Klementia: . . . ich . . . höre . . . liichts ..
Susanna....
K i e m e n t i a (macht eine Bewegung zum Aut-
schrei, bieibt aber heiser vor Entsetzen): . . . Ich
höre . . . nichts!
S u s a n n a (geisterhaft nachsprechend): ... Be-
kenne . - . bekenne . . . (sie stcht mit dem Rticken
gegen das Kreuz gewendet).
S u s a n n a: . . . sagt . . . er . . . was?! . . .
K! e m e n t i a (in höchstem Entsetzcn)...?!
S u s a n n a (macht eine Kopfbewegung uach
dem Kreuze hin)
K ! e m e n t i a (faitet die Hände, stotternd):
. . . Ave . . . Maria . . .
S u s a n n a: Sagt er nichts...?!...
K!ementia . . . (schüttelt in stummem Ent-
setzen den Kopf)
S u s a n n a (!öscht mit der Hand den Wachs-
stock aus, der noch immer in ihrer Hand brennt
und !egt ihn attf den A!tar, a!!e Bewegungen me-
chattisch ausftihrend; dann steigt ste vom Aitar
herunter . . . Schritt für Schritt . . . laut!os . . .
b!eibt dicht vor Ktementia stehen)
S u s a n n a (!acht kurz süberheh güicklich auf
. . . ein zartes vietstimmiges Echo mischt sich mit
dem verhaüenden Singen des Windes und dem
Raunen der Zweige . . . reißt sich Brustschleier,
Kopftuch und Binde ab; ihr langes Haar fäüt tiber
die nackten Schultern): Schwester Klementia . . .
ich bitt schön ...!...
(Der Wind stößt stark, die Zweige rauschen
gewaüig uttd die Nachtigaüen schlagen hell zusam-
men)
KI e m e n t i a (sinkt die gefattenen Hände hoch
erhoben, in die Knie).
Susanna: Schwester Klementia . . . ich bin
schött . . .
Klem.entia: Sancta Susanna ...
Susanna: Schwester K!ementia ... ich
bin . . .
KI e m c n t i a (erhebt sich starr ttnd steif, mit
jedem Worte fester werdend): Keuschheit ....
Armut... Gehorsam ...
S u s a n n a (verstummt sie anstarrend, die
Hand schwer auf dem Betstuhl)
KI e m e n t i a (geht fest an ihr vorbei in das
Dunkel; das Fenster klappt heftig zu, der jubelttde
Gesang der Nachtigaüen, das Rauschen der Bäume
und das Singen des Windes erstirbt jäh)
KI e m e n t i a (kehrt zurück)
S u s a n na (springt auf und faßt sie an): Das
Fenster auf! . . . das Fenster . . .
K1 e m e n t i a (hebt ihr das große Kreuz des
Rosenkranzes entgegen)
S u s a n n a (taumelt, das Kreuz anstarrend,
Schritt für Schritt zurück bis zum Altar): . . . ich
. . . ich sehe den . . . leuchtenden Leib . . .!
. . . ich seh . . . ihn herniedersteigen . . . ich . . .
fühle die Arme breiten . . .
Klementia (hält das Kreuz hoch): ...
Keuschheit . . . Armut . . . Gehorsam . . . (jedes
Wort haüt klar aus den Wölbungen wieder, zu-
letzt aüe drei ineinander verschwimmend und ver-
haüend)
S u s a n n a (schreit auf und starrt umher) wer
spricht da?! . . .
Klem entia: Ich!
Susanna: Ich ... ich ... ich . . . sprach
d a s nieü ...
Klementia (hält ihr das Kreuz entgegen).
Susanna (reißt das Lendentuch von dem
großen Kruzifix in einem Riß herunten) so helfe
mir mei n Heiland gegen den euren . . .! (sie
sinkt in die Knie uhd schaut zu ihm auf)
(Die Spinne fäüt hinter dem Kreuzesarm her-
unter ihr in das Haar)
S u s a n n a (schreit geüend auf und schlägt mit
der Stirn auf den Altar)
D i e S p i n n e (kriecht iiber den Altar und ver-
schwindct dahinter)
(Die Horenglocke läutet greü durch die Ge-
wölbe, dazwischen schaüt dumpf der Glocken-
schlag der zwöüten Stunde)
S u s a n na (stört auf, fährt mit den Händen
wild und wirr durchs Haar und kriecht auf aüen
Vieren die Stufen des Altars heruiiter iu Entsetzen
vor sich setber fliehend)
Mit dem letzten Stundenscldag verstummt die
Horenglocke.)
