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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 2 (Zweites Aprilheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [8]: Roman
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Leppin, Paul: Das Gespenst der Judenstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0017

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werden, bis an die Stätte zu getangen, wo sie
tebte! bis an diese schwindeinde Sphäre, in der
die VoHkommenen wandehen, bis an jenen Son-
nensitz, zu dem nur die geiangen können — in
deren Herzen ,das AHergrößte mit einem unaus-
iöschHchen, mit einem ungeheuren Feuer brennt!

Fortsetzung fotgt

Das Gespensi der
Judenstadi

Pau) Leppin

tn der Mitte von Prag, wo sich jetzt hohe und
hdtige Zinshäuser zu breiten Straßen aneinander-
schHeSen, stand noch vor zehn Jahren das Juden-
viertei. Ein schiefes und düsteres Gewinkei, aüs
dem kein Wetter den Geruch nach Moder und
feuchtem Gemäuer wegzubiasen vermochte und
wo im Sommer den geöffneten Tiiren ein giftiger
Atem entströmte. Der Schmutz und die Armut
stanken hier um die Wette und aus den Augen der
Kinder, die hier aufwuchsen, biinzeite eine stumpfe
und grausame Verderbtheit. Der Weg ging da
manchma! in niedrigen und gewöibten Viadukten
dnrch den Bauch eines Hauses hindurch oder er
krümmte sich piötzlich zur Seite und fand vor einer
bhoden Mauer jähiings ein Ende. Die Händier, die
ihre Trödierware vor den Qeschäften auf dem un-
ebeaen Steiupfiaster aufstapeiten, riefen mit üsti-
gen Qesichtern die Vorübergehenden an. In den
Haostoren iehnten die Frauenzimmer mit ge-
schnwnkten Lippen, iachten gemein, zischeiten den
Mänaern in die Ohren und hoben die Röcke, um
ihre gelben und zeisiggrünen Stümpfe zu zeigen.
Greise Kuppierinnen mit weißen Haarsträhnen und
iockeren Kiefern grüßten aus den Fenstern, kiopf-
ten, winkten, gurgelten vor Eifer und Befriedigung,
wetaa einer ins Netz ging und näher kam.

Hier wär die Unzucht zuhause und lockte am
Abend mit roten Laternen zum Besuch. Es gab
da Gassen, wo ein jedes Haus eiue Schandherberge
war, Spelunken, wo das Laster mit dem Hunger in
eineta Bette schiief, wo schwindsüchtige Weiber
mit verwclktcn Reizen eine kümmerliche Industrie
betrieben, geheime Verließe, wo das Verbrechen
ilüsternd und augenzwinkernd schuipflichtige Mäd-
chew schändete und ihre hilfios verwunderte Un-
schcid für schauerlichen Lohn verschacherte. Es
gab vornehme und luxuriös möblierte Kneipen, wo
der Fu8 auf Teppiche trat und wo die satten und
üpptgen Dirnen in seidenen Schleppkleidern stol-
ziertew.

Uaweit der Synagoge neben den verwahrlosten
Hüttea des Zigeunergäßchens befand sich in einem
zweistöckigen Gebäude der Salon Aaron. In der
dürfbgen Umgebung machte das Haus beiuahe
etHew wohlgepflegten Eindruck, trotzdem der Mör-.
telbewurf der Mauer zum Teiie losgebröckelt war
und der Staub und der Rcgcn auf die Scheiben
der vermummten Fenster bunte Streifeu malte. Bei
Tag war es hier stiü; nur selten schlich ein Gast
über die ausgetretenen Stufen in den dunklen Haus-
flur und kam mit aufgeschlagenem Rockkragen
hastig und verlegen nach einer Stunde wieder ans
Lichf. Aber in der Nacht stieg hier aus verborge-
nea Brunnen ein Iautes, helies und zitterndes Leben
auf. Die Fenster glühten und das Gelächter flat-
terte drinnen wie ein gefangener Vogel im Käfig.

