Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

DOI Heft:
Nummer 1 (Erstes Aprilheft 1914)
DOI Artikel:
Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [7]: Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0008

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Weg
durch die Nacht

Reman

Aage von Koh!

Fortsetzung

Er drehte in winzig kieinen Rucken den Kopf
nach rechts und nach iinks; genoß mit Wohibe-
hagen das ktihie Qefühi in seinen Füßen, in dem
taufeuchten Qras zu steheu: giaubte in seinen
Naseniöchern und Ohren den frischen, nuß-
artigen Geruch und den zarten, sickernden Laut
der ruhenden und trinkenden Erde empfinden zu
können.

Ja, murmeite er von neucm —: Wie ist es hier
voüer Frieden! . . .

Fr atmcte tief auf. Einen Augenbiick kam es
ihm vor, ais friere ihu. Er bog iangsam den
Nackcn iiintentiber.

Die Sterne, dachte er gieich darauf, indem er
mit Staunen beobachtete, daß ihm dort ganz oben
der schimmerude Poiargiobus mit einem weit
stärkeren Schein zu ieuchten schien ais gewöhn-
iich —-: die Sterne, diese zahiiosen, unermeßiichen
Lichtkugein die gesetzbestimmt und unaufhöriich
dahinwandern. da oben — und da unten! Und aui
jedem einzcinen dieser Myriaden von ungeheuren
Weitenkörpern, auf jedem eiuzeinen Fieck von
ihnen aiien, ist es genau so wie auf dem unseren,
wimmeind voü von Leben! Von Leben, oben wie
untcn, groß wie kiein; Leben in der Luft, im
Wasser, in den Feiskiippen, im Schoß der Erde
seibst. bis an ihrem Mitteipnnkt: Leben ist überaü,
von oben bis nach unten, sichtbar wie unsichtbar
— da ist gar nichts in der Weit, was Tod heißt!
Nein, wenn der Tod auch so winzig kiein wäre,
wie die Spitze einer außerordentiich spitzen Nadel,
oder wenn er nur der tauseudste Teit des aüer-
kieinsten mikroskopischen Wesens wäre, das wir
kennen, so wäre doch nirgends Piatz dafür, so un-
sagbar erfüüt von Leben ist aües! Piatz, Raum,
Zeit, Veränderung, Tod — das ist aües zusammen
nichts weiter als verschiedeuc Wörter ftir ein und
dasse!be: fiir Leben! . . .

Er cmpfand einen Schwindc! von dem iangen
Hinanfstarren. Tief drinnen in scinem Haise war
ein Zittern. Durch seine Knie kroch, Zoü für Zoü,
eiue Käite hinauf.

Er tat hastig ein paar Schritte vorwärts, fühite
im seiben Augenbück, daß gewiß etwas in ihm jetzt
zu Ende war! frgend etwas, er wußte nicht was,
das von heute an fiir immer vobei war! Etwas
Unbestimmbares, was ihn nicht mehr fernzuhaiten
vermochte . . . ja, fern wovon? . . .

Da draußen tiber dem Mcere giitt, aus Stiden
kommend, weit, weit draußen, ein rötiiches, kiei-
nes Licht gen Norden dahin — er richtete mit
piötziicher und atemioser Aufmerksamkeit seinen
Blick darauf. Eine ganz kurze Strecke dahinter,
und ein wenig höher oben in der Luft unterschied
er unmitteibar darauf auch einen giaskiaren, ieuch-
tenden Punkt. Und eine Weiie später konnten
seine Augen, an die Dunkeiheit gewöhnt, noch eine
ganz kieine, dicht zusammengedrängte Qruppe
von schwachen Schimmern erbiicken, unten unter
dem Kiaren.

Nun ja —:

Ein Schiff, mit anderen Worten!

Ein Passagierdampfer offenbar — und er wußte
auch weicher!

Denn dies war ja gerade der Dampfer, um
dessentwiüen er jetzt hier gestanden und gewartet
hatte — so wie in den vielen, vieien Wochen vor
Leute, sowoh! vorher . . . ais auch nachher!