KI e m e n t i a (läßt das Kreuz sinken) Ave
Maria! . . . ein neuer Tag! . . .
S u s a n n a (hockt stieren Bticks auf der un-
tersten Altarstufe)
Leise Schritte schlürfen und Gebete murmeln
Der Zug der Nonnen (tritt ein)
Vorbeterin: kyrie eleyson . . .
Chor: kyrie eleyson . . .
Vorbeterin: regina coeli sancta . . .
C h o r: ora pro nobis . . .
V o r b e t e l* i n: virgo virginum sancta...
C h o r: ora pro nobis ...
(Das Mondlicht, das bisher in heüen Streifen
durch die Fenster fiel und bläuiiche Lichter auf die
Betstüh!e warf, veriischt; es wird ganz dunkel.
Die Nonnen kommen vor bis zum Weihwasser-
becken, stocken, als sie auf Klementia stoßen, die
unbeweglich im Mittelgang zwischen den Pfeilern
steht und auf Susanna schaut. Das Gebet ver-
stummt; die Nonnen sammeln sich in stummer Be-
wegung in weitem Halbkreis um Susanna; endlich
stehen aüe stiü unbeweglich in stummer Scheu)
Alte Nonne (tritt lautlos einen Schritt vor):
. . Sancta . . . Susanna! . . .
S u s a n n a (stört pfeilgerade in die Höhe).
Alte Nonne (senkt das Haupt): Sancta Su-
sanna . . .!
S u s a n n a: Hinter dem Hofe liegen Steine . . .
Alte Nonne (schaut auf)
S u s a n n a (fest): Ihr sollt mir die Mauer
richten! . . .
Alte Nonne (sinkt langsam die Arme brei-
tend in die Knie)
C h o r (folgt ihr)
KI e m e n t i a (steht starr auf Susanna
schauend).
Susanna (plötzlich stark) Nein! . . .
Alte Nonne (springt auf)
C h o r (folgt ihr)
Alte Nonne (hebt das Kreuz ihres Rosen-
kranzes über ihr Haupt)
C h o r (folgt ihr)
Alte Nonne: Beichte! . . .
Susanna: . . . . . .
KI e m e n t i a (hebt das Kreuz)
Klementia und Alte Nonne (hart dring-
lich): Beichteü!
Susanna: Neinü! . . .
Klementia, alte Nonne und Chor (gel-
Iend): Beichteü!
(Das Wort haüt aus den Gewölben dreimal wie-
der, die Kirchenfenster zittern, der Sturm heult
draußen auf)
Susanna: Neinü! (Das Echo des Wortes
wird von dem vorigen verschlungen)
Alte Nonne (in Ekstase): Satanaü!
Alte Nonne und Klementia: Satanaü!
Alte Nonne, Klementia und Chor:
Satanaü! . . . (Qeüendes, verworrenees Echo.)
S u s a n n a (hoch aufgerichtet, in unberührter
Hoheit)
(Aüe stehen stiü und unbeweglich)
En de
Der Weg
durch die Nacht
Roman
Aage von Kohl
Fortsetzung
Ach ja, daran war ja nicht zu zweifeln,
für ihn selbst! oder wie wäre es überhaupt
anders möglich gewesen, als daß für ihn das
ganze ging wie ein Blitz —: wenn man eine wahn-
sinnig Geliebte Tag und Nacht an seiner Seite
hatte! die Fahne dieses goldeneti Haares, die mit
ihrem frohen Triumph über Regen, über Wind,
über Kälte und Sonnenschein, über Sommer und
Winter dahinwehte! diese Mittelmeeraugen, mäch-
tig, blau, die schimmernd wie der Himmel Gottes
selber hier in der Stube dastanden — und mor-
gens und mittags, abends und um Mitternacht sei-
nem Herzen zulächelten! dieses lachend tiefe und
üppige Wesen, mit der samtzarten Heimstätte der
weißen Schultern, mit den feinen, den langen und
schlanken Beinen, die nie ermüdeten und deren
Haut ein Wunderwerk an Siiße und Glätte aus der
Hand der Natur war — dieser reiche Busen, wo
'es so unsagbar gut sein war, wo die roten Rosen
das ganze Jahr hindurch blühten! dieser lichte und
tiefe Sinn aus Güte und Zärtlichkeit, der niemals
fehlgriff und niemals zauderte, der mühe!os er-
füüt war von Weisheit, und mühelos nach aüen
Seiten ausstrahlte! Mein Gott —: ob es ging??
