Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

DOI Heft:
Nummer 5 (Ertses Juniheft 1914)
DOI Artikel:
Döblin, Alfred: Der Kaplan
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0039

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Kaplan

A!h*ed Döb!in

Weich dünstete der Nebet über den Potsdamer
PJatz und schwoit vom Tiergarten her. Die Bo-
genlampen auf den hohen Kandeiabern schienen
weiß in der Luft; kieine schwarze Fahrräder tauch-
ten auf, kiingeiten und verschwanden; zögemd
schwirrten die Autos über das Asphait. Ueber dem
Spiegel des Asphaits erschienen Pferdebeine,
Röcke, von denen der Pegen troff, verzerrte Kon-
turen von iackierten Droschken, Stimmen, Tra-
ben, Kiirren, Poiien über dem Platz; in regel-
mäßigen Intervallen ein Pfiff.

Der Kaplan stieg aus der Untergrundbahn her-
auf und stand vor Stillers Schuhgeschäft. Ueber
das regenblanke Trottoir zog er, den Schirm auf-
gespannt. Viele Menschen kamen hinter ihm her,
tiberholten ihn. Eine kleine Schlanke huschte ihm
zur Seite über die Bordschwelle, in einem himbeer-
roten Mantel glitt sie über den Fahrdamm, den
Pock raffend, eine Pfütze umgehend; das schwarze
Haar wippte in einem Knoten unter der runden
Kappe. Die kleinen braunen Augen des Kaplans
vcrfolgten die Bewegungen.

Dies war die Qestalt zu einer Stimme, die er in
der Beichte gehört hatte.

Und der Qedanke bewirkte, daß er seinen
Schirm tiefer über sich zog, den schmalen Kopf auf
die fallende linke Schulter legte und ein paar Se-
kunden die Augen schloß. Ihre schlängelnden Be-
wegungen verschwammen im Nebel, das Pot
leuchtete. Das Pot Ieitete ihn. Er lächelte ohne
Widerstreben. An den erleuchteten Läden vorbei,
folgte er, an Schnittmustern, Schaufenstern mit
Fischbassius, stummen Antiquariaten, fiimmernden
Similibrillanten, Zigarettenreklame erlosch, grellte
auf. AIs sie in die Uferpromenade einbog an der
Potsdamer Brücke, war er neben ihr mit langem
drehenden Hals, vorgebeugtem Kopf. Irgendwie
dankbar sah er ihr in das volle, erhitzte Gesicht,
hob den schwarzen, feuchten Filzhut. Das Weiße
ihrer langv/imprigen Augen wurde sichtbar, der
erschrockene schwarze Blick fuhr an seinem zu-
geknöpften Gehrock herunter, sie standen an dem
Eisengitter. In französischem Accent brachte sie
heraus, daß es vielleicht ein Irrtum sei, sie kenne
Hochwürden nicht. AIs er wieder langsam nach
dem Hut griff, löste sie die Hände von der kalten
Eisenstange, wischte sich mit dem Tasekentuch
die Wasserflecke von den braunen Glaces, sagte
mit ruhigem Blick äuf seine Tuchknöpfe und dann
auf sein hingeneigtes, unverändert verbindliches
Gesicht, daß sie sich freuen würde, mit ihm zu
sprechen; sie sei fremd in Berlin.

Sie gingen unter seinem Schirm am Kanal ent-
lang; die Kastanien schnellten plötzliche Regen-
schauer herunter. Das Fräulein sah auf den Bo-
den, spazierte in Gummisckuhen, die Füßchen
spitzend, durch den Morast; ihre rote Hutschleife
ragte wie ein Horn iiber der Stirn, über der ver-
wirrten Linie ihrer Ponys. Sein magerer Ober-
körper schaukelte wie ein Pendel. Er schwieg.

Sie war die Gestalt zu einer Stimme, die er im
Beichtstuhl gehört hatte.

Vor einem Hause der Flottwellstraße tauchte sie
unter dem Schirmdach hervor: „Ich wohne drei
Treppen; Mademoiselle Alice Dufoult."

