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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 12 (Zweites Septemberheft 1914)
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Döblin, Alfred: Von der himmlischen Gnade
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Marik, Marijan: Totengebete
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0088

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scherten die Vögei; ein Junge ktatschte mit seiner
Peitsche: „Sie, mein Triese], nich rufftreten."

Der Stieglitz sang:

„Des Menschen Qemüt hoch aufgebhiht soH sich
nun auch ergötzen zu dieser Zeit, mit Lust und
Freud sich an dem Maien: ietzen. Und bitten Qott
gar eben, er woHe weiter Gnade geben."

Totengebete

Gott spieit tiber meinern Haupte sein trauriges

trauriges Lied . . .

So vieie kleine Tränen riesein
Ueber mein wehes Herz . . .

Die große Trauer schrcitet iibcr meine Weit
Ein kieiner weitere Stern ist gefaiien . . .

Ueber verwüstete Wiesen irrt meine Seeie
An großen zerrissenen Woiken hängen meine

Augen

*

Und Gott

Spieit sein trauriges Lied über meinem Haupte ...

Geiiebte Du!

Heiiige Du!

Langsam iautios schieicht die tückische Nacht in

mein Herz

Die Nacht Deines Sterbens . .

Langsam iautios schieicht die kaite furchtbare
Die ali meine Sterne gestohien hat
Die ail meine Seufzer geatmet hat . . .

Ihre grausamen knöchernen Hände haben meine

Seele zerzaust

Ihr eisiger Atem hat sie vergiftet —

Die schleichende tötende Nacht Deines Sterbens —
Geliebte!

Warum mußte ich Deine Seeie töten?

Warum mußte Dein ewiges Licht

Vor meinem verzweifeiten Wahnsinn sterben —

Heiiige Du!?

Geiiebte!

Ich träume das Lied unsrer Liebe:

Ein Stern bist Du mir der über meinem Haupte

schwebt

Und des Nachts in meine Augen niedersteigt . .
Ein süßer Duft der meine Seeie umzittert
Miide Liebesworte die auf meinem Munde ruhen..
Matte fiebernde Birken fiüstern mein Afärcken
Traumschwere Nebei weinen stiii über meinem

Weh

Der Mond sucht die Tränen meiner heiiigsten

Sehnsucht

Und ich träume das Lied unsrere Liebe
Das Lied meines Leides . . .

*

Aus dem Land meiner heiiigsten Träume bist Du

gekommen

Mein schönster Gott pfiückte Biumen für Dich
Meine reinsten Gebete umspieiten Dein Haupt...
Aus dem Laud meiner herriichsten Märchen bis

Du gekommen

Afeine kostbarsten V/orte waren Deiner Stirne

Schmuck

Meine geheimste Sehnsucht war Deiner Augen

Gianz

Mein Wunder Du!...

Ganz ieise bist Du in meine Einsamkeit gekommen
Meine gequäite Erwartung haben Deine Hände

iiebkost

Meinen versengten Scinnerz hat Deine Reinheit

geküßt...

Einen herriichen heiienden Biick hast Du mir

gebracht

Aus dem Land meirier heiiigsten Träume
Mein Wunder Du! . . .

Und nun —

Mein totes Glück Du!

Ein großes schmerzeudes Sterben schreitet über

das Aii

Da Deine Sceie star-b

Und aiie Himmei und aiie Sounen sind tot
Und aile Frühiinge und aiie Schömheit . . .

Ein unendiich trauriges Weinen spinnt sich von

Stern zu Stern

Ein unsägiiches Schiuchzeii zittert tiber dem Meer
Da Deine Seeie starb . . .

O!

Gottes unendiich giitiges Aug ist erioschen
Und der ewige Jammer der Weiten kauert im

furchtbaren Dunkei

Ueber trotzige Wäider rast das maßiose Weh

Der ewige Schmerz der Erde biutet

Ueber dem zerfetzten Himmei

Ströme von Biut und Eieend wäizen sich über die

Erde

In das heiiige ewige Meer . .

Und meine gejagte verzweifeite Seeie
Weint über dem heiiigen ewigen Meer
Ueber dem befieckten Meer ....

Meine Seeie von Stiirmen gepeitscht betäubt vom

Jammer der Erde
Meine Seeie ziternd vor dem furchbaren iauernden

Dunkei . . .