Versuche doch einmal, einem Menschen die Herr-
lichkeit der ganzen Welt zu schenken, gib ihm
unaufhörlich, Tag und Nacht, was das Dasein aües
in aiiem seinem Liebling zuteil werden lassen
kann —: mache ihn gesund, stark und froh, gib
seinen Sinnen die Kraft eines flammenden Zusam-
menlebens, um auch aüe die andern und ihr Ver-
langen jedes für sich, leicht begreifen zu können;
gib seinem Herzen die Wonne der Seligkeit, des
Schaffens und ihren Reichtum, um verschenken
zu können, und gib endlich seinen Plänen den
Sturmwind des Glücks unter die Flügel ... und
frage ihn dann, ob er jetzt meint, daß es „gehen
kann"?!
Jawohl!
Aber nun sie?!
Wie konnte sie es aushalten, dies hier — wo
ihr aü diese tausenderlei kostspieligen Kleinig-
keiten fehlten, die eine Frau sich wünscht — und
ohne die, wie man uns wieder und wieder beteu-
ert hat, eine Frau nicht Ieben kann?
Oder wurde ihre Würde als eines modernen
Menschen denn gar nicht verletzt, empörte sie sich
nicht als selbstdenkendes und selbstwoüendes In-
dividuum darüber — daß sie, die Auserkorene und
die Gattin eines Dichters, sich doch jeden Tag
mit Kochtopf und Pfanne, mit Staubtuch, Besen
und Nadel abgeben mußte?
Offen gestanden —: wie schleppte sie sich bloß
so durch das Dasein — mit diesem Scheusal von
einem Mann, der beständig wie ein Esel an dem
festhielt, was er seine Grundsätze zu nennen be-
liebte! der ganze lange Jahre hindurch, trotz aüem
angespannten Fleiß, geradeaus gesagt, nicht ein-
mal so viel verdiente, wie ein ganz gewöhnlicher
Arbeitsmann! der jeden Tag in größeren und
immer größeren Ideen entbrannte, der sich jeden
Vormittag im Bett herumtrieb, unter dem Vor-
wand, des Nachts vor Gedanken nicht geschlafen
'zu haben; der den ganzen Tag hindurch schrieb
oder las, ihre Hilfe zum Korrekturlesen fast Abend
für Abend in Anspruch nahm, und sie endlich bis
zur Morgenstunde wachhielt, wenn der Rededrang
28
Susanna....
K i e m e n t i a (macht eine Bewegung zum Aut-
schrei, bieibt aber heiser vor Entsetzen): . . . Ich
höre . . . nichts!
S u s a n n a (geisterhaft nachsprechend): ... Be-
kenne . - . bekenne . . . (sie stcht mit dem Rticken
gegen das Kreuz gewendet).
S u s a n n a: . . . sagt . . . er . . . was?! . . .
K! e m e n t i a (in höchstem Entsetzcn)...?!
S u s a n n a (macht eine Kopfbewegung uach
dem Kreuze hin)
K ! e m e n t i a (faitet die Hände, stotternd):
. . . Ave . . . Maria . . .
S u s a n n a: Sagt er nichts...?!...
K!ementia . . . (schüttelt in stummem Ent-
setzen den Kopf)
S u s a n n a (!öscht mit der Hand den Wachs-
stock aus, der noch immer in ihrer Hand brennt
und !egt ihn attf den A!tar, a!!e Bewegungen me-
chattisch ausftihrend; dann steigt ste vom Aitar
herunter . . . Schritt für Schritt . . . laut!os . . .
b!eibt dicht vor Ktementia stehen)
S u s a n n a (!acht kurz süberheh güicklich auf
. . . ein zartes vietstimmiges Echo mischt sich mit
dem verhaüenden Singen des Windes und dem
Raunen der Zweige . . . reißt sich Brustschleier,
Kopftuch und Binde ab; ihr langes Haar fäüt tiber
die nackten Schultern): Schwester Klementia . . .
ich bitt schön ...!...
(Der Wind stößt stark, die Zweige rauschen
gewaüig uttd die Nachtigaüen schlagen hell zusam-
men)
KI e m e n t i a (sinkt die gefattenen Hände hoch
erhoben, in die Knie).
Susanna: Schwester Klementia . . . ich bin
schött . . .
Klem.entia: Sancta Susanna ...
Susanna: Schwester K!ementia ... ich
bin . . .
KI e m c n t i a (erhebt sich starr ttnd steif, mit
jedem Worte fester werdend): Keuschheit ....
Armut... Gehorsam ...