Annies und sein SchiH! Du großer Qott, ihr
Hochzeitsschiff, der groSe, straMende Ozeanvogei,

mit dem sie und er vor ianger Zeit nach Norden
gesegeit wären, hoch hinauf zu den Nächten ohne
Dunkei! Ach, hinauf zu einer schwindeinden Reihe
von nordiichtflammenden Nächten, den schlaf-
freien Nächten ihrer Brautfahrt, den heüen Näch-
ten ihrer kurzen, ihrer unvergeßiichen, ihrer ewi-
gen Jugend miteinander! ....

Ein kaiter Schauer durchrieseite ihn von Kopf
biszuFuß.

Er erhob beide Häude, quaierftiüt —:

Und nun?

Aües vorbei!

Aües und für immer zu Ende?! . . .

Er wandte sich heftig ab, woüte nicht mehr da
hinaus sehen, nein, er war miide, er war fünf-
'hundertmal mehr ais miide!

Er bemerkte seibst piötzlich den Ausdruck, den
er hier gebraucht hattc, iaciite auf einmal bitter:
'fünfhundertmai mehr ais müde! Jawohi, daran
erkannte er sich seibst wieder griindiich!

Ach, da hatte er wieder eine Kiaue in das hin-
eingeschiagen, was er tiber aües in der We!t ver-
abscheute! da hatte er sich seibst wieder äuf fri-
scher Tat ertappt, uicht zu können, im Stich zu
iassen, aufzugeben und zu entschiüpfen, zu wei-
chen und zu meiden — sich ais der lose Sand zu
'offenbaren, der er war! immer und ewig nur das
benutzend, was iiim widerfuhr — um ein Wort,
einen Satz, einen treffenden Ausdruck zu finden!

Er warf den Nacken hinteniiber, kalt in aüen
Sinnen aus Eke! tiber sich se!bst —:

Ach, mein Gott, sie haben mir meine Annie
genommen!

Sie wagen nun obendrein noch a!s Deputation
hierher zu kommen und mir a!s Ersatz ein ge-
meines, ein widerüches Tier auzubieteu! Ein
Muttropfendes Vieh mit entziindeten Zeüen, das
ich nie vor meinen Augen geseiien habe. Ein Mon-
strum, das ich hasse und dem icii zu Leibe wiü!

Und damit g!aubt ihr a!so, daß unsere Abrech-
nung abgesciüossen ist — eure und meine mei!en-
!ange Abrechnung?

Haha, aber meinctwegen mag es so sein — ver-
schwindet aber dann jedeufaüs von hier! Befrcit
mich davon, euch noch zu hören oder zu sehcn!
Oder habt ihr noch nicht begriffen — daß gerade
ihr es ja seid, daß gerade zugutcrtetzt i h r es
seid, jeder EinzeMe von euch, du und du und du
und eure Frauen und Kinder und ihr aüe mitein-
ander, die ich hasse!

Qerade ihr!

Oder, antwortet mir —:

Habe ich euch nicht jahretang mehr geschenkt
a!s irgendein anderer, der existiert? Habe ich nicht
gerast, weii i h r littet, gewcint, weii i h r weinen
mußtet, euch jedesma! getröstet, wenn es zu arg
war, sang ich euch niciit vor, Tag und Nacht, aüe
Jahre, die ich !ebte?!

Habe ich nicht Hunderte von Ma!en ineine
Brust zerfetzt und aus meinem Herzen das B!ut
g!eich einem Schauer von Rubineu und Rosen über
euch aüe hinausgeschieudert —: Mein Qott, und
dennoch liabt ihr mir meine Annie genommen, ihr
kaiut eines Nachts auf uniiörbaren Füßen iu mein
Haus geschüchen und stah!t sie mir aus den Ar-
men, während wir schüefen! Ihr schändetet sie in
dem Augenbück, der meinem Erwachen voran-
ging, ihr ersticktet sie mit euren gierigen Fäusten,
ehe ich iiir zu Hi!fe gekommen war, ihr schtepptet
ihre Leichc monatelang durch Zeitungen und durch
aüe Qassen!