Auch das Lachen Johännas war mit dabei. Das
war ein heißes, schmiegsames und brünstiges Gur-
rea, das man deutlich neben den Stimmen der an-
dern unterscheiden konnte und das manchmal
sdkm in der Schweigsamkeit des Vormittags zu
kSngen begann wie eine frohe und verliebte
Lerche. Johanna war fröhlich, weil die Männer zu
ihr gingen. Sie war begehrter als ihre Gefährtin-

nen, weil sie einem jeden von der bangen, quäie-
rischen und unruhevollen Süßigkeit gab, die sie
erfüilte und die in den trägen Leibern der andern
nicht wohnte. Sie war oft seibst verwundert da-
rüber. Das Gewerbe, das den Frauen, mit denen
sie beisammen war, als eine iangweiiige und ver-
drießliche Pfiicht erschien, brachte eine verzückte
und unentrinnbare Liebessehnsucht über sie, einen
Stachel, den sie in ihrem Fieische sptirte und der
in ihren Augen einen mädchenhaften Schimmer
entziindete. Mit Lippen, die vom Küssen wund
und zersprungen waren, trank sie sich an dem
Munde der Männer fest, immer wieder von der
bräutiichen Woüust durchfiutet, die ihre erste Un?-
armung begieitet hatte. In den Pausen, die ihr
das Sündenhandwerk iieß und die ihr unerträglich
iang und einsam dünkten, lauschte sie auf die
Schritte der Passanten draußen vor dem Haus uud
wenn die Türglocke ging, flog eine Fiamme tiber
ihr Gesicht und sie seufzte. Es gab oft Tage, an
denen sie die Liebe bis zur Uebersättigung genoß:
aber wenn sie dann mit dumpfem Kopfe und
schmerzenden Giiedern im Bette lag, ging ihre Er-
innerung von einem zum andern, kostete und
schweigte und sie iächeite in die Dunkeiheit.
Manchmai, besonders im Sommer, wenn sie in den
ietzten Stunden vor dem Morgen endlich ihr Lager
aufsuchte, steigerte sich ihre Unruhe bis zur Pein.
Dann kam sie im Hemd zum offenen Fenster und
sah in das Ghetto hinunter. Sie streckte die nack-
ten Arme hinaus und fühite den warmeu Regen wie
Blutstropfen auf ihrer Haut. Das war ihre Heimat
da unten. Die Stadt, in der die verschlafeuen
Lichter der Freudenhäuser blinkerten, wo in den
verrufenen Qassen kiobige Schatten kauerten und
in der Ferne noch eine winseinde Geige oder das
harte Qekiimper der Spielkästen zur Lustbarkeit
!ud. Eine schwärmerische Meiancholie badete ihr
Antiitz in Tränen. Der Nachtwind griff zärtlich
nach ihren Brüsten, sie iegte den Kopf in den
Nacken und ihre Lippen verzogen sich zum Kuß.

Am Abend, wenn der Saion festiich erieuchtet
war, wenn die Weingiäser auf den Marmortischen
klirrten, tanzte sie zur Musik. Die Sinnlichkeit,
unter der sie litt, machte ihre Giieder weich und
lässig und trieb sie mit fiiegenden Röcken in eine
verlangende Wildheit hinein, die ihr starres Ge-
sicht wundersam verschönte, die aufreizender und
werbender wirkte, als die Künste der andern. Sie
tanzte allein oder mit den Gästen. Ihr schlanker
Körper bog sich unter den Händen der Tänzer,
schmiegte und drängte sich, zitterte und fror; und
wenn einer mit der blonden Johanna getanzt hatte,
dann ging er auch gewiß mit ihr in ihre Kammer.
Ihr Mund war gierig und fieberisch. Je mehr Män-
ner den Weg zu ihr fanden, desto ungebärdiger
fiel ihre Liebe sie an; ihre Lust erschütterte und
betäubte; ihre Inbrunst war willfährig und ent-
fachte sich zur Glückseiigkeit.

Danu kam der Tag, wo ihren Körper zur Buße
die Krankheit nötigte. Aus den morschen Mau-
ern der Judenstadt, aus den unzüchtigen Gassen
kam sie herauf und vergiftete ihre Küsse. Sie ver-
brannte ihr Blut und machte ihre Adern trocken
und rissig; sie erwürgte das Gelächter und das
verliebte Stammeln in ihrem Halse; sie be-
schmutzte ihren Leib mit roten Fiecken mnd
schieifte sie durch den Schimpf der unflätigen
Huren hindurch in die schlotternde Angst des La-
zarets. Hier lag sie in dem heißen Bette und von
der Zimmerdecke fielen die Gedanken wie schwere
Tropfen auf ihre Stirn. Sie dachte an die Frauen,
die jetzt im Salon Aaron saßen und den gelben
Wein aus dünnen Gläsern tranken. Sie dachte an
die Musik und an das scharlachfarbene Hemd, das
sie beim Tauze getragen hatte. Sie beugte die
Arme und warf den Kopf in die Kissen zurück;
aber es war niemand da, der sie küßte. Eine

schmachtende Traurigkeit weckte das Schiuchzen
in ihrer Kehle auf und ließ sie verzweifeln.

