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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 13/14 (Erstes und zweites Oktoberheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [18]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0099
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Schifie iuhren darüber hin, Bhote tanzten. vor-
bei, die weißen und die roten Segei schimmerte!!,
der Pauch der Schornsteine ierh da draußen, mein
Gott, siehe mit Gnaden aui mich —: hier ist Mecr,
hier ist Dnit von Saiz und Tang und Wasser, hier
wiii ich baden!

Gesagt, getan.

Er steüt das Rad an eiuen schattigen Abhang.

Trampeit mit witternden Maseniöchern an den
Rand des Strandes hinab, reißt durstend die Kiei-
der ab, schweißtrieiend ist er — steht nackend,
lachiustig und empbndiich in der irischen Luit.

Stoiziert endlich in das niedrige Wasser hin-
aus, watet tieier und tieier hinaus, iaciit schau-
dernd und mit Grimassen deth nässeh Eiement zu,
das ihm Schritt iür Schritt kitzeind am Leib hin-<
auiwächst; setzt endiich beide Beine an, springt
hoch in die Luit hinaui, krümmt sich dort zusam-
men wie ein Bogen, mit ausgestreckten Armen
—: aui den Kopi hinunter, bis aui den Grund.

Das Wasser quiHt und gieitet, schimmernd heU-
grün ist aiies da unten, er rudert ausgeiassen da-
hin, über den ieingerieieiten Sand des Bodens,
sieht sich eiirig nach aüen Seiten um, über seinem
Nacken iunkeit das Feuer der Sonne, der Luft-
druck preßt in seinen Wahgen, in seiner Nase, in
seiner Brust — und er kommt prustend wieder an
die Oberiiäche hinaui. Er wird immer giückseii-
ger, er zerstiebt und schäumt um sich herum,
schlägt Purzeibäume, schwimmt weit, weit hinaus
— aui dem Bauch; wendet sich schiießiich um
und piätschert iangsam wieder ans Uier, aui dem
Rücken.

Er iäßt sich treiben mit geschiossenen Augen,
ohne eine Hand zu rühren, wie ein Tagedieb, und
läßt die W.eHen sich weich umwiegen — und er
macht sich bieischwer, sinkt in sitzender SteHung
auf den Boden hinab, erreicht ihn mit einem
Piumps! Ach, dies seidene Gewand, das niemand
bisher in der We!t angehabt hat, dieser kühie An-
zug, der ihm wie angegossen paßt, diese nieder-
trächtig schöne und kühie und kiare Fiüssigkeit,
von der man nie genug bekommen kann! Ach, wie
ihm dies schmeckt, wie eine eisgekühite und wür-
zige BouiHon, so herb und süß und kait — und
siehe, da unten über dem bionden Moire des San-
des eiit ein Taschenkrebs seitwärts dahin, er hä!t
inne, bohrt sich piötzlich nieder — und ist weg! —

Er kommt endHch wieder ans Ufer, abgekühlt,
ermattet, wirr vom Lachen; wirft sich auf einen
Fieck Sand hin, so !ang er ist, auf den Rücken,
die Arme und Beine nach aHen Seiten ausge-
streckt —:

Jetzt ist es die Sache der Sonne!

Bitte schön, jetzt ist es die Reihc an !hnen,
Herr Heiios Goidbrand!

Mein Gott, Sie haben ja doch nichts weiter zu
tun — aiso greifen Sie nur zu, ich warte gierig!..

Und während er nün so daüegt, entsinnt er sich
plötzüch mit Schadenfreude der Büdier, die er da-
heim aufgeschlagen auf dem SchreibtisCh, in der
drückend warmen Stube unter dem Dach, hat lie-
gen !assen —: Werke übcr Anatomie, eine höchst
vorzügüche Wissenschaft, vieHeicht noch notwen-
diger für einen Dichter, a!s aüe die andern — wenn
auch gerade heraus gesagt nichts im Verg!eic!i zu
einem Bad wie dieses hier!

Er sucht einen Augenbück, sich aHer dieser
iangen oder kurzen Erkiärüngen zu erinnern (die
übrigens keineswegs zu vie! erkiären!), dieser
teufüchen, !ateinischen Namen, die nicht ausein-
ander zu ha!ten Sind!

Aber p!ötz!ich sieht er das ganze vor sich statt
dessen — eriebt seinen eigenen Körper, sozusagen,
hier auf diesem F!eck —:

Ja, gewiß!

