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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 21/22 (Erstes und zweites Februarheft 1915)
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Friedlaender, Salomo: St! - Eine Algebraëske
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Knoblauch, Adolf: Die schwarze Fahne [2]: Eine Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0144

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fnteMigenter a!s der inteüigenteste
MesseH, d. i. Herr Xruf ans Opop, nngeheuer viel
geleMer auch ats aiie Ahademiker insgesamt. So
fRiasNer, daß der beriihmte . . . nicht einmai mehr
eij! verdient. So Dichter, daß z. B. Dehmei,

Hnnp&naait ihm gerade dort, wo sie die Leute so
sehv etifz.neken, höcitstens amtisant vorkommen. So
nhcratrs Monist, daß er den Unterschied zwischen
OstwaM ttnd dem Obstverkäufer Miiiier auch un-
term sehärfsteti Mikroskop uiciit mehr konstatiert.

fgdessen (begann ich) töii vertrauend seiner
'URbtdhtKf'et) Souveränität tiber Menschen: es ist,
wetta matt voHkommen ist, unendiich ieichter,
über Mertschen zu herrschen ais es Menschen leicht
rätit, Tiere ztt beiterrschen. Toü vertrauend seiner
UcMrvorznghchkeit, entschtoß er sich, aus Moti-
vtH, dtc ttm* I ii m bekannt sind, nicht bioß zu kon-
deszendteren; soudern: diese seiue Kondeszendenz
(ev. zür bestmögiichen Wahrung seines Inkognitos)
zu euadrieren, zu kubieren, zu potenzieren dem-
ttaek.

Lescn Sie nun die Memoiren dieses Qottes, die
nach detn Kriege (weder natiiriich bei Diederichs
woelt bei . . .) ersciteinen soiien! Hören Sie nur,
we*R d-er Horcher an der Wand ein Qott ist —
welehe aHeriiebste eigne Schande er da mitanhört.
Ein Sehweiu: sagte: meine Herrn, ich giaube zu
wisseR, was Schmutz ist; wir sind aiiesamt
SekweiHc — aber wenn die Schweinigelei was
k o s t e t — meine Herrn. ist es dann gentieman-
iike, das zu preiien? und damit zu prahlen? Erhal-
ten bier nicht wir Schweinehunde endiich die lang
ersehnte Qeiegenheit, sympathisch abzustechen?
Ja!

Ehn Bierwirt sagte: Er hat dem Bruder des
Bäckers desertieren heifen nnd vom Bäcker dafür
ein paai* extra knttsprige Törtchen a.ngenomtnen;
dadureh crobre ich das Priviieg, vor ihm auszu-
spuckew nicht bioß, sondern sogar, ihn zu zwingen,
diese Spucke hinuuterzuschiucken. Meine süßen
Darnen, tch ekie mich nicitf etwa vor meinem Ekei,
ich bekcnne ihn, ich schiage iitn ais These an die
ScMoßkirchentür an, anf daß das Voik mein Spei&n
erlenie! Ich eiitriiste micit moraiisch, und Nietzsche
kantn m:r meinen umfangreichen ttnd wohiriechen-

dex., wenn er daftirhäit, das sei die perfi-

deste Art der Paciic. Es gibt auch eine Widerie-
gung, über die ich mich freue: sie heißt Haue,
Backpfeife. Wir Bierwirte sind nicht i m m e r
gasfüeh.

Der Fttchs sagte: Daß er, wie ich mit Schiauheit
dtirchschatte, mitunter durchbticken iäßt, er sei der
hohe VoHkommene ttnd k e i n Sausttick, geiler Affe,
imwtssender Döskopp, stiiier Halunke, S c h m a -
rotzet* — und nicht nttr S c h m a - ! ist nichts als ein
mitteimäßig jesuitischer Kunstgriff seiner schönfär-
berischett Veriogenbeit, sich eiti Air zu geben, wie
*wenn . . . Schwindei, attf den hineinzufaiien ich zu
sehr Fttchs bin, das kann man wohi sagen. Das
Stimktiier sang: er stinkt miclt an, deswegen gehe
tch ihm aber f e i n s a c h t aus deni Wege. Ich liebe
zwar i h n , aber nicht sciite Nähe, wei! ich mir dann
immer selber zu stinken scheine — ttnd mitzu-
lieben, nicht mitzustinken bin ich da. Für Jeden
habe ich die wunderfeinste Nase, ich wittre das
Qenie auf Meiiettweite. Schade, daß ich mir selbst
nichts anrieche. Ich giattbe, ich rieche seibst wie
eine Rose, obgieicit ich nicht wie eine Rose aus-
sehe. Ach was! Fiir die Nase, die ich im
Spiegel habe, riechc ich wertvoil. Ich bin meiner
würdig. Zuietzt noch kam der stoizeste Fioh
der Wc!t seit Adams Zeiten, er sprang den hohen
Voiikommcnen iteftig an und saugte; wttrde jedoch
gezwungen, haib geknickt abzuspringen, aiie seine
Versuche ztt erneutem Attfsprung mißgüickten, bts
cr sich errdiich abseits wie foigt verlautbarte:

Wie wohl wird mir, daß ich so ordinäres Biut
nicht mehr zu kosten brattche !Wie konnte ich mei-

nen noblen Saugrüsse! dermaüen entadeln? Von
jetzt an werde ich ihn höchstens stechen, sein Blut

komme über ihn selbst.-Ein Gott unter

Menschen überwindet schlieBIich seinen Brechreiz
immer wieder mit dem Lachreiz — womit es aber
Schwierigkeiten gibt, wenm er das Malheur hat,
ais Horcher an der Wand seine Tugenden und
Vorzüge Ioben zu hören. AIs etwa: so dumm
ist er garnicht; er ist eingebildet, aber nicht so
übertrieben, daB er über seine Qrenzen blind wäre.
Er weiß ganz gut, daB er kein Qott ist nnd benimmt
sich ziemlich bescheiden. Was er sagt, ist manch-

mai nicht ohne!--—

Gesetzt nun den FaÜ, der Mensch s e i vielleicht
nichts Besseres als das Versteckspiel des göttiich
Voükommenen vor sich selber? Qesetzt, es hätte
sich dieses Spiel aus göttlicher Selbstvergessem-
heit bis in einen geradezu tierischen Ernst hin-
ein verloren — in eine Quer- und Schiefäugigkeit,
stockfinstre Blindheit hinein: müBten da nicht,
wenn auch nur ein (scheinbarer) Lausewenze!
Ihn, d. h. also Sich glücklich geiunden hätte,
bald AHe mitjauchzen, mitentdecken? MüBte man
nicht besser spieien als blindlings? Heitrer? Wei-

ser? Unmenschlicher?-Ein Herz für seine

Flöhe, Stinktiere, Bierwirte, Füchse, Schweine und
andre Mit-Menschen hat hiermit als w i e für seine
Freunde ein und ailemal.

Mynona

Die schwarze Fahne

Elne Dichtung
Adolf Knoblauch

Portsetzung

Leutnant Brosln

Bran geht an den Dezember-Abenden um acht
Uhr durch die Bellevue-Eisenbahnbrücke iiber die
Spree; über dem schneüenden FuBgänger Gewim-
me! tragen die riesig-gespreiteten schwarzen stäh-
iernen Brückenbögen den donnernden SchaH der
ZSge. im Sekunden-Intervall gieich Lärrnen von
Qeschossen. Dann fährt Bran iange iiber den un-
zählig wirrenden Schienensträngen, bis tief in dte
Kiefern-Waldnacht glitzernd vom Schein der elek-
trischen Lichtgloben an hohen Stangen. Er geiangt
nach Hause, nachdem er in B&riin stundeniang phi-
losophisches Diktat im Stenogramm aufgenommen
hat. Im eisernen Oefchen brennt Qlut und nach-
dem Bran Wasser zu Tee aufgesetzt hat, packt er
seinc iederne Tasche aus und ordnet sorglich die
modrigen Briefdokumente von preuBischen Bürgern
aus der Zeit des Durchzuges napoieonischer Trup-
pen durch Mitteldeutschland tiber Magdeburg; er
soll von ihnen Abschriften anfertigen.

Im Hause ist es ganz stiü und dunke), als es
kiopft und unmitteibar darauf Brans Stubentür sich
auftut. Eine graue lange Qestalt erscheint im mat-
ten Licht seiner Lampe, schreitet mit einer Qeste
des Grauens auf Bran los, ergreift wortios seine
Schniter und flüstert entsetzt: „Er . . . Er wiii
nicht bezahien, wir soHen seine Frau nicht belästi-
gen . . . be . . . iäs . . . tigen, hat er wirkiich ge-
schrieben . . . denken Sie sich, ttnd sowas ist preu-
ßischer Offizier!"

