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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 13/14 (Erstes und zweites Oktoberheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [18]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0100

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iwef der Morgensotme enfgegem det' tagheH von
dem Hchten Himmet herabM — und von dem
wetBen Wege da dranBen, von dem Laubgehänge
der gritnen Bäume, von den kuppetförmtgen
BCschen zttrückgeworfen wurde! Er genoß in aHen
Fibern rtoch einmai, wie in einer einzigen Summe,
das Gfück seines ganzen Lebens — und iachte ieise
dazu:.

AHes, restios aßes, Annie und setne Ar-
beit, seht Leben in den vieteu tansend Tagen,
genoß er voüattf in dem schwittddinden Ntt — und
lachte wäitrend dessen, mit hintenübergebeugtem
Hais, mit strahtenden Augen —:

Hahaha!

Meht Lebcti. von meiner ersten Stunde bis z.u
meicer tetztea!

Bie rätseihafte Wortne, die beständig aus ver-
borgenen QueHen da drinnen geströmt ist!

Ach, die Freude über aites. was fedem einzei-
tten Sitm begegnete, was meinem Gehirn und mei-
nem Herzerr Nahrung gab!

Das SfegesbgwuBtsein, mystisch entsprungen
aus efnem eksiatischen Ahnen davon, da8 aHes
das, was utrs geschieht — ein Geschenk ist! daß
aües, was zu tms kommt, ein Reichtttm istü

GHick. das ist em Geschenk. das mit etnetn
Lächeht kommt Ungiück ein UeberHuB, der mit
Tränen kommt! Qeburt em Bad in Licht ltnd der
Tod ein Bad in einem beschwichtigendeji Dttnkei
— bützschneiie Wandiungen, die aHe miteinander
nur ein einziges Zie! haben: daß ttnser unsicht-
bares Seibst gedeihen soü, daß wir nach aHen Sei-
ten hin sprossen und wachsen soUen! daß ttnser
ich. tief ttnd wach ttnd rund, sich mannigfach ent-
fatten soi! — a!s eine Bittme, a!s e!n Baum mtt
Stamm und Krone, a!s ein wunderbarer, ein rie-
sengroßer Wa)d!

Ja, fa, wie Kinder sirtd wir — wie die unschtd-
digen Kieinen, die spieiend die Stunden des Tages
einfangen und ttnattfliörüch dadnrch wachsen!

Wie die Knaben tmd Mädchen sind wir — die
erwacben und lacheti, die essen nnd iachert, die
weinen ttnd iachen, die zur Abendzeit einschlum-
mern, während sie iachen — und tmanfhörüch,
mühe!os von dem alien wachsen!

Mein Gott, was ist das doch für eine häßiiche
Seuche, was ist das doch für eine iächeriiche, eine
furchtgeborene Biindheit, was ist es für eine un-
sagbare und iebensfeige Torheit, die uns dennoch
dazu bringen kann, zuweiien zu giauben, daß wir
etwas ganz anderes sind! daß sich für uns die
Kurve abwärts biegt — obwohi sie doch bestän-
dig aufwärts zeigt für die Kieinen mit ihren zarten,
ungeübten Kräften! daß für uns aües zum Tode
führt — während dasseibe für diese Zarten und
Verteidigungsiosen, ftir diese, denen aüe Erfahrung
fehit, Leben bringt! . . .

Ach Gott!

Ja! —:

in aüen seinen Fibern, in feder einzigen — da
saß urtief und brennend diese starke ttnd frettdige
GewiBhett!

Da saß die treibende Kraft, von der aus er aüe
seine Worte geschrieben hatte —: Das Leben ist
Glück — und die Kunst ist GMick! Das Leben und
die Kunst sind ein und dasseibe!

Ach, aus seinem Gehör und Gesicht, seinem
Geruch und Geschmack, dje scharf wte Messer bis
in das Mark aües dessen, was um ihn her geschah
eindrangen; aus seinem Gehirn, das so heftig wie
Schüsse in den Kern des Daseins hineinschiug, in
jeden Pnnkt, auf den er zielte; aus seinem Herzen,
das mit jedem einzeinen Pulsschlag sich wie in
einer Explosion weit aufsprengte für aües, was ihm
nahe kam —: aus seinem ganzen Wesen, das
durch seinen unanslöschiichen Brand ihn ununter-

brochen da drinnen )eben iieS, wo!ter aües Wtssen
kommt, wo die Liebe und die Wteisheit wohaen
—: da heraus stammten auch seine Bücher, jedes
einzelne. wie Schauer aus Biank und Rot ent-
sprttngen! wie der F!uß von Jube! und von
Scbmerz — wie der wiide Strom aus dem bienden-
den Go!d des Lebens seiber in Wonne ttnd aueh
in Qua!!

