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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 8 (Zweites Juliheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [14]: Roman
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Brand, Karl: Bergwanderung
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Langer, František: Die Uhr: Schattenspiel im Zimmer der verstorbenen Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0066

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Einen Augenbiick hebt er die linke Hand, jäh
von Woilust bei dem Qedanken, den Schiüssel
mausestiil umzudrehen, riesenstark mit einem
Tigersprung da draußen zu sein, diese unbekannten
Wesen zur Erde zu schiagen, die es wagen, in sein
Haus einzudringen! seine Kjnie eisenhart auf ihre
Brust zu stemmen, bis sie kracht, ihre Köpte mit
einem einzigen Totschiägerschiag seiner Knochen
tiachzuschmettern, das konnte sie vieiieicht ieh-
ren, Annie in Erieden zu iassen! . . .

Und da vermag er sich nicht mehr zu beherr-
schen. Ohne es zu woiien, hat er schon den Arm
ausgestreckt. Er greift mit gekrümmten Fingern
nach dem Schioß. Aber noch in derseiben Se-
kunde, wo das kaite Eisen des Schiüsseis seiner
Haut begegnet, reißt er keuchend die Hand zu-
riick —: nein, es würde doch unkiug sein! Er
kennt sie, das Paok, er weiß aufs Haar, jedesmai,
wenn man einen einzigen von diesen Burschen
wegjagt, dann kommen statt seiner nur zwanzig
neue!

Nein!

Qanz verkehrt!

Er mußt etwas ganz anderes ersinnen!

Er mußt weit schlauere und hinterlistigere
Mittel erfinden, um Sie gegen ihre Gewalt und
Vergewaltigung zu schützen! . . .

Im selben Moment erinnert er sich in allen sei-
'nen Muskeln, daß er neulich — als Annie irgend
etwas aus dem Schlafstubenfenster hatte fallen
lassen, während er da unten im Qarten stand —
von da unten auf das Dach der Veranda hinauf-
geklettert war, und ihr diese Nadel oder Brosche,
oder was es sein mochte, hinaufgereicht hatte.

Fortsetzung folgt

Bergwanderung

Wolken krachen ins Qebälk der Berge,

Schleim der Schlangendrüsen

tropft mir in die Augen

und hier oben such ich Qottes Weg.

Qrüne Steine bröckeln rieselnd
unter meinen Riesentritten
Schattengeschraubt,

daß das Blut mir im Qelenk verspritzt,
die Augen werden tief wie Meere
unter mir.

Sausend fliegen Himmelsfetzen
windgerissen mir ins Antlitz;
und vertrocknet meine heißen Lippen
Kriech ich

hin auf Qottespfaden.

Karl Brand

Die Uhr

Schattenspiel im Zimmer der verstorbenen Frau

Frantisek Langer

Der Mann:

Wie dieser Paum ihre Existenz in sich fort-
setzt! Vielleicht sind an den Qegenständen, die
sie berührt hat, für immer die Spuren ihrer Be-

gegnung mit ihnen haften geblieben. Für mich, der
ich in mir sie, nur sie trage, ist jeder Gegenstand
besätes Erdreich, aus dem auf geahnte Berührun-
gen hin ihr ganzes Wesen, Qlied um Qlied aufer-
steht. Die Lampe, die sie auf den Tisch stellte,
ist nur der Qegenstand, auf den sich ihre beiden
Hände legten und die Hände gehn über in die
Arme, die den Aermeln entsteigen und die Arme
erheben sich vor der langsam über den Teppich
schreitenden Qestalt. Auch der Spiegel ist nur
eine tote Platte, die mir aber im Erinnern ihre Be-
wegungen beim Kämmen der Haare, die Schön-
heit ihrer Schultern und ihres Nackens wiedergibt.
Ebenso das Bett, in dem sie schlief, die Stühle, wo
sie zu sitzen pflegte, die Schränke, an deren halb-
geöffneten Ttiren sie ihre Kleider wählte, alles ist
voll von ihr, überall und bei allem weilt ihre Qe-
stalt. Und so sehe ich sie unzähligemal verviel-
facht gleichzeitig an, verschiedenen Stellen stehn
und sitzen, ich wundere mich bereits, daß zwi-
schen ihren gedrängten Wesen im Paume des
Zimmers Lücken bleiben, durch die ich die körper-
liche Qegenwart des Tisches, der Lampe darauf,
der Uhr, des Bettes, des Kinderwagens, der
Schränke erblicken kann.

Warum konnte nicht ich an ihrer statt schwan-
ger sein und selber die Last des wachsenden Kin-
des tragen, nur daß ihr Körper schlank, fein und
fröhlich und ihre Wangen frisch bliebent—warum?
Ich bin ein Mann! Warum war mir nicht gegeben,
allen ihren Schmerz zu erdulden, an ihrer statt zu
gebären, nach dem Tode zu rufen, zu sterben, mir,
der ich ein Mann bin!

Der Kinderwagen

Nicht wahr, ich bin brav, weil ich hiergeblie-
ben bin? (Ich bin gewohnt zu schmeicheln, weil
in mir dein Kind schläft.) Aber warum habt ihr
mich heute zuhause gelassen und warum durfte
die Amme das Kind auf den Händen in den Park
hinaus tragen? Sie ist fremd und ich bin dein.
Unter wie vielen Wagen — erinnere dich an ihre
gedrängten Reihen, wie sie warteten, bis jemand
sie erwähle, und an deine Verlegenheit, als du
zwischen ihnen hindurchschrittst, — mit welchen
Qefühlen, mit welcher FüIIe von Stolz und Zärt-
lichkeit hast du mich in dem Qeschäfte ausge-
wählt!

