Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

DOI Heft:
Nummer 19/20 (Erstes und zweites Januarheft 1915)
DOI Artikel:
Knoblauch, Adolf: Kranz der Heimat
DOI Artikel:
Knoblauch, Adolf: Die schwarze Fahne: Eine Dichtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0129

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Und du schaust ins Märchentand der Jugend: . . .
Einst bauten tausend Erdmännchen einen hmkein-
den Palast in deiner Heide,

In dem Rosengartens der nahe ist jedem Orte auf
Erden und denuoch fern von alien Wegen.

Das ist der wuiidersame, versunkene
Posengarten deiner Jugend
Ais du zwischen giäsernen Wänden durch leuch-
tende Tore schrittest

U):d in deinem heiien Herzen Märchenmenschen
trugst, Märchenkönige,

Unid auf dt;t Thron in deinem Paiast aus durch-
sichtigen Mauern

Eine Märchenkönigin hobst, weiche die Mädchen
deiner Heimat

Mit einem Namen der Liebe nannten im Morgen-
rot,

Da sie die Wassereimer aus den Brunnen hoben.

AI s o s t e h t e s i n d e i n e ; n M ä r c h e n:
Lichtvögei schwebten zu Qestirnen durch die fest-
lichen Säie

Rosenhaine hauchten Düfte durch den immerwäh-
renden Tag,

Aus fernen I^iesenhörnern wehte in den Hallen
sausende Musik,

Kinderscharen iiefen die Marmortreppen an deu
bianken Geiändern auf und uieder.

In ihrer aüerschönsten Kummer tronte deine Kö-
nigin,

Mit iustigem Zauber, kiuger Anmut,

Af it W e i s e r T r a g e n d e r Z ä r t! i c h k e i t
Fiocht sie Biumen, umwand dein Haupt
Und du bogst es tief dem Schmuck.

Erinnerung

T i e f s c h ö n wird deine stürmische Seeie wenn
sie das Liebes-Lied... Märchen-Lied... hört,
Das Unbegrcnzte, das über das Vergängiiche er-
hebt,

Das Unvergieiciiiiche auf der k!ang!osen Erde,

Das Sfärkende, da du hinzusinkeu drohst.

Wenn du in der Mutter Schoß das ausgeüttene
Herz bettest

Dann wird es dein Auge zu ihrem greisen, unsterb-
Üchen Scheites aufrichten:

Es wird dich vcr!angen nach solcher Ehrfurcht,
Dich dürsten machen nach unendhcher Ruhe der
kindhchen Küsse,

Auf den untersten Saum ihres umwaüenden Kiei-
des gedrückt,

Nath der Orcnzeniosen, Lieben Hei-
m a t . . .

Das Qesicht in den Händen vergraben, auf Knieen,
Empfängst du den wehen, einzigen Ton
Fiihist die Schauer, die dich beugen,

Siehst unwiderstehhch nahen
EleiÜgen Bitdes
SangderHeimat...

HebesÜed . . .

M ä r c h e n ü e d . . .

Ende

AdoM Knobiauch

Die schwarze Fahne

Eiae Dichtung

Adoff Knobiauch

Brans Fahnenspruch:

Lasset uns nicht das Qemeinsame Werk beäecken,
dies innerhche, übermenschhche Band,
das Werk des Schöpfers.

Wfr sinu Begeisterte, Erhöhte, weiche die

heldischen Heere
in das Treffen geieiten mit den reinen, entfiammten

Qesängen,

voü vom Siege über den Tod.

Wir sind die Krieger des Genius unseres Voikes,
seines Qeistigen,

Eroberer der strengen und scüwierigen Harmonie,
Erkennende ihres nenen Qesetzes von unserem

Voiike aus.

Die wir Kinder des fortdauernden Werkes sind,
bemüher: wir uns nicht, die einstmais gescüaffenen

Werke zu erhatten,
sondern machen wir den Einsatz mit dem Werk

neuer Kunst,

das wir betreuen mögen, ob wir gieich wissen,
daß in dieser Stunde Vie!en von den Unsrigen
der Tod nahe ist.