Ja, mit so geschärften Sianen, wie sie die an-
dern nur besaßen, wenn sie sich in dem äußersten
Nu der Todcsangst oder der Liebesekstase befan-
den; mit Muske!n wie bei dem Mntigen in der Se-
kttnde. wo er seine Tat ausübt; mit einem Qedan-
keen, so gewaitig und'Weit, wie bei denen, die uns
aü ihr ewiges Wissen von Wahrheit geschenkt
haben; mit GefüMen wie die der Mutter, die in
meüenweiter Entfernnng geheimnisvoü den Tod
ihres eirtzigen Kindes erfährt . . . so war er be-
strebt gewesen, seine Kunst zu schreiben! sie zu
vermögert, sich übermächtig zu erheben, mit einer
g!otzenden Finsternis und mit einem schwinde!n-
den Licht, mit götterschönen AntÜtzen von Zärt-
iicMreit nnd von Haß — sie zu vermögen, stch
!äche!nd und riesenhaft zu erheben und einem
jeden zuzurufen —:

Aües, was ich hier erzäh!e, das ist dein Leben!

Siehe, dieser Heid, das bist in WirkÜchkeit du
— wenn attch dein Auge es seibst nicht wnßte!

Siehe, dieser iachende und fröhüche Märtyrer
auf dem Scheiterhaufen, das bist im tiefsten In-
nern dn — wenrt auch dein eigenes Herz es bis-
her nicht vöüig begriffen hat!

Siehe, dies Antütz emes Gottes, einer Göttin,
der Höüe und des Himmeis in einem —: das aües
bist im tiefsten Innern du, das seid ihr — wenn
auch eure Gedanken bisher nicht wagten, es vöHig
ztt fassen! das sind du ttnd ich und wir a)!e zu-
sammen, wir Brüder und Schwestern, wir heüen
ttnd dunklen Geschwister — deren Bahn bestän-
dig nach dem Zenit hinaufweist!

Annie! t . , $

Dtt Geliebte, ja!

Annie, du Königin von uns aüen, acb wurdest
du zu mir geführt in dem, was wir Liebe nennen:
damit du und ich rätseihaft, ahnbar nur für das
unaussprecMichst Verborgene in uns beiden —
damit wir zwei, durch restios aües, was in unserem
Zusammen!eben geschah, durch die Süße, die mit
ihrem Brand zwischen uns beiden strömte, durch
die Kraft, die wir einander iachend Tag für Tag
schenkten, durch das verzehrende und straMende
Feuer in unserer Zärtüchkeit Jahr iür Jahr —
rauschartig voübringen konnten, emporzusteigen
zu den fernen Zie!en, die sich unsere See!en ge-
setzt hatten . . . ttnd die auf eigene Hand ztt errei-
chen, sie nicht die Kraft besaßen!

Annie, Angebetete, dtt Schmerzenstenerste von
aüen, mein Weib und meine Mutter, wttßte ich
denn schon jenes aüererste Ma!, aus dem stolzen
und sanften BHtz deiner Augen —: wie du hoch,
meÜenhoch über uns aüen standest! daß du eines
Tages unter grauenhaftem Weh von mir gerissen
werden soütest — wei! du erreicht hattest, was du
woütest . . . und wei! ich. im Kampf mit der gräß-
Üchen Finsternis, in der du mich zurückließcst,
versuchen soüte, hinterher ztt beweisen, daß ich
deiner doch vieüeicht einma! trotz aüem würdig
werden könnte!

Annie, Meine, ttnd rufest du mich jetzt — wei!
ich gehalten habe, was du wünschtest! weil ich
den Sieg über die Finsternis errang — an der
meine Kraft erprobt werden soüte!