Ihr stalüt, ihr raubtet, ihr mordetet — und nun
kommt ihr zu mir und woüt mir a!s Ersatz das
schenken, was ich am meisten im Leben hasse, das
einzige zwischen Sonne und Erde, was mein Herz
verabscheut und wovor es sich bis zum Tode

eke!t! Alein Gott, ihr habt mir die Qeliebte ge-
nommen —- und noch habe ich sie nicht an euch
aüen gerächt, noch wandert ihr sicher da draußen
herum, ihr zahüosen Menschen — aüe ihr, die ihr
im tiefsten Innern ganz d e m gleich seid, den ihr
mir und dem Henker ausüefern woüt! Ihr alle
miteinander auch nicht ein Tausendste! wert von
dem, was sie wert war —: und ihr !ebt dennoch,
ihr albert und f!ennt, ihr eßt und trinkt und
scMaft und erwacht von neuem, ihr umfangt ein-
ander und vermehrt euch unzähüg — euer Mörder-
gescMeciit tmendÜch über die Erde ausbreitend...
und i c h stehe beständig hier und habe noch an
nichts weiter gedacht, seitdem ihr sie von mir
nahmt, a!s euch nur meine Qua! zu verbergen —
um euch nicht bange zu machen! Eure Untat zu
verschweigen — nur um euch noch mehr Gutes
zu schenken! Zu vergessen, was ich verlor — um
eucii froh machen zu können!

Von heute an ist meine Hand gegen euch aüe

Ja, ja!

Aber jetzt ist die Zeit vorüber!
gewendet!

Von dieser Nacht an ist mein Sinn ausgebro-
chen, Ketten und eiserne Stangen nützen euch
nicht mehr, ich irre mit dem Messer an eureu
Ttiren hetüend umher, ich zersprenge wic eim
Sturmwiud eure Fensterscheiben, ich rase wie ein
Unwetter iiber euren Sclüaf und eure Meichen
Träume hin, ich beiße euch latit lachend in die
Ketüe und sauge euer Biut aus bis ihr sterbt! . . -

Er iiatte die beiden gebaüten Hände erhoben,
starrte wild und schäumend vor sich hin, aüe
Musketn gespannt, in unbändiger Begierde zu
scMagen.

Aber da war es auf einma!, a!s kehrten seine
Gedankcn sich p!ötz!ich um, a!s kehrten sie sich
jäii zu einem Angriff gegcn ihn se!bst — so unver-
mutet, so beftig, daß seine Keiüe sich zusammen-
schnürte, seiu Herz staud stiü, er hieb qualvol!
seine bcidcu Fäuste gegen seine Brust, ein
Stöhnen sprang von seiner Lippe —:

Ja!

Denu es war ja wahr!

Er selber trug wirkiich die ganze Schiüd!

Es war aücs er — und er aüein! Er war der,
der feige war, der schwach war, der bange war,
der wedcr hörte noch sah! Er vermochte nichts
v/eiter in der We!t, a!s imr an sich se!bst zu
denken!

Ac!i ja, es gab gewiß keinen Zweife! da: es war
seine eigerie Schiüd, daß dies aües gekommen war,
wie es kam: oder wußte er deiin nicht aufs Haar,
daß der, der das Köstlichste von aüem besaß —
seibstverständüch auch die Püicht hatte, dariiber
zu wacheii! War er deun ein uiiwissendes Kind,
war er ein Junge, der die Qesetze des Daseins
nicht kannte, war er füufundzwanzig statt vier-
zig, hatte er nicht in diesem Atter ganz klar wissen
müssen: daß ihre Schönheit aüer BÜcke auf sich
zog, daß Tausende begehrten, sie zu rauben! Hatte
er es nicht schon früher seibst in Vermessenheit
zu ihr gesagt, nicht einma!, sondern wieder und
wieder: wenn ein anderer sie besessen hätte,
wenn das Leben es so gewoüt hätte, daß sie schoa
einem andern gehörte, ehe er sie erbückte — da
hätte auch er mit aüeu den Fähigkeiten, die ihm
zu Gebote standen, sich bestrebt, sie für sich selbst
zu erobern! da wäre kein Mittel ihm zu bitter cr-
schieneti, kein Hindernis zu groß, kein Widerstand
zu stark, kein Recht zu tief, daß er nicht gewagt
hätte, es zu kränken — um bis zu ihr zu geiangen!
Und doch — und trotz aüedem — dennoch hatte
er das aües vergessen und hatte geschlafen!
Dessen ungeachtet hatte er sich sorglos nur mit.
sich selber beschäftigt, mit Schreiben, mit dem.

4
 
Annotationen