S u s a n n a (verstummt sie anstarrend, die
Hand schwer auf dem Betstuhl)
KI e m e n t i a (geht fest an ihr vorbei in das
Dunkel; das Fenster klappt heftig zu, der jubelttde
Gesang der Nachtigaüen, das Rauschen der Bäume
und das Singen des Windes erstirbt jäh)
KI e m e n t i a (kehrt zurück)
S u s a n na (springt auf und faßt sie an): Das
Fenster auf! . . . das Fenster . . .
K1 e m e n t i a (hebt ihr das große Kreuz des
Rosenkranzes entgegen)
S u s a n n a (taumelt, das Kreuz anstarrend,
Schritt für Schritt zurück bis zum Altar): . . . ich
. . . ich sehe den . . . leuchtenden Leib . . .!
. . . ich seh . . . ihn herniedersteigen . . . ich . . .
fühle die Arme breiten . . .
Klementia (hält das Kreuz hoch): ...
Keuschheit . . . Armut . . . Gehorsam . . . (jedes
Wort haüt klar aus den Wölbungen wieder, zu-
letzt aüe drei ineinander verschwimmend und ver-
haüend)
S u s a n n a (schreit auf und starrt umher) wer
spricht da?! . . .
Klem entia: Ich!
Susanna: Ich ... ich ... ich . . . sprach
d a s nieü ...
Klementia (hält ihr das Kreuz entgegen).
Susanna (reißt das Lendentuch von dem
großen Kruzifix in einem Riß herunten) so helfe
mir mei n Heiland gegen den euren . . .! (sie
sinkt in die Knie uhd schaut zu ihm auf)
(Die Spinne fäüt hinter dem Kreuzesarm her-
unter ihr in das Haar)
S u s a n n a (schreit geüend auf und schlägt mit
der Stirn auf den Altar)
D i e S p i n n e (kriecht iiber den Altar und ver-
schwindct dahinter)
(Die Horenglocke läutet greü durch die Ge-
wölbe, dazwischen schaüt dumpf der Glocken-
schlag der zwöüten Stunde)
S u s a n na (stört auf, fährt mit den Händen
wild und wirr durchs Haar und kriecht auf aüen
Vieren die Stufen des Altars heruiiter iu Entsetzen
vor sich setber fliehend)
Mit dem letzten Stundenscldag verstummt die
Horenglocke.)
KI e m e n t i a (läßt das Kreuz sinken) Ave
Maria! . . . ein neuer Tag! . . .
S u s a n n a (hockt stieren Bticks auf der un-
tersten Altarstufe)
Leise Schritte schlürfen und Gebete murmeln
Der Zug der Nonnen (tritt ein)
Vorbeterin: kyrie eleyson . . .
Chor: kyrie eleyson . . .
Vorbeterin: regina coeli sancta . . .
C h o r: ora pro nobis . . .
V o r b e t e l* i n: virgo virginum sancta...
C h o r: ora pro nobis ...
(Das Mondlicht, das bisher in heüen Streifen
durch die Fenster fiel und bläuiiche Lichter auf die
Betstüh!e warf, veriischt; es wird ganz dunkel.
Die Nonnen kommen vor bis zum Weihwasser-
becken, stocken, als sie auf Klementia stoßen, die
unbeweglich im Mittelgang zwischen den Pfeilern
steht und auf Susanna schaut. Das Gebet ver-
stummt; die Nonnen sammeln sich in stummer Be-
wegung in weitem Halbkreis um Susanna; endlich
stehen aüe stiü unbeweglich in stummer Scheu)
Alte Nonne (tritt lautlos einen Schritt vor):
. . Sancta . . . Susanna! . . .
S u s a n n a (stört pfeilgerade in die Höhe).
Alte Nonne (senkt das Haupt): Sancta Su-
sanna . . .!
S u s a n n a: Hinter dem Hofe liegen Steine . . .
Alte Nonne (schaut auf)
S u s a n n a (fest): Ihr sollt mir die Mauer
richten! . . .
Alte Nonne (sinkt langsam die Arme brei-
tend in die Knie)
C h o r (folgt ihr)
KI e m e n t i a (steht starr auf Susanna
schauend).
Susanna (plötzlich stark) Nein! . . .
Alte Nonne (springt auf)
C h o r (folgt ihr)
Alte Nonne (hebt das Kreuz ihres Rosen-
kranzes über ihr Haupt)
C h o r (folgt ihr)
Alte Nonne: Beichte! . . .
Susanna: . . . . . .
KI e m e n t i a (hebt das Kreuz)
Klementia und Alte Nonne (hart dring-
lich): Beichteü!
Susanna: Neinü! . . .