Heuchlerisch und zögernd, in einem feigen und
boshaften Tempo vergingen die Wochen. Uner-
wartet heftig war die Krankheit Johannas zum
Ausbruche gekommen. Das Qegengift, mit dem
sie die Aerzte quäiten, war machtios gegen sie. Sie
nistete in den Geweben, sie fiackerte unter ihrer
Haut, sie kratzte in den Winkein und Gruben ihres
Fieisches eitrige Wunden auf und wollte nicht
weichen. Sie machte ihre Gedanken lahm und
verunreinigte ihren Schlaf mit geiien Träumen,
aus denen sie stöhnend in die Höhe fuhr und mit
Haß und Grauen die Wirklichkeit erkannte. Jo-
hanna entbehrte die Männer. Ihr nervöser Leib
bäumte sich unter der Folter der Entsagung. Jeder
Tag, den sie glühend verbrachte, jcde Stunde ver-
mehrte ihre Not. Bis sie es nicht mehr ertrageh
konnte. In der Nacht entwich sie aus dem Krau-
kenhause. Durch das Fenster sprang sie in den
Garten und stieg bioßfüßig, nur mit dcm Mantel
über dem Hemd, über die Mauer auf die Gasse.

Brennend, in einer überirdischen und schwülen
Erwartung iief sie durch die Stadt. Die aufge-
lösten Haare flatterten um ihr Gesicht und ihre
Augen glänzten. Ein helier und wunderbarcr Ge-
danke trieb sie weiter nnd erfiiiite sie mit Giück.
Sie woüte zn den Männern! ihre Füße fiogen über
die Steine und ihre Muskein spannten sich. Die
Schatten verspäteter Nachtschwärmer schwankten
über den Weg und das greüe Licht plötziicher La-
ternen erschreckte sie; eine köstiiche und schwere,
verführerische Süßigkeit machte sie betrunken. Die
Türme der Theinkirche tauchten vor ihr anf und
standen bleich zwischen den Sternen. Da war sle
ja schon am ZieÜ Da war schon die Gasse, wo die
Musik hinter verhängte Türen lärmte und wo das
Lachen der Frauen mit den Flügeln an die rotem
Fensterscheiben schlug-

Sie biieb stehn und sah gebiendet in den Momk
der schieiend am Himmei kiebte und geborstene
Baiken und Qeröü beschien. Der Saion Aaron war
verschwunden. Die Hacke und der Spaten hattem
Stück um Stück von dem aiten Hause abgegrabeu
und neben der Synagoge iagerten die Steine. Eine
einzige Mauer stand noch mit zackigem Kamme
aufrecht zwischen den Trümmern und Johanna
erkannte die Wand ihres Zimmers. ihre Augen
gingen entsetzt und geiähmt weiter in die Gasse.
Die bunten Lichter der Freudenhäuscr waren ver-
iöscht und der Staub stieg wie ein Rauch aus den
zerbrochenen Dächern. Ueberaü krochen Ruinen
aus der Nacht. Während sie im Krankenhause in
dem feuchten Bette mit der Seuche kämpfte, hatte
man ihre Heimat zerstört —

Ein Schrei iöste sich aus ihrer Kehie und zit-
terte gräßiich durch das vereinsamte Viertei. Ihre
Haare flossen über ihren Mantei und die Nacht-
iuft öffnete ihn und tastete iüstern unter das Hemd.„
Ein Trupp bezechter Soidaten kam vortiber. Halt-
los verwirrte Liebesworte ächzend, fiel sie vor
ihnen in die Knie. Und zwischen den Trümmern
des eingerissenen Bordeüs gab sie sich den Män-
nern hin, die yder Zufaü auf ihre Fährte geführt
hatte. Sie gab sich einem nach dem andern, und
ihr armer, von der Krankheit verwüsteter Leib
wurde nicht müde und grub sich zuckend im Lie-
bestaumei immer tiefer in den Schutt . . .

Von einem Sommer zum andern wurde das
Ghetto niedergerissen. Neue Häuser erdrück-
ten die finstern und ungesunden Schlupfwinkel,
wo das Eiend und das Laster jahrhunderte-
lang gespenstert hatten. Die Unzucht flüch-
tete mit hohen Stöckelschuhen klappernd bis
ap den äußersten Rand der Vorstädte. Auf
den aiten Piätzen wuchs eine Stadt für die
Peichen und Vornehmen empor. Aber noch
niemais war in Prag die Lustseuche so
 
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