AHe diese Fibern, die die Fahrt hier hinaus in
Spannung gebracht hat, die die Kühle des !angen
Bades mit froher Laune angefüüt hat; die Münder
der weit geöffneten Poren, die jetzt, fast hörbar,
wiH es ihm scheinen, mit aHer Gewa!t, begehrüch,
mit einem Grinsen des Behagens die Sonnenhitze
einschlürfen; das B!ut, das feurig und erfrischt da
drinnen umherrinnt und es so fürchterüch eiüg hat!

Dies aües sieht er ieibhaftig vor sich, geradeso
wie die Anotomie es ihm gezeigt hat ;—:

G!eich einer unzähügen Heerschar von ZeHen,
in einem wunderbareen und festen System aufge-
baut! MiHiarden von wimzig kieinen, iebenden We-
sen, weiß, rot, ge!b, grau — eine unabsehbare
Menge von mikroskopischen Damen und Herren,
die, jedes für sich, ihr Amt in seinem Körper aus-
zuführen haben!

Und er !acht dann aüf einma!, denn er erkennt
jäh, daß er ja a!so nichts geringeres ist, ais eine
KoraHeninseü oder nein, er ist ganz einfach der
Staat se!bst — dessen ewiges, herumwaüderndes
Origina!, dessen unvergängüches Prinzip, dessen
Maßstab und Kanon, er se!ber, von oben bis
unten! ....

Sein Antiitz ändert sieh auf einma!.

Er springt auf, sieht lodernd um, sein Brust-
kasten weitet sich gewaltsam —:

Jawoh!, sein Körper — das ist eine We!t! Das
ist die gesammeite Existenz von zahüos zahHosen
Unbekannten, von MiHiarden von diminutiven Un-
tertanen, die, jeder für sich, ihr eigenes, setbstän-
diges Leben da drinnen mit seiner Hüfe ieben —
aber gieichzeitig müssen sie aüe zusammen a!s
Entgeit gewisse Frohndienste verrichten . . . für
lhn!

Für . . . Ihn?

Ja, aber, wer ist denn . . . Er?

Sein Körper ist ja nicht er — das sind ja a!!e
die andern?!

Nein, aber der König ist er! Der unsichtbare
König — der nirgends und überaü ist!

Er ist das Gesetz fiir seiuen eigenen Körper! Er
ist jener Ungreifbare selbst, der eines Tages vor
vie!en Jahren anfing, diese vie!en, vie!en, winzig
kleinen Wesen zu sammcin, eine bestimmte An-
zahl von jeder einzelnen Art, sie dazu brachte, daß
sie wuchsen, daß sie sich vermehrten — daß sie
ein beständig voHkommenerer Ausdruck für sein
eigentüches Seibst wurden! Er ist mit anderen
Worten —: jenes rätseHiafte Bi!d, nach dessen
Muster dies Mosaik, das er seinen Körper nennt,
aus unzähüg vielen, kleinen Stücken zusammen-
gesetzt ist! Oder er se!bst ist nichts weniger a!s
der Biitz — und sein Körper ist die Stange des
B!itzab!eiters! Er ist gerade heraus gesagt der
Sclrachspieier — die Myriadcn seines Fleisches
und Blutes da drinnen sind die Figuren! Er ist die-
ser eine und einzige, dessen Wesen gar nicht aus-
gedrückt werden kaim, ausgenommen gerade a!s
Summe aüer dieser andern, gerade in der Form
kombiniert, die seih Kopf, sein Körper, seiue Glie-
der tiaben —: mit genau dieser Höhe, dieser
Breite, niit diesen Schultern, diesem Gesicht, die-
sen Armen, Hüften. Beinen, Füßen, Zehen, Näge!n
— mit diesem B!ut, diesem Herzen, diesen Lun-
gen, Mi!z und Nieren und Gehirn und aüem, was
man nennen kann!

Er streckt iacheud und heftig seine Arme aus,
runze!t daruaf die Stirn —:

Aber jetzt zu sterben?

Sterben — was ist denn das?