Wei! der Becher meiner Erkenntnis gefüüt ist,
weil die Zeit für meine Ruhe gekommen ist —
nicht in dem dunk!en Schoß der Erde, wo die an-
dern gtauben, daß du bist! nicht in dem koh!-

sebwarzen Schoß def Tt'auer, von dem ieh so oft
träumte, und naoh dem ich tnich in den Stundea
meiner Schwäche sehnte! Sondern in des Lebens
mächtigem, in des AHebens setigem, ijr ttnseres
wahren, ungeborenen uBsterbüchen Seins süßem
ttnd großem ttnd unbegreifüch fruchtbarem SchoS!
Da, an jener sonnigen Küste — wober wtr uns
aüe, jedesma! wenn wir uns von nettem wieder in
Fleisch klciden, in stets schimmernderem G!anz,
mit Jube! attfschwingen .— tmd wohin wir mit dur-
stendem Sehnen bereichert zurückkehren! stei-
gend, immer siegend. Tag für Tag schmerzüber-
windend und wonneschlürfend — anfwärts. immer
attfwärts. etnpor zu einer Kiarheit und Höhe, von
der wir noch gar nichts wissen! . . .

Er hatte seine beiden Arme ausgestreekt.

Hinter seinen Augen brannte es bitter — und
drängte.

Aus seinem Herzeti stieg schattdernd seine
Qua! und seine Lust, sein GKick-Uttg!üek in Einern.

Und da wußte er jähüngs, was es war — wo-
ranf er im innersten !nnern eben gewartet, wonach
er eben geforscht hatte, was er eben nicht hatte
finden können —: ibn! ihn von da drüben, dteses
fremde und tötende Wesen! den Mörder, der sich
zwei !ange Jahre verborgen geha!ten hatte, mitten
drin, hinter der unabsehbaren Menge von Men-
schen — aber der stch vor ein paar Stundeti aus
der Finsternis aufgerichtet hatte tmd ihm sichtbar
geworden war —: . 's

Kar! Mumme! . . .

Er fuhr zusammen wie unter einem Sdiiag —
mit einem Stöhnen, mit einem Stieh qtter durch die
Brust.

Und gteich dajrattf rtmzeüe er seine Brauen, er-
hob seine Hand, die Fiäche nach außen gekehrt,
versuchte, diesen Namen von sich fortzuschie-
ben —

Qeh, ich wiü nicht hörcn, ich habe nichts mit
dir ztt tun, ich kannte dich niema!s, von weit her
kreuztest du ttnsere Wege — ohne jema!s zuvor
gewußt zu haben, daß wir existierten!

Du warst, so wie wir andern, ein wiHerüoses
Werkzeug für jenes innerste !ch in dir selbst —
geh, habe ich zwei Jahre !äng ieben können, ohne
das geringste von dir zu wissen, was soü ich dann
jetzt mit dir — an dem tetzten Tag!

Ich habe nicht und abermais nichts mit dir ztt
schaffen, es ist !ängst bestimmt, daß ich dtch nie-
ma!s sehen wiü! . . .

Er richtete starr setnen: Nacken auf, lachte
streng und heiß —:

Fort! ' 3

Ich kenne dich nicht!

Du bist voükommen ausge!öscht aus meinem
Leben!

Du warst nur die Hand, die atts der Finsternis
auftauchte — um, durch einen entsetzüchen Au-
genMick hindurch, dich se!bst und sie und mich
zum Licht ztt führen — auf den Wegen, die nun
einma! die unseren waren! . . .

Aber noch in demse!ben Moment, wo diese Ge-
danken, in diese knappen Worte gesta!tet, ihm be-
wußt wurden — da ersehienen sie ihm nicht nur
unausstehüch bruta!, sondern auch feig!

Btitzschneü, a!s habe ein unsichtbttrer Riese
aües auf den Kopf gesteüt — so dünkte es ihm jäh,
als sei das, was er eben gedacht hatte, a!s sei
jedes einzetne Wort von dem aüen, a)s sei sogar
jeder Satz, den er in seinen sämüichen Jahren ge-
schrieben hatte, a!s sei ausnahms!os sein ganzes
Dasein auf einer Lüge aufgebaut! auf Schwäche,
auf Furcht — auf einem häßiichen, einem unwür-
digen und ungeheuren Entsetzen . . . davor, za
sterben!

Ja!

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