Bran sieht Frau Hannah verständnislos an, die-
ses ganz graue verzerrte Qesicht, mit den geiben
Augäpfein, das sich zu ihm beugt ... Sie richtet
sich auf, steht lebios und jammervol! und horcht...
wendet sich dem Qatten zu, der hinkend hinter ihr
ins Zimmer getreten ist und umständiich die Tür
schließt. Dann richtet sich seine viereckige rote
Stirn auf, und er fixiert Bran mit einem kaiten, auf-
merksam sondierenden Blick. Frau Hannah ruft ihm
zu: „Hast Du den Brief?" und Hannahs Mann

schtebt die Brtile auf die Stim, entfaitet mit kom-
mlssarischer Wichtigkeit ein Blatt Papier nnd hleibt
so still wartend stehen, um die Spannung drama-
tischer Handiung hervotzurttfen. Das ökonomische
Moment, um weiches sich der ganze Auftritt dreht,
wird bedeutungsvoii nrtterstrichten. Währenddem
beschaut Brati den graueh Haarkegel von Frau
Hannah, ihre russische Bluse mit d&n: iroten Stick-
mustern schlottert heute so am Rücken, wahrlich,
grau ist die Aite von oben bis untan, von der
Schürze bis ins Herz hinein. Der Herr Forstasses-
sor räuspert sich, streckt das iahme Bcin nach
vorn und erhebt die schulmeisterüche, köhtmissa-
rische Stimme: „Es handelt sich um einen Brief
vom Leutnant Brosin, der wte Sie wissen, dies
Zimmer neben dem Ihrigen, samt einem Kabinet
für seine Frau am ersten des Monats für den Win-
ter gemietet hat." Hierbei weist der Herr Assessor
auf die teppichverhangene Tür, hinter der Bran je-
nes Nachts das Weinen eines unbekannten Ki*des
gehört hat. Er war bis jetzt mcht aufmerksam
darauf, daß dies Weinen zu einer FaaiiHe gehöreu
könne und noch weniger denkt er an das Dasein
von Leutnant Brosin. Bran nimmt sich zusammen
und hört mit Humor dem Herm Assessor zu, dcr
altmodisch aile Augenblicke die laute Lektüre dick
mit der Stimme unterstreicht, während Frau Han-
nah ihre Arme bei den Kränkungen des Herrtr
Leutnant dürr, unendlich !ang in den Raum be-
schwörend hochstreckt ttnd inniges Stöhnen sich
ihrer grauen Knochengestait cntringt . . .

„Lieber Bran, dieser Herr Offizier weigert sich,
nachdem seine Famiiie schon vierzehn Tage in dcn
beiden besten Zimmern unserer Wohnung haust
und nnsere GefäHigkeit täglich in Anspruch nimrnt,
weigert sich, seine schnidige Miete pränumerando
zu zahlen, wie es in aiien anständigen Häusern so
Usus ist. Er wiii, wenn er sein kontraktliches Vicr-
teijahr bei uns abgewohnt hat, seine Miete be-
zahien, . . . bis dahin soii ieh weder Herr meiner
besten Stuben sein, noch für atl das, was Leben,
Nahrung, Wohnung einer ganzcn Familie mit Kin-
dern ttnd Kindermädchen kostet, einen Pfennig
Entgelt bekommen . . ." „Denken Sie bioß an,
stöhnt Frau Hannah und bewegt dte dürren Arme
zum Himmel und iäßt sie schlaH an den mageren
Hüften niederfallen. „Vermiete ich denn zu meinem
Vergnügen", schnauzt der Herr Assessor weiter,
,Jn drei Tagen habe ich einen fälligen Wechsel
(wirklich fäiiig ist er aHerdings erst in acht Tagen),
einerlei. Sie können sich denken, daB man Qeld
gern vorher sicher in Händen hat," und Frau Han-
nah dringt jetzt auf Bran ein: „ . . . Wir soiien
seine Frau nicht damit „beiästigen", weiche Be-
Ieidigung ist das ftir uns. Fein auftreten wili der
Herr Leutnant, kostenlos wohnen, gern unser Sil-
ber- und Porzeüangeschirr benutzen, unsere Mö-
bel gebrauchen, sowas ktimmert sich natiirlicit nicht
darum, ob wir nicht gerade auf diese paar Mark
angewiesen sind." Der Herr Assessor häit Bran
den Brief vor die Augen, und darin steht freiiich,
daß der Leutnant die Forderung, gieich mit dem
Einzug in die Wohnung Miete zu zahien ais Un-
verschämtheit betrachte, und daB er sich verbitte,
seine Frau mit solchen Dingen zu beiästigen. Wenn
er auch krank im Sanatorium läge, so bleibe cr
doch die gegebene Instanz, an die sich der Herr
Assessor mit seinen Aniiegen zu wenden habe.

Mit der sozialen Unwissenheit eines jugendlichen
Leutnants und der Selbstherriichkeit des neuge-
backenen Pittergutsbesitzers giaubt der bürger-
liche Junker Brosin die städtischen Mietsverhäit-
nisse möblierter Stuben nach eigenem Einfall än-
dern zu können. Die außerordentiiche Feindselig-
ikeit in seiner Haltung hat das alternde Ehepaar,
das sehr gutwillig und nachbarlich reizend seine
Kinder und die zarte Frau aufgenommen hat, tief

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