Klementia, alte Nonne und Chor (gel-
Iend): Beichteü!
(Das Wort haüt aus den Gewölben dreimal wie-
der, die Kirchenfenster zittern, der Sturm heult
draußen auf)
Susanna: Neinü! (Das Echo des Wortes
wird von dem vorigen verschlungen)
Alte Nonne (in Ekstase): Satanaü!
Alte Nonne und Klementia: Satanaü!
Alte Nonne, Klementia und Chor:
Satanaü! . . . (Qeüendes, verworrenees Echo.)
S u s a n n a (hoch aufgerichtet, in unberührter
Hoheit)
(Aüe stehen stiü und unbeweglich)
En de
Der Weg
durch die Nacht
Roman
Aage von Kohl
Fortsetzung
Ach ja, daran war ja nicht zu zweifeln,
für ihn selbst! oder wie wäre es überhaupt
anders möglich gewesen, als daß für ihn das
ganze ging wie ein Blitz —: wenn man eine wahn-
sinnig Geliebte Tag und Nacht an seiner Seite
hatte! die Fahne dieses goldeneti Haares, die mit
ihrem frohen Triumph über Regen, über Wind,
über Kälte und Sonnenschein, über Sommer und
Winter dahinwehte! diese Mittelmeeraugen, mäch-
tig, blau, die schimmernd wie der Himmel Gottes
selber hier in der Stube dastanden — und mor-
gens und mittags, abends und um Mitternacht sei-
nem Herzen zulächelten! dieses lachend tiefe und
üppige Wesen, mit der samtzarten Heimstätte der
weißen Schultern, mit den feinen, den langen und
schlanken Beinen, die nie ermüdeten und deren
Haut ein Wunderwerk an Siiße und Glätte aus der
Hand der Natur war — dieser reiche Busen, wo
'es so unsagbar gut sein war, wo die roten Rosen
das ganze Jahr hindurch blühten! dieser lichte und
tiefe Sinn aus Güte und Zärtlichkeit, der niemals
fehlgriff und niemals zauderte, der mühe!os er-
füüt war von Weisheit, und mühelos nach aüen
Seiten ausstrahlte! Mein Gott —: ob es ging??
Versuche doch einmal, einem Menschen die Herr-
lichkeit der ganzen Welt zu schenken, gib ihm
unaufhörlich, Tag und Nacht, was das Dasein aües
in aiiem seinem Liebling zuteil werden lassen
kann —: mache ihn gesund, stark und froh, gib
seinen Sinnen die Kraft eines flammenden Zusam-
menlebens, um auch aüe die andern und ihr Ver-
langen jedes für sich, leicht begreifen zu können;
gib seinem Herzen die Wonne der Seligkeit, des
Schaffens und ihren Reichtum, um verschenken
zu können, und gib endlich seinen Plänen den
Sturmwind des Glücks unter die Flügel ... und
frage ihn dann, ob er jetzt meint, daß es „gehen
kann"?!
Jawohl!
Aber nun sie?!
Wie konnte sie es aushalten, dies hier — wo
ihr aü diese tausenderlei kostspieligen Kleinig-
keiten fehlten, die eine Frau sich wünscht — und
ohne die, wie man uns wieder und wieder beteu-
ert hat, eine Frau nicht Ieben kann?
Oder wurde ihre Würde als eines modernen
Menschen denn gar nicht verletzt, empörte sie sich
nicht als selbstdenkendes und selbstwoüendes In-
dividuum darüber — daß sie, die Auserkorene und
die Gattin eines Dichters, sich doch jeden Tag
mit Kochtopf und Pfanne, mit Staubtuch, Besen
und Nadel abgeben mußte?
Offen gestanden —: wie schleppte sie sich bloß
so durch das Dasein — mit diesem Scheusal von
einem Mann, der beständig wie ein Esel an dem
festhielt, was er seine Grundsätze zu nennen be-
liebte! der ganze lange Jahre hindurch, trotz aüem
angespannten Fleiß, geradeaus gesagt, nicht ein-
mal so viel verdiente, wie ein ganz gewöhnlicher
Arbeitsmann! der jeden Tag in größeren und
immer größeren Ideen entbrannte, der sich jeden
Vormittag im Bett herumtrieb, unter dem Vor-
wand, des Nachts vor Gedanken nicht geschlafen
'zu haben; der den ganzen Tag hindurch schrieb
oder las, ihre Hilfe zum Korrekturlesen fast Abend
für Abend in Anspruch nahm, und sie endlich bis
zur Morgenstunde wachhielt, wenn der Rededrang
28