Ohne es zu merken, kehrte er die Potsdamer
Straße zuriick, gelangte auf den dunsthellen Platz.
Er hielt sich eine viertel Stunde auf vor Stillers
Schuhgeschäft, vor dem er sie zuerst gesehen
hatte; schließlich trugen ihn seine Beine vor die
SchweMe, seine Hand klinkte die Tiir auf; er kaufte
in einer Iächelnden Versunkenheit, sich nicht be-
greifend, eine Büchse Schuhkreme und überlegte
einen Moment, wem er hier ein Trinkgeld geben

solle. Und dann nach einem Hin und Her im
Pegen, unter dem der Nebel sank über den Kem-
perplatz auf die dunklen Wege des Tiergartens.
Er öffnete, als er allein auf einem großen Sand-
platz stand neben einer Holzbude, seinen ver-
schlossenen Schirm, sah in die finstere Wölbung
hinein, stellte sich dicht unter ihn, geschmiegt
unter ihn, wie eine Katze, die ihren Buckel gegen
die streichelnde Hand hebt. So blieb er in der
Lache neben der Holzbude minutenlang, länger;
es war ihm, als wenn er in einem warmen Bett
läge und schliefe. Bis ein Junge vorbeistrich,
ihn anrempelte und schreiend, als der Mensch her-
vortrat, davonli'ef quer über den Platz, purzelte,
sich aufraffte, schrie durch die träufelnden Gänge.
Pasch klappte der Kaplan den Schirm zusammen.
In einer hellen Querallee stellte er hochblickend
einen Fuß gegen das Podest eines Schmuckdenk-
mals, umging mit den Augen die Gruppe des
Pferdebändigers. Ein Passant, den Kragen hoch-
geschlagen, beobachtete befremdet von einer Bank
aus, wie der Kaplan mit dem Kopf ruckte, freudig
sich streckte, seine Glieder bewegte, mit den Fin-
gern zuckte; in den Waden des Kaplans spannte
es, seine Knie krümmten sich; eine Ungeduld, wie
plötzliche Kühnheit, überfiel ihn; er strampelte
mutig, wie das edle Poß da oben.

Seinen Posenkranz fiihlte er in der Rocktasche;
weiterschlendernd senkte er den Kopf über den
Kragen, seine Hände falteten sich über dem Leib.
Die kalten Tropfen rannen in den Nacken. Der
magere Kaplan murmelte abgeblendet seine Ge-
bete, die Stirn gerunzelt, die Lippen gespitzt.

An dem sonnigen Mainachmittag war der
Tisch in ihrem Zimmer mit einer zitronengelben
Decke belegt; blauer Flieder duftete in einer klei-
nen Glasvase; zwei Kaffeetassen standen vor einer
Schüssel mit Streusselkuchen. Alice schaukelte in
ihrem Stuhl. Kobert neben ihr erzählte Witze;
sein harinloser Schädel glänzte; wenn er lachte
und sein junges, blutrotes Gesicht ins Vibrieren
kam, stieß er prächtige Fanfarenlaute aus; sie
stopfte sich den Mund mit Kuchen. Alice hatte das
blaue, faltenreiche Kleid an, das ihr die Mutter vor
einem halben Jahr in Grenoble mitgegeben hatte:
„Wenn Du es vorsichtig trägst und nicht viel drauf
sitzst, karinst Du eine Weile damit auskommen."
AIs sie es zum zweiten Mal trug im französischen
Klub, saß Wahlen mit dem Monokel hinter ihr
und gab ihr den etwas lädierten Hornkamm wie-
der, der aus ihrem Haarknoten in den Schoß ge-
fallen war, er meinte, als sie aufstanden, ein Netz
hielte sicherer; zog aus seiner Brieftasche eins
hervor und demonstrierte es jhr mit dem Be-
merken, daß er weder Friseugehilfe sei noch solche
Instrumente fabriziere. Ein paar Wochen später zog
er ihr eigenhändig das altmodische Kostüm aus und
probierte mit ihr einen Kimono an, ein Hermelin-
jäckchen, eine Nachmittagstoilette aus altrosa
Samt.

Wie Pobert gerade die Backen prall aufblähte,
aus einem Mundwinkel schräg die Zigaretten-
asche von der gestickten weißen Weste paffte und
mit der mächtigen beringten Hand nach einer Pa-
pierserviette tastete, klopfte es und der hagere
Kaplan trat ein. Alice verschüttete die Kuchen-
krümel auf den Teppich: „Nein, das ist nicht mög-
Iich." Sie zog die Silben, blieb länger sitzen, um
Zeit zti gewinnen. Dann richtete sie sich äuf, nahm
ihm den Hut ab und erzählte freudig, als sie zu
dreien an dem Tisch saßen, gegen Pobert ge-
wendet, mit fliegender Pöte und Biässe, wie rei-
zend sich der Herr Kaplan ihrer angenommen
hätte gestern im Pegen. Der Kaplan saß zwischen
ihnen beiden auf einem niedrigen Pfliischfauteuil,
mit dem Pücken gegen die Butzenscheiben des
Fensters; Pobert machte sich lang, betrachtete von

