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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 1 (Erstes Aprilheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0009

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watg er sehre KuHst nannte — mit sehiem Ruhm,
seinen Fiätten, seinen weit schweifenden Gedan-
ksa, Seibstanbetung von Anfang bis zu Ende!

S i e hätte er bewachen soHen — und das hatte
-er aicht getan!

Es war ihm aiso ganz recht ergangen — wie er
es verdiente!

Hurz und kiar, das Ganze!

Fertig'! . .

'Er hatte sich auf eine Bank niedergeworfen,
Aie; hart am Rande des BoHwerkes stand.

Todmüde, mit keuchenden Atemzügen, mit giü-
fMenden Augen starrte er um sich, um zu sehen.

Dicht unter ihm piätscherten die ian^gsamen
WeHen; mit kieinen, nassen, kfatschendcn Schiä-
geu schiugen sie zuweiien gegen Pianken und
Batken.

In der Ferne da draußen, ganz wcit weg, gerade
Rber dcr doppeiteu Linie von Dunkei uud noclr
tieferem Dnnkei des Horizonts, stand ein Stern;

' sein Spiegelbiid giitzerte da dranßen fencht.

Nacit Süden zu war der Himmei schwarz, aber
bn Norden und Nordwesten schimmerte beständig,
fäutios, schiiiernd, in sonderbaren, zugieich ge-
'dämpftcn und greiien Tönen von Geibiich und
-Qrän uud Rot, ein wechseinder Widerscheiu der
sesunkenen Sonne.

!u seinen Naseniöchern spürte e. auf einmai
deu bittercn, rußartigen Geruch des Rauches aus
dem Schornstein irgendeines unsichtbaren
Dampfcrs — er hob piötziicl! den Kopf ein kieiu
wenig, sog wieder und wieder begehriich in rätsel-
haftem Behagcn diesen Gestank ein . . . und da
erinnerte er sich jäh, ohne seibst zu wissen wes-
!ta!b. seiuer, des Aiten, des Aufschers. von da
drübeu. und seiner Worte, daß wir das Giiick ver-
gäßen. sobaid es vorbei sei — aber an das Un-
gtäck kiammerten wir uns mit Händen und mit
F%8en an, ais gäbe es nichts auf der Weit ais das!

Wahr, dachte er jetzt —:

Wie war es wahr, Punkt fiir Punkt!

Wie war es einfach, wie war es richtig — wie
war es voHkommen wahr! ....

Er setzte sich mit einem Ruck aufrecht auf die
Bank, starrte sinnend einen Augenbiick vor sich
hin, iehnte sich darauf iangsüm vornüber, indem
er die EHenbogen auf seine Knie stützte.

Aber, griibeite er weiter, noch ohne so recht
ernstüch zu empfinden, womit sich sein Gehirn be-
schäfiigte —: aber wie kann es nur sein, daß es
wirktich so ist?! Woher kommt es, daß das Un-
gtiick, das grauenvot! Ungev/öhntiche, das Ent-
setzenerregende, eine so grenzenios große Macht
Hber uns hat?

Und über uns atle miteinander?

Ueber atte die andem — sowoht wie tiber
wich ? -

Wiirdc ich denn atso anders gefiihit haben,
wenn Annie nur.ganz einfach gestorben

wäre? ....

Seine Einger kraHten sich ptötziich hart und
fest meinander, er bog den Nacken ein wenig zu-
räck, die Gedanken jagten in schwindetnder Hast
darch seinen Kopf —:

Wiirde auch ich das Gauze anders empfunden
ütaben — wenn sie eines schönen Tages unver-
mutet krank gewordeu wäre, wenn sie zu mir
hereingekommen wäre, während ich dasaß und
sdrrieb, eiue kteine Weite hinter meinem Stuht ge-
ständen hätte, es so tange wie mögtich hinaus-
schiebend, mich in meiner Arbeit zu stören, mich
Tiange zu machen; aber schtießtich konnte sie
wicht mehr, sie hätte ihre Wange gegen meine
"Schutter getehnt, ein ktein wenig schwer — und
aacb einer Weite hätte ich gemerkt, daß ihre Haut
,39 hefß war, sie brannte mir durch den Anzug —
uicht so, wie so oft sonst, wenn wir froh warea.

Friedrich Rosenkranz: orign.ihcuschnitt
 
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