ZurFolgschaft

Wißt, es ist eine Wiedervergeitung, Rache war-
tet Eurer.

Und wenn Ihr zu Tansendeu irgend au einem
Orte zusammenkommt in der andereu Welt, so
braucht es weiter keinen Teufei — ihr Jagos, ihr
werdet euch Teufels genug sein. Qott — Qott be-
wabre mich vor eurem Garn, vor eurer Qeseüschaft
und vor eurem Teii in der Ewigkeit. Meine Seele
komme nicht in euren Pat und euer Bild sei ein
Panzer für meine Brust, daß kein falscher Qedanke
hineinfiiege.

Der arme Mann in Tokkenburg (1776—1792)

Dachkammer

Bran lelmt unbewegüch arn engen Fensterchen,
vorm brennenden Himmelblau eines heißen Okto-
bermorgens. Qieich einem abgesägten finstren
Stamm !ehnt er vor der Sonne und beschattet sie.
Er starrt ohne zu sehen, auf die Kiefern hinab, die
ihre spitzen Nadelwirbei bis zur Mansarde hinauf-
tragen, auf die b!utroten Weinranken, die zum
Daclse nisten. Der ganze prangende Ort ieuchtet,
soweit er sehen kaun, im kiaren Herbstgold unterm
Lichtbiau, ein orangenes Meer fiutet über die
Viüen und Straßen. Licüte Eschen glittern,
!eise, faibe Hängeweiden werden sacht angertihrt.
Birkeu heben die ranken üchten Stämme. Ficüten
ricüten feieriich stiües Duukei hoch, geibe Akazien,
roter Ahorn. braune Kastanien ruhen mit bronze-
nen Kroneu. Der Siidwind hauclit regungsios aus
sonnigen Weiten. Die Nebe! der verwichenen
Nacht sind !:inaufgeschritten und haben sich rings
am Üchtgrünen Himmeisrand zu fernen süberwei-
ßeu Wolken geschart. Vogeiruf zieht ruhevoü
über die Däc!:er hin. Vor dem nahenden Frühzuge
k!inge]t die niedergehende Bahnschranke drunten
vom Wa!de in die Stihe auf.

Brans müde Augen sind schwa.rze Wunden,
überreizt von Schiaf!osigkeit und heißem Starren
eine !ange einsame Nacht hindurch, ertragen sie
nicht das hel!e Licht. Er wendet sich wieder der
gruftartigen engen Kammer zn, dem lieißen kahien
Zufluchtsort, den vom Dachboden nur eine dünne
Wand trennt. Die schwarze, riesige Piatte des Ar-
beitstisches ist !eer, leer ist das Zimmer des Ar-
men, von ihm aus k!afft in die Stube unendiicbes
Zerstörtsein, sein schräger Schatten verfinstert es
vöhig.

In diese Kammer über den. Dächern münden
alie Straßen seiner großen Stadt. Freuden, Kämpfe,
Sorgen, Erfolg und Verzweiflung, dle von ihr
kamen, traten schmerzensvoh oder freudig an dies
Fensterchen und bhckten hin zu ihr, deren Tabor-
stirn nächt!icherwei!e am Himme! aufschimmerte.
Die Irrwege, Herzlosigkeiten, das Unsinnige und
Stumpfe, alie Feindschaft, unzählige Qesichte aus
dem Leben und der wechselvohen Qeschichte von

MlUionen, kamen zu ihm, traten in diese kleine
Bodenttir, heßen nicht ab und gingen in seine Mühe
ein. Was aus jenen von Zivihsation durchgeglüh-
ten Versammiungen, den soziaien Qruppierungen,
was aus türmenden Unternehmungen, den heißge-
quälten Scbmieden aus Eisen und Stein in den Stra-
ßen ehern aufkiirrte, es zog seine Straße, mischte
sich mit der verstehenden Herziinie eines kleinen
Mädchenmundes und trat über diese Schwehe der
Abseitigkeit, um des iieben Wortes endhch inne zu
werden, in dem Jahrtausende des Menschen znr
Bindung gelangen.