oben die Tonsur des Gastes. Mit unsäglicher
Dankbarkeit saß der Kaplan zwischen ihnen. Die
zitronengelbe Decke betrachtete er mit den platt-
gedrückten Fransen, die Zinnkrüge auf den Kcn-
solen. Dies stimmte alles, auch daß die Gardinen
schmutzig v/aren und die Ueberhänge nicht paßten,
die BriHanten dieses glattköpfigen jungen Men-
schen, das altmodische, blaue Kleid der AJademoi-
selle mit den Spitzenmanscheiten. Er fand sich
nachdenklich und ihm kam, ohiie daß er es wußte,
warum, der Einfall: Wie sich doch alle Dinge in
der Welt erfüllen! Das Fauteuil geriet ius Poüen
auf dem bianken Parkett. AIs aber Aiice nach sei-
nem Arm griff, um ihn zurückzuziehen, zuckte der
Kapian aufgescheucht zusammeu. Er fiiisterte:
„Bitte, fassen Sie mich nicht an." Sie fragte: „Was
haben Sie?" Er wurde biasser, sagte, er wäre
so empfindiich an den Händen. „Aber docii nicht
an den Arrneii." „Etwas an den Armen aucb,
bitte!" Sie tupfte in seinen Handtelier; er
krümmte sich, der Schweiß stand auf seiner Stirn,
so daß sie sich abwandte: „Gott, sind Sie ko-
misch." „Ja, entschuidigen Sie, mein verehrtes
Fräulein, Sie auch, mein Herr, es ist vieileicht Ge-
woimheit, ich mache mich gewiß Iächeriich." Dar-
auf entstand eine Stiiie zwischen ihnen, weii der
Kaplan sich uicht wieder in die Höhe richtete, son-
dern iinmer die Parkettfugen studierte. Pobert
schnüffelte, schiittelte, immer mehr beiustigt, den
Kopf; er knipste än seinen AJanschetten: „Aber
das ist ja zum Totlacheu, Herr Kaplau, oder wie
uennt mau Sie. Da gehen Sie auf die Straßen,
wie so, na, ich will mal sagen, ein Flaneur, mid
werfeii Ihre Blicke um sich auf die Töchter des
Landes." „Ich freute mich über Mademoiseilc Du-
foult und v/ar glücklich, sie kennen zu lernen."

„Sie sind ja ein großartiger Mensch. Wirklich,
Sie gefalien mir außergewöhiiiich. AJaii soil nie-
mals sagen, daß es irgend etwas im menschlichen
Lebeii nicht gibt."

Der Kaplan Iieß einen verehrenden Blick auf
dem breitbriistigen Herrn liegen.

„Sie sind solch riistiger Mann, mein Herr. Ich
bewtmdere Sie; Sie scheinen wie aus Eisen ge-
schnitten."

„Na, ich danke. Hab gedient; bin noch halber
Soldat!" Er legte die Hände auf scine Knie:
„Menschenskind, nuii sagen Sie, was machen Sie
hier? Störe ich etwa jetzt, Sie und Dich, Alice?"
Er lachte und prustete gewaltig. Sie schwankte
zwischeu entrtisteter Haltung und Vergnügen; ihre
feine lange Nase bog und streckte sich:

„Pobert, nimm Dich doch etwas zusammen."
Sie konute nicht weiter, pilatzte heraus in ihr
Taschentuch.

„Soil ich rausgehen, Alice, ja?" Er quietschte
schon. „Aber ich kann doch durchs Schlüsselloch
gucken? Eutschuldigeh Sie, Hochwiirden, die
Sache nimmt mich so gewaltig mit."

Der Kapian lächelte freundlich von einem zum
andern, !zcg sein Fauteuil gaiiz an deu Tisch:
„Lacheu Sie doch, wemi es uur auf meine Kosten
ist. Ich bin gern unter fröhlichen Menschen."

Der neben ihm schrie aus voMem Hals: „Gottes-
willen, Du mußt mir den Krägen aufmachen, Alice,
den Schlips."

Sie wälzte ihr Gesicht auf dem Tischtuch: „Ich
kaiin ja selbst nicht. Hochwürden muß eine schöne
Meinuiig von mis kriegen, Pobert."

Und wieder sagte der Kapian ruhig: „Aber
nicht doch. Ich bin nur froh, daß ich hier sitzen
und ailes mit ansehen darf." „Ja, ja, Alice er hat
recht;" mit tränenden Augen richtete sich Pobert
auf, wüschte sich, betrachtete plötzlich gähnend
und etwas betreten den schwarzen Herrn im Fau-
teui!. „Trinken wir eine Tasse Kaffee zusamnien.
 
Annotationen