Der Mana

(geht zum Fenster)

Heute ginge sie sicher hinaus und ließe sich
mit dem Knäblein auf irgendeiner Bank nieder.
Dort oben, wohin die Sonne scheint und von wo
man in unsere Fenster sehn kann. Wir wären
ständig verbunden durch die Möglichkeit einan-
der zu erblicken, wenn ich an das Fenster trete.
Wir würdcn uns durch ein angenehmes Band ge-
fesselt fühlen, iiber das unsre Qedanken dem
Blicke folgen können. Aber jetzt, wenn ich um
mich schaue, ist mein Blick unbeendet, als ob von
mir ins Leere Bänder hingen, schlapp ungespannt.

(Er wendet sich ins Zimmer zurück)

Nur hier in diesem Zimmer finden die Bänder
Berührungspunkte, meine Blicke und meine Qe-
danken reiben sich an den Dingen, die mich über-
zeugen, daß sie gelebt hat. Sie flattern än ihnen,
vom Andrang der Trauer bewegt. Meine Trauer
ist wie ein Hauch, wie der Wind, der die schwar-
zen und traurigen Flaggen und Fransen bewegt,
die an einem Sterbetage aus den Fenstern und
Dachluken heraushängen. Sie wölben sich und
rauschcn, wenn sie an wirkliche Dinge rühren.
AHes was ich denke, fühle, erlebe, zittert, flattert
und wogt wie eine Fahne in bebender Hand: AHes
zittert von Erinnerungen, von denen ich nicht

mehr zu glauben wage, daß sie der Ausklang ver-
gangener Wirklichkeit sind. AHes wogt von Hoff-
nungen und Vertröstungen auf die Zukunft, von
denen ich plötzlich und schmerzlich das Bewußt-
sein habe, daß sie niemals, niemals sich erfüllen
werden.

Die Uhr

(Ihre Zeiger weisen beständig auf drei Uhr)

Ich stehe, ich bin im Lauf, im Qang, im Phyth-
mus s:cbn geblieben, so wie du stehst. Meine
Hände zeigen stets auf die gleiche Stunde und
doch weiß icii, daß die Zeit ohne Unterlaß in ge-
rader Linie der Ewigkeit sich nähert. Meine Auf-
gabe ist, mein Leben lang mit ihr zu gehn. Aber
du hast mich r.us meiner Notwendigkeit gerissen,
Wie ic!i durch die Reglosigkeit leide! Warum hast
du mich vergessen?

Der Mann

Ich habe sie zuletzt aufgezogen, als sie noch
lebte, und dann iieß ich sie zu Ende gehen. Sie ist
noch beim Klang ihrer Pendel gestorben. Jetzt
sagt sie mir nichts, der Ablauf der Zeit hat für
mich keinen Sinn. Die Zeit ist mir gleichgültig,
mag sie gehen, schwinden, stillstehn, ewig dauern
— jetzt bin ich nicht in ihr.

Die Uhr

Warum bist du so selbstsüchtig, Undankbarer?
Hast du vergessen, wie in vergangenen Zeiten
mein Pendel stets deine damalige Zeit in die herr-
lichste Qegenwart spaltete? Wie dicht du die
Lücken zwischen meinen Sekunden ausfülltest, als
ob du mit deinen — — — — — — —

Wie oft ließest du die Augen nicht von mir, wenn

dein Qlück sich einfinden sollte, bis ich die er-
wartete Ziffer an meinem Kreise zeigte! Und ich
zählte, zählte die winzigen, nichtigen Bruchteile
der Zeit, zermalmte damals, äußer Atem wie ein
Schüler, die kleinen Ziffern, damit sie sich
in größere verwandelten, nur damit du

ausharrtest. Vergiß auch nicht, als dein

Weib — damals noch deine Liebste — bald
fortgehn sollte, wie du auf meine Hände
blicktest, wie auf zwei feindliche Messer, die sie
von dir abschneiden sollten, bis sie die bestimmte
Stelle erreichten. Aber ich ließ äus Mitleid mit
dir die Zeit in deinem Zimmer innehalten, mein
Werk stand, und sie blieb lange bei dir, lange, bis
das Dunkel sie an die Tageszeit erinnerte. AIs
sie fortging, sprangst du zu mir und küßtest mein
Qesicht. Erinnerst du dich?

(Der Mann weiß, daß es ihm unmöglich ist, um
sich herum etwas andres als Erinnerungen zu be-
leben, und wäre dies nur eine Uhr.)

Die alte Wirtschafterin

(Tritt ein)

Wieder nicht aufgegessen? Sehn Sie sich mal an!
Im Qrabe würde sich die Qnädige umdrehn
über Ihr Aussehn: Blaß sind Sie, abgemagert.

Bin alt, (und Sie sind jung)

so alt, daß ich schon aufhörte zu trauern

übcr alles Traurige im Leben.

Ein Stündchen später sterben oder früher . . .
Doch Sie sind jung.

Und doch blieb das Kotlett auf dem Teller liegen,.
obgleich es fein gebraten war,

Das Leben hat ein Recht . . .

Zum Abendessen wird .es Tauben geben.

Mir alten Frau blieb schließlich übrig nur,
mich über Ofenplatten beugen und
Qerichte kochen und daran zu riechen,
und Jüngeren manches rüsten für das Leben,
was sie annehmen, manchmal ablehnen.

Ich geh sclion, gehe schon.

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