Wie Bran seine Stadt kennt, die Straßen iu
Elend und Qrauen, VerschoHenheit und Suchen, in
Nacktheit und Sterben, in Kampf, Qiut, Sieg . . .
Die stürmenden Lebensadern des großen Her-
zens . . . Wie Lichtzeichen am Morgen des neuen
Tages, der Heerbann von verborgenen Kämpfem
im Wogen der Masse, lichtvolle Angesichter, zart
gefestigte Qesichtszüge, stolze junge Qeberden!

Die Stadt hat Brans Selbst gemeisselt, das
Antlitz schartig gemacht, davon die Wangen bren-
nen wie Wunden, davon die Augen so blind und
versengt, daß sie auf das eigene trauernd bren-
nende Sterben schauen, auf die verloreiie Schlacht
des einsamen Kämpfers, mit Sternen = und Blut
= Wirbein in der Höhe. In der Flamme des Wehs,
in dieser giockenläutenden frommen Frühe, in dem
bitter-starren Krampf, der ihn bannt. wächst Brans
Herz unermüdiich aufwärts, wird Unerbittlich-
keit, ganz Wissen, ganz Qesang. Befreit tritt er
vor die großen Pätselhaften, die Kinder und Den-
ker, deren Liebesfiammen er überah weiß und die
einander fühieu und wissen. In seiner Ehrfurcht
sehnsüchtig reckt er den Arm, um ihn schattend
vor die Giut des Angesichts zu legen, jünglings-
haft ungeduldig. Qeist und Eiamme, Leib und Leben
im köstlichen Qeben zu sein. Und im Schmerz
kommt der Sturm und im Sturm das heißc Wei-
nen, we!ches Leben gebiert.

Nacht

Bran kehrt etnes Nacht von einem seitencn Be-
such aus Berhn zurück. Lange Stunden freund-
iichen Znsammenseins schwingen noch nach, starke
Worte hal er gesprochen. man hat ihn angegrif-
fen, Erinnerungen, Theorien, Bekennnisglut, da-
zwischen zerknitterte Pedensarten, dmnpie Wir-
be! von Schauern und Lustgeffih!, ah das wogt
bezaubernd dttrch die Nacht. Visionen gürten ihn
mit Hehigkeit und Schärfe, und er spricht die
Verse Qeorges von der .,Fühe die fehit". „ähes
habend, ahes wissend seufzen sie: Karges Leben,
Drang und Hunger fiberah . . ."

Er betritt leise sein Zimmer und ohne Licitt zu
machen. !egt er A4ante! und Hut, Bücher und Ma-
nuskriptniappe auf das Bett und öffnet das Fen-
ster. Er schaut die Wand des Nehenhauses hinan
zum spitz zugehenden Dachrand mit der Rinne
voi! gefrorenen Schnee. Mit einem A^ai beginnt
die graue weiche Finsternis droben !aut!os und
dicht mit Schneefiocken sich auszufühen und stih
und weit das Dach, die Fenster und die Straßen
drunten zu beriesein und das Dutzend rosa ka!ter
e!ektrischer Lichtgioben im Park des großen Sana-
toriums auf der anderen Seite der Straße mit röt-
hchern Fior zu verhühen. Der Strah! einer Qas-
iaterne dringt scharf in Brans Zimmer, vom Pank-
eingang kommt iautes Qespräch. überiaut in der
hühenden Stiüe, bis schiießhch mit dem sich ent-
fernenden Rohen eines Wagens ahes miide und
gedämpft wird; ein sanftes Leuchten, ein ieise's
Singen ersteht rings drunten, vom Fahen des dich-
ten Schnees unter dem zerknitterten Geäst der
Bäume und Sträucher.

Ein anderes Geräusch ersteht aber uud dringt
aus dem stihen Haus, ohne sich mit dem des fahen-

!27
 
Annotationen