen, die sie aus sich selbst gebar. Denn
die Not der Menschen, durch die er geschritten
war, hate seine Liebe vertieft und ihn die mitleid-
lose Liebe des Wissenden, des Schöpfers gelehrt.
Jetzt war er grausam in seiner unendlichen Liebe,
hart in seiner Sehnsucht. Jetzt hatte er den Mut,
an allen vorbeizugehen und sie nicht zu erblicken,
sie zu verachten und doch um jeden Schlag ihrer
Herzen zu bangen.
Ueber das große Schweigen brach plötzlich das
verzweifelte Aufschluchzen Evas herein. Alle
'Angst, aller Gram, aller zornige Schmerz, der
letzten Tage brauste in mächtigem Strahl hervor.
Jetzt ahnte sie mit dem Scharfblick egoistischer
Liebe, daß sie zu unbedeutend sei, um dem Manne
alles zu geben.
Wild schlug ihr Schluchzen durch den Raum.
„Warum hast du mir dies getan, Johannes?“
weinte sie. „Einmal erzähltest du mir von Mia
Mirana ... O, wie liebte ich dich, als ich dich so
fröhlich sah! Daß du sie geliebt und mit ihr zu-
sammen gelebt hast. . . und während du dich freu-
test, daß du mir von dieser Liebe erzählen konn-
test, litt ich.
Sie schlug die Hände vor die Augen und weinte.
Aber die Seele des Künstlers lächelte. Sanft und
ruhig streichelte er die Wangen der verstörte*
Frau und sagte ihr tröstende Worte:
„Warum weinst du? Warum weinst du nur?
Ich liebe dich noch, wie ich dich damals liebte.
Ich liebe dich, weil du schön und reif bist, und ich
liebe deine Stimme und deine Hände ... Sie sind
die Schalen, aus denen deine Seele strömt. Ich liebe
deine zarten weißen Hände, sie sänftigen, wenn sie
über meine Stirn streifen . .
Unendlich gütig war seine Stimme, die Stimme
einer Mutter, deren Kind sich grämt um eine kleine
Not.
Schwer sank ihr Kopf auf die Lehne des Sessels.
Da erzählte Johannes von seiner Erlösung.
Langsam und klar. Die Ehrfurcht des Kindes vor
der Heiligkeit der Mutter lag darüber.
„Du törichtes Kind. Ich liebe alles. Und muß
allem wohltun, weil ich es liebe. So .groß ist
meine Liebe, daß sie schrecklich wird. Schlicht
und klar ist deine Seele, ohne Wogen und ohne
Abgründe. Ich liebe Mia nicht so, wie du glaubst.
Sie ist mir ehrwürdig geworden. Gewaltig war
ihre Liebe. Denn sie wußte nicht einmal, daß sie
mich rettete. Dies ist Mutterliebe. Sie gibt und
weiß nicht, daß sie gibt, und ist so reich, daß sie
in alle Ewigkeit nicht erkennt, wie viel sie gab...
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