Sterben, ja, er hat ja imrner (obwoh! er. der
Teufe! mag wissen, warum, es nie einem andern
gegenüber erwähnt hat), er hat ja immer gleich-
sam in sich füh!en ikönnen, daß dieser eigentüche

Er niemals sterben könne . . nein, se!bstverständ-
lich, und nun sieht er es genau —:

Wie soüte er denn auch sterben können Hur
weH a!!e diese k!einen Geschöpfe, die sein Wesen
einstma! sich gesamme!t hat — auch einmal ihre
Freiheit zurücker!angen müssen? Ja, weiß er nicht
gerade von seiner Anantomie her, daß unaufhör-
üch, Minute für Minute, Tag rür Tag, Scharen von
ihneu von ihm fortgejagt werden: bald als ein
Stückchen Haut, das abbiättert, ba!d a!s ein Haar,
das ausfäüt, ba!d durch Schweiß oder seinen Atem;
in jeder einzigen Sekunde, Tag und Nacht hin-
durch, schafft er sie in größeren oder k!eineren
Mengen ab, wirft sie ganz einfach von sich und
!äßt sie in Zukunft ihr eigenes, privates Leben
leben, kennt sie nicht mehr: sie haben ihre Pfhcht
getan, danke schön, jetzt können sie gehen!

Und es ist woh! nicht so ganz wenig auf ein-
ma!, was er in dieser Art von sich abschütte!t —:
nein, im Laufe von sieben kurzen Jahren ist das
Ganze erneuert, ist aües das Frühere aus dem
Wege geschafft . . . aber starb er denn davon?
Ging er umher und fuhr jedes siebente Jahr gen
Himme!?? oder wurde Er ein anderer, ein neuer,
ein fremder Mann jedes siebente Jahr?! haha,
keineswegs —: oder, sage mir, würden die BHtze
verschwinden — wenn die BlitzaMeiter verboten
würden? Fäüt der Schachspie!er ohnmächtig um,
wei! seine Figuren sch!echt stehen — oder wird er
gesund, wei! sie gut stehen?! Stirbt er, weü er sie
miserabe! spie!t, wei! er aus den für uns a!!e ge!-
tenden Pegeln für die einze!nen Züge und für das
ganze Spie! — niemals etwas anderes erreicht hat,
a!s frtiher oder später matt zu werden? oder lebt
cr vieüeicht ewig, wei! er ein Meister darin ist,
die Königin und den Springer und den- Bauern zu
gebrauchen; wei! er zu jeder Zeit voükommen
nicht nur die Eigenschaften und SteÜungen seiner
eigenen Figuren — sondern auch die Feh!er des
Gegners zu benutzen weiß? wei! er wieder und
wiedcr den besiegt, gegen den erkämpft?!

Nein!

Sicher nicht!

Aber wie geht es denn zu — dies aües . . .

Er machte eine heftige Bewegung mit den Ar-
men, stand nackend, wüd vor Grübetn, da im
Sande, die Sonne spieite auf seiner Haut, in seinen
Augen.

Er lachte, er ruiizeÜe seine Brauen, er jam-
merte gequäit darüber, nicht verstehen zu können
und p!ötz!ich stieg aus seinem Herzen zum Him-
me! empor ein Flammen von Wonne, er bcgriff
sich auf eiuma! se!bst so tief und gut wie nie zu-
vor . . . und er wußte jäh, warum er immer dun-
ke! gefüMt hatte: daß es nichts Besseres in der
We!t gab, a!s geboren zu werden! nichts Schöne-
res, a!s mühseüg Tag für Tag, Jahr für Jahr zu
kämpfen! und nichts SeÜgeres, a!s sich schüeßlich
einma! zu ergeben ünd zu sterben! Ja, denn
Geburt wie Leben und Tod, das aües bedeutet
ja nur ein und dasselbe, dieses Eine und
Göttüche —: wieder und wieder das alte Gewand
abzustreifen, das nicht mehr passen konnte, das
unter unserem Wuchs zersprengt wurde! ieicht-
füßig und kampfhistig Jahr für Jahr dahin zu wan-
dern, aufwärts, eine Jakobs!eiter mit unzähüg vie-
!en Stufen hinauf! Ei zu sein, um Larve werden
zu können — und Puppe, um endüch, in seiner
voüen Gestait eines ewigen, strahienden Wesens,
mit leuchtenden Purpurfarben in Rot ünd in B!au,
die Weite seiner mächtigen F!üge! zu öffnen uud
giückberauscht zü der schönen, der gotdenen
Sonne empor zu tanzen!.

Q!aß Morton !acht kurz und heiß.

Er stand dort im Zimmer, warm von seiner Er-
innerung, mit weit geöffneten Augen dem Schitn-

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