Oh das stöhnende giftige Dunkei über der Welt!

Warum mußte Dein ewiges Licht

Vor meinem verzweifelteu Wahnsinn sterben —

Heiiige Du!?

* *

*

Du — meine erste Träne!

Du — mein erstes Wort!

In der opainen gottdurchglühten
Morgenröte des Werdens warst Du in meiner

Seeie

Mit dem ersten Lichte wurdest Du mir geschenkt
In der ersten Biume sangst Du mit mir zu der

Sonne

In dem Erwachen des arsten Frühiiugs
Hast du mit mir

Den keusciien pausch der Lust getanzt
Und äiies Werden und aiies Sterben
Warst Du und Ich . . .

Der glühende Morgen — der KuS
Unsern Erwachens

Der iustreich erschianende Abend — die Ruh

Unsrer iierrlichen Müdigkeit

Und die tausend singenden Farben —

Die Pracht unsrer Träume

Die ich von Dir und Du von mir träumtest —

Die Schönheit unserer Lieder
Da wir vor Gott spieiten . . .

*

Und in den schlanken Bäumen
Zitterte unsere Sehnsucht

In dem berauschenden Glanze über dem Himmel

Schwingend unsere heitige Liebe

In der göttiicheu iefe der Nacht

Lag unser stotzes Erkennen

Und aiies Wierden und aiies Sterben

Warst Du und Ich! . . .

Das Röchcin der sterbenden lichten Tage gleitet
Ueber mein müdes Hanpt . . .

Oh — und mein Schmerz um Dich! . .

Ein müder gequäiter Gedanke irrt und irrt
So weltenweit von Dir weg schiuchzend und

üiehend

Und wieder zuriick zu Dir
Verbiuteud und suchend
Erlösuug vor Dir . . .

Und Du — iiberali <um mich
Und Du — immer um mich
Urid Du — immer in mir . .

Und in de-r Tiefe meiner Seeie
Ein schmerzendes Feuer:

Die heriiichen Fiammen Deiner Bticke und die

Lust Deiner Kiisse . .

*

Du mein süßes Geheimnis
Du. Atem meines Biutes
Du Ahnung meiner Seele . . .

Iii dem stolzen Schweigen herrlicher Wälder

Hab ich Dein Nahen geahnt

Und in dem zagenden Fiiistern das in den Nächten

fiimmert

Und in dem zarten sehnsuchtsvoiien Lichte
Das iiber die Berge zieht —

Immer hat Dich so unsäglich süß und traurig
Meine Seele geahut . . .

O nr.'d das martennde marternde Warten der

bleichen Stunden!...

Und dann:

Ganz leise bist Du in meine Einsamkeit

gekommen..

Meine müde Einsamkeit

Hat prachtvoüe Afärchen für Deine Seeie ersonnen
Meine wartende Seeie

Hat alie Schönheit der Wäider und AAeere iür

Deine Seele gesammelt...

Und:

V/underbare Liebesworte aus den Augen toter

Mädchen

Aite iierriiche Gebetc aus den Haiien toter

Tempei...

AUe Schönheit des Himmeis und der Erde
Geheimnisse kostbar und weitentief
Taiismane des kühnsten Bösen
Verziicktester Märtyrer Biutmaie
Düfte gottäiiniicher pausche
Dic stähierne Pracht satanischen l'rotzes
AHes iegt ich zu Deiuen Füßen . . .

Aus den: stoizesteii' Biumen meines Gehirnes
Wob ich Dir einen herriichen Teppich
Neue berauschende Rhythmen hab ich für Dich

geboren

Neue berückende Biider hab ich für Dich erzeugt
Und aiies was ich hatte gab ich Dir zu eigen
Mein Schicksai Du! —

*

Und jetzt —

Müde kauert meiue abgehetzte Seeie
Und erschauert

Vor den huschenden höhnenden Schatten der

Nacht

Vor den harten geiienden Schreien der Weiten..
Warum mußte ich Deine Seeie töten?

Dein'e Seete die meiu Schicksai w.ar?

*

So zart hat Deine iiebende Seeie mein bebendes

Weh umfangen

Im Rausch der Erlösung hat meine Seeie gejauchzt
Zu den geheimsten Wunden drang Dein heHendes

Sehen...

Und neue herrliche Welten wurden in unsrer hei-
ligen übermenschiichen Liebe geboren —

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